Tilman Rammstedt - Der Kaiser von China

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    Klappentext:
    Ein Enkel spannt dem Großvater die Geliebte aus. Die stärkste Frau der Welt lernt Seiltanzen. Eine Reise nach China endet im Westerwald. Tilman Rammstedts furioser Roman sprüht vor Witz und Einfallsreichtum und erfindet zur Not ein ganzes Land - und was für eines!


    Meine Meinung:
    In seinem neuen Roman "Der Kaiser von China" gelingt Tilman Rammstedt das, was meiner Meinung nach nur wenigen Autoren gelingt: ein intellektuelles, aber doch auch witziges Buch zu schreiben.


    Das Buch ist unterteilt in die eigentliche Handlung, die von den fiktiven Briefen des Protagonisten Keith Stapperpfennig an seine Geschwister unterbrochen ist. In diesen Briefen beschreibt er ihnen das exotische China, so wie es ihm am glaubwürdigsten erscheint. Er berichtet von Waschbären zum Abendessen und religiösen Gebäuden wie z. B. der Halle der Harmonie der Mitte.
    Dieser kreative Reisebericht ist sehr amüsant zu lesen und bringt den Leser oft zum schmunzeln, da man doch ins Grübeln kommt, was darin wohl der Wahrheit entsprechen mag und was aus der Vorstellungskraft des Autors hervorgeht.


    Die Handlung um die Briefe herum erzählt davon, wie der Portagonist mit seinen Geschwistern bei seinem Großvater aufgewachsen ist, der in sehr regelmäßigen Abständen immer jüngere Freundinnen mit nach Hause bringt. In eine der Freundinnen verliebt sich der Protagonist schließlich, was wiederum zu Irrungen und Wirrungen führt.


    Etwas zu bemängeln habe ich jedoch, dass mir der Roman häufig zu durcheinander war. Ich tue mich da gerade ziemlich schwer das zu beschreiben, aber mir kam es oft so vor, als fühlte sich der Autor unter Druck gesetzt, diese Exotik und Mystik, die China umgibt auf Biegen und Brechen zu übertreiben. Mir hätte es gefallen, wenn das doch etwas mehr im Bereich des Möglichen gelegen hätte. An manchen Stellen war mir das einfach zu gewollt witzig. Etwas mehr "Realität" hätte da vielleicht gut getan.


    Der Roman ist meinen Erwartungen nicht ganz gerecht geworden, aber wahrscheinlich waren diese nach den ganzen positiven Stimmen, die ich gehört hatte, etwas zu hoch gesteckt.


    Alles in allem vergebe ich:


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • DUMONT Literatur und Kunst Verlag, Oktober 2008
    Hardcover, 192 Seiten, 17.90 Euro


    ISBN-10 3832180745
    ISBN-13 978-3832180744


    Der Text sei „hochkomisch und super“(1), so Klaus Nüchtern(2), geradezu „brilliant“(3), „… diese überbordende Suada sei mit großem Können ausgeführt, besitze bei seinem slawischen Humor etwas sehr Eigenständiges“(4), so Daniela Strigl(5), ein in seiner „Musikalität hervorragend ausgeführter Text“(6), so Andre Heiz(7).
    Einzig Burkhard Spinnen(8) attestierte dem wenig Potential, er „… gerät auch irgendwann in eine Schieflage, weil immer mehr und mehr aneinander gereiht wird“(9); zwar wäre die Idee, die Figurengestaltung interessant, die Motive, die Figuren, die humoristische Aufarbeitung des Thanatos-Themas seien aber nicht neu. Er sehe kaum eine Weiterentwicklung schon bekannter Themata: „Zwar blendend komponiert, ein virtuoses Potpourri - aber was hat er der Summe seiner Teile hinzuzufügen…“(10). Trotz des negativen Urteils von Spinnen wusste der Text sowohl bei den anderen Juroren als auch beim Publikum zu begeistern. Er erhielt nicht nur den Hauptpreis der Jury, sondern auch den Publikumspreis. Zurecht?


    Ursula März(11) kritisierte die Haltung des Juryvorsitzenden Spinnen mit den Worten: „Immer wenn hier ein Text mit enormer Leichtigkeit und einer schönen Sprache daherkommt, bei dem viel gelacht wird, wird der Moment kommen, wo er verdächtig gemacht wird.“(12) Mir liegt es fern die Leistung Tilman Rammstedts zu verdächtigen; mir liegt es fern dem Buch eine Sogwirkung zuzuschreiben, genauso wenig möchte ich ihm das Talent absprechen zwischenmenschliche Beziehungen analysieren, beschreiben, beurteilen, darstellen zu können. Die Beziehung des Großvater-Enkel-Gespanns ist gezeichnet von Missverständnissen, Konflikten, die nicht nur die Probleme zweier Menschen in unterschiedlichen Altersklassen betreffen, mehr sind es nicht ausgesprochene Gefühle und Gedanken, mehr noch sind es die Dinge innerhalb des Alltagslebens, die beide trennen. Die Liebe ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Beziehung; das Gefühl jemanden zu lieben, ihn sich nähren zu wollen, nicht zu wissen wie, die Ablehnung, die aus einer solchen Unsicherheit resultiert – all das sind keine humoristischen, schönen Momente. Beide, sowohl Keith, der Enkel, als auch der Großvater sind in dieser Beziehung einsam; sie fühlen sich vom Gegenüber allein gelassen, missverstanden, fehlinterpretiert. Die gegenseitige Suche nach Nähe innerhalb der Familie, auch zu Keith, wird der Figur des Großvaters als Negativum angelastet. Seine zahlreichen, teilweise sehr skurril beschriebenen Eigenheiten übertrieben, auch seine positiven Charakterzüge ins Negative umgekehrt.


