Der Literaturschock-Fortsetzungsroman

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  • Kapitel Einundachtzig


    "Werbung? Hier in meinem Laden? Auf keinen Fall! Bei mir bekommen meine Gäste noch persönliche Empfehlungen. Kunde, was für ein schrecklich unpersönliches Wort. Demnächst wollen Sie vielleicht auch noch die Preise festlegen. Aber nicht bei Amazonius. Bei mir soll der Gast sich wohlfühlen können. Machen Sie, daß Sie aus meinem Laden verschwinden!"
    Amazonius stand in der Tür und sah diesem sogenannten Verlagsvertreter nach. "Und kommen Sie ja nicht wieder!"
    Was es heutzutage alles für Berufe gab. Buchhändler belästigen mit Büchern, die er gar nicht haben wollte. Und dann noch verlangen, irgendwelche Plakate als Werbung aufhängen zu dürfen. Demnächst fangen sie noch an, zu neuen Büchern den passenden Lesesessel, Vorhänge für die Kutsche oder Duellpistolen mit Motiven aus dem Roman als Intarsien auf den Griffen anzubieten. Nee, nicht mit Amazonius. Bei ihm hatte weiterhin das gedruckte Wort den Vorrang.
    Obwohl, dieses Set von Porzellan-Krügen mit den Zinndeckeln, passend zu den Stufen der Hölle aus der Göttlichen Komödie? ... Reiß Dich zusammen, sagte Amazonius zu sich selbst. Du bist ein Buchhändler und hast keinen Gemischtwarenladen.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel Zweiundachtzig


    Die Turmuhr schlug die volle Stunde. Irgendwo bellte ein Hund. Ein paar rollige Katzen jagten sich laut maunzend durch den Garten. Die Vögel zwitscherten. Auf dem Kies vor dem Tor knirschte ein Wagen. Mit der Peitsche knallend trieb der Kutscher schnalzend die Pferde an. Aus der Küche hörte man ein mächtiges Poltern. Jemand stolperte laut fluchend im Flur und warf dabei krachend eine der alten Rüstungen um. Eine Fliege umrundete summend den Kronleuchter. Der Sessel knarrte. Die Seiten raschelten.
    Kriemhild legte genervt ihr Buch beiseite. Bei dem Krach konnte ja keiner Lesen...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 83


    "Junger Mann, was machen sie denn da? Sie können doch nicht einfach meine Regale umräumen und Bücher auf den Tischen verteilen."
    Amazonius antwortend, zog der Mann aber weiter Bücher aus den hintersten Fächern der Regale und breitete sie überall aus. "Ich bin der diesjährige Preisträger des Edel-Preises. Ich bin berühmt. Jeder kennt mich. Aber bei Ihnen liegen meine Bücher in den hintersten Reihen. Das muß sich ändern."
    Amazonius zog den Mann von den Regalen weg. "Nun reicht es aber. Wenn hier jeder Preisträger hereingeschneit käme und seine Bücher in den Vordergrund rücken wollte, wäre mein Laden nur einen Meter tief aber 120 Meter breit. Und was heißt hier bekannt. Schauen Sie doch mal die Staubschicht auf den Büchern. Die stehen schon eine ganze Weile hier. Durch die Preisverleihung kann ich jetzt hoffentlich die restlichen verkaufen. Aber ohne das wären sie bald auf dem Wühltisch gelandet."
    "Wirklich? Das kann ich nicht glauben. Ich bin doch der Edel-Preisträger." Amazonius legte dem nun schluchzenden Mann kumpelhaft den Arm um die Schulter. "Mein Freund. Freuen Sie sich über den Preis. Genießen Sie ihre 15 Minuten Ruhm. Aber glauben Sie mir, wenn man vom Edel-Preis-Komitee ausgezeichnet wird, heißt das noch lange nicht, das man Bücher schreibt, die die Leute kaufen und lesen wollen."
    Der junge Mann sank entgeistert auf den nächsten Stuhl. Amazonius trat zu ihm. "Nehmen Sie es nicht so schwer. Hier, ich schenke Ihnen den neuesten Band des Lischofors. Schauen Sie sich den mal genauer an. Das wollen die Leute lesen. So wird man berühmt."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 84


