Nagib Machfus - Die Midaq-Gasse

Es gibt 19 Antworten in diesem Thema, welches 8.736 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

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    Hallo ihr Lieben,


    ich gebe Euch hiermit das Buch zur Leserunde frei! Viel Spaß! :winken:


    Angemeldet hatten sich:


    Pensiero
    finsbury
    Saltanah


    Inhalt:


    Onkel Kamil, der Bonbonverkäufer, al-Hilu mit seinem Friseursalon, der alte Dichter, den keiner mehr hören will, seit es das Radio gibt - jeder sucht seinen eigenen Weg in die Zukunft. Umm Hamida, wandelndes Lexikon aller Missetaten, hat täglich mehr zu erzählen über die Geheimnisse der Gasse, denn eine Welt ist in Unordnung geraten.Nagib Machfus, geboren 1911, ist einer der bedeutendsten arabischen Autoren der Gegenwart. 1988 wurde ihm der Nobelpreis verliehen.


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Danke Nimue!


    Nun denn, dann ein paar Zeilen von mir:
    Habe heute morgen um 3.30 Uhr angefangen - war auch noch anständig wach, aber trotzdem haben mich in den ersten 5 Kapiteln die Personen (und die Tatsache, dass ständig neue hinzukommen) etwas verwirrt, so dachte ich am Anfang Kamil und al-Hilu wären in etwa gleichaltrig. Bis jetzt hat sich noch kein stimmiges "ganzes" Bild ergeben, oder anders ausgedrückt, momentan nehme ich eher einzelne "Wohnungen" auf als die ganze "Gasse".


    Anderer Gedanke: Ist die Midaq-Gasse die Lindenstraße des Orients? Leider sind meine Serienkenntnisse da nicht profund genug... :breitgrins:


    Die Figur des Zita ist, wenn vielleicht etwas überzeichnet (?vorläufige Annahme?), doch ziemlich gruselig. :entsetzt:


    Soweit so gut, ma'a salâma, Konstantin

    La vérité, dit-on, sortait d&#39;un puits. <br />La Muse, si vous le permettez, sortira d&#39;un tonneau.

  • Zitat von "finsbury"

    Hallo Pensiero und Saltanah,
    kann leider erst morgen anfangen, bin im Jobstress!
    :winken: finsbury


    Ich werd' dann heute mal nicht so weit vorauslesen, wenn ich das überhaupt noch tue, könnte auch etwas mehr für die Uni machen :rollen:


    Servus bis morgen, Konstantin

    La vérité, dit-on, sortait d&#39;un puits. <br />La Muse, si vous le permettez, sortira d&#39;un tonneau.

  • Auch ich bin noch ziemlich verwirrt.
    Allerdings haben sich doch einige meiner anfänglichen Fragen geklärt, vor allem diese: "Wann spielt der Roman?" Ich war davon ausgegangen, dass es ungefähr zur Entstehungszeit des Buches wäre, also Ender der 70er, und dann steigt einer in eine Pferdedroschke, und ein neu angeschafftes Radio bringt Probleme. Ich fühlte mich wie ein einziges grosses Fragezeichen.
    Auch altersmäßig wird im Laufe der Zeit einiges klarer. Abbas der Barbier ist knapp 25, Hussein Kirsha und Hamida 22, und damit wohl die jüngsten Bewohner der Gasse, zumindest von den bisher aufgetauchten. Wo sind eigentlich alle Kinder? Eigentlich müsste doch die Gasse von Kindern nur so wimmeln.
    Zita finde ich etwas extrem dargestellt, nicht so sehr, was seinen makaberen "Beruf" angeht, sondern mehr die Schilderung seines Aussehens und seines Schuppens. Und auch die anderen Personen kommen mir etwas übertrieben vor.
    Insgesamt weiß ich noch nicht so recht, was ich von dem Buch halten soll.


    Nur eins ist klar: mir mangelt es an Hintergrundwissen, um das Buch richtig beurteilen und auch genießen zu können. Ich habe keine Ahnung von der ägyptischen Geschichte (wer waren die Fatimiden? die Mamelucken? okay, von Sultanen habe ich immerhin schon mal gehört).
    Und wie waren die Lebensbedingungen in Kairo während des zweiten Weltkrieges?
    Aber das mangelnde Wissen ist ein Problem, das ich immer bei der Lektüre "exotischer", d. h., nicht-mitteleuropäischer bzw. nicht-nordamerikanischer Bücher habe. Was nicht bedeuten soll, dass de Bücher dadurch schlechter werden, nur schwerer zu lesen.


