Boris Akunin - Fandorin

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 2.299 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von christie.

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    Achtung! Ich habe das Buch auf schwedisch gelesen, und meine Rezension bezieht sich also nicht auf die deutsche Ausgabe.


    Inhalt:
    Was bringt einen jungen begabten Studenten des Rechts aus bestem Hause dazu, sich in einem öffentlichen Park Moskaus inmitten von Spaziergängern zu erschießen? Für den Chef der zuständigen Kriminalabteilung der Moskauer Polizei ist der Fall klar: Eine fatale Mischung von Dekadenz, Langeweile und grundlegender Orientierungslosigkeit haben den armen Studiosus erst auf die schiefe Bahn und dann um den Verstand gebracht. Doch sein jüngster Untergebener, Erast Fandorin, eigentlich nur als Protokollant dem Bürodienst zugeteilt, gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden -- zu Recht, denn der tragische Selbstmord bleibt kein Einzelfall.


    Die Geschichte vom rotbäckigen Heißsporn Fandorin veröffentlichte der Moskauer Essayist und Übersetzer Gregori Tschchartischwili 1998 unter dem Namen Boris Akunin und feierte mit seinem ersten Kriminalroman einen überwältigenden Erfolg. Das liegt sicher auch daran, dass Akunin seinen Helden im Moskau des späten 19. Jahrhunderts ermitteln lässt, und seine Romane augenzwinkernd und schamlos nostalgisch den melodramatischen Stil eines Sherlock Holmes oder Eugène Sue imitieren. Doch ebenso unverkennbar sind die Anspielungen und Verweise auf Klassiker der russischen Literatur (allen voran Michail Bulgakow), deren ausgeprägten Hang zur Exzentrik, zur Melancholie und zur Fantastik Akunin immer wieder beschwört. Das ist Balsam nicht nur für die russische Seele und dabei nicht ohne Anspielungen auf zeitgenössische Probleme und Ereignisse -- doch vor allem ist es äußerst unterhaltsam.


    Meine Meinung:
    Ach, wieso habe ich den Amazontext nicht bis zu Ende gelesen, oder den Klappentext meiner schwedischen Übersetzung genauer studiert? Das hätte mir eine gewaltige Enttäuschung erspart. Der Klappentext bietet zusätzlich zu Amazons "melodramatischem Stil" die Formulierungen "Malstrom der Gefühle", "internationelle Komplotts" und "infernalische Intrige".
    Ich erwartete eine Schilderung des Moskauer Lebens gegen Ende des 19. Jahrhunderts, verpackt in eine dezente Krimihandlung, und bekam das anfänglich auch (wobei ich die schon anfangs vorhandenen Warnzeichen einfach nicht wahrnehmen wollte, und sie daher großzügig überlesen habe). Umso größer dann mein Entsetzen, als die genannten Elemente mit ins Spiel kamen. Dadurch kann ich eigentlich keine "gerechte" Rezension schreiben, denn mit der entsprechenden Erwartungshaltung hätte mir das Buch sicher viel besser gefallen. Ihm gelingt, was es sich vornimmt; es ist eine Hommage an Sherlock Holmes und Konsorten, gut geschrieben und mit seinem russischen Hintergrund erfrischend exotisch, also eigentlich ein "gutes" Buch.
    Nur war mir so ganz und gar nicht nach internationalen Verschwörungen zwecks Erreichung der Weltherrschaft und entsprechend sehr weit hergeholten Erklärungen zumute, und entsprechend wenig hat mir das Buch gefallen.


    Zum Schluss noch ein gewaltiges :grmpf: !
    Wie kann man ein Buch eigentlich so schlecht korrekturlesen? Meine schwedische Übersetzung wimmelte nicht nur von Druckfehlern, noch schlimmer, es gab grobe Grammatikfehler! Da hatte der Übersetzer einen Satz übersetzt, wollte dann die Formulierung ändern, und vergaß, den gesamten Satz zu überarbeiten. Und einen Korrektor gab es wohl nicht. (Statt "hat gegeben" blieb "hat gab" stehen.) An einer anderen Stelle blieb ein Eigenname völlig zusammenhanglos zu Anfang eines Satzes stehen, der in der Überarbeitung einen anderen Beginn bekam. :grmpf:


    Ich vergebe
    3ratten

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Mir hat Azazel (so heißt dieses Buch im Original) ganz gut gefallen. Es ist vielleicht nicht so anspruchsvoll, aber ganz gut für zwischendurch. Die Haupthandlung war recht interessant und Fandorin sehr charismatisch. :breitgrins:

  • Ich muss Dir zustimmen Saltanah.


    Als ich zum Geburtstag, vor zwei Jahren, dieses Buch von meinem Chef bekam, sagte er mir, die Buchhändlerin hätte es empfohlen. Es sei meinen gewünschten Dostojewskij Büchern ähnlich. Mir schwahnte aber sofort Übles, als ich die Vergleiche zu anderen Autoren am Klappentext las. "Vergleiche hinken und stinken", sagt meine Intuition immer.^^
    Das stellte sich beim lesen auch als richtig heraus. Das Buch halte ich zwar für solide komponiert, aber es riecht an allen Ecken und Enden nach Plagiat, oder zumindest nach "er hat sich stets bemüht".
    Die hahnebüchene Lebensgeschichte des Albino Killers, der irgendwas zwischen tschetschenischem Terroristen und armen, bedauernswertem Waisen ohne Hoffnung ist. Und dem weltmännisch auftretenden Superheld mit asiatischem Lakai, der en passant Frauen flach und Bösewichte niederwirft. Das hat man selbst in Hollywood Filmen schon besser dargestellt. Ganz abgesehen von dem schalen Beigeschmack, den die Figuren des Asiaten und Tschetschenen hinterlassen. Ich wartete die ganze Zeit auf den geldgierigen Juden, dann wär das Klischee komplett gewesen^^ Aber auch die Russen sind ja heute P.C.


    Kein grottenschlechtes Buch, aber eine quasi blasmphemische Anmaßung Bakunin in Zusammenhang mit der großen russischen Literatur zu bringen, zumindest was dieses Buch betrifft. Wenn mich jemand überzeugen kann, dann würde ich vielleicht was anderes vom Autor lesen, aber bis zum Gegenbeweis ist dieser Autor auf meiner Liste für Autoren, die ich nur lesen würde, wenn ich gezwungen wäre ewig zu leben...


    Gruß
    Lavatok

  • Den ersten Band der Reihe fand ich so lala; ganz nett zu lesen, aber nicht überragend. Vor allen Dingen erschien mir übertrieben, dass Fandorin, der ja eigentlich eine Art Protokollführer war, sich nach bester Agentenmanier (nicht umsonst wurde auf James Bond in diesem Zusammenhang verwiesen) aus den gefährlichsten und ausweglosesten Situationen retten konnte. Zusätzlich war er noch mit der perfekten Intelligenz gesegnet.


    Aber spätere Bände der Reihe gefielen mir besser, z.B. "Der Tod des Achill". Allerdings habe ich mir immer einen Zettel ins Buch gelegt, auf dem ich den russischen Namen und Funktion/Beruf der Figur notiert habe.


    Violetta

  • Als Sohn aus gutem Hause wäre Fandorin jetzt eigentlich an die Universität gegangen, aber leider hat sein Vater das Familienvermögen in fragwürdigen Projekten verloren und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Prüfung zum Kollegienregistrator hat Fandorin aufgrund seiner Erziehung mit links bestanden und nun ist er Beamter im 14. Rang und das bei der Polizei. Als Schriftführer langweilt er sich unsäglich und so ist er froh als sich eine Gelegenheit biete, sich aktiv in die Ermittlungen zu einem seltsamen Fall einzuschalten. Ein Student hat sich in aller Öffentlichkeit erschossen und niemand wundert sich wirklich, denn Studenten aus reichen Familien sind für ihren exzentrischen Lebenswandel bekannt. Fandorin jedoch geht der Sache nach und findet recht schnell heraus, was die Hintergründe für den ungewöhnlichen Selbstmord sind. Damit fängt aber die Ermittlung erst so richtig an, die ihn auf der Spur einer Verschwörung bis nach London führt. Dabei erweist sich Fandorin als Mischung aus Genie und Dummkopf. Ständig gerät er in Lebensgefahr: er wird beinahe erstochen, zum Selbstmord gezwungen, erschossen, ertränkt und in die Luft gesprengt. Stets entkommt er – teils aufgrund eigener Fähigkeiten, teils aus purem Glück - um Haaresbreite seinen Häschern. Wobei man sich in diesem Roman auf nichts verlassen darf, viele Gute sind eigentlich die Bösen viele Böse haben meist doch keine so eindeutige Rolle. Fandorin ist in dieser Unübersichtlichkeit der Held, der als Don Quichotte gegen Korruption, Lüge und Machtgier kämpft. Das Spiel mit Wahrheit und Täuschung macht die Geschichte spannend und kurzweilig zu lesen. Dazu gibt es jede Menge historisches Flair und russisches Lokalkolorit.


    Fazit:
    Ein historischer Krimi, der nicht leicht einzuordnen ist. Ungewöhnlich ist vor allem eine stets zwischen satirischem Humor und fast parodistischer Darstellung und dann wieder sehr ernsten Tönen schwankende Grundstimmung.



    Der Autor:

    Boris Akunin ist das (auf Michail Bakunin anspielende) Pseudonym des 1956 geborenen russischen Japanologen, Übersetzers, Journalisten und Schriftstellers Grigori Schalwowitsch Tschchartischwili. In Russland ist er einer der beliebtesten Krimiautoren. Neben der Fandorin-Reihe schreibt er noch zwei weitere Serien: eine beschäftigt sich mit Nicholas Fandorin, dem Enkel Fandorins, die andere hat mit Schwester Pelagia eine weibliche Heldin.

    Viele Grüße
    christie