José Saramago - Die Stadt der Sehenden

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    Kurzbeschreibung (amazon)
    In der Hauptstadt einer ungenannten Demokratie geben bei einer Wahl 75 Prozent der Wähler einen unbeschrifteten Stimmzettel ab. Statt dass man die Motive ergründet, wird der Ausnahmezustand verhängt: diktatorische Maßnahmen greifen, Panzer patrouillieren durch die Stadt, willkürliche Verhaftungen folgen… «Die Stadt der Sehenden» ist eine glanzvolle politische Parabel.


    Meine Meinung:
    Nicht immer kann mich Saramago begeistern, doch mit diesem Roman ist ihm eine vortreffliche "Fortsetzung" zu der Stadt der Blinden gelungen.
    Natürlich lassen sich die zwei Romane unabhängig voneinander lesen, doch vieles entgeht dem Leser, wenn er auf die Lektüre des ersten Werkes verzichtet.
    Nicht nur der Titel, die ganze Geschichte der Stadt der Sehenden ist ein Gegenstück zur Stadt der Blinden.
    Wo im ersten Roman Gewalt herrschte, siegt hier die Menschlichkeit. Saramagos humanistischer Roman hebt das Intellekt der Bürger hervor und entlarvt die Arroganz der "Staatsdiener", sprich der Regierung.
    Jede Seite eine Herausforderung an den Verstand, ein literarischer Genuss gefüllt mit perfekt dosiertem Sarkasmus, klugem Humor und aufrüttelnden Wendungen.
    Fasziniert von Saramagos Sprache, Intelligenz und Ironie, für mich das Buch des Jahres.


    dora

    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Klappentext:
    In der Hauptstadt einer ungenannten westlichen Demokratie geben bei einer Regionalwahl aus heiterem Himmel drei Viertel aller Bürger einen unbeschrifteten Stimmzettel ab. Die Regierung hält sich mit diesem Wahlergebnis für handlungsunfähig: eine Wiederholung der Wahl bringt ein noch schlechteres. Die Minister sind bestürzt, ein subversiver Angriff auf das System, meinen manche, eine Torpedierung der Demokratie. Statt dass man die Motive der Wähler ergründet, wird der Ausnahmezustand verhängt, um den "Infektionsherd" zu finden. Diktatorische Maßnahmen greifen. Panzer patrouillieren durch die Stadt, willkürliche Verhaftungen folgen. Unter den Verfolgten ist auch eine Frau, die Frau des Augenarztes aus "Die Stadt der Blinden", Saramagos paradigmatischem Meisterwerk über die moralische Zerbrechlichkeit des Menschen


    Autor:
    geboren 1922 in Azinhaga, einem Dorf der portugiesichen Porvonz Ribatejo, entstammt einer Landarbeiterfamilie. Der Romancier, Erzähler, Lyriker, Dramatiker und Essayist erhielt 1998 den Nobelpreis für Literatur.


    Meinung:
    Ich kann mich meiner Vorschreiberin dora nur anschließen, ein weiteres faszinierendes Buch von Saramago und eine gelungene "Fortsetzung" von "Die Stadt der Sehenden", dass man zwar nicht unbedingt kennen muss, auf dessen Inhalt aber doch öfter Bezug genommen wird.
    Saramago vermochte es wieder, mich mit seinem typischen Stil zu fesseln. Er benutzt lange, verschachtelte Sätze in denen die wörtliche Rede nicht gekennzeichnet ist, die Perspektiven wechseln und man auch nicht immer sofort weiß, ob es sich um Gedanken oder auch schon um tatsächliches Geschehen handelt.
    Das Buch kann man nicht mal eben so lesen, sondern es erfordert (zumindest meine) volle Konzentration, dann aber eröffnet sich einem Lesegenuss pur.


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • In jener Stadt, die vier Jahre zuvor von einer plötzlichen Blindheitsepidemie heimgesucht wurde, trägt sich erneut ein unerklärliches, aufrüttelndes Ereignis zu: bei einer regulären Parlamentswahl bleibt eine überwältigende Mehrheit von Stimmzetteln leer!


    Die politische Führung ist völlig konsterniert und sieht fassungslos zu, wie die Menschen mit der Situation umgehen bzw. weiterleben, als wäre nichts gewesen. Erste Repressalien sollen die Bürger zur Vernunft bringen, doch sie ergreifen Eigeninitiative und organisieren sich die Straßenreinigung und die Verbrechensaufklärung einfach selbst, als der Staat ihnen diese Dienste nicht mehr zur Verfügung stellt.


    Die Politik glaubt an eine Verschwörung und ermittelt gegen einige Verdächtige, riegelt die Stadt hermetisch ab, nimmt Menschen in Haft und schickt einen gestandenen langjährigen Polizisten auf eine spezielle Mission ...


    Wie schon bei "Die Stadt der Blinden", auf die das Buch immer wieder Bezug nimmt, erstaunt Saramago auch hier wieder mit ellenlangen Sätzen ohne wörtliche Rede, sehr langen Absätzen und außergewöhnlichen Metaphern. Zunächst erschlagen diese Stilmittel den Leser beinahe, durch die ersten 50 Seiten musste ich mich mühsam kämpfen. Die Beschreibung der Wahl an sich empfand ich schon fast als quälend politisch und zäh, doch sobald es um die Folgen der vielen leer gebliebenen Stimmzettel ging, war der Bann gebrochen.


    Saramago schreibt düster, verzweifelt, eine drückende, beängstigende Stimmung lässt sich förmlich greifen - so wie es in dieser Stadt im Belagerungszustand sein muss. Er schildert eine Extremsituation, die nicht nur die Bürger der Landes, sondern auch die intriganten und selbstherrlichen Politiker an ihre Grenzen bringt. Kein Buch zum Wohlfühlen und gemütlichen Eintauchen, sondern ein Stück Literatur, das Konzentration verlangt und irritiert, aufwühlt, Unbehagen verursacht, aber gerade deswegen im Gedächtnis bleibt.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich habe "Die Stadt der Sehenden" vor, ich glaube, zwei Jahren zum Geburtstag bekommen, nachdem ich von Saramago bereits "Die Stadt der Blinden" (das war mein erstes Buch des Autors und wäre auch aufgrund der besonders actiongeladenen Handlung meine Empfehlung für jeden, der mal was von Saramago lesen will), "Der Doppelgänger" und "Alle Namen" besitze und gelesen habe.


    Das Wiedererkennen beim Aufschlagen des Buches war stark, man findet alles wieder, was man von früheren Romanen kennt, die vertraute Tonlage, die Genauigkeit, die Wörtern bis zum Anschlag auf den Grund zu gehen pflegt (sicherlich eine Herausforderung für die Übersetzer), ausufernde Dialoge, die trotz der Tatsache, dass sie sich mit so etwas Profanem wie Anführungszeichen nicht aufhalten mögen, mühelos verständlich bleiben.


    Vielleicht liegt es wirklich an der vergleichsweise optimistischen Stimmung, vielleicht auch daran, dass es im Vergleich zu den anderen, oben genannten Romanen keine wirklich zentrale Figur gibt, in die ich "hineinschlüpfen" konnte, dass mir dieser Roman eher fern blieb, obwohl ich ihn gerne gelesen habe. Die reich ausgeschmückten Innenansichten haben für mich in seinen Büchern immer einen ganz besonderen Reiz ausgemacht.


    Es gibt ja jetzt seit einem Weilchen ein weiteres "Was wäre wenn"-Buch von ihm: "Eine Zeit ohne Tod".

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    Es befasst sich, wie der Titel schon andeutet, damit, was passiert, wenn keiner mehr stirbt. Saramago findet mit offenbar viel Spaß an der Sache immer neue Szenarien, in denen er die Gesellschaft und ihr Verhalten in Extremsituationen in allen Details auf den Prüfstand stellen kann.


    In Erinnerung geblieben ist mir darüber hinaus der Aufhänger eines Artikels über José Saramago, den ich nach der Lektüre von "Die Stadt der Sehenden" damals im Netz gelesen hatte. Da soll er von sich selbst gesagt haben: "Ich bin ein junger Autor!"
    Zu diesem Zeitpunkt war er 83 Jahre alt.

  • So, habe soeben die Lektüre von "Stadt der Sehenden" beendet und muss sagen, dass es mir trotz des distanzierten Tons ganz gut gefallen hat.
    Ich habe "Stadt der Blinden" nicht gelesen, da ich "Stadt der Sehenden" als Mängelexemplar durch Zufall bekommen habe, und nicht wusste, dass man das andere davor gelesen haben sollte. Leider (oder zum Glück?) stellt man das ja aber erst nach der Hälfte des Romans fest und denkt erst dann: Mist, ich hätte das andere zuvor lesen sollen.
    Doch es war dann gar nicht so schlimm wie angenommen und ich habe der Geschichte auch ohne die Kenntnisse des ersten Buches folgen können, wenn mir auch manches vielleicht nicht so klar war wie eingeweihten Lesern.
    Die Geschichte an sich fand ich sehr originell und fesselnd, wahrscheinlich auch deshalb weil ich ein sehr politisch interessierter Mensch bin. Teilweise war die Handlung jedoch sehr schleppend (vor allem der Anfang) und der Sprachstil war echt nicht einfach, doch man kommt rein, wenn man mal verstanden hat, wie zum Beispiel ein Dialog bei Saramago aufgebaut ist.
    Stadt der Blinden würde ich auch gerne noch lesen, doch hat mich "Stadt der Sehenden" nicht so überwältigt, dass es unbedingt demnächst sein muss. Ich glaube es kann warten bis ich es als Mängelexemplar irgendwo entdecke :zwinker:

