Margaret Atwood - Oryx and Crake

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    Margaret Atwoods Vielseitigkeit ist immer wieder erstaunlich. Nachdem sie mit dem Report der Magd 1985 schon einmal ein sehr duesteres Bild der Zukunft gemalt hat, folgte im Jahr 2003 eine weitere beunruhigende, aber voellig andersartige Dystopie: Oryx and Crake.


    Die Handlung beginnt in einer beinahe entvoelkerten Landschaft, in der der Protagonist Snowman zwar nicht das einzige menschliche Wesen ist, aber doch das einzige Wesen, das die Funktion alltaeglicher Gegenstaende wie einer Radkappe, einer Klaviertaste oder einer Limoflasche kennt. Befragt wird er nach der Funktion dieser Dinge von einer Schar kleiner Kinder, deren Naivitaet weit ueber das fuer dieses Alter gewoehnliche Maß hinauszugehen scheint.
    Nach und nach erfahren die Lesenden, was es mit den seltsamen wunderschoenen und gruenaeugigen Menschen auf sich hat, die Snowman einmal in der Woche einen gebratenen Fisch bringen, sich sonst aber, von einer Art religioeser Furcht bewegt, von ihm fernhalten. Nur ihre Kinder haben keine Scheu vor dem in ein altes Laken gewickelten sehr muede wirkenden Mann.


    Oryx and Crake ist Atwoods Auseinandersetzung mit der immer unuebersichtlicheren und unbeherrschbareren Technisierung der Welt. Zwei sogenannte Zukunftstechnologien stehen dabei im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: das Internet und die Biotechnologie.


    Atwood beschreibt die Bekanntschaft zwischen dem durchschnittlichen Schueler Jimmy (Snowman) und dem gleichaltrigen naturwissenschaftlichen Genie Glenn (Crake). Die beiden Jugendlichen vertreiben sich ihre freie Zeit vor allem mit dem Surfen auf illegalen, doch offenbar weit verbreiteten (kinder-)p.o.r.n.o.graphischen Seiten und mit bizarren interaktiven Computerspielen wie "Extinctathon", einem Spiel, in dem es um die Ausrottung von Lebensformen geht. Von diesem Spiel leiten sich auch die Namen der Protagonisten und somit der Titel des Buches her.


    Crake macht nach der gemeinsamen High-School-Zeit erwartungsgemaeß eine steile Karriere. Nach seiner Graduierung am renommierten Watson-Crick-Institute, beginnt er seine Arbeit fuer RejoovenEsense, eine raetselhafte biotechnologische Firma, und entwirft schließlich ein geheimes Projekt mit dem Namen "Paradice". Hierher holt er nicht nur Jimmy, der einmal fuer die Oeffentlichkeitsarbeit dieses Projektes zustaendig sein soll, sondern auch Oryx, eines der Maedchen, deren Missbrauch die Freunde in ihrer High-School-Zeit live im Internet mitverfolgt hatten.
    Wie sich das Verhaeltnis dieser drei Figuren entwickelt, was sich hinter dem geheimnisvollen "Paradice"-Projekt verbirgt und wie Crake ihm seinen ganz persoenlichen Stempel aufzudruecken versucht, ist hauptsaechlicher Gegenstand der zweiten Haelfte des Buches.


    Zwischendurch springt die Handlung immer wieder in die erzaehlte Gegenwart, wir folgen Snowman bei seinen taeglichen Verrichtungen und lernen einige der Gefahren der Welt kennen, in der er sich bewegt.
    Gerade diese letzten Passagen strahlen ein hohes Maß an Gleichgueltigkeit aus, es wird immer deutlicher, dass Snowman nicht wirklich in diese Welt gehoert, in der er nun ohne erkennbare Perspektive treibt.


