Jeremias Gotthelf - Die schwarze Spinne

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    Eine Tauffeier auf einem wohlhabenden Hof in einem Schweizer Alpental. Viel muss vorbereitet werden, der Tisch muss ordentlich voll sein, denn man will gerade bei einer Taufe vor Nachbarn und Verwandten nicht knauserig dastehen. Eilig hat man es also in der Küche und eilig ist es auch mit dem Weg in die Kirche, denn der Pfarrer wartet nicht gerne. Wenn also nur die Gotte (die Taufpatin) endlich käme! Diese kommt schließlich auch - wie es sich gehört mit Geschenken an die Kindsbettin und das Kind - aber trotz allen Zeitdrucks und aller Gegenwehr ihrerseits muss sie erst mal ordentlich beköstigt werden. Eine Tasse Kaffee mit reichlich Nidel ("nein, bitte keinen Zucker" - plumps), etwas deftiges zu essen, ein Kuchlein, noch einen Kaffee ("Du willst keinen mehr? Schmeckt er etwa so schlecht?") - alles so wie es sich gehört, also.
    Nach vollzogener Taufe wird dann erst richtig getafelt, wobei immer deutlicher wird, dass der Hof wirklich ein gut gedeihender ist. Eine Bewirtung, wie sie hier geschieht, werden sich wohl nur wenige Familien leisten können. Zudem wird deutlich, dass das Haus erst kürzlich neu gebaut wurde - wenn man sich nur selbst so was leisten könne, denkt der eine oder andere Gast sicherlich.


    Schön geschrieben ist der Beginn dieser Novelle wirklich, wenn auch die altertümliche und mit schweizerischen Ausdrücken durchsetzte Sprache den Zugang ein wenig erschwert. Gotthelf beschreibt lebendig und glaubwürdig, wie eine solche Familienfeier vonstatten geht und man stellt fest, dass sich manches immer gleich bleibt :zwinker: .


    Alles schön und gut also, nur fragt man sich allmählich, wie die restlichen 100 Seiten gefüllt werden sollen und vor allem, was diese idyllische Tauffeier mit dem doch etwas unheimlich wirkenden Titel "Die schwarze Spinne" zu tun haben soll.
    Die Antwort auf diese Frage kommt bald: Während die Gäste den Neubau bewundern, fällt ihnen ein schwarzer, offensichtlich alter Balken auf. Wieso hat man diesen beim Neubau nur wiederbenutzt? Hätte man nicht einen neuen nehmen können?
    Der Großvater will eigentlich nicht recht mit der Sprache heraus, aber schließlich erzählt er die Geschichte doch:


    In alter Zeit, als die Bauern noch Leibeigene waren, wurde die Bevölkerung des Tales von einem besonders brutalen Ritter geknechtet. Er ließ sich von ihnen in grausamer Fronarbeit eine Burg erbauen, während die Felder brach lagen. Als die Burg endlich fertig stand, nahte der Sommer schon mit Eilesschritten aber die Bauern atmeten trotzdem auf: Es war gerade noch Zeit genug fürs Säen und mit ein bisschen Ernteglück würden sie den nächsten Winter doch überleben können.
    Da kommt die Hiobsbotschaft: Der Ritter ist noch nicht zufrieden. Er will noch einen Schattengang haben. 100 Buchen sollen dazu ausgegraben, zur burg transportiert und dort wieder eingepflanzt werden. In 4 Wochen muss das geschehen sein!
    In 4 Wochen ist auch der Mai um - dann ist es zu spät zum Säen, dann gibt es keine Ernte, dann werden sie alle im Winter verhungern. Verzweifelt sitzen die Bauern zusammen, trauen sich nicht nach Hause zu ihren Familien, um ihnen diese Nachricht mitzuteilen. Da erscheint ein Jäger bei ihnen, lässt sich ihre Not klagen und erklärt sich bereit, ihnen zu helfen, um einen Preis - ein ungetauftes Kind!
    Entsetzt flüchten die Bauern, haben sie doch verstanden, mit wem sie da geredet haben. Doch in den nächsten Tagen beginnen sie zu überlegen: Was ist ein neugeborenes Kind gegen das Leben ihrer aller? Gerade eine zugezogene Bauersfrau, die resolute Christine, lacht die Männer aus, dass sie so panisch und ohne nachzudenken geflohen waren - und sie ist es auch, die mit dem Grünen drei Tage später verhandelt. Versprechen kann man ja einiges und es wäre wohl nicht das erste Mal, dass es klugen Menschen gelingt, den Grünen zu überlisten, nicht wahr?


    Tja, wie gut oder eben nicht das geht und wie die Spinne ins Spiel kommt, das müsst ihr selbst lesen. Nur so viel - ich habe die Geschichte atemlos verschlungen und konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, so spannend und unheimlich wurde es!
    Manchmal - so stellte ich fest - hat es was für sich, wenn man so ganz und gar nichts über die anstehende Lektüre weiß. Ich hatte eine betuliche, mit christlichem Gewäsch versehene, moraltriefende, also schlicht weg unerträgliche Geschichte erwartet - wieso, das weiß ich nicht. Wahrscheinlich hatte mich das Pseudonym des Autoren (Wie kann man sich nur "Gotthelf" nennen :rollen: ) beeinflusst. Nun ja, christlich und moralisch ist die Geschichte natürlich auch, denn natürlich ist klar, dass man nicht ungestraft einen Pakt mit dem Teufel eingeht, dass man nicht einen für das Heil aller opfern darf. Aber dabei ist sie eben wie gesagt auch unendlich spannend und in ihrer Beschreibung des Unheils, das über die Bergbewohner hereinbricht auch Poe'sch unheimlich. Und - möchte ich hinzugügen - in der Schilderung, wie sich die Bauern zu ihrem, wie sie richtig erkennen, grundfalschen Verhalten selbst und gegenseitig überreden, sehr glaubwürdig.