    "...und komm ja nie wieder." Kriemhild wollte gerade die herzögliche Bibliothek betreten, als sie in der Tür mit diesem jungen Mädchen zusammenstieß, dem der Bibliothekar so grob hinterher gerufen hatte.
    "Hoppla. was ist den mit dem alten Buckling los? Hast du ihn irgendwie verärgert?" "Nein," sagte das Mädchen, "ich bin heute das erste Mal hier. Und Herr Buckling sagte zu mir, daß Frauen in dieser Bibliothek nicht geduldet werden." "Was?" Kriemhild glaubte sich verhört zu haben. "Komm mit! Das will ich von ihm selbst hören."
    "Ja, dem ist so, Frauen ist die Benutzung der Bibliothek nicht gestattet." Kriemhild lief vor Wut rot an. "Ich bin wohl keine Frau!", schleuderte sie dem Bibliothekar Buckling ins Gesicht. "Nein, Mylady," antwortete er ganz ruhig, " sie sind eine adlige Dame. Das ist etwas ganz anderes." Auf Kriemhilds Stirn schwoll die Zornesader.
    "Nun hören sie mir mal gut zu. Wenn dieses Mädchen Bücher bei ihnen leihen will, dann geben sie sie ihr. Und wenn nicht, vergesse ich, das ich eine Dame bin. Verstanden!"
    Buckling schaute verstohlen nach links und rechts und meinte: "Na gut, dann trage ich das Mädchen halt als ihre Beauftragte in Leserregister ein."
    Kriemhild wandte sich an das Mädchen. "Welches Buch wolltest Du denn holen?" Die Kleine murmelte schüchtern: "'Der grimmige Bibliothekar' von Theodor Storch."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das nächste Kapitel


    "Earl? EARL? Earl, du sollst herkommen, wenn deine Mutter nach dir ruft! Earl wo bist du?"

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das andere Kapitel


    "Bitte, Du mußt mich verstecken!" Kriemhild sah skeptisch auf den vor ihr knienden Earl.
    "Warum sollte ich das?" "Meine Mutter macht mich wahnsinnig.Sie behandelt mich wie einen Zwölfjährigen. Warum nehmen Mütter jenseits dieser Altersgrenze Veränderungen nur noch marginal war? Verdammt nochmal, ich bin erwachsen!" Kriemhild verschränkte abweisend die Arme. "Dann geh doch zu Deinem Kumpel Kaarl." "Ach der. Ich weiß nicht mal, wo der gerade steckt."
    Earl war in dieser Situation ein jämmerlicher Anblick. Kriemhilds emotionaler Schild begann zu bröckeln. Und Earl bemerkte das. "Bitte, um der alten Zeiten willen. Wir hatten doch so viel Spaß miteinander." Kriemhild gab sich einen Stoß. "Na gut, aber nur für maximal eine Woche. Bis dahin hast Du etwas anderes gefunden." "Ich stehe für ewig in Deiner Schuld. Kann ich das irgendwie wieder gut machen bei Dir?" "Hm, na ja, da gäbe es eine Sache. Könntest Du nicht noch einmal mein rosa Ballkleid mit den applizierten kleinen weißen Rosen anziehen?" Earl blickte verdutzt. "Du meinst das, in dem ich mich malen lies?" "Ja genau das. Du sahst umwerfend darin aus."
    Kriemhilds Blick bekam etwas träumerisches. Earl war irritiert. Aber alles war besser, als zu seiner Mutter zurückzugehen...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das verlorene Kapitel


    […]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das wiedergefundene Kapitel


