Michael Köhlmeier - Abendland

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 3.086 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Hi!


    Ich bin ohne allzu grosse Erwartungen an dieses Buch herangegangen und war trotzdem so enttäuscht, dass ich es nicht zu Ende lesen werde.


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    Inhalt:
    Erzählt wird die Geschichte von zwei Mändern: Carl Jacob Candoris, Mathematiker, geboren irgendwann kurz nach der Jahrhundertwende, und Sebastian Lukasser, Schriftsteller, ein Kind der Fünfzigerjahre.
    Candoris ist 95 und schwer krank. Er gibt Lukasser – den er sein Leben lang kennt – den Auftrag, seine Geschichte zu erzählen. Lukasser willigt ein, die beiden bleiben drei Wochen zusammen und in dieser Zeit erzählt Candoris aus seinem Leben.



    Meine Meinung:
    Ich habe das Buch nach 200 von 700 Seiten abgebrochen. Es haben mich nämlich verschiedene Dinge genervt. Sprachlich ist es zwar gut und die Geschichte ist nicht langweilig, aber einfach schlecht erzählt. Das hat vor allem mit den unsäglichen Zeitsprüngen zu tun, derer sich Köhlmeier bedient. Das ist man in einer Szene im Nachkriegs-Wien, hüpft dann wieder in die Gegenwart, findet sich als nächstes am Anfang des 20. Jahrhunderts im Südtirol und gleich darauf in Lissabon in den 50er-Jahren (oder so ähnlich). Man weiss zwar immer, wo man gerade ist, aber diese Hüpferei ist extrem konstruiert, keinesfalls sinnvoll und einfach nur ermüdend.


    Wem das nicht reicht, der darf sich auch über Abschnitte freuen, in denen der Autor Einblicke in die Seele verschiedener Protagonisten gewährt – allerdings ohne Erklärungen abzugeben. So liest man sich durch die Geschichte und hat ständig das Gefühl, unerwünscht zu sein in der trauten Zweisamkeit des Duos Candoris/Lukasser, das sich gemeinsam erinnert, ohne wirklich viel preiszugeben. Damit man nicht komplett im Schilf steht, gibts zwar da und dort ein Zückerchen in Form eines ordentlichen Ausschnitts aus einer Biographie, aber dann gehts schon wieder los mit Andeutungen, die dann wahrscheinlich irgendwann später erklärt werden.


    Fazit: Insgesamt zu gekünstelt und zu «originell» konstruiert. Kann man getrost in der Buchhandlung lassen.



    Gruss


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Im Jahr 2000 reist Sebastian Lukasser, kaum von einer Prostata-OP genesen, nach Lans in Österreich, um seinen väterlichen Freund, den mittlerweile 95jährigen Mathematiker Carl Jakob Candoris, zu besuchen und Material für dessen Biographie zu sammeln.


    Candoris kannte Sebastian sein ganzes Leben lang, war schon mit dessen Vater Georg, einem hervorragenden Musiker, befreundet, der sich von der Wiener Schrammelmusik zum weltbekannten Jazzgitarristen entwickelt hatte und stellte auch für Sebastian zeitlebens eine Bezugsperson dar.


    Nicht nur Carl blickt auf seine Vergangenheit zurück, sondern auch Sebastian gerät ins Grübeln, denkt an seine gescheiterte Ehe, seine Kindheit, die Bücher, die er geschrieben, die Reisen, die er unternommen und die Menschen, die er kennengelernt hat, kurze Liebeleien und große Freundschaften.


    Carl war als brillanter Mathematiker nicht nur mit den wissenschaftlichen Größen seiner Zeit in Deutschland bekannt, sondern arbeitete während des 2. Weltkriegs an der Entwicklung der Atombombe mit, lebte vor dem Krieg in Portugal, wo er seine Frau kennenlernte, und nach dem Krieg in Japan, wo er mit einem genialen jungen Mann mit unglaublichem Mathematiktalent zusammentraf, kannte die große Mathematikerin Emmy Noether ebenso wie die zum Christentum konvertierte und im KZ getötete Edith Stein.


    Beide stoßen immer wieder auf Personen der Zeitgeschichte, haben Anteil an den großen Ereignissen im 20. Jahrhundert, ob in Wirtschaft, Kultur oder Forschung, und durchleben rückschauend noch einmal ihre großen persönlichen Siege und Niederlagen.