    Atwoods Roman war fuer mich an manchen Stellen fast unertraeglich zu lesen. Gerade die Beschreibung des Geschaefts mit der Kinderp.o.r.n.o.graphie, die im Laufe der Handlung immer wieder aufgenommen wird, sind von einer fast bis zum Ueberdruss getriebenen Ausfuehrlichkeit. In der Verfolgung und der Beschreibung der Schluesseltechnologien dieser dem/r Leser/in doch sehr nah vorkommenden Zukunft liegen dabei allerdings auch die Staerken des Buches. Die Charaktere bleiben vergleichsweise blass. Strukturell ist das sehr einsichtig, denn sie erscheinen an vielen Stellen als das zwangslaeufige Personal einer Welt, die sich auf eine merkwuerdige Weise von ihren Bewohnern - oder sollte man sagen: Insassen? - abgekoppelt zu haben scheint.


    Und doch: Da die Staerke von Margaret Atwoods Buechern nicht zuletzt in den differenzierten Charakterbeschreibungen liegt, wirkte "Oryx and Crake" zwar nicht im eigentlichen Sinne enttaeuschend, aber doch etwas fade auf mich. Die Fokussierung auf den desillusionierten Snowman und die weitgehende Ausblendung der Innenansicht Crakes verschenken ein bisschen die Moeglichkeiten dieses Textes.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()

  • Danke für diese Rezi.

    Zitat

    Oryx and Crake ist Atwoods Auseinandersetzung mit der immer unuebersichtlicheren und unbeherrschbareren Technisierung der Welt. Zwei sogenannte Zukunftstechnologien stehen dabei im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: das Internet und die Biotechnologie.


    Genau aus diesem Grund interessiert mich das Buch auch so.


    Immerhin bin ich jetzt auch ein wenig auf den Inhalt, welcher nicht aus dem Klappentext erkennbar ist, vorbereitet.


    Aber nach "Der Report der Magd" muß ich wohl erst einmal was "leichteres" zu mir nehmen, sonst wird es mir zu unverdaulich
    :zwinker:

  • Hallo Bartlebooth!


    Nach "Der Report der Magd" fand ich "Oryx und Crake" auch etwas blass. Die Geschichte als solche war sehr nett erzählt, ist meiner Meinung nach aber nicht genug in die Tiefe gegangen. Die Charaktere kamen mir oft farblos vor und vieles wurde nur angerissen, wo ein wenig mehr Detail nötig war. Schade, aus dem Thema hätte man viel mehr machen können :sauer: Trotzdem bereue ich nicht, das Buch gelesen zu haben.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Kurzbeschreibung
    In einer gar nicht so fernen Zukunft, in einer Welt, die ständig von Umweltkatastrophen bedroht ist, leben Oryx und Crake. Der Meeresspiegel ist bereits dramatisch gestiegen und die Küstenstädte sind dem Wasser zum Opfer gefallen. Die Mehrheit der Menschen haust in den verfallenen Städten, in denen sich die Epidemien immer mehr auszubreiten drohen. Crake ist Wissenschaftler und mit der Entwicklung neuer Medikamente beschäftigt, die die Menschen immunisieren sollen. Aber Crake, ein Genie auf dem Gebiet genetischer Manipulation, verfolgt darüber hinaus ganz eigene Pläne. Ein Wettlauf gegen den Untergang der Menschheit beginnt ... In einem Roman von enormer Kraft und Ausstrahlung blickt Margaret Atwood in eine Zukunft, die sehr viel näher liegt, als man gerne glauben würde. Es ist eine Zukunft der Umweltkatastrophen. Die Menschheit hat, da die Meere dramatisch angestiegen sind, ihre großen Küstenstädte verloren. New New York ist in großer Entfernung von den drohenden Wassern des Atlantik neu erbaut worden. Die unglückliche neue Welt der Vereinigten Staaten besteht aus einer zweigeteilten Gesellschaft: den wenigen Privilegierten, die in streng bewachten Industriekomplexen leben, und den Massen, die in verfallenden Städten hausen. Oryx und Crake spielt in einem dieser Komplexe, einer Forschungsinstitution, in der Crake, ein Genie genetischer Manipulation, an der Entwicklung neuer Medikamente arbeitet, welche die Menschheit gegen die Epidemien im Gefolge der Umweltkatastrophen immunisieren sollen, aber er verfolgt darüber hinaus ganz eigene Pläne ...
    Wie der berühmte Report der Magd, dessen Bild eines neuen Fundam entalismus sich heute wie eine Prophezeiung liest, ist Oryx und Crake ein wundervoll intelligenter Blick in die Zukunft, und seine Schilderung des Wettlaufs gegen den Untergang der Menschheit macht ihn zu einem Roman von fast unerträglicher Spannung.


