Thomas Bernhard - Ja

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    Thomas Bernhard (1931-1989)
    Ja
    Erstveröffentlichung: 1978
    Verlag: Suhrkamp
    gebundene Ausgabe
    155 Seiten


    Klappentext:
    "Wie ich zwei Tage später zu dem gänzlich verlassenen, noch nicht halbfertigen und schon wieder verrotteten Haus auf der nassen Wiese gegangen bin, ist mir eingefallen, daß ich der Perserin auf einem unserer Spaziergänge in den Lärchenwald gesagt hatte, daß sich heute so viele junge Menschen umbringen und es sei der Gesellschaft, in welcher diese jungen Menschen zu existieren gezwungen sind, vollkommen unverständlich, warum und daß ich sie, die Perserin, ganz unvermittelt und tatsächlich in meiner rücksichtslosen Weise gefragt hatte, ob sie sich selbst eines Tages umbringen werde. Darauf hatte sie nur gelacht und Ja gesagt."



    Inhalt:
    Der namenlose Ich-Erzähler, ein allein und zurückgezogen lebender Naturwissenschaftler, betrachtet in der Rückschau eine kurze Episode seines Lebens. Hatte er sich ursprünglich in seinem Haus von seinen Mitmenschen, Freunden und Verwandten abgeschottet, um in Ruhe seinen wissenschaftlichen Studien nachzugehen, so zeigt diese selbstgewählte Isolation nach und nach verheerende Auswirkungen auf seinen Geistes- und Gemütszustand. Es wird ihm unmöglich, die abgebrochenen Kontakte wieder aufzunehmen, am sozialen Leben in seinem Ort nimmt er nicht mehr teil, er verbarrikadiert sich regelrecht in seinem Haus und verfällt zunehmend in depressive Zustände, so dass es ihm schließlich sogar irgendwann unmöglich wird, sich weiterhin seinen Studien zu widmen - ebenso wie der Lektüre des von ihm so geliebten Schopenhauers und der Musik Schumanns -, und er befürchtet, wahnsinnig zu werden und an seiner Krankheit zugrundezugehen.


    In diesem Zustand höchster Verzweiflung sucht er seinen einzigen Ansprechpartner auf, einen ortsansässigen Grundstücksmakler ("den Moritz"), um sich ihm zu öffnen und ihm seine Situation zu verdeutlichen. Doch bevor es dazu kommt, lernt er ein Paar kennen, das beim Moritz ein Grundstück gekauft hat, den "Schweizer" (ein Kraftwerkebauer kurz vorm Ruhestand) und seine Lebensgefährtin, die "Perserin". Und in dem Maße, in dem ihm der Schweizer unsympathisch ist, fasziniert ihn dessen Lebensgefährtin, die bei dieser ersten Begegnung zwar kein Wort verliert, aber ihm dennoch so viel zu sagen scheint. In einer spontanen Eingebung lädt er sie zu einem Spaziergang ein, dem ersten von vielen, die folgen. Auf diesen Spaziergängen erkennen die beiden, wie seelenverwandt sie sind, dass sie nicht nur die gleichen musikalischen und philosophischen Vorlieben haben, sondern auch beide am Leben und an den Menschen verzweifeln. Und es wird klar, dass die Perserin todunglücklich an der Seite ihres Lebensgefährten ist.


    Leider aber - und das kann hier ich sagen, ohne zu viel zu verraten - nimmt das Buch kein gutes Ende; der Zustand des kurz aufflackernden Glücks dauert nicht ewig, und bald schon setzt der physische und psychische Niedergang beider wieder ein, und die Konsequenzen sind erschütternd.