    Das bewegte zwanzigste Jahrhundert anhand der Lebenswege zweier Menschen darzustellen ist ein guter und interessanter Ansatz, der über weite Strecken auch gelungen ist. Zwischendurch gibt es jedoch auch immer wieder zähe Passagen, durch die man sich kämpfen muss. Insbesondere Carls Erzählflash gegen Ende des Romans empfand ich als sehr anstrengend zu lesen, und besonders der Exkurs in die Kolonialzeit in Afrika gehörte in meinen Augen nicht mehr so richtig ins Gesamtbild, so dass der letzte Teil des Buches gegenüber dem guten Anfang und Mittelteil stark abfällt.


    Die Sprache ist insgesamt sehr schön und ausgefeilt, wirkt aber ab und an etwas gekünstelt, ebenso wie das eine oder andere Ereignis. Weniger von den großen Themen des vergangenen Jahrhunderts wäre in diesem Buch wohl mehr gewesen, was schade ist, denn Michael Köhlmeier ist definitiv ein guter Beobachter und fängt Stimmungsbilder wunderbar ein, bis hinein in kleine Details. Auch die häufigen Zeitsprünge stören.


    Fazit: durchaus lesenswert, aber ein Buch, das Zeit und etwas Durchhaltewillen benötigt.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • und besonders der Exkurs in die Kolonialzeit in Afrika gehörte in meinen Augen nicht mehr so richtig ins Gesamtbild,


    Das hast Du doch jetzt nur hier mit hineingeschrieben, weil Du wußtest, daß ich darauf anspringe :breitgrins: Aber auch davon abgesehen läßt Deine Rezi das Pendel für dieses Buch wieder mehr in Richtung „selber lesen“ schwingen ...


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • @Aldawen: Du Scherzkeks :breitgrins: Ausnahmsweise hab ich dabei nicht an Dich gedacht, ich fand das in der ausgewalzten Breite da wirklich fehl am Platz.


    Abgesehen von den genannten Abstrichen wirklich nicht übel, das Buch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





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    Wir schreiben das Jahr 2000: Sebastian Lukasser, ein Schriftsteller, dank Prostatakrebs aktuell in einer Lebenskrise, besucht seinen Paten und väterlichen Freund, den mittlerweile schwerkranken 95jährigen Mathematiker Carl Jakob Candoris. Dieser will ihm als Material für eine Biographie aus seinem Leben erzählen.


    Dieses Buch ruhte ein gutes Dutzend Jahre in meinem SUB, nun ist es endlich gelesen. Es wäre aber auch kein echter Verlust gewesen, wenn ich es zwischendurch mal ungelesen aussortiert hätte. Dabei ist es gar nicht wirklich schlecht, aber es zog sich dann doch ganz schön und ich habe so manchen Absatz schließlich nur noch überflogen, vor allem wenn es mal wieder nur um semiphilosophisches Gedankenkreiseln ging.


    Die echten Episoden aus dem Leben Candoris‘ waren meist interessant, die aus Lukassers eigenem Leben schon etwas weniger. Beide Biographien wurden in wilder Reihenfolge erzählt, unterbrochen von der Rahmenhandlung und tiefschürfenden Gedanken (*seufz*).


    Das Interessante an diesem Buch hätte der Autor problemlos auf die Hälfte der fast 800 Seiten untergebracht bekommen, dann wäre das Buch bekömmlicher gewesen.


    3ratten

  • Ich habe das Buch vor vielen Jahren gelesen und war total begeistert.

    Ich mag philosophische Passagen in Texten. Ich fühlte mich auch völlig von der Musikalität und der Jazzkultur im Nachkriegswien ins Buch und in die Atmosphäre gezogen. Wer aber gerne nur plotorientiert liest, und essayistische Einlagen nicht so gerne mag, wird eventuell nicht so überzeugt sein von der Lektüre.


    Der Name Lukasser taucht auch in späteren Büchern von Köhlmeier immer wieder mal auf.

  • Das Interessante an diesem Buch hätte der Autor problemlos auf die Hälfte der fast 800 Seiten untergebracht bekommen, dann wäre das Buch bekömmlicher gewesen.

    Meine Lektüre liegt ja schon recht lange zurück, aber das ist das Fazit, das mir im Gedächtnis geblieben ist - ein Wechsel aus richtig tollen und sehr zähen Passagen, die man gerne hätte rauskürzen können.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen