Klappentext
Es geschah im letzten Tageslicht, im Regen. Bislang hatte Takeo nicht gewusst, was Menschen einander antun können, nichts von den wilden Schlachten der Clans. Doch dann wird seine Familie ermordet, er selbst entkommt dem Tod nur knapp. Otori Shigeru vom Clan der Otori ist es, der ihn rettet - das Schlangenschwert in der Hand. Von Shigeru, einem Helden wie aus vergangenen Zeiten, lernt Takeo die Bräuche der Clans. Neben Schwertkampf und Etikette widmet er sich jedoch noch anderen, dunkleren Künsten: seiner Fähigkeit, an zwei Orten zugleich zu sein, sich unsichtbar zu machen. Dabei gerät er immer tiefer in eine Welt der Lügen, der Geheimnisse und der Rache. Doch seiner Bestimmung kann er nicht entfliehen. Und so verbindet Takeo sein Schicksal mit dem der Otori.
Zitat von "Leseprobe"An diesem Abend war ich über den Berg gegangen, zu einem Platz, wo die besten Pilze wuchsen. Mein Tuch war voll von den kleinen, fadenartigen weißen und den dunklen, fächerförmigen orangenfarbenen. Ich stellte mir vor, wie sich meine Mutter freuen würde und wie die Pilze meinen Stiefvater vom Schimpfen abhielten. Schon konnte ich sie auf der Zunge kosten. Während ich durch den Bambus lief und hinaus in die Reisfelder, wo die roten Herbstlilien schon blühten, glaubte ich Essensgeruch im Wind zu riechen.
Die Dorfhunde bellten wie so oft am Ende des Tages. Der Geruch wurde stärker und beißend. Ich hatte keine Angst, noch nicht, aber irgendeine Vorahnung ließ mein Herz schneller schlagen. Vor mir war ein Feuer.
Im Dorf brachen oft Feuer aus; fast alles, was wir besaßen, war aus Holz oder Stroh. Doch ich konnte kein Rufen hören, kein Geräusch von Eimern, die von Hand zu Hand gereicht wurde, keine der üblichen Schreie und Flüche. Die Zikaden schrillten so laut wie immer; Frösche quakten im Reis. In der Ferne grollte Donner um die Berge. Die Luft war drückend und feucht.
Im schwitzte, aber der Schweiß wurde kalt auf meiner Stirn. Ich sprang über den Graben des letzten Terrassenfelds und schaute hinunter auf die Stelle, wo mein Zuhause immer gewesen war. Das Haus war weg.
Ich ging näher. Flammen züngelten immer noch und leckten an den geschwärzten Balken. Von meiner Mutter oder meinen Schwestern war nichts zu sehen. Ich wollte rufen, aber meine Zunge war plötzlich zu groß für meinen Mund, und der Rauch nahm mir den Atem und ließ meine Augen tränen. Das ganze Dorf brannte. Aber wo waren alle?
Dann hörte ich die Schreie.
Meine Meinung
Die Verborgenen werden von den Clans wegen ihres Glaubens an einen einzigen, gütigen Gott angefeindet und oft getötet. Auch der grausame Lord Iida hat es auf die harmlosen Menschen abgesehen und schickt seine Tohankrieger in die Berge, um ganze Dörfer auszulöschen. Der junge Tomasu, der in den Bergen mit seiner Familie bei den Verborgenen lebt, entkommt durch Zufall dem Massaker, dem sein ganzes Dorf zum Opfer fällt. Drei Verfolger dicht auf den Fersen, flieht er in den Wald, in dem ihn der Otorilord Shigeru mit seinem Schlangenschwert Jato rettet. Doch Lord Iidas Ehre wurde von dem Flüchtling besudelt und er kann diese Schmach nicht vergessen und auch mit Shigeru will er noch abrechnen, denn der Otorilord ist beim Volk beliebt und will den grausamen Herrscher stürzen. Zum eigenen Schutz wird aus Tomasu Takeo und schließlich entdeckt er, dass er ungewöhnliche Eigenschaften besitzt, die ihm bald nützlich werden könnten. Gemeinsam mit Shigeru sinnt er auf Rache.
Mit Takeo, Shigeru und Kaede hat Lian Hearn drei wunderbare Hauptcharaktere in einer japanischen, mittelalterlichen Fantasywelt erschaffen. Takeo, der bei den sanften Verlorenen aufgewachsen ist und Gewalt bisher ablehnte, lernt schnell, dass er kämpfen muss, um überleben zu können. Dabei helfen ihm die Fähigkeiten, sich unsichtbar machen und an zwei Orten gleichzeitig sein zu können. Doch auch sein außergewöhnliches Gehör ist ihm immer wieder von Nutzen. Der von Lord Iida gestürzte Shigeru Otori ist der faszinierendste Charakter: Sanft, unnachgiebig, zuvorkommend, auf Rache sinnend, trauernd. Doch auch Kaede, deren Schicksal dem jungen Mädchen schwer mitspielt, gewann ich schnell lieb und besonders schön: die Namen der Charaktere klingen laut vorgelesen wie Gesang.
"Das Schwert in der Stille" hat zwar fast 400 Seiten, ist aber sehr flüssig zu lesen und entwickelt sich schnell zum Page-Turner. Anfangs dachte ich, dass es sich hier wohl eher um ein Jugendbuch handelt, doch es ist meiner Meinung nach genauso für Erwachsene zu empfehlen. Die Protagonisten leiden, agieren brutal, hassen, trauern, betrügen, morden und sind so vielfältig, dass es mit ihnen nie langweilig wird. Japanische Bräuche, Sitten und Traditionen wurden von der Autorin längere Zeit recherchiert und in die Fantasywelt eingeflochten. So lernen wir beispielsweise die japanischen "Nachtigallenböden" (uguisubari) kennen - Böden, auf denen man sich nicht leise bewegen kann und die so mächtige Herrscher vor Eindringlingen warnen sollten.
Ich wünsche jedem Leser, dass er sich von dieser wunderbaren und doch so grausamen Welt der Clans verzaubern lässt und die Schönheit des Buches genießt. Da es sich bei der Otori Saga um eine Trilogie handelt, ist das Ende zwar in Hinsicht auf Lord Iida abgeschlossen, doch die Geschichte von Takeo und Kaede wird weitergehen - ich hoffe, wir müssen nicht zu lange auf die Fortsetzungen warten!