    Meine Meinung:
    Dies ist mein erstes Buch von Thomas Bernhard, endlich, nachdem ich schon mehrfach von einem Freund aufgefordert worden war, doch "endlich mal was von Thomas Bernhard zu lesen". Und ich muss sagen: Gut, dass ich es getan habe! Meine anfänglichen Befürchtungen (zu schwermütig, zu depressiv, zu schwierig zu lesen) haben sich in keiner Weise bestätigt. Natürlich habe ich mich vorher über Thomas Bernhard informiert, und ich wusste, dass seine Bandwurmsätze ihresgleichen suchen und es einem nicht leicht machen, ihnen zu folgen. Aber hat man sich einmal in Bernhards tagebuchartigen Wörter- und Gedankenstrom eingelesen, bereitet das überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, die faszinierende Art und Weise, wie er seine Gedanken vor dem Leser ausbreitet, hat mich so manches Mal die Umwelt um mich herum vergessen lassen - und das will in unruhigen Berliner U-Bahnen schon was heißen... :zwinker:


    Hier finden sich auch die wohl typischen Bernhardschen Themen wieder: das Verzweifeln an den Mitmenschen, die Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen, das Scheitern in allen Belangen und vor allem die immer wieder aufflackernden Depressionen und die Todessehnsucht. Sehr schön fand ich - als Kontrapunkt sozusagen - das Auftauchen der Perserin. Man spürt in den Schilderungen der Momente, die der Erzähler mit ihr verbringt, wie viel Lebensfreude noch in ihm steckt, und für kurze Zeit flackert am Ende des Tunnels doch noch etwas Licht auf - wenn auch offenbar vergeblich.


    Man darf bei Thomas Bernhard kein Happy End erwarten. Das wäre - insbesondere bei diesem Buch - wohl auch etwas unglaubwürdig. Und dennoch hat mich dieses Buch seltsam angenehm berührt. Vielleicht liegt es daran, dass man dem Buch bzw. dem Erzähler anmerkt, dass hier jemand schreibt, der sich intensiv Gedanken um sich selbst und seine Umwelt macht, auch wenn sie nicht immer allzu rosig und positiv gefärbt sind.


    Das Buch bekommt von mir: 4ratten


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    Auf einen interessanten Aspekt bin ich bei meinen Bernhard-Recherchen noch gestoßen: Die Figur des "Moritz" ist einem realen Menschen nachempfunden, nämlich Karl Ignaz Hennetmair (s. Wikipedia), der seinerzeit Immobilienmakler in Bernhards Wohnort und auch tatsächlich einer der wenigen Menschen war, denen sich Bernhard mehr oder weniger anvertraut hat. Und Hennetmair hat sogar ein Jahr lang ein Tagebuch über seine Begegnungen und Gespräche mit Thomas Bernhard geführt, das er jahrelang unter Verschluss gehalten und erst im Jahr 2000 veröffentlicht hat, und das seinerzeit wohl für einigen Wirbel unter den Bernhard-Anhängern gesorgt hat, weil es den Menschen Thomas Bernhard in einer völlig neuen Sichtweise zeigt:


    Karl Ignaz Hennetmair - Ein Jahr mit Thomas Bernhard: Das versiegelte Tagebuch 1972


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    Selbstverständlich habe ich es schon beim Buchhändler meines Vertrauens geordert...:zwinker:

  • Hatte er sich ursprünglich in seinem Haus von seinen Mitmenschen, Freunden und Verwandten abgeschottet, um in Ruhe seinen wissenschaftlichen Studien nachzugehen, so zeigt diese selbstgewählte Isolation nach und nach verheerende Auswirkungen auf seinen Geistes- und Gemütszustand.


    Hallo MacOss,


    Ich erinnere mich an Bernhards "Beton". In dem Werk will der Erzähler eine Arbeit über Mendelssohn Bartholdy schreiben, wird aber durch seine Schwester gestört, die einen Besuch ankündigt. Die Motivlage in "Beton" ist also ähnlich wie in "Ja". Doch scheint mir, wenn ich deine Rezension so lese, dass "Beton" ja noch ironisch bleibt, im Gegensatz zu der Tragik in "Ja".


    Ich habe Bernhard kennengerlernt durch "Wittgensteins Neffe" und seinen Autobiographischen Schriften (Die Ursache/Der Keller/Der Atem/Die Kälte/Ein Kind), Bücher, die ich zur Einführung in Thomas Bernhards Werk wärmstens empfehlen kann, weil es einfach fesselnde Bücher sind. Er grantelt dort so herrlich über Österreich und die Ärzteschaft. Ein großartiger Prosaist.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Von Bernhard habe ich "Der Untergeher" und "Ein Kind" gelesen, nicht ganz leichte, aber lohnende Lektüre.


    Deine Rezi macht mir richtig Lust, mal wieder einen Bernhard zur Hand zu nehmen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen