Historische Genauigkeit - ein Muss im historischen Roman?

Es gibt 289 Antworten in diesem Thema, welches 70.595 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Teres.


  • Da denke ich, kommt es auch ein wenig drauf, was für Bücher du liest. Bei manchen gebe ich dir sicherlich recht, aber nicht bei allen Büchern.


    Die Ausnahmen bilden meiner Ansicht nach eine recht überschaubare Gruppe.



    Vielleicht ist es bei der Übermitttlung von dem "Gefühl" nicht ganz so wichtig ob es diffus bleibt. Selbst unsere heutigen Projektionen ergeben doch zumindest eine Ahnung von vergangenen Zeiten.


    Nein, sie vermitteln in erster Linie, was der Schreiber glaubt, wie es gewesen sein könnte. Ob sich da ein Zeitzeuge, wenn man ihn denn befragen könnte, wiederfinden würde, steht auf einem ganz anderen Blatt ...



    Meinst du, dass die historischen Romane, die sehr großzügig mit der Historie umgehen gar nicht historischer Roman heißen dürften? ( die Frage ist mir ganz plötzlich gekommen, weil du es in Anführungszeichen setzt.)


    Genau das meine ich. Sie gehören eher in die Kategorie Fantasy-Roman :zwinker:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Im Ohr habe ich auch eine Aussage sandhofers, dass er froh ist keine Sekundärliteratur mehr lesen zu müssen,sondern sich mit den Quellen abzugeben. Ich kann das gut verstehen und trotzdem habe ich das Gefühl mir das nur da zuzutrauen, wo ich Sekundärliteratur genug gelesen habe.


    Wobei das bei mir nur in zweiter, dritter oder gar vierter Linie den historischen Roman betrifft. So was lese ich generell recht selten - und wenn, dann eher mit Interesse am Roman als solchem, nicht an den historischen Tatsachen.


    Zweig, der immer mal wieder erwähnt wird, halte ich für ein schlechtes Beispiel. Gerade er ist es m.M.n., der mit seinen Kommentaren verunmöglicht, wirklich an die Figuren heranzukommen. Seine Maria Stuart jedenfalls habe ich deswegen entnervt beiseite gelegt, und auch seine Sternstunden der Menschheit sind genauer gesagt Sternstunden der Menschheit, wenns nach Stefan Zweig geht und wie er sie sieht ... :rollen:


    Das Weltbild und die Rolle der Religion im Leben eines Menschen des Mittelalters zum Beispiel, sind für uns heute praktisch nicht mehr nachvollziehbar.


    Ein gefährliches Argument, wie ich finde. Denn: damit sind
    a) auch alle Übersetzungen letztendlich unmöglich, ganz sicher die von Texten aus andern Kulturkreisen (Japan, China, Afrika ...)
    b) natürlich auch historische Forschungen letzten Endes unmöglich und sinnlos ...


    :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Judith: Ich helfe gerne mit Buchtipps aus, aber bei dem Buch muss ich leider passen, das habe ich nicht gelesen. :winken:


    Und was mein Hintergrundwissen betrifft: Das Studium wird meist überschätzt, denn für Epochen, die mich nicht interessiert haben, habe ich nur für die Note gelernt und das wars. Epochen und Menschen, die mich interessiert haben, habe ich auch in meiner Freizeit mit Büchern "verfolgt".


    Ich kenne Leute, die Geschichte studiert haben, nun in einer Schulklasse stehen und bei jeder Frage, die nicht unmittelbar mit dem Stoff zu tun hat, passen müssen.


    Wissen kann man sich anlesen und anlernen. Ich wünsche dir viel Spaß dabei. :winken:


    Katrin

  • @ Aldawen:


    gut, dann habe ich dich richtig verstanden. :smile:



    Jaqui


    ja, klar, du kannst ja bloß ein Ausschnittswissen haben. Anders geht das gar nicht. Ich denke auch, dass das dann im gesamten Leben erst richtig reift. :smile:



    sandhofer


    ja, deine Aussage war damals darauf bezogen, dass ich nach Sekundärliteratur für Darwin fragte.
    Ach, interessant, ich habe den Zweig immer so hingenommen, aber das kommt eben auch, wenn einem der Überblick fehlt. :rollen:


  • a) auch alle Übersetzungen letztendlich unmöglich, ganz sicher die von Texten aus andern Kulturkreisen (Japan, China, Afrika ...)