    Nun habe ich nichts über die Geschichte selbst gelesen, weiß also nicht, ob ich mit meinen Vermutungen richtig liege. Ich stelle mir vor, dass Gotthelf hier eine in der Schweiz mündlich überlieferte Geschichte verarbeitete, deren Ursprung ich in der Pest sehe, die (nehme ich an) auch in den Alpen wütete. Die Opfer der Spinne, die unter Qualen sterben, erinnern mich sehr an eben Pesttote. Hier wird die unerklärlich auftauchende Krankheit durch einen Bruch der christlichen Gebote, und das ebenso unerklärliche Verschwinden der Krankheit durch eine Rückkehr zum rechten Glauben erklärt. Da die Pest ja in Wellen immer wieder über Europa schwappte, passt dazu auch, dass die Spinne Jahre später wieder auftaucht, weitere Opfer fordert.
    Allerdings muss ich gestehen, dass mir gerade diese zweite "Welle", die ihren Grund natürlich auch in einer Abkehr vom rechten Verhalten hat, dann doch etwas zuviel des Guten wurde. Eine nochmalige Einbläuung der Moral wäre nicht nötig gewesen.


    Kritisieren könnte man nach heutiger Auffassung auch, dass offensichtlich gerade Frauen ein näheres Verhältnis zu dem Teufel zugeschrieben wird. Allerdings lege ich das weniger Gotthelf zur Last, sondern sehe das als einen Ausdruck der Zeit und einer langen Tradition (Eva!). Dass die "bösen" Frauen Zugezogene, nicht Einheimische sind, ist ein weiterer interessanter Aspekt. Natürlich sucht man sich den Sündenbock außerhalb der eigenen Gemeinschaft und mit Frau und Fremder schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Auch hier ist Gotthelf sehr realistisch.


    Insgesamt vergebe ich enthusiastische
    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Vor Jahren habe ich Die schwarze Spinne auch mal gelesen, noch zu Schulzeiten. Von der Geschichte ist mir bis heute kaum etwas in Erinnerung geblieben, aber ich kann mich auch gut an bestimmte Eindrücke erinnern. Etwa, dass ich ähnlich wie du positiv überrascht war kein allzu christlich-moralisierendes Geschwätz zu lesen. Und dass mir die düstere Stimmung gut gefallen hat, genauso wie die Beschreibungen der Bräuche.


    Dank deiner schönen Rezi muss ich das Reclam Heftchen wohl mal wieder lesen!


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ich konnte dem Büchlein ebenfalls viel abgewinnen. Nett ist auch "Die Judenbuche " von Annette von Droste-Hülshoff! Was sind eigentlich die "besten" Werke von Franz Grillparzer? Von dem habe ich nämlich noch nichts gelesen !

  • Was sind eigentlich die "besten" Werke von Franz Grillparzer? Von dem habe ich nämlich noch nichts gelesen !


    Im novellistischen Sektor: Ganz eindeutig Der arme Spielmann. Weh dem, der lügt!, falls Du gerne Dramen liest. ;) :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Saltanahs Rezi hat mich neugierig gemacht und nicht enttäuscht. Dieses kleine Büchlein hat es wirklich in sich. Zu Beginn hatte ich einige Probleme mit der alten Sprache, doch spätestens als die Erzählung des alten Mannes begann, legte sich das schnell. Die fantastische und unheimliche Geschichte birgt viel an Spannung in sich und schildert Probleme, die auch in der heutigen Zeit immer wieder aktuell sind: Schuldzuweisungen, Zweifel und die Suche nach einem Sündenbock, der den Kopf hinhalten muss.


    Die Dorfgemeinschaft weiß, dass die verlangte Arbeit unmöglich geschafft werden kann, selbst wenn alle zusammenhelfen, doch das Angebot des Grünen klingt verlockend. Was dann geschieht, stellt alle auf lebensbedrohliche Weise auf die Probe und lässt sie an ihre zwischenmenschlichen Grenzen geraten. Ist es Zufall oder Absicht, als Autor eine Frau der Verlockung erliegen zu lassen? Wahrscheinlich hängt das mit dem Angebot zusammen, ein Kind zu opfern, das man vermeintlich listig durch eine schnelle Taufe retten kann. Ein Mann hätte sich eher auf eine tatkräftige Auseinandersetzung eingelassen. Wie auch immer, LeserIn weiß von Anfang an, dass die Bauern in irgendeiner Form den kürzeren ziehen werden, doch es ist ein Nervenkitzel zu lesen, wie das Unheil seinen Lauf nimmt.


    4ratten und :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Hab das Buch grad aus der Hand gelegt und kann mich meinen beiden Vorrednern nur anschließen.
    Die Spannung die erzeugt wird fordert einen geradezu auf das Buch in einem Ruck zu lesen. Das geht auch ganz gut, da es nicht zu dick ist. Und auch die angesprochenen Themen sind alles andere als antiquiert. Aber ich muss ja nicht das schreiben, was zwei andere auch schon geschrieben haben. Nur soviel:
    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus: :tipp:

  • Ich habe das Buch im Tauschregal gefunden, Bookcrossing.

    Es ist ein Doppelband: Die schwarze Spinne und Elsi, die seltsame Magd


    Also, mir war Die schwarze Spinne entschieden zu fromm.

    Und Elsi ist ja wohl die Mutter des Bergromans, allerdings ohne Happy End.


    So wird Gotthelf meine Lesepfade vermutlich nicht mehr kreuzen...


    1ratten

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.