    [... hat der fünfjährige Sohn des Lektors in ein Papierflugzeug verwandelt und aus dem Fenster geworfen.]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das wiederbeschaffte Kapitel


    [... wurde von jemandem auf der Straße gefunden, mit nach Hause genommen, entfaltet und gebügelt. Leider hat die Person vergessen, wo sie es hingelegt hat.]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das wieder wiedergefundene Kapitel


    [... lag in einer alten Pizzaschachtel, war dadurch vollkommen verschmiert und durchweicht und ist daher im Augenblick bei einem Buchrestaurator.]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 87 oder was davon übrig blieb


    "Haben Sie noch eine Wunsch, Mylady?" ... Zofe ... Ohnmacht ... Mann im Ballkleid ... "Hilfe! Hilfe! Im Boudoir der gnädigen Frau ist ein Perverser!" ... herbeieilender Oberkämmerer ... Earl zu Boden gegangen ... Kriemhild hielt sich den Bauch vor Lachen. "Ach Earl, hättest Du mal auf mich gewartet."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 88


    "Geht es Dir wieder besser?" Kriemhild tupfte Earl mit einem feuchten Tuch die Stirn. "Ja... ich denke schon. Was ist passiert?" "Meine Zofe hielt Dich für einen Eindringling in meine Gemächer und der Oberkämmerer hat Dich dann zu Boden gestreckt."
    Earl schaute fragend. "Hm, das letzte woran ich mich erinnern kann, ist, wie ich in Deinem besten Ballkleid vor den Spiegel trete." Kriemhild lächelte vielsagend. "Ja, das hat damit zu tun. Ach übrigens, das ganze ist jetzt eine Woche her. Wenn Du also aufgestanden bist und Dich angezogen hast, sammle Deine Sachen zusammen und verlasse mein Haus." Earl wurde weiß vor Schreck. "Wie bitte?" Kriemhild stand schon an der Tür. "Das war unsere Abmachung. Ich gebe Dir für eine Woche Zuflucht vor Deiner Mutter. Danach gehst Du wieder. Was kann ich dafür, wenn Du die ganze Woche im Bett verbringst."
    Kriemhild wandte sich ab, damit Earl ihr zufriedenes Grinsen nicht sehen konnte.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • ... unter der Rubrik "Wohnraum" gefunden ...


    Junger, dynamischer Adliger sucht dringend eine möblierte Mitwohngelegenheit in einem Schloß oder einer adäquaten Behausung zum sofortigen Einzug. Antworten bitte unter der Chiffre "Diogenes".

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das lang erwartete Kapitel


    "He, Du! Du must jetzt gehen. Ich will meinen Laden schließen." Der Wirt rüttelte Earl an der Schulter. Earl sah verschlafen auf. "Hä? Was? Wo bin ich?" Earl fand nur langsam wieder zu sich. "Oh nein. Nicht schon wieder." Flehend sah er den Wirt an. "Bitte lassen sie mich hier schlafen. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, eine Unterkunft zu finden. Meine Braut hat mich rausgeschmissen. Jetzt suche ich eine neue Bleibe. Die Gendarmen haben mich mal in der einen Nacht im Park aufgelesen. Ok, die Zelle war nicht schlecht. Warm und trocken. Aber in der Nachbarzelle war ein besoffener Kerl, der sang die ganze Nacht. Da kann doch kein Mensch bei schlafen." Der Wirt blieb hart. Er zerrte Earl auf die Beine und murmelte was von nicht sein Problem.
    "Ich habe es sogar schon mit einer Annonce probiert. Sie glauben gar nicht, was einem da alles angeboten wird. Ein mit Sperrmüll überfüllter Dachboden, ein abbruchreifes Gartenhaus, ein feuchter Keller. Und heute, das war der traurige Höhepunkt. Ich dachte ja, das ist das Richtige. Eine Generalswitwe bot mir einen ganzen Seitenflügel ihres Schlosses an. Als ich zur Besichtigung kam und kaum die Halle betreten hatte, fiel sie schon über mich her. Erzählte mir was von einsamen Stunden und ihren Sehnsüchten. Ich konnte mich kaum aus ihrer Umarmung befreien. Meinen Mantel habe ich auf der Flucht eingebüßt." Der Wirt stieß Earl kontinuierlich in Richtung Tür. "Keiner hilft mir. Auch ihnen bin ich egal. Die Welt ist so grausam." Langsam wurde der Wirt sauer. "Bürschchen, hör auf zu jammern und laß mich mit deinem Kram in Ruhe." Ein letzter Schubs und hinter Earl knallte die Tür ins Schloß.
    "Ah, da sind sie ja." Earl konnte die Person auf der anderen Seite der Straße nicht richtig erkennen. Als er ein paar Schritte auf sie zugegangen war, sagte diese: "Gut, das ich sie endlich finde. Sie haben ihren Mantel bei mir gelassen." Bei dem Wort "Mantel" war Earl schon um die nächste Hausecke...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel Neunzig