    Nein, zumindest nicht für zeitgenössische Literatur. Ich kann mir da schließlich Quellen suchen, die mich aus erster Hand informieren.



    b) natürlich auch historische Forschungen letzten Endes unmöglich und sinnlos ...


    Ziel historischer Forschung ist nicht die Vermittlung eines Lebensgefühls in einer anderen Epoche, jedenfalls war davon während meines Geschichtsstudiums nie die Rede :winken:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Nein, zumindest nicht für zeitgenössische Literatur. Ich kann mir da schließlich Quellen suchen, die mich aus erster Hand informieren.


    Ja. Aber: Kannst Du das, was Du siehst auch richtig einordnen?


    Ziel historischer Forschung ist nicht die Vermittlung eines Lebensgefühls in einer anderen Epoche, jedenfalls war davon während meines Geschichtsstudiums nie die Rede :winken:


    Ich bezog mich auf den Satz:


    Das Weltbild und die Rolle der Religion im Leben eines Menschen des Mittelalters zum Beispiel, sind für uns heute praktisch nicht mehr nachvollziehbar.


    Lebensgefühl ist da ja keines drin, oder was verstehst Du unter "Weltbild"? :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ja. Aber: Kannst Du das, was Du siehst auch richtig einordnen?


    Das kommt auf viele und teils auch individuelle Faktoren an, daher kann ich das nicht mit Ja oder Nein beantworten.


    Lebensgefühl ist da ja keines drin, oder was verstehst Du unter "Weltbild"? :winken:


    Eine eher universelle Bestimmung dessen, wie und wo der Mensch sich selbst verortet – geographisch, sozial, kulturell, religiös ... (bitte mit weiteren passenden Adjektiven ergänzen :zwinker: ). Und da steckt eine Menge Lebensgefühl drin :winken:

  • @ Aldawen & Sandhofer:


    Das Weltbild einer vergangenen Epoche ist m.E. für uns schon nachvollziehbar. Ein Ziel historischer und archäologischer Forschung besteht ja darin, das Leben vergangener Zeitphasen zu rekonstruieren und der Frage nachzugehen, was Menschsein und Lebenswirklichkeit im Profanen und Geistigen in der jeweiligen Phase bedeutete.


    Das Problem besteht eher darin, daß wir uns dem Lebensgefühl eines Menschen dieser Epoche nur wie ein Schauspieler der Verkörperung seiner Rolle nähern können, uns die Vorstellungskraft allein aber niemals zu einem exakten Zeitgenossen machen wird. Dazu müßten wir unseren eigenen Wissensstand über die Entwicklungen ab der Phase bis zum Heute ausblenden können. Wir sind und bleiben jedoch Kinder des Heute und das beeinflußt unsere Beurteilung des damaligen Lebensgefühls.


    .

  • Also ich finde, dass solche Romane schon historisch genau sein sollten. Denn wenn ich persönlich so ein Buch lese, möchte ich auch gerne etwas über die damalige Zeit und wie die Menschen lebten wissen. Denn sonst kann ich ja gleich einen Fantasyroman lesen...

  • Ich finde, es sollte dem Autor überlassen bleiben, wie historisch genau er es haben will... Natürlich muss der Leser dann beim Kauf des Buches auch wissen, woran er ist.
    Mir ist es beim Lesen nicht so wichtig, ob das alles auch hundertprozentig sicher so war. Gerade bei "Das Buch von Eden" von Kai Meyer ist mir aufgefallen, wie viele sich da beschwert haben, dass da zu viele Fantasyelemente drin stecken. Da ist der Untertitel "Historischer Roman" dann eben nicht ganz korrekt. Aber ich habe in seinem Online-Journal auch gelesen, wie viel Zeit er in die Recherche investiert hat, das heißt man kann davon ausgehen, dass der Rest schon historisch sehr genau ist.
    Ich bin ja auch gerade dabei etwas zu recherchieren, was vielleicht/hoffentlich irgendwann mal ein historischer Roman wird und auf manche Fragen finde ich einfach keine Antwort, egal wie viel ich suche. Dann muss ich da eben etwas dazu erfinden, obwohl ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es wirklich so war damals.


    Lg,
    Sookie :winken:

    :kaffee:

  • Aber ich habe in seinem Online-Journal auch gelesen, wie viel Zeit er in die Recherche investiert hat, das heißt man kann davon ausgehen, dass der Rest schon historisch sehr genau ist.


    Dem ist - entschuldige - natürlich nicht so. Quantität schlägt nicht einfach irgendwann in Qualität um. Davon, dass die investierte Zeit sich nicht einfach in guten Resultaten niederschlägt, kann Dir schon jeder Quartaner ein Lied singen. Von den armen Lehrern, die das mindestens einmal in der Woche anhören müssen ("Aber ich habe doch sooooo viel Zeit hineingesteckt, da muss das doch mindestens eine Zwei geben!") mal ganz zu schweigen ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Solche Mitschüler kenne ich leider auch zur Genüge - in wirklich eklatantem Maße überschritten wird die eigene Schmerzgrenze dabei allerdings erst, wenn besagte Klientel diese Quantität³=Qualität-Faustregel auf die mündlichen Beiträge im Unterricht "projizieren"..dann wird es, mit anderen Worten, echt nervig.

  • Ich kann vielleicht kurz erklären, wie ich als Autor von historischen Romanen die Sache halte:


    Bei den historischen Fakten bemühe ich mich um größtmögliche Genauigkeit. Das betrifft die geschichtlichen Ereignisse, die Rekonstruktion von Schauplätzen, die Naturphänomene (Wetter/Klima, astronomische Erscheinungen), Kalenderdaten usw. Wo Daten nicht vorliegen und ich dazu erfinden muss, versuche ich, keine Widersprüche zu den (mir bekannten) etablierten Fakten zu erzeugen; wenn ich nachträglich feststelle, dass die Fakten nicht zur Handlung passen, dann ändere ich lieber die Handlung, als die Fakten zu verbiegen.


    Bei der Gestaltung der Figuren genehmige ich mir größere Freiheit. Das muss wohl so sein, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade dort, wo ich einmal versucht habe, sie so agieren zu lassen, wie es ihrer Zeit entsprochen hätte, sie von der Kritik als pathetisch und unglaubwürdig bezeichnet wurden. Hier ist es also offensichtlich wichtiger, dass die Figuren dem Leser nahe kommen, als dass zu pingelige Authentizität gefragt ist.


    Aber das oben gesagte ist nur der Anspruch, den ich an mich persönlich stelle. Ich denke nicht, dass es eine globale Vorschrift für die Akkuratesse gibt, und andere Autoren mögen ihre Wertigkeiten ganz anders legen und u. U. sogar bessere Geschichten schreiben. Letzten Endes können wir doch immer nur so korrekt sein, wie wir selber wissen, und noch bevor das Buch in Druck geht, kann es durch eine neue Ausgrabung oder Theorie schon wieder überholt werden!

    &quot;Cessent iam nunc rapaces officialium manus, cessent inquam!&quot;<br />&quot;Zurück, ihr gierigen Beamtenhände, zurück, sag ich!&quot;<br />&nbsp;&nbsp; - Konstantin der Große

  • Als Geschichtestudentin und begeisterte Leserin von historischen Romanen, ist das ein Thema für mich! :zwinker:


    Ich persönlich finde, dass "historische Genauigkeit" kein Muss ist, aber man sollte wenigstens so gut wie möglich versuchen, die Vergangenheit in einem historischen Roman richtig rüberzubringen. Vorallem dann, wenn ausreichend Quellenmaterial zur Verfügung steht mit dessen Hilfe man sehr leicht, die Vergangenheit wieder zum Leben erwecken kann.


    Ich bin immer glücklich darüber, einen historischen Roman zu lesen, bei dem der Autor seine Geschichte um die wirklichen historischen Ereignisse herumgesponnen hat und nicht versucht hat, die historischen Ereignisse seiner Geschichte anzupassen.
    Natürlich muss es auch Freiheiten geben, aber irgendwo muss man bei historischen Romanen eine Grenze ziehen, denn sonst läuft man sehr schnell Gefahr, in die Sparte "Fantasy" abzurutschen.


    Da für viele Menschen "Geschichte" mit Adjektiven wie "langweilig" und "trocken" in Verbindung gebracht wird (den Grund dafür werde ich nie verstehen! :zwinker:), sind solche Romane in meinen Augen eine gute Möglichkeit den Lesern die Vergangenheit auf spannende Weise näher zu bringen.
    Wenn dann aber nicht die "Wahrheit" sondern "Lügen" die Geschichte dominieren, ist dies leider eine vergeudete Chance!


    Und obwohl "historische Romane" - wie oben schon erwähnt - mein liebstes Genre sind, bin ich beim Kauf sehr vorsichtig und überlege es mir lieber zweimal, ob ich ein Buch kaufe oder nicht!
    Doch bis jetzt bin ich mit allen meinen historischen Romane sehr glücklich! :smile:

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  • Ich persönlich finde, dass "historische Genauigkeit" kein Muss ist, aber man sollte wenigstens so gut wie möglich versuchen, die Vergangenheit in einem historischen Roman richtig rüberzubringen. Vorallem dann, wenn ausreichend Quellenmaterial zur Verfügung steht mit dessen Hilfe man sehr leicht, die Vergangenheit wieder zum Leben erwecken kann.


    Hast du das "Erlkönig-Manöver" gelesen? Es ist über weite Strecken ein köstliches Buch, obwohl vollkommen ahistorisch und den historischen Persönlichkeiten in keiner Weise gerecht werdend. Als Fantasy würde ich es trotzdem nicht gerade bezeichnen.



    Da für viele Menschen "Geschichte" mit Adjektiven wie "langweilig" und "trocken" in Verbindung gebracht wird (den Grund dafür werde ich nie verstehen! ;) ),


    Frag die Geschichtslehrer. Wenn jemand Geschichte nicht mag, dann liegt es an ihnen. Wenn ich an meinen eigenen Unterricht zurückdenke - auf der einen Seite existierte zwischen den Karl dem Großen und Christoph Columbus da noch weniger als in den Büchern des Herrn Illig, auf der anderen Seite wurden wir ein geschlagenes ganzes Schuljahr lang mit Martin Luther und den Bauernaufständen traktiert... brr!



    sind solche Romane in meinen Augen eine gute Möglichkeit den Lesern die Vergangenheit auf spannende Weise näher zu bringen.
    Wenn dann aber nicht die "Wahrheit" sondern "Lügen" die Geschichte dominieren, ist dies leider eine vergeudete Chance!


    Eric Walz meinte in einem Interview, dass du in diesem Fall allerdings Shakespeare zum Fenster hinauswerfen müsstest, denn er nahm die historische Genauigkeit alles andere als wichtig, wenn es ohne sie eine bessere Handlung ergab. Und ist Shakespeare vielleicht deshalb ein schlechter Dramaturg?

    &quot;Cessent iam nunc rapaces officialium manus, cessent inquam!&quot;<br />&quot;Zurück, ihr gierigen Beamtenhände, zurück, sag ich!&quot;<br />&nbsp;&nbsp; - Konstantin der Große


  • Frag die Geschichtslehrer. Wenn jemand Geschichte nicht mag, dann liegt es an ihnen. Wenn ich an meinen eigenen Unterricht zurückdenke - auf der einen Seite existierte zwischen den Karl dem Großen und Christoph Columbus da noch weniger als in den Büchern des Herrn Illig, auf der anderen Seite wurden wir ein geschlagenes ganzes Schuljahr lang mit Martin Luther und den Bauernaufständen traktiert... brr!


    Nein, ich finde, so kann man das nicht sagen. Man kann nicht alle Geschichtelehrer - genauso wenig wie man alle Menschen - über einen Kamm scheren kann. Ich kann nicht sagen: "Oh, mein Kind interessiert sich nicht für Geschichte, aber daran ist alleine der Lehrer schuld!" Ich finde, so ein Ausspruch ist Quatsch. Ich hatte in meiner schulischen Laufbahn drei verschiedene Geschichtelehrer und alle haben wirklich versucht den Unterricht so spannend wie möglich zu gestalten. Sie haben nicht stur nach Textbuch gelehrt, sondern haben mit uns Diskussionen veranstaltet, sind mit uns ins Museen gegangen bzw. zu Ausgrabungen gefahren, haben uns Dokumentationen gezeigt über die wir danach gesprochen haben und einmal - und das werde ich nie vergessen - waren auch Zeitzeugen in unserer Klasse und es kam zu sehr interessanten und teilweise sehr schockierenden Gesprächen.