    Bis dann,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Zitat von "Saltanah"

    "Wann spielt der Roman?" Ich war davon ausgegangen, dass es ungefähr zur Entstehungszeit des Buches wäre, also Ender der 70er, und dann steigt einer in eine Pferdedroschke, und ein neu angeschafftes Radio bringt Probleme.


    Wegen der Szene mit dem Scheich, der nicht mehr im Kaffeehaus den Koran rezitieren soll, und weil der aktuelle "Krieg" genannt wird, dachte ich ja, der Roman würde während des ersten Weltkrieges spielen, naja, die "Auflösung" kam ja irgendwann...


    Zitat von "Saltanah"

    Zita finde ich etwas extrem dargestellt, nicht so sehr, was seinen makaberen "Beruf" angeht, sondern mehr die Schilderung seines Aussehens und seines Schuppens. Und auch die anderen Personen kommen mir etwas übertrieben vor.


    Das ist mir auch aufgefallen, auch die beiden Frauen, oder dass die Bäckersfrau ihren Mann verprügelt wirkt ein bisschen als ob man etwas überzeichnete "Bauerntheater-Charaktere" verwendet hätte :breitgrins: - mal sehen, wie es weitergeht...


    Zitat von "Saltanah"

    Nur eins ist klar: mir mangelt es an Hintergrundwissen, um das Buch richtig beurteilen und auch genießen zu können. Ich habe keine Ahnung von der ägyptischen Geschichte (wer waren die Fatimiden? die Mamelucken? okay, von Sultanen habe ich immerhin schon mal gehört).
    Und wie waren die Lebensbedingungen in Kairo während des zweiten Weltkrieges?


    Also ich kann vielleicht mit ein paar Stichpunkten nachhelfen:
    Die Fatimiden in Kairo waren ein Herrschergeschlecht, das von etwa 950 bis 1171 (da hat Saladin die Fatimiden gestürzt). Die Legitimation führten die Fatimidenherrscher auf ihre Verwandtschaft mit dem Propheten zurück (seine Tochter Fatima war mit Ali, dem vierten rechtgleiteten Kalifen verheiratet). Deswegen gibt es auch die Bezeichnung Aliden. Mit dem Streit Ali/Mu'awiya trennte sich ja der Islam in Schia/Sunna. Die somit schiitischen Fatimiden waren in ihrer Zeit das mächtigste Herrscherhauf (mächtiger als die "eigentlichen" Herrscher, die Abbasiden in Bagdad). Unter den Fatimiden wurden große Teile Nordafrikas eingenommen, auch Syrien und Palästina, und, speziell natürlich für die Ägypter wichtig: neben der alten Stadt Fustât wurde ein neues Viertel al-qahira gegründet, das der Stadt Kairo dann den Namen geben sollte. Ach ja und die Azhar-Universität haben sie auch noch gegründet.


    Die Fatmiden wurden von den Ayyubiden verdrängt, diese dann 1250 von den Mamluken - ursprünglich türkische Militärsklaven, die in Ägypten bis 1517 herrschten - dann wurden sie wiederum von den Osmanen gestürzt (unter Selim I. oder Süleyman dem Prächtige... einer von beiden wars jedenfalls...).


    Wie das Leben während des 2. Weltkriegs war... Grobe Rahmenpunkte sind:
    - seit 1922 unabhängig (davor zwar offiziell dem Osmanischen Reich zugehörig, defacto aber unter britischer Kolonialherrschaft)
    - Monarchie (König Faruq seit 1936)
    - sehr landwirtschaftlich geprägt (seit der Herrschaft der Engländer sehr viel Baumwolleanbau)
    - im krassen Gegensatz zum Land dann das Leben in den Städten, vor allem Alexandria, aber auch Kairo. Sehr viele Fremde, vor allem Griechen, Italiener, aber auch Franzosen, Juden - absolut multikulturelles Klima seit Beginn des Jahrhunderts, die "Kultur" des Westens hält in gewissen Bereichen Einzug (Oper etc.), wird aber auch modifiziert
    - zusammen mit Beirut wird Kairo/Alexandria zum klaren kulturellen Zentrum des Nahen Ostens
    - mit der Unabhängigkeit hatte Ägypten den Briten besondere Rechte im Kriegsfalle eingeräumt, so kommt es, dass mit dem zweiten Weltkrieg Ägypten im Prinzip wieder unter britische Herrschaft kommt