    Meine Meinung:


    Ich finde es ist fantastisch. Eine wunderbare Atmosphäre und sehr Spannend. Es zeigt eine interessante Perspektive auf eine mögliche Zukunft. Ich habs sehr gern gelesen.

  • Zu "Oryx und Crake" gibt es bereits einen Thread, hier


    :winken:

    Books are the ultimate Dumpees: put them down and they’ll wait for you forever; pay attention to them and they always love you back.<br />John Green - An Abundance of Katherines<br /><br />:lesewetter: Caprice

  • ups. muss ich wohl mal meine augen aufmachen. vielen dank.

  • Die Suche hilft auch. :zwinker:
    Aber ein hilfreicher Mod führt die Threads bestimmt zusammen.


    Aber ohne Deine Rezi wäre ich nicht auf das Buch aufmerksam geworden.
    Das ist auf meine Wunschliste gewandert.


    P. S.: Willkommen im Forum! :winken:


  • Atwoods Roman war fuer mich an manchen Stellen fast unertraeglich zu lesen. Gerade die Beschreibung des Geschaefts mit der Kinderp.o.r.n.o.graphie, die im Laufe der Handlung immer wieder aufgenommen wird, sind von einer fast bis zum Ueberdruss getriebenen Ausfuehrlichkeit. In der Verfolgung und der Beschreibung der Schluesseltechnologien dieser dem/r Leser/in doch sehr nah vorkommenden Zukunft liegen dabei allerdings auch die Staerken des Buches. Die Charaktere bleiben vergleichsweise blass. Strukturell ist das sehr einsichtig, denn sie erscheinen an vielen Stellen als das zwangslaeufige Personal einer Welt, die sich auf eine merkwuerdige Weise von ihren Bewohnern - oder sollte man sagen: Insassen? - abgekoppelt zu haben scheint.


    Und doch: Da die Staerke von Margaret Atwoods Buechern nicht zuletzt in den differenzierten Charakterbeschreibungen liegt, wirkte "Oryx and Crake" zwar nicht im eigentlichen Sinne enttaeuschend, aber doch etwas fade auf mich. Die Fokussierung auf den desillusionierten Snowman und die weitgehende Ausblendung der Innenansicht Crakes verschenken ein bisschen die Moeglichkeiten dieses Textes.


    Genau so hab ich das auch empfunden, das Buch ist echt das Gegenteil von Wohlfühllektüre, es beunruhigt und wühlt auf. Die Rohheit der Bevölkerung, der dargstellten Welt bezüglich Sexualität und Gewalt, zusammen mit den genetischen Veränderungen (Organschweine, gentechnisch veränderte Menschen u.ä.) haben mir schwer zugesetzt und ich hatte stellenweise echt Mühe weiterzulesen und es mir gefühlsmäßig halbwegs vom Leib zu halten. Mit den Charakterbeschreibungen erging es mir ebenfalls ähnlich wie Bartlebooth. Die gefundene Erklärung dafür finde ich interessant, so könnte es sein. Mir war es gleichzeitig aber fast lieber, daß ich mich in keinen der Haupt-Protagonisten länger hineinfühlen konnte, denn in die Gedanken und Entscheidungen die getroffen wurden, mag man sich auch nicht hineindenken.
    Obwohl das alles jetzt negativ klingt, läßt mich die Geschichte aber nicht los und ich werde, erschreckenderweise, auch immer wieder durch aktuelle Forschungsberichten, Zeitungsartikel, Nachrichtenberichte und ähnliches daran erinnert. Leise stellen sich dann die Nackenhärchen auf, wenn ich darüber nachdenke wie nah Atwoods Dystophie, so bewußt überspitzt und teilweise bitterböse satirisch sie auch ist, manchmal rückt. Ahnlich ergeht es mir von der Nachwirkung her eigentlich nur mit 1984 von George Orwell, wenn auch bezüglich anderer Themenbereiche.


    Das Buch wirkt definitv nach und genau deshalb hab ich mir jetzt, einige Monate nach Bd. 1, doch den 2. Band geholt und lese aktuell "Das Jahr der Flut" .



    EDIT:


    Inzwischen habe ich alle 3 Teile gelesen und trage mich mit dem Gedanken den ersten Band erneut zu lesen, ich glaub man hat dann nochmal einen ganz anderen Blickwinkel auf die Geschichte im 1. Band. Insgesamt finde ich die Triologie im Zusammenhang wirklich beindruckend, ich hab sie mit Spannung gelesen und sie wirkt lange nach.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • Ich habe vor einigen Tagen das ungekürzte Hörbuch gehört. Da ich bereits einige Atwood-Bücher kenne, wusste ich, worauf ich mich einlasse - auf eine komplizierte Lektüre. In der Tat, auch "Oryx und Crake" ist in keiner Hinsicht leichte Kost. Als ich fertig war, konnte ich mich nicht entscheiden, ob es mir nun gefallen hatte oder nicht. Das hier im Thread erwähnte "Der Report der Magd" ist bei mir zu lange her, um die beiden Werke zu vergleichen.
    Es ist auf jeden Fall ein großes Stück Literatur, beängstigend und aufwühlend.


    ***
    Aeria

  • Er nennt sich Snowman und lebt in den Überresten einer untergegangenen Zivilisation; die Welt, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Ein kleines Grüppchen besonderer Menschenkinder leistet ihm ab und an Gesellschaft, ansonsten ist er alleine und hat viel Zeit, sich an die Vergangenheit zu erinnern.


    An damals, als er Jimmy hieß und Crake sein bester Freund war, ein brillanter Kopf, der nach Höherem strebte und alles so viel besser zu können und zu verstehen schien als Jimmy selbst. An die faszinierende Oryx mit ihrer tragischen Geschichte. An seinen Vater, der an genmanipulierten Schweinen forschte, die als Organdepots für Transplantationsbedürftige dienten, und an seine Mutter, die eines Tages einfach wegging aus den "Compounds", in denen die Mitarbeiter der Biotechfirmen lebten, in einer heilen, künstlichen Welt, abgeschottet vom Pöbel in den Siedlungen außerhalb, mit ständigem Zugriff auf diverse Medienkanäle, in denen man alles findet, egal wie abseitig. An eine von der Technik dominierte Menschheit, die problemlos aus zwei Tierarten willkürlich eine neue machte und Alter, Krankheit und Hässlichkeit wegzurationalisieren suchte - aber nur für die, die sich das auch leisten konnten.


    Bis eines Tages alles kippte.


    Wie Snowman in dieser postapokalyptischen Umgebung gelandet ist, bleibt lange unklar, und auch über den Rückblenden in seine und Oryx' Vergangenheit schwebt immer die Frage, wie das nur alles zusammenhängen soll. Beantwortet wird sie erst ganz allmählich und zumindest für mich größtenteils ziemlich überraschend.


    Dystopien sind eigentlich gar nicht mein Ding und momentan noch weniger, doch trotz des Themas und eines ordentlichen Zynismus' im Erzählton hat mich das Buch nicht runtergezogen, sondern von Anfang an gefesselt. Margaret Atwood entwirft ein düsteres Bild von unserer Welt in der nicht allzu fernen Zukunft. Sie betrachtet kritisch zahlreiche Aspekte, die uns auch heute schon beschäftigen, und treibt einige davon auf die Spitze, bis es zum "großen Knall" kommt. Das kann man als Mahnung gegen Machbarkeitswahn und allzu große Technikgläubigkeit lesen oder auch einfach als spannende Unterhaltung, beides funktioniert.


    Das einzige, was fast 20 Jahre nach Erscheinen nicht gut gealtert ist, sind die technischen Grundlagen, so sind etwa immer noch DVDs und CDs die Datenträger der Wahl. Aber dass zu stark vom Stand der Technik zum Zeitpunkt des Entstehens ausgegangen wird, ist ja kein seltenes Manko bei Zukunftsromanen und tut der Wirkung des Buches keinen Abbruch.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen