Heinrich Mann - Der Untertan

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  • Hallo,


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    Vor vielen Jahren habe ich zwar Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“ gelesen, trotzdem komme ich erst jetzt, durch die der Lektüre „Der Untertan“, viel tiefer in die Strukturen des Wilhelminischen Reiches hinein, und in die Welt Heinrich Manns. Im „Untertan“ ist Heinrich Mann nicht nur der kleinere Bruder von Thomas, sondern dem großen Bruder durchaus ebenbürtig.


    Heinrich Mann erzählt vom obrigkeitsgläubigen Diederich Heßling, der im Wilhelminischen Reich, im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, zu immer mehr Macht aufsteigt, ein vollkommen mit Herz und Blut kaisertreuer Untertan, der aber nach unten hin mit besonders autoritärer Härte seine Schläge verteilt.


    In dem Essay „Reichstag“ (1911) charakterisiert Heinrich Mann den wilhelminischen Typus, so einen wie Diederich Heßling, wie folgt:


    Zitat von "Heinrich Mann"

    ..dieser widerwärtig interessante Typus des imperialistischen Untertanen, des Chauvinisten ohne Mitverantwortung, des in der Masse verschwindenden Machtanbeters, des Autoritätsgläubigen wider besseres Wissen und politischen Selbstkasteiers.


    In den ersten zwei Kapiteln werden die Grundlagen für Heßlings Charakter gelegt, in den Kapiteln danach sein Aufstieg zur Macht. Es ist faszinierend anzusehen, wie scharf durchdacht Heinrich Mann die Ursachen der Persönlichkeitsstruktur aufzeigt. Im Grunde genommen ist Heßling ein Weichei. Im ersten Satz heißt es:


    Zitat von "Heinrich Mann"

    Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt.


    Heßlings Vater war ein autoritärer Geist und Diederich, das Kind, sein Untertan. Der Vater war noch fürchterlicher als ein Gnom aus Diederichs Märchenbuch „und obendrein sollte man ihn lieben“. Die Schläge seines Vaters legt das Kind als Liebesbezeugung aus. „Ihr wäret froh, wenn ihr auch Prügel von ihm bekommen könntet.“ Diederich weist sich schon hier als Masochist aus. Die Untertänigkeit gegenüber seines Vaters zeigt sich u.a. darin, dass er drohte, die Arbeiter von Vaters Papierfabrik zu verpetzen, wenn sie sich während der Arbeit Bier beschafften. Er empfand sogar Lust dabei, hat seine Macht schon damals ausgekostet, indem er "kokett aus sich die Stunde herausschmeicheln ließ, zu der Herr Heßling zurückkehren sollte." Später als er die Firma übernahm, kehrte er seinen Sadismus noch deutlicher heraus, schließlich verlangte er „Deutsche Zucht und Sitte“. Bemerkenswert ist, dass sich Diederich in der Papierfabrik mit Kompetenzgerangel auseinandersetzen muss, dabei überdeckt er seine Schwächen mit Schroffheit und Hass.


    Zitat von "Heinrich Mann"

    Der Maschinenmeister ging eben vorbei. Diederich sah ihm nach, der Haß gab ihm deutlichere Sinneseindrücke als sonst, er bemerkte gleichzeitig die krummen, mageren Beine des menschen, seine knochigen Schultern mit den Armen, die vornüberhingen – und nun der Maschinenmeister zu den Leuten sprach, sah er seine starken Kiefer arbeiten unter dem dünnen schwarzen Bart. Wie Diederich dies Mundwerk haßte, und diese knotigen Hände! Der schwarze Kerl war längst vorüber, und seine Ausdünstungen roch Diederich noch immer.


    Heinrich Mann zeigt den antisemitischen Geist der damaligen Zeit:


    Zitat von "Heinrich Mann"

    Einmal nur, in Untertertia, geschah es, daß Diederich jede Rücksicht vergaß, sich blindlings betätigte und zum siegestrunkenen Unterdrücker ward. Er hatte, wie es üblich und geboten war, den einzigen Juden seiner Klasse gehänselt, nun aber schritt er zu einer ungewöhnlichen Kundgebung. Aus Klötzen, die zum Zeichnen dienten, erbaute er auf dem Katheder ein Kreuz und drückte den Juden davor in die Knie. Er hielt ihn fest, trotz allem Widerstand; er war stark! Was Diederich stark machte, war der Beifall ringsum, die Menge, aus der heraus Arme ihm halfen, die überwältigende Mehrheit drinnen und draußen. Denn durch ihn handelte die Christenheit von Netzig. Wie wohl man sich fühlte, bei geteilter Verantwortlichkeit und einem Selbstbewußtsein, das kollektiv war!


    Auf einer Wahlversammlung der Kaisertreuen wird er sehr viel später zu einer „spartanischen Zucht der Rasse“ aufrufen und „Blödsinnige und Sittlichkeitsverbrecher“ (sollen) „durch einen chirurgischen Eingriff an der Fortpflanzung“ verhindert werden.