    Naja, und was Machfus mit dem Radio schreibt, das den Koranrezitator ersetzen soll, solche Szenen hat es sicher wirklich gegeben, allerdings mindestens schon 20 Jahre früher (wenngleich eben nicht durch Radio, sondern Plattenspieler). Der erste Radiosender "Studio misr" (misru = Ägypten auf arabisch) macht, glaub ich, 1935 auf. Unübertroffneer Star dieser Zeit (bis hinein in die 70er Jahre) ist die Sängerin Umm Kulthum. Und weil ich über die noch eine Hausarbeit schreiben muss, höre ich jetzt hier mal auf...


    Mit den allerbesten Grüßen, Konstantin

    La vérité, dit-on, sortait d&#39;un puits. <br />La Muse, si vous le permettez, sortira d&#39;un tonneau.

  • Hallo Pensiero,
    Danke für die Erklärungen. Etwas Hintergrundwissen macht doch vieles verständlicher.
    Apropos Mamluken: Ich lese das Buch ja auf schwedisch, einer Sprache, die ich sehr gut beherrsche. Daher kenne ich auch das (ziemlich ungebräuchliche) schwedische Wort "mamelucker". Bedeutung: lange Unterhosen für Frauen. Ich glaube, ich weiß, wie diese Bedeutung entstanden ist.
    Das nur so ganz nebenbei. Bin noch nicht dazu gekommen, weiterzulesen.


    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Zitat von "Saltanah"

    es ungefähr zur Entstehungszeit des Buches wäre, also Ender der 70er,


    Hallo ihr beiden,
    habe leider erst drei Seiten geschafft und muss gleich noch weg, komme erst morgen Nachmittag ein bisschen zum Lesen.


    Nur kurz zum Erscheinungsdatum: Meines Wissens ist der Roman 1947, also kurz nach dem 2. WK erschienen und darauf wird ja auch gleich zu Anfang (Bomben) angespielt. Weiteres morgen.
    Danke auch für die ausführlichen Erläuterungen, Konstantin.


    HG
    finsbury

  • Hallo ihr beiden,


    nun bin ich ein bisschen vorangekommen, abgeschlossen mit Kapitel 5.
    Auf euren Bösewicht bin ich schon gespannt, der tauchte bei mir noch nicht auf.
    Mir gefällt der Roman bisher verhältnismäßig gut, die Atmosphäre wird glaubwürdig vermittelt und man fühlt sich in der Gasse anwesend. Vorher habe ich von Machfus die Kairo-Trilogie gelesen, die mir noch viel besser gefallen hat, weil ich finde, dass man anhand von Familienromanen besonders gut den gesellschaftlichen Wandel und die unterschiedlichen Lebenseinstellungen schildern kann.


    Die Midaqgasse spielt meiner Ansicht nach und übereinstimmend mit den Texthinweisen zwischen 1943 und 1945. Italien hat bereits kapituliert, wird aber im Norden noch von der deutschen Armee besetzt, der Afrikafeldzug von Rommel ist gerade gescheitert, die britische Armee als Teil der Allierten aber noch in Alarmbereitschaft. Hasan glaubt ja, dass der
    Krieg noch ewig dauert. Ich weiß nicht, ob er im Buch noch offiziell zu Ende geht.
    Bisher finde ich, dass Machfus mit den männlichen Charakteren deutlich netter umgeht als mit den weiblichen: Die sind ja wahre Megären, Klatschbasen oder Zicken. Bin mal gespannt, ob das so bleibt.


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen,


    muss gestehen, dass ich nicht an mich halten konnte, und jetzt schon fertig mit dem Lesen bin.
    So richtig bin ich mir noch nicht im Klaren, was ich davon halten soll, eigentlich hat es mir sehr gut gefallen, aber mindestens in den ersten beiden Dritteln konnte ich diesen schon angesprochenen Lindenstraßen-Eindruck nicht recht ganz loswerden. Das Schema ist doch sehr ähnlich:


    Person A verbindet eine Geschichte/Handlung mit Person B,
    diese wieder etwas mit Person C, diese mit Person D und selbige wieder mit A etc...


