Kardinal Ratzinger - Werte in Zeiten des Umbruchs

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 3.138 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Bartlebooth.

  • Zitat von "Thot"


    Kard. Ratzinger; Werte in Zeiten des Umbruchs


    Haelt man es durch, ein Buch von Kardinal Ratzinger zu lesen? Ich krieg ja schon bei seinen Pressemitteilungen immer das kalte Grausen....


    Gruesse, B.


    P.S. Wahrscheinlich hast du ganz viel an den Rand geschrieben, du verstehst...

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • @ Bartlebooth


    Das mit den Randbemerkungen stimmt genau! :zwinker: Da ich von Natur aus gerne Kommentiere und Bücher mit einem kritischen Auge lese, kommt es häufig vor, dass sich die Ränder füllen, sobald ich mit einem Autor konfrontiert bin, dessen Gedankengänge meinen Überzeugungen grösstenteils widersprechen. Doch gerade dies macht auch den Reiz eines solchen Unterfangens aus. Wie ich bereits anderswo erwähnt habe (ach ja, im Thread, ob man in Bücher reinschreibt :breitgrins: ) lösen Aussagen, mit denen man ganz und gar nicht einverstanden ist, (wenigstens bei mir :zwinker: ) teilweise heftige Reaktionen hervor.


    Im Falle Ratzingers verläuft die Argumentation durch das ganze Werk streng katholisch-dogmatisch, entsprechend der Auffassung, dass Vernunft und Glaube ausbalanciert werden müssten. Nach Meinung des Autors „bräuchten“ Vernunft und Glaube einander, damit sie sich gegenseitig „heilen“ könnten. Beide Kategorien sind nötig, damit extreme Positionen vermieden werden: Auf der einen Seite ein Art Hybris, einen übertriebenen Glauben in die Schöpferkraft des Menschen, auf der anderen der religiöse Fanatismus. Dies ist in sehr groben Zügen der Inhalt des Buches.


    Meines Erachtens ist es durchaus lesenswert. Besonders das zweite Kapitel, in welchem er über „Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates“ spricht, und zwar aus dem Grund, da es sich dabei um einen Vortrag handelt, den er letztes Jahr im Beisein von Jürgen Habermas in München gehalten hat. Übrigens gibt es in der „Zeit“ einen Beitrag über diesen Diskussionsabend, in dem nicht nur die Sichtweise des Kardinals wiedergegeben wird. Hier der Link:


    http://www.zeit.de/2004/05/Ratzinger_2fHaberm?term=Habermas


    Im Falle von Ratzingers Buch war ich gespannt, was ein Theologe, der meiner Auffassung zufolge mehr als Religionsintellektueller denn als Hirte angesehen wird, über aktuelle Problematiken denkt. Ist das Buch lesenswert? Ja, aber… Leider stolpert man immer wieder über unnötig komplizierte Formulierungen und Wortkonstruktionen, die der Lektüre teilweise hinderlich sind....


    Grüsse,
    Thot

    Die Freiheit der Meinung setzt voraus, dass man eine hat.
    <br />Heinrich Heine

  • Zitat von "Ingroscha"


    Ganz ehrlich, ich habe mich ein klein wenig von dir anfixen lassen :redface::breitgrins:


    Juchuh! Und kein Grund rot zu werden!



    Thot


    Danke fuer deinen ausfuehrlichen Kommentar! Nur ganz kurz: Ich stimme zu, dass ein Diksurs ueber Werte interessant und nuetzlich ist. Ich bin aber der Ansicht, dass er, so wie er von Kardinal Ratzinger und der katholischen Kirche gefuehrt wird (das heisst letzendlich immer von einer nicht hintergehbaren Dogmatik unterfuettert), hoechst kontraproduktiv ist und zwar auch in Bezug auf diejenigen Werte, die hier dem Selbstverstaendnis nach gestaerkt werden sollen. Aber ich denke, dies ist nicht der Ordner, diese Diskussion zu vertiefen.


    Ratzinger soll ja in seinen vor-vatikanischen Zeiten mal ein relativ progressiver Theologe gewesen sein. Ich weiss nun nicht, von wann dieses Buch ist, aber ich glaube dir sofort, dass es nicht total verschwendete Zeit war, es zu lesen. Den Zeitartikel werde ich mir mal anschauen, danke auch fuer diesen link.


    Herzlich, B.

  • Zitat von "Bartlebooth"

    Ich bin aber der Ansicht, dass er [der Diskurs, Anm. von T.], so wie er von Kardinal Ratzinger und der katholischen Kirche gefuehrt wird (das heisst letzendlich immer von einer nicht hintergehbaren Dogmatik unterfuettert), hoechst kontraproduktiv ist und zwar auch in Bezug auf diejenigen Werte, die hier dem Selbstverstaendnis nach gestaerkt werden sollen.