    If the world weren&#39;t such a beautiful place we might all turn into cynics<br />(Paul Auster)

  • "Stadt der Blinden" ist recht anders als "Stadt der Sehenden", grausamer und bildhafter, aber dadurch auch actiongeladener und leichter zugänglich. Meiner Meinung nach zumindest. Aber ich will Dich natürlich nicht zum Buchkauf verführen. :angst:

  • :zwinker: Ich versuch mich zurückzuhalten, doch ich kann für nichts garantieren! Hört sich nämlich schon gut an.

    If the world weren&#39;t such a beautiful place we might all turn into cynics<br />(Paul Auster)

  • Vor vier Jahren wurde die Stadt von einer unerklärlichen Epidemie heimgesucht, die alle Bewohner der Stadt blind werden liess.
    Doch kaum hat man in sein altes Leben zurück gefunden, sucht eine neue Seuche die Stadt heim: Das Weisswählen.
    An den lokalen Wahlen werden über 80% der Stimmen leer abgegeben. Auch ein zweiter Durchgang fällt kaum anders aus. Die Politiker sind entsetz, der Ausnahmezustand wird ausgerufen. Die Stadt im angeblichen Chaos zurückgelassen.
    Aber anstatt im Chaos zu versinken, leben die Städter ihr Leben einfach weiter. Ausnahmezustand hin oder her.


    Als der Präsident eines Tages einen Brief erhält, der aussagt, dass es eine Frau gibt, die vor vier Jahren seltsamerweise nicht erblindet ist und die dazu noch einen Mord begangen hat. Für die Regierung ist schnell klar, dass diese Frau für das Geschehen in der Stadt verantwortlich gemacht werden kann. Nur der ermittlenden Komissar zweifelt...

    Es ist nicht einfach, José Saramagos Buch "Die Stadt der Sehenden" zusammenzufassen, da ein eigentlicher Handlungsstrang erst gegen Ende des Buches auftaucht. Zuvor wird das Handeln, das Denken und die Verzweiflung der Politiker und des Volkes behandelt und die Geschehnisse ändern sich immer wieder. Sie erscheinen wie einzelne Geschichten in der Geschichte.

    Dieses Buch stellt eine interessante "Was-wäre-wenn"-Frage. Denn ist es nicht unser gutes Recht, weiss zu wählen? Doch was würde geschehen, wenn dies plötzlich die Mehrheit des Volkes tun würde? Wie würden wir reagieren? Was würden wir tun?

    Wie wir das von Saramago kennen, ist das Buch aufgrund der speziellen Sprache nicht für Zwischendurch geeignet. Das politische Thema und die langen Gespräche zwischen den verschiedenen Politikern fordern den Leser zusätzlich.
    Dennoch sollten Fans von Saramago auch "Stadt der Sehenden" nicht verschmähen. Wer den ersten Roman "Stadt der Blinden" mochte, kann sich auf ein Wiedersehen mit einigen Personen aus dem vorhergehenden Buch freuen. Wer dieses nicht gelesen hat, wird jedoch keine Probleme damit haben, den Ereignissen zu folgen, da das Geschehen des ersten Buches erst am Ende von "Die Stadt der Sehenden" aufgegriffen wird und die Geschichte nochmal repetiert wird.
    Ungeübten Lesern wird jedoch von der Lektüre abgeraten, da der Schreibstil des Autors sehr anstrengend und deshalb nicht für jedermann geeignet ist.

    Ich persönlich hatte etwas Mühe mit dem Buch. Das liegt nicht daran, dass es etwa schlecht wäre, ganz im Gegenteil, es ist ein sehr intelligentes und spannendes Stück Literatur. Aber mir schien die feine Poetik aus "Die Zeit ohne Tod" zu fehlen. Doch zeigt dies nur die unterschiedlichen Fähigkeiten dieses aussergewöhnichen Autors auf.


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    3ratten

    //Grösser ist doof//