    Das Ende fand ich allerdings - vielleicht nicht spannend (ich hatte schon ziemlich früh dieses Ende erwartet) - aber auf jeden Fall fesselnd.


    Zitat von "finsbury"

    Bisher finde ich, dass Machfus mit den männlichen Charakteren deutlich netter umgeht als mit den weiblichen: Die sind ja wahre Megären, Klatschbasen oder Zicken. Bin mal gespannt, ob das so bleibt.

    Das hätte ich jetzt auch noch schreiben wollen, ich denke, daran ändert sich im Grunde genommen nichts mehr, es wird eher noch schlimmer. Ob Umm Husain eine Ausnahme ist, auch eher nicht, oder?


    Verblüfft hat mich, dass Machfuz mit Themen, wie Homosexualität (und dann mit der Sache aus dem 23. Kapitel, ich schreibs mal noch nicht, um nicht jedwede Spannung vorwegzunehmen :breitgrins: ) ziemlich offen umgeht, beides wird ja auch explizit im "Wortlaut" genannt und nicht irgendwie wie nur beschrieben.


    Eventuell hätte man ein paar Personen weglassen können(?), allerdings wäre dann m.E. dieser "Gassen-Charakter" nicht aufgekommen. Also vielleicht muss es ja auch Nebenfiguren geben, wahrscheinlich wollte Machfuz aber gezielt alle Figuren als Hauptfiguren und keine als Nebenfigur darstellen *vermut*.


    Soweit von mir, viele Grüße, Konstantin

    La vérité, dit-on, sortait d&#39;un puits. <br />La Muse, si vous le permettez, sortira d&#39;un tonneau.

  • Hallo, ihr beiden,


    so so Konstantin, du bist schon fertig... . Kann ich aber gut verstehen, ist ja nicht umfangreich und flüssig zu lesen. Leide habe ich mi Moment ganz wenig Zeit. Deshalb habe ich auch erst ein Drittel durch, ich bin gerade bei der Aussprache zwischen Kirscha und Radwan al-Husaini.


    Auch ich finde es äußerst erstaunlich, dass in einem Buch aus den vierziger Jahren und dann auch noch in einem islamischen Land veröffentlicht, so offen über Homosexualität gesprochen wird. Weiß von euch beiden jemand, wie es überhaupt mit der Haltung des Islam in diesem Zusammenhang aussieht?


    Zita und seine Geschäfte haben übrigens fast dickenssche Qualitäten, wie ich finde.

    Saltanah,
    wie kommst du darauf , das Buch auf Schwedisch zu lesen. Beherrschst du die Sprache abstammungsmäßig oder erlernt?


    HG
    finsbury

  • @ finsbury,


    ich lebe in Schweden, und komme von daher an deutsche Bücher nur schwer ran. Schwedisch habe ich zwar erst als Erwachsene gelernt, kann es aber trotzdem richtig gut. Lesen geht mittlerweile fast so schnell wie auf deutsch, und auch die Nuancen kriege ich weitestgehend mit. Also habe ich mir das Buch nur schnell aus der Bibliothek ausgeliehen, als ich sah, dass es eine Leserunde dazu gibt.


    Im Machfus (der hierzulande übrigens Mahfouz heisst) bin ich allerdings auch noch nicht weitergekommen, habe aber vor, ihn am Wochenende durchzulesen.
    Leider habe ich keine Ahnung, wie die Einstellung zu Homosexualität im Ägypten der 40er Jahre war. In einigen islamischen Ländern ist Homosexualität ja verboten, aber so weit ich weiß, gibt es da große Unterschiede, und wie es vor 60 Jahren in Ägypten gewesen sein könnte, darüber möchte ich nicht anfangen zu spekulieren. Über Informationen würde ich mich freuen.


    Grüße, Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Saltanah und Konstantin,


    bin jetzt fertig.
    Mir hat das Buch recht gut gefallen: Deinen Vergleich mit der Lindenstraße, Konstantin, wenn ich diese auch nur in ihren Anfängen zwei oder dreimal gesehen habe, finde ich sehr passend.


    Insgesamt finde ich den Roman moderner als die Kairotrilogie, wobei die letztere mich persönlich mehr berührte.
    Die Midaq-Gasse hat etwas Satirisches an sich: Die Charaktere sind eigentlich alle überzeichnet. Deshalb konnte ich auch nicht wirklich mit einer der handelnden Personen warm werden. Das war aber sicherlich auch nicht die Absicht des Autors.