    In der Wilhelminischen Epoche werden Weichen für den Faschismus gestellt. Heßling wäre auch unter Hitler ein treuer Mitläufer geworden. Ein sadomasochistischer Charakter kann nur gegenüber den schwächeren feindselig werden. Den Mächtigeren gehorcht er als ergebender Untertan (in diversen Arbeiten haben u.a. Theodor W. Adorno und Erich Fromm versucht, diesem Charaktertyp, dem „autoritären Charakter“, auf die Spur zu kommen, um zu klären, wie solche Menschen zum Anhänger des Faschismus werden konnten).


    Zitat von "Heinrich Mann"

    Ein Mensch im gefährlichsten Zustand des Fanatismus, beschmutzt, zerrissen, mit Augen wie ein Wilder: der Kaiser, vom Pferd herunter, blitzte ihn an, er durchbohrte ihn. Diederich riß den Hut ab, sein Mund stand weit offen, aber der Schrei kam nicht. Da er zu plötzlich anhielt, glitt er aus und setzte sich mit Wucht in einen Tümpel, die Beine in der Luft, umspritzt von Schmutzwasser. Da lachte der Kaiser. Der Mensch war Monarchist, ein treuer Untertan!


    Ein herrlicher kritischer Gesellschaftsroman, der Abgründe der menschlichen Psyche bloßlegt.


    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

  • Eine schöne Zusammenfassung und für mich die Erinnerung, das Buch mal wieder zur Hand zu nehmen.



    In der Wilhelminischen Epoche werden Weichen für den Faschismus gestellt. Heßling wäre auch unter Hitler ein treuer Mitläufer geworden. Ein sadomasochistischer Charakter kann nur gegenüber den schwächeren feindselig werden. Den Mächtigeren gehorcht er als ergebender Untertan (in diversen Arbeiten haben u.a. Theodor W. Adorno und Erich Fromm versucht, diesem Charaktertyp, dem „autoritären Charakter“, auf die Spur zu kommen, um zu klären, wie solche Menschen zum Anhänger des Faschismus werden konnten).


    Hast Du die sehenswerte Verfilmung von Wolfgang Staudte gesehen? Eine DDR-Produktion aus dem Jahr 1951 und eine wunderbare Umsetzung des Buches. Es ist schon einige Jährchen her, dass ich den Film das letzte Mal gesehen habe, aber auf den von Dir genannten Aspekt geht der Film am Ende auch noch ein. Wenn ich ihn richtig in Erinnerung habe, gibt es am Ende eine Szene, in der gezeigt wird, wohin der in Deutschland damals allgegenwärtige Heßling-Hurra-Patriotismus geführt hat; sozusagen im Zeitraffer wird der Bogen vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges über den Untergang des Kaiserreiches und den Aufstieg des Adolf H. bis hin zum Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs 1945 geschlagen, und als letzte Bilder sieht man nur noch rauchende Ruinen...

  • Das Buch muss ich unbedingt noch einmal lesen.
    Vor ca. einem Jahr wurde ich von der Schule gezwungen, Heinrich Manns Werk zu lesen. Damals fand ich das Buch nicht so toll, da wir kaum eine Stelle ausgelassen haben, die wir nicht interpretieren und deuten mussten. Für mich bedeute das Buch demnach mehr Arbeit als Lesegenuss.

  • Ich habe an das Buch auch recht gemischte Erinnerungen, weil wir es in der Schule lesen mussten und es ebenfalls totinterpretiert haben.


    Vielleicht sollte ich es einfach noch einmal ganz ohne Zwang für mich alleine lesen, denn das Portrait dieses Radfahrertypen (nach oben buckeln, nach unten treten) ist wirklich sehr gelungen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo MacOss,


    den Film habe ich leider nicht gesehen, trage aber den Gedanken herum, mir die DVD zu beschaffen.


    Hallo Valentine und Tetr 4,


    ich finde es auch schade, wenn in Schulen Literatur totinterpretiert wird. Davon hat man letzten Endes ja nicht viel davon, wenn einem deswegen die Lust am Lesen vergeht. Eine viel bessere herangehensweise ist, den Text auf sich wirken zu lassen. Es ist erstaunlich auf was für Gedanken man auf diese Weise selber kommt.


    (manchmal freue ich mich doch, dass ich nicht allzuviel in der Schule gelesen habe.
    Mein Interesse an Literatur kam erst nach der Schulzeit. :breitgrins: )


    Liebe Grüße
    und danke für eure netten Kommentare.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Bin ganz Deiner Meinung zum Thema Schullektüre und Interpretation. So mancher Klassiker hätte mir garantiert weniger Spaß gemacht, wenn ich ihn in der Schule hätte lesen müssen, wo man vieles nur durch die Brille der vorgegebenen Lehrmeinung sehen durfte/sollte ...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das war damals das Buch zu dem ich ein Referat in der Schule halte musste. Und oh Wunder, ich habe es damals schon gemocht. Hatte mir damals den Film dazu besorgt und am Ende da noch einiges verglichen (gibt einige Unterschiede!). Muss wohl doch mal in den Keller :) Auf das mein SUB weiter wachse ^^

  • Im „Untertan“ ist Heinrich Mann nicht nur der kleinere Bruder von Thomas, sondern dem großen Bruder durchaus ebenbürtig.


    Eigentlich war ja Heinrich der grosse und Thomas der kleine Bruder. Nicht nur vom Alter her (das sowieso), auch vom literarischen her finde ich Heinrich noch einen Tick besser als seinen kleinen Bruder ... ;)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)