    "Das sieht gar nicht gut aus für Sie, junger Mann." Brösecke legte Earl die Hand auf die Schulter. "Sie waren offenbar der Letzte, der die Witwe von General von Knochenbrech-Eisenbeiss noch lebend gesehen hat." "Wie kommen Sie gerade auf mich?" Earl war verzweifelt. Nicht schon wieder der Brösecke! Nicht schon wieder in den Knast! "Tja, junger Mann, Sie hätten halt Ihren Mantel nicht neben der Leiche liegen lassen sollen." Oh, nein! Der Mantel!
    Auf dem Weg zur Gendarmerie überlegte Brösecke, Earl vor sich herschiebend, ob Blau die geeignete Farbe für die Socken dieses Falles wäre.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Protokoll der Untersuchung des Tascheninhalts eines Mantels
    Hauptbeweisstücks im Mordfall Generalswitwe von Knochenbrech-Eisenbeiss


    - linke Außentasche: ein paar beschriebene Papierfetzen (Textanalyse wird nachgereicht), eine Kastanie (Herkunft: wahrscheinlich Hinterkröblingen, Nordhang, vor ca. 24.72 Jahren mit der linken Hand gepflückt)
    - rechte Außentasche: eine zerbrochene Silbermünze (Taler von 1574, gefälscht, Vorderseite: Bildnis von Otto dem Verfetteten, Rückseite: deutscher Adler mit drei Flügeln, Silbergehalt: 0.003‰), ein Zehennagel (ca. 34.7mm lang, goldgelb lackiert, von einem 167jährigen Mann, linker Fuß)
    - linke Innentasche: leer, Geruchsspuren von Wiskey (hiesige Destille, siehe Akten des damaligen Falles)
    - rechte Innentasche: zugenäht (roter Faden von der Zwirnerei "Haltfest"), nach der Öffnung konnte im Inneren ein Tropfen Blut nachgewiesen werden (wahrscheinlich von der Näherin, keine weiteren Angaben möglich)


    Die Suche nach Geheimtaschen war bisher erfolglos.


    Otto von Knödlinger (Leiter der Aservatenkammer)

