Elena Ferrante - Tage des Verlassenwerdens

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    Dies ist nicht die Geschichte einer normalen, glücklichen Frau eines Ingenieurs und Mutter zweier süßer Kinder. Es ist die Geschichte einer Frau, die eine ganz alltägliche Frau war, bis ihr Mann sich von ihr trennt. Nach 15 Jahren Ehe findet er die Worte beim Abräumen des Mittagstisches, und wenig später fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. Olga, 38-Jährig, nimmt diese Entscheidung im ersten Moment nicht ernst. Er hat keinen Koffer gepackt und sich nicht von den Kindern verabschiedet. Sie wartet auf ihn und erkennt mit den leeren Tagen und zunehmender Verpflichtung für Kinder und Haushalt, dass er sie tatsächlich verlassen hat.


    Die “Tage des Verlassenwerdens” beginnen, und mit ihnen verliert Olga immer mehr den Boden unter den Füssen. Sie erinnert sich an ihre Kindheit in Neapel in der Mitte des 20.Jahrhunderts und die Nachbarin, die von den Frauen im Viertel Poverella, die Ärmste, genannt wurde. Poverella wurde von ihrem Mann verlassen und mit ihm ist ein großes Stück ihrer Identität gegangen. Olga weigert sich, selbst eine Poverella zu werden, schließlich ist sie intelligent, und die Zeiten haben sich geändert.


    “Tage des Verlassenwerdens” von Elena Ferrante ist die Geschichte einer Frau, die sich über Jahre dem Karrierestreben ihres Mannes untergeordnet hat, die ihre Gefühle und Wünsche unterdrückt hat. Die aufgestauten Emotionen brechen vulkanartig heraus, sie fühlt sich betrogen um die Lebenszeit, die sie ihrem Mann und den Kindern gewidmet hat. Olga schwankt zwischen Rache, Hass und dem starken Wunsch nach dem früheren, verlässlichen Eheleben. Sie wird zur Poverella, als sich herausstellt, dass ihr Mario seit Jahren eine Liebschaft mit einer wesentlich Jüngeren pflegt.


    Ferrante ist eine gute Erzählerin, die ohne Larifari und lange, erklärende Sätze auskommt. Schmutzig, echt, lebendig und obszön lebt Olga ihren Schmerz aus, sie entdeckt Eigenschaften an sich, die sie nie erwartet hätte. Die Hilfe der Freunde lehnt sie ab, und sie beginnt ihr Äußeres grob zu vernachlässigen. Olgas innerer Kampf kehrt sich hässlich nach aussen. Selbstgerecht zieht sie ihre Kinder mit in ihr Elend, nicht nur von ihr als Frau hat er sich getrennt, “er hat uns verlassen”.


    Der Leser nimmt teil an der tiefen Enttäuschung und Verbitterung dieser verlassenen Frau, deren Lebensentwurf a la TV-Werbe-Wochenendfamilie in Trümmern liegt. Anteilnahme, Mitleid und Abscheu, Grausen vor Olga wechseln sich beim Lesen ab. Man möchte ihr aufmunternd zurufen “Kopf hoch” und doch lieber nicht in einem Haus mit ihr wohnen.


    Das Buch zieht in den Bann, wohl auch, da es so und ähnlich in jeder Ehe und Partnerschaft passieren könnte. Es gab keinerlei Anzeichen einer Ehe-Krise, aus heiterem Himmel kam der Abschied. In “Tage des Verlassenwerdens” wird der Leser Beobachter eines Absturzes in die Verzweiflung und dem Verlust an Identifikation als menschliches, aufgeklärtes Wesen. Und der Leser wird Zeuge von den Kräften, die im größten Elend, der Mensch noch in sich trägt.


    Fazit: Es gibt nur wenige zeitgenössische Bücher, die derart gefangen nehmen, (noch) schockieren und die Gefühle des Lesers ganz manipulieren, ohne in das Sentimentale, Weinerliche oder gar Patriotische zu verfallen. Lesenswert.


    Doreén Pick



    Elena Ferrante “Tage des Verlassenwerdens” erschienen im List Verlag, September 2003, ISBN 3-548-68055-0, 12 Euro

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