    Neben der Stellung des Islam zur (Homo)sexualität wüsste ich auch gerne, was für eine heilige Frau und heilige Familie es im Islam gibt, die Scheich Darwisch ständig im Munde führt.


    Vielen Dank für deine Aufklärung, Saltanah: Ist Machfuz in Schweden bekannter als bei uns? Hier taucht er nicht häufig in den Buchhandlungen auf.


    Da ich ab morgen für fünf Tage auf Dienstfahrt an der Nordsee bin, euch beiden erstmal ein herzliches Dankeschön für die (Mini-)Leserunde. Vielleicht treffen wir uns woanders wieder.


    HG
    finsbury :winken:

  • Auch ich bin mittlerweile mit dem Buch fertig. Gefallen hat's mir nicht so recht, die Figuren waren doch arg überzeichnet - die Frauen noch mehr als die Männer -, und den Lindenstraßenvergleich finde ich sehr treffend.
    Teilweise habe ich mich gefragt, ob meine Abneigung vielleicht an der Übersetzung liegen könnte, glaube das aber doch nicht so recht.


    Konstantin, ich meine in einem anderen Thread gelesen zu haben, dass du arabisch studierst. Hast du das Buch im Original gelesen?


    Finsbury, Mahfouz ist hier auch mittlerweile wieder in Vergessenheit geraten. Nachdem er 88 den Nobelpreis bekommen hatte, wurden viele seiner Bücher übersetzt und die 3 (oder so) bis dahin übersetzten wieder neu aufgelegt. Zur Zeit ist allerdings kein einziges seiner Bücher im Handel erhältlich, was aber auch an der hiesigen sonderbaren Sitte liegt, alle 3 Jahre alten Bücher zu verramschen. Ältere Bücher sind so gut wie nicht erhältlich, außer in Antiquariaten und Bibliotheken. Ein Blick in den Bibliothekskatalog zeigte mir übrigens, dass von den ca. 25 vorhanden Exemplaren der Midaq-Gasse nur 2 ausgeliehen sind, eines davon von mir.


    Danke euch beiden für die Leserunde.


    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Saltanah und finsbury,


    erstmal sorry, dass ich die letzten Tage nichts von mir hören hab lasse, aber irgendwas stimmte mit meinem Browser nicht und mich hat nichts auf die neuen Beiträge aufmerksam gemacht... Normalerweise wackelt dann immer ein oranges Buch :zwinker:


    Außer der Midaq-Gasse jetzt habe ich von Machfuz nur zwei weitere Bücher angefangen, die Tausendunderste Nacht (glaube, dass es so heißt) und den ersten Band der Kairener Trilogie. Ersteres hat mir nicht sehr zugesagt, drum liegt es momentan verstaubend neben meinem Bett. Das "Zwischen den Palästen" hat mir eigentlich schon ganz gut gefallen (auch bis jetzt besser als die Midaq-Gasse), allerdings habe ich es in Bamberg vergessen, d.h. ich kann es erst Freitag mitnehmen, aber vielleicht ist es grade in einem Umzugskarton. Durchausmöglich, dass ich es nicht finde :sauer: .


    Zitat von "finsbury"

    Die Charaktere sind eigentlich alle überzeichnet. Deshalb konnte ich auch nicht wirklich mit einer der handelnden Personen warm werden. Das war aber sicherlich auch nicht die Absicht des Autors.

    Ja, da kann ich Dir eigentlich nur zustimmen. Machfus wollte wohl das "quirlige" (?) Bild der Gasse aufzeichnen, ein Momentbild, aber ob das so 100% gelungen ist, weiß ich nicht. Ich erinnere mich an einige Stellen aus Zorn des Meeres von Kemal Yasar, der das auch versucht, allerdings mit Bewusstseinsstrom und deutlich "moderner" in der Darstellung, ich denke, das wird dem Versuch mehr gerecht.


    Zitat von "finsbury"

    Neben der Stellung des Islam zur (Homo)sexualität wüsste ich auch gerne, was für eine heilige Frau und heilige Familie es im Islam gibt, die Scheich Darwisch ständig im Munde führt.