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 91


    Brösecke trennte den fast fertigen Socken wieder auf. Nun schon zum vierten Mal! Die Untersuchung des Mantels bereitete ihm Kopfzerbrechen.
    Wieso lackierte sich ein 167jähriger Mann die Zehennägel? Und dann noch in goldgelb. Hatte dieser Mann die zerbrochene Münze selbst gefälscht und wenn ja, war das ein weiterer Fall, den Brösecke jetzt auf dem Hals hatte? Wie kam beides in den Mantel der Frau? In welchem Verhältnis stand sie zu dem Mann? Besteht hier der Verdacht der Nekrophilie? Und was war mit dem Whiskey? Wieso war die zweite Innentasche zugenäht? Wollte jemand verhindern, daß die Frau zwei Taschenflaschen mit sich trug? War sie eine nekrophile Alkoholikerin? Aber am verwirrendsten war der Zettel. Die Textanalyse hatte keinen zusammenhängenden Text, sondern nur eine kurze Liste ergeben: Gerste, Wasser, Geheimzutat. Was war die Geheimzutat? Gab es hier einen Fall von Manufakturspionage?
    Masche für Masche gelangte Brösecke auf jeweils einen neuen Nebenschauplatz. Die möglichen Fälle, die sich da aufzeigten, würden die ganze hiesige Gendarmerie auf Wochen beschäftigen. So ging das nicht! Brösecke mußte das Übel an der Wurzel packen. Wer hatte den Mantel genäht und warum? Alle anderen Fragen würden sich daraus ergeben.
    Brösecke legte die nunmehr fertige zopfgemusterte blaugraue Socke beseite und machte sich auf den Weg.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Das andere Kapitel 91


    "Was heißt hier, Sie haben nie Damenmäntel hergestellt? Der Mantel aus dem Mordfall der Generalswitwe von Knochenbrech-Eisenbeiss ist doch aus Ihrer Manufaktur, oder? Ich bin doch hier richtig bei der Manufaktur Filz-Fellweich und Söhne? Na also. Was sagen Sie, dann muß es eben ein Herrenmantel sein? Das ist unmöglich. Die Leiche ist eindeutig als Frau identifiziert worden. Es ist die Witwe von General von Knochenbrech-Eisenbeiss."
    Kopfschüttelnd verließ Brösecke das Gelände der Manufaktur. Irgendetwas war da verquer. Brösecke würde noch darauf kommen was. Entweder die Witwe trug aus noch zu ermittelnden Gründen Herrenmäntel, oder er war gerade belogen worden. So oder so, er würde es herausfinden.
    In der Asservatenkammer ließ Brösecke sich den Mantel noch einmal aushändigen. Ein ganz normaler Mantel. Ein normaler Herrenmantel. Also doch! Er war etwas abgeschabt, nicht mehr das neueste Modell, aber ansonsten gab es nichts Auffälliges. Nur auf der Innenseite des Kragens dieses Namensschild - Earl Edward Dietleib von Friesenbroich zu Würgingen. Das war doch der Kerl, den er wegen des Mordes verhaftet hatte. Wieso trug die Witwe einen Mantel dieses windigen Typen?
    Zurück in seinem Büro griff Brösecke sofort zu den Nadeln. Er wußte, mit Socken würde er diesen Fall nicht lösen können. Daher begann er das erste Mal in seinem Leben einen Handschuh, so einen wollig-weichen, wie seine Großmutter gestrickt hatte.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Zusatz zu Kapitel 91


    Mist! Egal was Brösecke versuchte zu stricken, am Ende wurden es immer Socken. Sein Versuch, einen Handschuh zu stricken, endete in Socken mit kleinen, einzeln gestrickten Zehen. Naja, auch gut. Immerhin hatte er nun eine Idee, was er als nächstes tun sollte. Er würde seinen Chef um eine Gegenüberstellung bitten. Eine Gegenüberstellung dieses Earl und des rätselhaften Mantels. Einer von beiden würde reden.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 92


    Kriemhild war stinksauer. "Was heißt hier 'mitkommen'? Nur weil ich Earl kenne und ihm diesen in Frage stehenden Mantel vor langer Zeit mal geschenkt habe, bin ich doch wohl nicht für ihn und seine Taten verantwortlich." Brösecke blieb standhaft. "Ich möchte das hier nicht mit Ihnen diskutieren, Mylady. Sie kommen jetzt erst einmal mit. Den Rest können wir auf der Gendarmerie klären." Brösecke wies höflich aber bestimmt in Richtung Tür. Kriemhild folgte dieser Aufforderung zähneknirschend. "Das wird noch Folgen haben", murmelte sie leise. Wenn sie gewußt hätte, welche, hätte sie ganz anders reagiert.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001