    Ich bin durchaus deiner Meinung, dass eine Diskussion über Normen und Werte in der heutigen Zeit nicht nur nützlich und interessant, sondern auch notwendig ist. Im Bezug auf die Wertediskussion, die Ratzinger persönlich und darüber hinaus die katholische Dogmatik als Ganzes betrifft, glaube ich, dass man die Kirche im Dorf lassen sollte - den jeder religiöse Diskurs ist auch immer eine partikulärer Diskurs. Und genau das sollte man sich bei dieser Lektüre immer vor Augen halten. Ich persönlich bekunde sowieso Mühe, sobald ich mit dogmatischen Positionen konfrontiert bin, gerade weil sie Diskussionen gegenüber abgeneigt sind. Das Buch ist übrigens in diesem Jahr erschienen.


    Dass er ein durchaus progressiver Theologe war, bevor er zur Kurie stiess, habe ich auch schon gehört. Sofern ich mich nicht irre, lehrte er beispielsweise zusammen mit Hans Küng (einem Vatikan-Kritiker - als Lektüre ebenfalls ziemlich amüsant) an der Uni Tübingen. Doch genug der Diskussion. Dies ist wahrlich nicht der richtige Thread dafür und ich will euch nicht länger anöden... gaehn


    Grüsse,
    Thot

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    <br />Heinrich Heine

  • Hallo ihr beiden,


    ich habe den Beitrag mal von der Mai-Frage abgetrennt.


    @all: Bitte eröffnet doch in Zukunft eigene Threads, wenn ihr Fragen zu einem bestimmten Buch habt. Das macht es uns Moderatoren doch etwas einfacher und für alle anderen ist das übersichtlicher :winken:


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Hallo nimue,


    Verzeihung, ich wollte dir keine Muehe machen, aber man weiss ja manchmal nicht, wie sich eine erst nur als kleine Nachfrage gedachte Wortmeldung entwickelt :-). Und fuer jede Nachfrage gleich einen Thread zu eroeffnen - ich weiss nicht, da wuerde ich wahrscheinlich die Haelfte der Nachfragen uebersehen... Jedenfalls danke fuers Verschieben, den Ordner "Sonstige Belletristik" finde ich einen interessanten Ort fuer dieses Buch... ;)


    Thot, da es jetzt einen eigenen Ordner gibt, kann ich ja noch einmal fragen:

    Zitat von "Thot"

    Im Bezug auf die Wertediskussion, die Ratzinger persönlich und darüber hinaus die katholische Dogmatik als Ganzes betrifft, glaube ich, dass man die Kirche im Dorf lassen sollte - den jeder religiöse Diskurs ist auch immer eine partikulärer Diskurs.


    Ich weiss nicht, ob ich dich hier richtig verstehe, aber so partikular finde ich den Diskurs eigentlich nicht. Natuerlich kann man auf dem Standpunkt stehen, die Moralvorstellungen der Kirche seien durch die Jahrhunderte stets Ideale gewesen, an die sich in der Praxis niemand gehalten habe, am allerwenigsten die Kirche selbst. Das ist zwar richtig, aber dennoch ist die kirchliche Moral als soziale Kontrollinstanz doch sehr wirkmaechtig. Z.B., alleinerziehende Muetter werden auch heute noch in laendlichen Gebieten schief angesehen. Und auch das eigene Gewissen macht vielen Glaeubigen Probleme, z.B. nach dem Ausstieg der kath. Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung oder, wenn wir ein bisschen globaler schauen, beim Verbot von Kondomen.
    Rein moralphilosophisch kann man also bestimmt von einem Partikulardiskurs sprechen. De facto sind die Einlassungen der Kurie und des Papstes aber von eminenter Bedeutung fuer das taegliche Leben selbst Nichtglaeubiger.


    Herzlich, B.

  • @ nimue,


    eine Entschuldigung auch von meiner Seite. :redface: Ich wollte dir nicht noch mehr unnötige Arbeit aufhalsen... Ich dachte ebenfalls, dass mein Kommentar unsere kleine Diskussion abschliessen sollte - doch wenn wir an dieser Stelle weiterfahren können geht das für mich in Ordnung... Vielen Dank für das umposten der Beiträge! :breitgrins:


    Zitat von "Bartlebooth"

    [...]aber so partikular finde ich den Diskurs eigentlich nicht. [...] aber dennoch ist die kirchliche Moral als soziale Kontrollinstanz doch sehr wirkmaechtig.


    Ich glaube, dass sich das Problem auf zwei verschiedenen Ebenen stellt: zuerst muss man zwischen der Institution, die gewisse Werte vermittelt (woraus wiederum soziale Normen abgeleitet werden können), und der sozialen Akzeptanz derselben unterschieden werden. Ich zweifle überhaupt nicht an, dass die Wertevorstellungen der katholischen Kirche einen bedeutenden Einfluss auf die Gesellschaft haben, respektive gehabt haben. Der zentrale Punkt dabei ist, dass Prozesse sozialer Veränderungen erhebliche Auswirkungen auf den Stellenwert von Normen und Werten haben können. Mit anderen Worten: es herrscht ein stetiger Wertewandel - und dieser zeigt sich gerade besonders stark bei katholischen (oder generell religiösen) Vorschriften, die das Verhalten betreffen. Ohne Zweifel bestimmten katholische Wertevorstellungen lange Zeit das gesellschaftliche Zusammenleben. Durch die Machtposition der Kirche wurden diese Werte durch Sozialisation kontinuierlich an die folgenden Generationen weitergegeben, wodurch sie allgemein anerkannt wurden und in einem moralisches System verankert wurden. Dieses unterlag demnach ebenfalls einer sozialen Kontrolle. Doch seit den späten 60er Jahren kam es zu einer fortschreitenden Schwächung traditioneller Sozialisationsinstanzen, d.h. in erster Linie der katholischen Kirche. Deren Normenkatalog wurde damals und wird meines Erachtens vor allem heute zusehends als unzeitgemäss betrachtet. Das Beispiel der Kondome, das du angebracht hast, ist meiner Meinung ein gutes Exempel, anhand dessen man sowohl die Partikularität katholischer Wertevorstellungen als auch den zunehmenden Wertewandel aufzeigen kann.


    Die zweite Ebene schliesst direkt an die Problematik der ersten an: dabei geht es um die Frage, aus welchem Blickwinkel man den Gegensatz Universalität/Partikularität betrachtet. Versetzt man sich in die Situation der Kirche, ist der einzig mögliche Schluss, der aus dem kirchlichen Dogma gezogen werden kann, die Universalität des katholischen Glaubens. Und dieser gilt nicht nur für Katholiken, sondern darüber hinaus auch für Anders- oder Nichtgläubige. Auch wenn der katholische Glauben von der Kirche als universell angesehen wird, bedeutet das noch lange nicht, dass er auch als solcher aufgefasst wird. Wer der (katholischen) Kirche beispielsweise nicht angehört, für den sind katholische Normen und Werte nicht verbindlich. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht beckmesserisch.. :zwinker: Auch ich halte mich an Normen und Werte wie "Du sollst nicht töten". Doch inwiefern gehen diese grundlegenden Wertevorstellungen, die heute noch unser soziales Handeln bestimmen und der sozialen Kontrolle unterliegen, noch auf die Kirche zurück?


    Liebe Grüsse,
    Thot


    PS: Macht Spass diese Diskussion! :klatschen:

    Die Freiheit der Meinung setzt voraus, dass man eine hat.
    <br />Heinrich Heine

  • Hallo Thot,


    zu deinem ersten Punkt: Da haben wir eine andere Wahrnehmung. Ich denke, im Moment ist 68 sehr diskreditiert und es laesst sich etwa seit den spaeten 90ern eine gesellschaftliche Rueckwendung zur Tradition erkennen. Ich nenne nur die Flut der Artikel und Buecher ueber die "jungen Alten", die sich angeblich weigern, Verantwortung zu uebernehmen. Auch die Emanzipation hat an fahrt verloren, es war dazu letzte Woche ein interessanter Artikel im Prospect. Jede/r soll wieder seinen eindeutigen Platz in der Gesellschaft haben, die Alten sollen alt sein, d.h. sie sollen keine Nike-Turnschuhe tragen (Bsp. stammt aus der "Zeit", ich rede hier also von angeblichem Qualitaetsjournalismus), Frauen sollen Kinder bekommen und nicht arbeiten (wg. der Rente).


    Die Kondome waren ja ein Bsp. fuer den groesseren Rahmen. Dass sich hier niemand vom Papst verbieten laesst, Kondome zu benutzen, das sehe ich schon auch so. In Afrika ist das aber offenbar anders. Und hat toedliche Folgen.
    Fuer Westeuropa galten die anderen beiden Bsp.e, das zweite fuer Glaeubige, das erste fuer Nichtglaeubige; in diesem wird die Moral ueber eine soziale Kontrolle durchgesetzt. Da ist es dann egal, ob die alleinerziehende Mutter in Hintertupfingen katholisch ist. Wahrscheinlich wird sie doppelt geschnitten, wenn sie es nicht ist. Es ist schon klar, dass ich als nichtkatholischer Grossstadtbewohner dem Universalitaetsanspruch der Kirche nicht folgen muss. Aber meine persoenliche Ueberzeugungen aendern eben meist nichts an der Wirkmaechtigkeit einer Moralvorstellung.


    Gruesse, B.