    Ich glaube, mehr als diesen Aufwand, kann man von keinem Lehrer erwarten. Und dennoch gab es immer noch Schüler in meinen Klassen, die laut waren, ihre Geschichtebücher wie Dreck behandelt haben und den Unterricht störten. Ich glaube nicht, dass es hier an den Geschichtelehrern lag.



    Natürlich kenne ich auch die andere Sorte "Geschichtelehrer", die einfach nur aus dem Textbuch runterlesen und langweilige Reden halten und sich dann wundern, warum kein Mensch zuhört.
    Ich fand und finde auch immer noch, dass dies die schlimmste Art und Weise ist Geschichte zu unterrichten! Schüler, die solche Lehrer hatten/haben, werden sicher kaum freiwillig ein historisches Sachbuch aufschlagen und deswegen meine ich auch, dass historische Romane hier viel beitragen könnten, die Geschichte für solche Schüler doch noch interessant zu machen.



    Eric Walz meinte in einem Interview, dass du in diesem Fall allerdings Shakespeare zum Fenster hinauswerfen müsstest, denn er nahm die historische Genauigkeit alles andere als wichtig, wenn es ohne sie eine bessere Handlung ergab. Und ist Shakespeare vielleicht deshalb ein schlechter Dramaturg?


    Das habe ich auch nie behauptet. Ich bin selbst ein großer Shakespeare-Liebhaber, aber bei ihm weiß ich, dass ich die historischen Ereignisse und Persönlichkeiten auf KEINEN FALL so nehmen darf wie er sie dargestellt hat!
    Ich sage immer zu jedem, der Shakespeare liest: "Wenn du dich wirklich für diese und jene Person aus diesem und jenem Werk interessierst, dann nimm' bitte parallel zu oder nach der Lektüre ein Geschichtebuch zur Hand und lies nach wie es wirklich war!"


    Ich meinte eher die Bücher (oder auch Filme und Dokumentationen) die den Anspruch erheben "historisch korrekt" zu sein und es dann doch nicht sind. Ich habe absolut nichts dagegen, wenn ein historischer Roman zu Zeit von - sagen wir - "Richard Löwenherz" spielt und der Autor sich dann die historische Freiheit nimmt fiktive Charaktere - auch Hauptcharaktere - einzubauen und diese mit ihren, zum Beispiel, Familienfehden in den Mittelpunkt rückt.
    Was ich aber nicht richtig finde ist, wenn es in dem Buch um Richard selbst geht, er dann aber nur als Heldenkönig dargestellt wird und seine dunklen Seiten (z.B.: die Ermordung von 3000 muslimischen Gefangenen in Akkon im Zuge des Dritten Kreuzzuges ) vollkommen ausgeklammert wird.
    Das ist Heldenverehrung im schlimmsten Sinn, meiner Meinung nach.


    Hier spreche ich auch aus persönlicher Erfahrung: Als Kind war ich immer wahnsinnig begeistert von Richard Löwenherz. In den Erzählungen ist er ein gutherziger, mutiger und strahlender König. Als ich dann später begonnen habe statt meinen "geschichtlichen Romanen" historische Sachbücher über ihn zu lesen, sah die Sache gleich ganz anders aus und ich war wirklich schockiert darüber.




    Aber es kann natürlich sein, dass ich das einfach zu eng sehe. Natürlich bin ich als Historikerin daran interessiert, die "Wahrheit in der Geschichte" zu ergründen, andererseits bin ich auch SEHR an Sagen, Legenden und Mythen interessiert. Ich liebe einfach beides und für mich schließen sich diese beiden Interessensgebiete auf keinen Fall aus!

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    Einmal editiert, zuletzt von Midori ()

  • Interessanter Standpunkt!


    Gut, du hattest dann bessere Geschichtslehrer als ich. In ein Museum zu gehen hätte ich mir von unseren gewünscht! Aber wahrscheinlich hätten sie da nur Dinge gesehen, die mit ihren linksradikalen Ideologien unvereinbar gewesen wären, und daher haben sie es lieber gar nicht erst versucht. Und lebende Zeitzeugen für die Bauernaufstände aufzutreiben gestaltet sich ohnehin reichlich mühselig...


    Die Frage ist aber: Wird ein Schüler, der Geschichte von vornherein nicht leiden kann, zu einem historischen Roman greifen? Ich denke eher nicht. Was ich selbst unter denen, die solche Romane lesen, beobachte, ist das typisch deutsche Kästchendenken: dass die meisten ihrer Leser (insbesondere Leserinnen) ihre bevorzugte Epoche entwickeln und kaum bereit sind, über den Tellerrand zu schauen, um etwas Anderes in Angriff zu nehmen. Wie oft lese ich da: "Ich hab am liebsten die Tudors/die Renaissance/den Barock, aber mit der Antike/China/den Zaren kann ich überhaupt nichts anfangen!" (Geht mir ja auch nicht anders... und bei den Verlagen verfestigen sich dann Vorurteile wie "Altes Rom verkauft sich nicht", gefolgt von Verzweiflungstaten wie dem elend gescheiterten Romanwettbewerb bei Rowohlt.) Dass dann jene, die sich aus Geschichte von vornherein nichts machen, zu historischen Romanen greifen sollen, um ihre Einstellung zu ändern, sehe ich mit Skepsis.


    Zitat


    Ich meinte eher die Bücher (oder auch Filme und Dokumentationen) die den Anspruch erheben "historisch korrekt" zu sein und es dann doch nicht sind.


    Für solche Aussagen sind die Werbeabteilungen der Verlage zuständig, und die wissen, dass es einfach außen stehen muss, um sich zu verkaufen, ob es nun zutrifft oder nicht. Wobei "historisch korrekt" im Grunde nur heißt, dass der Autor wenigstens die Jahreszahlen nicht verwechselt hat.


    Zitat


    Was ich aber nicht richtig finde ist, wenn es in dem Buch um Richard selbst geht, er dann aber nur als Heldenkönig dargestellt wird und seine dunklen Seiten (z.B.: die Ermordung von 3000 muslimischen Gefangenen in Akkon im Zuge des Dritten Kreuzzuges ) vollkommen ausgeklammert wird.
    Das ist Heldenverehrung im schlimmsten Sinn, meiner Meinung nach.


    Andererseits: Wenn Richard so dargestellt würde, wie er wirklich war, dann würde sich der Leser mit Recht fragen, weshalb Robin Hood und Ivanhoe ihn überhaupt zurückhaben wollen. Diese Geschichten funktionieren nur mit einem übersteigerten, edlen Löwenherz. Sollen wir wegen mangelnder Historical Correctness nun auf solche Klassiker verzichten?

    Ad Astra,


    Restitutus

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  • Die Frage ist aber: Wird ein Schüler, der Geschichte von vornherein nicht leiden kann, zu einem historischen Roman greifen? Ich denke eher nicht. Was ich selbst unter denen, die solche Romane lesen, beobachte, ist das typisch deutsche Kästchendenken: dass die meisten ihrer Leser (insbesondere Leserinnen) ihre bevorzugte Epoche entwickeln und kaum bereit sind, über den Tellerrand zu schauen, um etwas Anderes in Angriff zu nehmen. Wie oft lese ich da: "Ich hab am liebsten die Tudors/die Renaissance/den Barock, aber mit der Antike/China/den Zaren kann ich überhaupt nichts anfangen!" (Geht mir ja auch nicht anders... und bei den Verlagen verfestigen sich dann Vorurteile wie "Altes Rom verkauft sich nicht", gefolgt von Verzweiflungstaten wie dem elend gescheiterten Romanwettbewerb bei Rowohlt.) Dass dann jene, die sich aus Geschichte von vornherein nichts machen, zu historischen Romanen greifen sollen, um ihre Einstellung zu ändern, sehe ich mit Skepsis.


    Hier muss ich widersprechen (was aber natürlich auch nur auf meiner persönlichen Erfahrung beruht und keine Allgemeingültigkeit haben muss), denn ich habe einige Bekannte, die noch Schüler sind und in ihrer Freizeit sehr gerne historische Romane lesen, aber wenn sie dann bei diesem Thema im Geschichteunterricht sind, interessiert es sie einfach nicht, weil die Lehrer ihren Unterricht furchtbar langweilig gestalten.


    Aber du hast schon Recht: Im Großen und Ganzen kann man sicher sagen, dass Menschen (gilt ja jetzt nicht nur für Schüler) keinen Roman lesen werden von dem sie glauben, dass er sie langweilen wird!


    Beim Thema "Kästchendenken" muss ich dir absolut Recht geben.
    Ich habe zwar auch meine Epochengebiete, für die ich mich besonders interessieren, aber ich verschlinge eigentlich fast alles, was mit Geschichte zu tun hat.



    Zitat


    Ich meinte eher die Bücher (oder auch Filme und Dokumentationen) die den Anspruch erheben "historisch korrekt" zu sein und es dann doch nicht sind.



    Für solche Aussagen sind die Werbeabteilungen der Verlage zuständig, und die wissen, dass es einfach außen stehen muss, um sich zu verkaufen, ob es nun zutrifft oder nicht. Wobei "historisch korrekt" im Grunde nur heißt, dass der Autor wenigstens die Jahreszahlen nicht verwechselt hat.


    Ah, das war mir bis heute noch nicht bewusst. Ich dachte, der Autor hat hier schon etwas Mitspracherecht und kann dann schon einmal sagen: "So historisch korrekt ist der Roman eigentlich auch nicht!"


    Aber davon hast du sicher mehr Ahnung, da du ja selbst in diesem Beruf tätig bist.


    Zitat


    Was ich aber nicht richtig finde ist, wenn es in dem Buch um Richard selbst geht, er dann aber nur als Heldenkönig dargestellt wird und seine dunklen Seiten (z.B.: die Ermordung von 3000 muslimischen Gefangenen in Akkon im Zuge des Dritten Kreuzzuges ) vollkommen ausgeklammert wird.
    Das ist Heldenverehrung im schlimmsten Sinn, meiner Meinung nach.



    Andererseits: Wenn Richard so dargestellt würde, wie er wirklich war, dann würde sich der Leser mit Recht fragen, weshalb Robin Hood und Ivanhoe ihn überhaupt zurückhaben wollen. Diese Geschichten funktionieren nur mit einem übersteigerten, edlen Löwenherz. Sollen wir wegen mangelnder Historical Correctness nun auf solche Klassiker verzichten?

    Ad Astra,


    Restitutus



    Um Himmels Willen, natürlich nicht, natürlich nicht! Was würde ich ohne Richard Löwenherz, Robin Hood, Ivanhoe & Co. denn machen?! :zwinker:


    Nein, ich versteh' dich schon. In diesem Fall ist es wirklich eine Zwickmühle, denn auf der einen Seite LIEBE ich diese Klassiker, auf der anderen Seite hätte ich es schon gerne, wenn sich darin etwas mehr historische Korrektheit befinden würde.
    Ich versuche dann eben die Leute aufzuklären, wenn sie mir wieder vorschwärmen was für ein großartiger König Richard Löwenherz war!
    Auch wenn es meist nicht viel nützt bzw. die Leute dann einfach auf Durchlauf schalten oder mir nicht glauben, fühle ich einfach, dass ich die Pflicht habe, diese Sachen richtig zu stellen. Vielleicht ist das anmaßend von mir, aber als Historikerin versuche ich immer zu verhindern, dass man historische Persönlichkeiten und Ereignisse in den Himmel preist!



    ::per aspera ad astra::


    Midori

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  • Ah, das war mir bis heute noch nicht bewusst. Ich dachte, der Autor hat hier schon etwas Mitspracherecht und kann dann schon einmal sagen: "So historisch korrekt ist der Roman eigentlich auch nicht!"


    Man darf als Autor natürlich Vorschläge machen. Aber der Verlag muss sich nicht daran halten. Bei meinem Erstling, dem "Corpus Sacrum", stand plötzlich "detailreich und sorgfältig recherchiert" auf dem Umschlag, ohne dass ich etwas damit zu tun hatte. Das stimmt in dem Fall zwar, aber ich weiß auch, dass derjenige, der diesen Text aufgesetzt hat, das Manuskript allenfalls angelesen hat, so dass das Kompliment für mich im Grunde ohne Wert ist. Für die Aufklärung der eigenen Schwindeleien bietet dem Autor eher das Nachwort Raum. Allerdings läuft er da Gefahr, dass die Leser sich nachträglich vergackeiert fühlen, weil sie ihm vorher auf den Leim gegangen sind. Auf dem Umschlag macht sich das in der Regel jedoch sehr schlecht, wenn man nicht von vornherein eine Kolportage schreiben will wie "Die drei Musketiere" und auch dazu steht.


    Zitat


    Nein, ich versteh' dich schon. In diesem Fall ist es wirklich eine Zwickmühle, denn auf der einen Seite LIEBE ich diese Klassiker, auf der anderen Seite hätte ich es schon gerne, wenn sich darin etwas mehr historische Korrektheit befinden würde.


    Ich sehe das nicht als Zwickmühle. Beide Formen haben ihre Daseinsberechtigung, und für welche der Autor sich entscheidet, hängt von seiner Zielsetzung ab. Ein Shakespeare wird mehr Wert auf das allgemein Menschliche legen, das sich besser ausdrücken lässt, wenn er die Ereignisse nach seinem Zwecke zurechtbiegt, einem anderen geht es mehr um das Erzieherische und Aufklärerische, also die Vergangenheit "wieder zum Leben zu erwecken", wie es in den Klappentexten so gerne heißt. Ich würde nicht sagen, dass dem einen oder anderen Weg grundsätzlich der Vorzug zu geben sei. Dass es gute Literatur ist, darauf kommt es an, und sonst nichts!


    Zitat


    Ich versuche dann eben die Leute aufzuklären, wenn sie mir wieder vorschwärmen was für ein großartiger König Richard Löwenherz war!
    Auch wenn es meist nicht viel nützt bzw. die Leute dann einfach auf Durchlauf schalten oder mir nicht glauben, fühle ich einfach, dass ich die Pflicht habe, diese Sachen richtig zu stellen. Vielleicht ist das anmaßend von mir, aber als Historikerin versuche ich immer zu verhindern, dass man historische Persönlichkeiten und Ereignisse in den Himmel preist!


    Das habe ich schon öfter gehört, gerade von Autoren historischer Romane; aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Mythen sind die Bakterien des Menschengeistes: Sie werden resistent gegen das Antibiotikum der Wahrheit. Wenn die Menschen einen edlen Löwenherz haben wollen, dann machen sie ihn sich, weil er edel hätte sein sollen. Und im übrigen neigen selbst Historiker zuweilen dazu, die Schattenseiten ihrer ganz persönlichen Lieblinge kleinzureden. :eis:


    Ad Astra,


    Restitutus

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  • Ich versuche dann eben die Leute aufzuklären, wenn sie mir wieder vorschwärmen was für ein großartiger König Richard Löwenherz war!
    Auch wenn es meist nicht viel nützt bzw. die Leute dann einfach auf Durchlauf schalten oder mir nicht glauben, fühle ich einfach, dass ich die Pflicht habe, diese Sachen richtig zu stellen. Vielleicht ist das anmaßend von mir, aber als Historikerin versuche ich immer zu verhindern, dass man historische Persönlichkeiten und Ereignisse in den Himmel preist!



    Das habe ich schon öfter gehört, gerade von Autoren historischer Romane; aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Mythen sind die Bakterien des Menschengeistes: Sie werden resistent gegen das Antibiotikum der Wahrheit. Wenn die Menschen einen edlen Löwenherz haben wollen, dann machen sie ihn sich, weil er edel hätte sein sollen. Und im übrigen neigen selbst Historiker zuweilen dazu, die Schattenseiten ihrer ganz persönlichen Lieblinge kleinzureden. :eis:


    Ad Astra,


    Restitutus


    Natürlich verstehe ich das und ich finde es jetzt auch nicht sooooo schrecklich schlimm bei Richard Löwenherz. Bei anderen geschichtlichen Persönlichkeiten muss man allerdings schon SEHR aufpassen ob man sie auf ein Heldenpodest stellt oder nicht!


    Ja, das ist auch so eine Sache mit den Historikern :zwinker:, aber ich versuche eben genau DAS nicht zu tun! Ich habe viele historische Persönlichkeiten für die ich mich interessiere, aber ich versuche immer sie so objektiv wie möglich zu betrachten und keine Lobeshymnen auf die- oder denjenigen zu halten.

    ...♥...BOOKS are my reason to live...♥...<br /><br />...others have excuses...I have my reasons why..