    Zitat


    “Du kannst froh sein einen solchen Großvater zu haben“, sagte Dai, als wir den Park wieder verließen. „Ja“, sagte ich, auch wenn ich nicht wusste, ob ich darüber wirklich froh sein konnte. Ich wollte es aber können, ich wollte nichts lieber können als das, allen anderen gelang es doch auch, es konnte doch nicht so schwer sein.“(13)


    Der verzweifelte Versuch ihn zu lieben, ihn zu verstehen, lässt ihn auch die Nähe zu Franziska, der letzten „Großmutter“ suchen. Er baut mit ihr eine ‘Beziehung’ auf, die vornherein zum Scheitern verurteilt ist; sie teilen keine Liebe füreinander, keine tiefer gehende Emotion, einzig ihre negative Beziehung zum Großvater bleibt ihre Gemeinsamkeit.
    Die Beziehung zwischen beiden steht ganz im Mittelpunkt dieses Romans und wird damit auch zum Damoklesschwert für meine negative Beurteilung. Die Handlung bleibt stoisch, Konflikte zwischen den Figuren werden durch das Ableben des Großvaters nicht geklärt; die Beziehung wird einzig und allein durch Keith beurteilt. Es bleibt kein Raum für fremde Beobachtungen, für Beobachtungen von Franziska z.B. oder anderen Mitgliedern dieser Familie. Die Umwelt bleibt ein nicht erwähnter Faktor innerhalb dieser zwischenmenschlichen Beziehung. Nur die charakterliche Schwäche beider Figuren steht im Mittelpunkt, Einflüsse von Außen gibt es kaum, selbst in den fiktiven Briefen Keiths aus China verändert sich dieses Verhältnis nicht. Der Roman ist als Introspektive aufgebaut und bleibt diesem Schema bis zum Ende treu. Ein großes Manko, meiner Ansicht nach.
    Nicht nur die Eindimensionalität der Figuren bleibt so bis zum Ende vorhanden, auch bewegt sich in der Handlung nichts; es gibt keinen Fortgang, keine neue Erkenntnis für Keith. Er bleibt in seiner Welt gefangen, in der Konflikte nicht ausgesprochen werden, Emotionen und Gedanken nicht ausgetauscht werden. Auch die China-Episoden, die durchaus imposant, sehr skurril, sehr innovativ in Briefen des jungen Mannes an seine Familie geschildert werden, verstärken den Eindruck noch. Diese Reise hat nicht stattgefunden, sie ist nur ein Phantasieprodukt von Keith, um über den Verlust des eigentlich Ungeliebten hinweg zu kommen – Zudem wirken die Briefe nicht authentisch, aufgesetzt, zu stark konstruiert, um eine Aussage treffen zu können. Andre Heiz hat es sehr passend charakterisiert, wenn er sagt, dass in diesem Roman „Humor als Therapie eingesetzt“(14) werde und der Leser einem „ständig schwatzendes Über-Ich“(15) begegne.


    Fazit:


    Eine stilistisch gut aufgearbeitete Großvater-Enkel-Beziehung, die sich allerdings innerhalb von fast 200 Seiten wenig bis gar nicht entwickelt; ein Problem ist hier, dass die Möglichkeit Konflikte auszutragen und Lösungsmöglichkeiten zu finden von Anfang an nicht gegeben ist. Der Roman bleibt so stoisch, ohne große Wendungen, ohne große Veränderungen in seiner atmosphärisch heiter-melancholischen Introspektive.


    ~*~


    [1] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [2] Klaus Nüchtern ist ein österreichischer Journalist und publiziert u.a. für „Literaturen“. Seit 1989 arbeitet er als fixer Kulturredakteur, seit 1990 als Chefredakteur bei der Wiener Stadtzeitung „Der Falter“. Von 2004 bis 2008 war er Juror für den Ingeborg-Bachmann-Preis. (lyrikwelt.de)
    [3] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [4] ebenda
    [5] Daniela Strigl ist „Literaturwissenschaftlerin, -kritikerin und Essayistin (Der Standard, Wiener Journal, Die Presse, Literatur und Kritik, ORF-Radio).“ (literaturhaus.at)
    [6] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [7] „André Vladimir Heiz (* 1951) ist ein Schweizer Schriftsteller, Dozent für Semiotik und ein Designtheoretiker.“ (Wikipedia)
    [8] Burkhard Spinnen ist „seit 1996 (ist er) freier Autor und erhielt zahlreiche Preise; 2004 den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld für sein bisheriges Gesamtwerk.“ (perlentaucher.de)
    [9] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [10] ebenda
    [11] Ursula März ist Journalistin bei der Frankfurter Rundschau. (Ursula März: Der 70er-Jahre-Feminismus ist passé)
    [12] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [13] Tilman Rammstedt; Der Kaiser von China; DUMONT; Dezember 2008; S.166
    [14] Bewertungen des Romanauszuges „Der Kaiser von China“ von Tilman Rammstedt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2008
    [15] ebenda