    Also ich hab mich mal etwas schlau gemacht, allerdings stehen meine "guten" Lexika dazu, genau, auch in Bamberg. Leider konnte ich nichts zu Homosexualität speziell in Ägypten speziell in den 40er Jahren finden.
    Generell lässt sich sagen, dass H. im Koran an sieben Stellen explizit verurteilt wird. Die malikitische Rechtschule setzt für einvernehmlichen Analverkehr zwischen erwachsenen Männern die Steinigung beider als Strafe an. Allerdings tritt H. in islam. Ländern aufgrund der monosexuellen (habe das Wort noch nie gelesen...) Welt, in der die jungen Männer aufwachsen relativ häufig auf. Malek Chebel bezeichnet dies als Homosensualität. Also da die jungen Männer abgesondert von den Frauen aufwachsen, kommt es unter ihnen Handlunsgweisen, die bei uns in Europa schon als eindeutig homosexuell ausgelegt werden könnten. In islam. Ländern kann man ja sehr häufig beobachten (auch heute noch), dass Männer einander den Arm um die Schulter legen oder sich an der Hand fassen, wenn sie sich miteinander unterhalten. Daraus kann noch "näherer" Umgang entstehen, aber mit einem gewissen Alter ist das dann meistens zu Ende.
    Päderastie tritt häufiger auf als H. zwischen zwei Erwachsenen. Dabei ist es so, dass der Aktive und/oder Ältere in der gesellschaftlichen Stellung nicht so tief absinkt wie der Passive (das wäre für einen muslimischen Mann, wenn es ihm nicht wie in der Midaq-Gasse egal ist, die größte Schande). Wer einen anderen so beschimpft, wird - gemäß der malikitschen Rechtschulmeinung - mit 80 Peitschenhieben bestraft.
    Soweit Malek Chebels Enzyklopädie Die Welt der Liebe im Islam. Vielleicht steure ich nochmal eine kurze Ergänzung an, wenn ich in Bamberg an bessere Bücher komme.
    Ägypten war im 20. Jahrhundert ein relativ aufgeschlossenes Land, was natürlich nichts an den "festen" Strafen und dem generellen Verbot im Koran ändert. Trotzdem hätte es wohl in anderen Ländern deutlich strenger ausgesehen, z.B. in Saudi-Arabien, auch wenn Chebel H. als "in der Tradition der Beduinen verwurzelt" beschreibt.


    Zu heiliger Familie: Ich weiß leider nicht mehr (kein gutes Zeichen, wenn ich mich eine Woche nach der Lektüre schon nicht mehr erinnern kann...), wo und in welchem Kontext das genau auftrat. Aber ich denke, es handelt sich um Muhammad, Fatima, Ali, Husain & Hasan.
    Fatima ist ja die Tochter Muhammads, die mit dem vierten Kalifen Ali verheiratet war, dessen Ermordung zur Spaltung in Sunna und Schia geführt hat. Sohn Husain wurde 680 in der Schlacht von Kerbala (heute Iraq) grausam getötet. Er wird seitdem von den Schiiten Quasi als "Heiliger" verehrt, ähnlich wie auch Fatima. Jedes Jahr am Tag der Ermordung geißeln sich viele Schiiten im Andenken an Husain, das gibts ja immer schön in den Nachrichten zu sehen *G.


    Zitat von "Saltanah"

    Konstantin, ich meine in einem anderen Thread gelesen zu haben, dass du arabisch studierst. Hast du das Buch im Original gelesen?

    Schön wär's. Ich habe zwar jetzt schon drei Semester jeweils 6stündigen Unterricht hinter mir, aber bislang war das eigentlich nur Grammatik. Meinem momentanen Niveau entsprechend würde ich wohl bis zur Rente brauchen, bis ich so ein Buch gelesen hätte. Aber ich bin froher Dinge und habe einem Freund, der den nächsten Monat in Istanbul und Damaskus ist, eine fette Liste mit Einkaufsbücherwünschen mitgegeben, da war die Midaq-Gasse auf Arabisch auch dabei. Aber ich hege die Vermutung, dass ich (nach nur einem Semester) türkische Bücher schneller und besser in der Originalsprache lesen könnte als arabische...


    So, ich werde dann mal noch ein bisschen was für meine Prüfung am Donnerstag lernen (Osmanenabwehr unter Karl V.)...


    Bis demnächst mal wieder, Konstantin

    La vérité, dit-on, sortait d&#39;un puits. <br />La Muse, si vous le permettez, sortira d&#39;un tonneau.

  • Hallo, ihr beiden,


    von der Nordsee zurück möchte ich mich noch für die Antworten bedanken.
    @ saltanah,


    :entsetzt::entsetzt: man bekommt keine schon länger aufgelegten Bücher in Schweden?! Da ist ja besonders für Klassiker-Liebhaber ziemlich schrecklich.


    @ Konstantin,


    danke für die besonders ausführliche Antwort :blume: . Sehr interessant, was du schreibst. Kannst du eigentlich eine kleine, neutrale und gut lesbare Einführung in die Welt des Islam und/oder die arabische Welt empfehlen? Ich lese hin und wieder Romane aus den entsprechenden Ländern und ein bisschen Hintergrundwissen wäre da schon hilfreich.


    HG
    finsbury

  • Zitat von "finsbury"


    :entsetzt::entsetzt: man bekommt keine schon länger aufgelegten Bücher in Schweden?! Da ist ja besonders für Klassiker-Liebhaber ziemlich schrecklich.


    Das stimmt, zumindest wenn man (wie ich) die Bücher selbst besitzen will. Aber es gibt sehr viele Antiquariate, und vor allem sind die Bibliotheken sehr gut ausgestattet. Zum Beispiel will ich ja im Klassikerforum die Leserunde zu Doktor Faustus mitmachen, besitze das Buch aber nicht. Also ein Besuch in der Stadtbücherei:
    Thomas Mann: Doktor Faustus, Originalausgabe von 1947, 4 Exemplare
    Thomas Mann: Gesammelte Werke in 12 Bänden, Band 6 Doktor Faustus
    Thomas Mann: Dhoktor Faoustous (griechisch)
    T. M.: Doctor Faustus (englisch)
    T. M.: Doctor Faustus (spanisch, 2 verschiedene Ausgaben)
    T. M.: Doktor Faustus (schwedisch, als Buch und Hörbuch)
    naja, und dann noch eine russische, polnische und finnische Übersetzung.
    Außerdem noch "Die Entstehung des Doktor Faustus" auf deutsch und schwedisch. Nicht schlecht, was?


    Trotzdem ist es ätzend, dass die Bücher so schnell vom Markt verschwinden. Da gilt es, sofort auch das zu kaufen, was eventuell mal in 10 Jahren von Interesse sein könnte, was natürlich ein rasantes SUB-Wachstum zur Folge hat.



    Noch mal zurück zu Mahfouz:
    Was mir besonders aufgefallen ist, ist der ausgeprägte Hang zum (gerne böswilligen) Klatsch und Tratsch. Das scheint ja wirklich allgemeinmenschlich sein, wenn ich da an mein Heimatkaff denke, und vor allem eine Nachbarin, die eine Klatschzentrale betrieb. (Multiplikatorin nennt sich das glaube ich auf wissenschaftlich) Und eben habe ich Forsters "A Passage to India" ausgelesen, wo ebenfalls reichlich geklatscht wurde, sowohl unter den Briten als auch in der einheimischen Bevölkerung. Auch das mehr oder weniger offene Ergötzen am Unglück Anderer habe ich wiedererkannt. Leider.
    Überhaupt hat mich bei der Lektüre überrascht, wie wenig "fremdartig" das Buch im Großen und Ganzen war. Mit ein paar kleinen Änderungen könnte das Buch auch in europäischen Städten spielen, mit Ausnahme von Zitas Gewerbe vielleicht. Etwas entsprechendes kenne ich zumindest aus der europäischen Literatur nicht. Obwohl, wie schon einer von euch schrieb, in Charles Dickens würde er schon passen.


    Grüße,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Zitat von "Saltanah"

    ...naja, und dann noch eine russische, polnische und finnische Übersetzung.
    Außerdem noch "Die Entstehung des Doktor Faustus" auf deutsch und schwedisch. Nicht schlecht, was?


    Das ist allerdings toll: Damit können sich deutsche Bibliotheken, insbesondere Stadtbüchereien, nicht im Entferntesten messen... .
    Aber nicht umsonst haben die Skandinavier im PISA-Test viel besser abgeschnitten! :bang:

    Zitat von "saltanah"


    Trotzdem ist es ätzend, dass die Bücher so schnell vom Markt verschwinden. Da gilt es, sofort auch das zu kaufen, was eventuell mal in 10 Jahren von Interesse sein könnte, was natürlich ein rasantes SUB-Wachstum zur Folge hat.


    Das schaffe ich auch auf dem längerlebigen deutschen Markt: Ich habe immer Angst, dass gerade dieses Werk so bald nicht mehr aufgelegt wird und greife dann zu, das führt zu einem ebensolchen, wenn nicht schlimmeren SUB.


    Ich lese gerne auch mal andere Romane aus dem Orient und die Grundzüge sind überall die Gleichen: Ob Indien, China, Ägypten, Syrien oder Israel /Palästina.
    Abgesehen von politischen und religiösen Besonderheiten sind wir Menschen eben im Guten wie im Bösen alle ganz ähnlich gestrickt, kein Wunder, wenn man bedenkt, dass wir zum großen Teil mit dem Homo Sapiens der ersten
    Stunde nächstens verwandt sind.


    HG
    finsbury

  • Hallo ihr beiden,


    habe meinen Umzug mehr oder minder überlebt... Habe jetzt ein Zimmer nur mit Bücherregalen (ok, um ehrlich zu sein... es ist das winzigste Kämmerchen der Welt und es passt, um genau zu sein, ein80cm-Bücherregal rein... - aber ich überlege mir noch, ob ich nicht ein Türschild mit "Zur Bibliothek" hinmachen soll...).


    Zitat von "finsbury"

    Kannst du eigentlich eine kleine, neutrale und gut lesbare Einführung in die Welt des Islam und/oder die arabische Welt empfehlen?

    Also eine richtige Einführung kenne ich nicht, ich denke aber, dass so etwas als "Wissen in der Beck'schen Reihe" (mit dem schrecklichen Apostroph...) sicherlich erschienen ist und wie die meisten Bücher dieser Reihe auch zu empfehlen ist.


    Schau mal, ob es bei der Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de noch das Kleine Islamlexikon herausgegeben von "Wie-war-nochmal-der-Vorname..." (Ralf?) Elger gibt. Das ist eigentlich ganz gut gemacht vornehmlich von Bamberger Islamwissenschaftlern (mittlerweile wohnt sogar einer der Autoren in meiner WG *GGG). Außerhalb von bpb ist es auch erschienen, kostet halt dann mehr als 2Euro...
    Für die Frühzeit des Islam ist uneingeschränkt zu empfehlen: Rudi Paret: Muhammad und der Koran (die Koranübersetzung von Paret ist zudem die beste Übersetzung, wenngleich nicht die am flüssigsten zu lesende).
    Und zu arabischer Geschichte empfehlenswert: Bernad Lewis: Geschichte der Araber


    Sodala, schönen Abend noch, Konstantin

    La vérité, dit-on, sortait d&#39;un puits. <br />La Muse, si vous le permettez, sortira d&#39;un tonneau.

  • Zitat von "Pensiero"

    Hallo ihr beiden,


    habe meinen Umzug mehr oder minder überlebt... Habe jetzt ein Zimmer nur mit Bücherregalen (ok, um ehrlich zu sein... es ist das winzigste Kämmerchen der Welt und es passt, um genau zu sein, ein80cm-Bücherregal rein... - aber ich überlege mir noch, ob ich nicht ein Türschild mit "Zur Bibliothek" hinmachen soll...).


    Hallo Pensiero,
    herzlichen Glückwunsch dazu. Klar ist das eine Bibliothek, hat denn auch ein Lesesessel Platz?


    Zitat von "finsbury"

    Kannst du eigentlich eine kleine, neutrale und gut lesbare Einführung in die Welt des Islam und/oder die arabische Welt empfehlen?

    Zitat von "Pensiero"


    Schau mal, ob es bei der Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de noch das Kleine Islamlexikon herausgegeben von "Wie-war-nochmal-der-Vorname..." (Ralf?) Elger gibt. Das ist eigentlich ganz gut gemacht vornehmlich von Bamberger Islamwissenschaftlern (mittlerweile wohnt sogar einer der Autoren in meiner WG *GGG).
    Sodala, schönen Abend noch, Konstantin


    Herzlichen Dank :blume: , ich hab es über den Link sofort bestellt , zusammen mit Safranskis Schiller, den ich schon seit Längerem dort bestellen wollte. Die anderen Bücher hab ich mir notiert, aber das Lexikon reicht erstmal für den Anfang .


    HG :winken:


    finsbury