Dieter Kühn - Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg

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    Seid gegrüßt, holde Damen und edle Ritter,


    ich habe gestern angefangen, Dieter Kühns Übertragung der Liebesgeschichte von Tristan und den beiden Isolden zu lesen. Da ich bereits auf Seite 287 vorgestoßen bin, geb ich Euch hier mal meine Eindrücke:


    Eingeleitet wird das Buch mit einem 230 Seiten starken VorBuch, das in die Welt des Mittelalters einführt. Da berichtet Kühn abwechselnd von seiner Zeitreise in das Straßburg des frühen 13.Jahrhunderts, einer jungen Frau, die von Krakau nach Straßburg reist und simuliert die Entstehung eines Versromans mit einer knappen Zusammenfassung der Story von Tristan und Isolde. Dazu kommt ein Arbeitstagebuch, zu Geschichte, Leben, Weltbild im Mittelalter sowie einige Beispiele für fiktive Erzählungen und Geschichten. So schreibt Kühn etwa, dass in Erzählungen häufig Realistisches mit Fiktivem vermischt wurden und als Beispiel führt er die Erzählung der reisenden Frau mit der fiktiven Geschichte vom Raben des Königs Oswald zusammen.


    Das VorBuch ist gewöhnungsbedürftig (auf der ersten Seite kommt der Verdacht hoch, man lese einen Science-Fiction-Roman :zwinker:), aber nach der Lektüre hat man einen netten Einblick in die Welt des Mittelalters. Mittelalter-Experten werden vielleicht das VorBuch gleich überschlagen und lediglich die hinten im Anhang aufgeführte übliche Biographie von Gottfried sowie Hinweise zur Übersetzung lesen. Ebenfalls im Anhang stehen auch Hilfen zur Interpretation des Versromans.


    Dann beginnt Kühn mit seiner Versübersetzung von Gottfrieds Werk, die sich erstaunlich leicht liest. Die Verse sind durchnumeriert, nicht gereimt und jedes "Kapitel" ist von einer knappen Inhaltsangabe eingeleitet. Bisher habe ich das erste "Kapitel" über Tristans Eltern gelesen. Was für ein Kontrast zu Wolframs' Parzival: Während dort die Schilderung von Kriegen und Tjosten einen großen Raum einnimmt, ist es beim Tristan die Liebe. So wird der erste Krieg in wenigen Versen abgewickelt, während die Gefühle von Tristans Eltern nach deren erster Begegnung über mehrere 100 Verse gehen. Angenehm finde ich an der Übersetzung, dass die französischen Wörter und Namen nicht eingedeutscht sind (z.B. Blanchefleur vs. Blanscheflur).


    Bis jetzt bin ich sehr zufrieden mit diesem Buch, und bin in starker Versuchung, mir auch Kühns Parzival zu holen, obwohl ich die Prosaüberestzung von W. Stapel bereits gelesen habe.


    Viellesende Grüße von Dietrich

    [size=9px]Paul ist 24 Jahre alt. Er ist doppelt so alt, wie Thomas war, als Paul so alt war, wie Thomas heute ist. Wie alt ist Thomas ?[/size]

    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Die Bücher von Dieter Kühn über Wolfram von Eschenbach, den "Wolkensteiner" und den Neidhart habe ich schon vor längerer Zeit gelesen. Gerade seine Schilderungen des Lebens im Mittelalter fand ich hochinteressant. Wußte gar nicht, daß es von dem noch ein Buch dieser Machart gibt - muß ich mir doch demnächst mal zulegen. Dank für den Hinweis!

  • Hallo Dietrich,


    ja Kreig wird hier nicht so groß geschrieben, allerdings gibt es schon noch einige kämpferische Auseinandersetzungen.


    Im Mittelpunkt steht hier die Liebe, die Gottfrried auch besonders beschreibt auf den ersten Seiten und die Ehre/Stand.


    Was mich erstaunt hat, das Gottfried doch wohl einige profunde Kenntnisse der Rechtwissenschaft gehabt haben muß, denn er beschreibt diese oft und ausführlich.


    Gruß
    Nischa

    Habent sua fata libelli

  • Zitat von "Kringel"

    Dank für den Hinweis!


    Bitte sehr. Freut mich, einen weiteren Kühn-Fan kennenzulernen :zwinker:.


    Zitat von "Nischa"

    Was mich erstaunt hat, das Gottfried doch wohl einige profunde Kenntnisse der Rechtwissenschaft gehabt haben muß, denn er beschreibt diese oft und ausführlich.


    Ja, die Erläuterung der Tributverpflichtung Markes an Gormund ist schon interessant zu lesen: Entweder zahlen, oder Länderkrieg oder Zweikampf. Merkwürdige Vereinbarung. Ich vermute, mit dem Zweikampf ist sowas wie ein "Gottesurteil" gemeint (Gott entscheidet, wer recht/Recht hat). Zumindest wird das bei der Erzählung des Kampfes angedeutet.


    Heute bin ich bis Seite 424 (Vers 8225) vorgedrungen. Es liest sich weiter sehr angenehm und locker. Einige Kommentare aus meinen Notizen poste ich morgen (bin zu müde dafür heute).
    Gute Nacht gaehn
    Dietrich

    [size=9px]Paul ist 24 Jahre alt. Er ist doppelt so alt, wie Thomas war, als Paul so alt war, wie Thomas heute ist. Wie alt ist Thomas ?[/size]

  • Hallo,


    bin heute bis zu Seite 573 (Vers 13450) gekommen. Wie versprochen hier einiges aus meinen Notizen:


    Gottfried beklagt sich, dass er nicht weiter dichten kann:


    Nanu, ein Musenanruf!? Und das im tiefsten Mittelalter! Tja, das zeigt wohl, dass der Übergang von Mittelalter zur Renaissance/Neuzeit ein sehr fließender Prozess war bzw. auch schon im Mittelalter die Antike eine gewichtige Rolle spielte.


    Interessant ist auch die Dichterschau ab Vers 4621: Da wird Hartmann von Aue in höchsten Tönen gelobt, während gleich darauf Wolfram von Eschenbach (ohne ihn beim Namen zu nennen) runtergemacht wird (Vers 4638ff): Wolfram schreibe zu kompliziert und unverständlich (das kann ich nachvollziehen). Dafür hat sich Wolfram in der Einleitung seines Parzival dann revanchiert. Was auch zeigt, über welch langen Zeitraum derartige Versromane geschrieben wurden. Die Dichterschau hat Kühn übrigens in den Anhang gesteckt, da sie sehr von der eigentlichen Erzählung abschweift.


    Als Erklärung für solche Abschweifungen sagt Kühn im VorBuch folgendes:

    Zitat von "Aus dem VorBuch: Seite 72/73"

    Diskontinuität: Denn in größeren und großen Erzähltexten jener Zeit herrscht eher Reihung vor als Verknüpfung. Kausale Verbindungen waren beim Publikum offenbar (noch) nicht so recht gefragt. [...] In jener theologisch durchkonstruierten Welt, in der, unter dem Aspekt des Schöpfers, alles mit allem zusammenhing, in dieser Welt wurde in Erzähltexten geringer Wert auf logische Verbindungen gelegt, auf Konseqeanz und Kontinuität. Es musste nicht alles zusammenpassen, musste nicht eins aus dem andren hervorgehen, musste nicht eins ins andere überleiten; zuweilen lagen sperrige Textobjekte quer im Lesepfad.


    Besonders heftig fand ich diese Stelle: Tristan verlangt von Herzog Morgan das Lehen seines Vaters; Morgan weist Tristan mit dem Hinweis, er sei ein uneheliches Kind, brüsk ab, worauf Tristan sofort zuschlägt:


    Brutal! :entsetzt: Lässt dem Gegner nicht mal Zeit zum Ziehen seines Schwerts. Das passt so gar nicht zum höfisch erzogenen Tristan (später kommt nochmal eine Stelle, wo Tristan einen wehrlosen Gegner köpft). Immerhin: In Vers 5555 lässt Gottfried anklingen, dass das nicht so ganz in Ordnung ist:

    Zitat von "Vers 5555f"

    Jedoch hatte er (=Tristans Marschall) nicht empfohlen,
    an Morgan Rache zu verüben!


    Merkwürdig auch Vers 7771: Da sieht die Königin mit einem Blick, dass Tristans Wunde vergiftet ist - und wie sich zeigt, weiß sie auch, wie das zu behandeln ist. Obwohl das Gift (wahrscheinlich) von ihr selbst stammt, kommt sie nicht auf die Idee, Tristan hätte ihren Bruder erschlagen (der Tristan diese Wunde mit seinem vergifteten Schwert zugefügt hat).


    Tristans Erfolgsgeheimnis sind seine Lügengeschichten (die 10 Gebote spielen offenbar keine Rolle, vergleiche auch den Mord oben):

    Zitat von "Vers 8705f"

    ... denen lüg ich heut was vor,
    ich werde lügen, was das Zeug hält!


    Ab Vers 8902 kommt ziemlich abrupt der Kampf mit dem Drachen, wo zum ersten Mal Realistisches mit Fiktivem vermischt wird.


    Nach dem Drachenkampf springt Tristan in voller Rüstung in einen Fluss

    Zitat von "Vers 9082"

    Er sprang in voller Rüstung rein
    uns senkte sich bis auf den Grund -
    über Wasser nur der Mund.


    :entsetzt: Wie kann man nur so dumm sein, mit einer schweren Rüstung zu "baden". (Jedenfalls dürfte die Rüstung ziemlich Rost ansetzen.) Aber für die Erzählung ist das wichtig, damit er sich wieder von den Isolden retten lassen kann. :breitgrins:


    Ab Vers 9576 demonstriert Gottfried wieder seine Rechtskenntnisse: Der Truchsess erhebt in einem "Gerichtsverfahren" Anspruch auf Isolde, weil er den Drachen getötet haben will. (Der König hatte Isolde dem versprochen, der den Drachen erledigt.)


    Der Truchsess beschwert sich darüber, dass die Königin seinen Anspruch bestreitet:

    Zitat von "Vers 9867ff"

    Ihr handelt so wie alle Frauen!
    [...]
    was euch hasst, das liebt ihr,
    was euch liebt, das hasst ihr.


    Darauf kontert die Königin gekonnt:


    Gruß Dietrich (der immer noch begeistert liest)

    [size=9px]Paul ist 24 Jahre alt. Er ist doppelt so alt, wie Thomas war, als Paul so alt war, wie Thomas heute ist. Wie alt ist Thomas ?[/size]

  • Zitat von "Dietrich"

    Nanu, ein Musenanruf!?


    Vielleicht ein Lapsus des Übersetzers? Aber stimmt schon: So ganz ohne Kenntnisse über das klassische Altertum war man ja auch im Mittelalter nicht.


  • Zu Tristans Verteidigung muß ich hierzu sagen, das Tristan übel beleidigt wurde und seines Standes nicht anerkannt. Seine Mutter hätte ihn ehrlos zur Welt gebracht, damit beleidigt er weiter Tristan. Aus diesem Grunde verweigert man ihm das Erbe.
    Den Stand anzuzweifeln war damals "ein starkes Stück", hing davon doch alles ab was im Leben passierte und er war auch noch von Gott gegeben.



    Zitat

    Vers 9082 hat folgendes geschrieben:
    Er sprang in voller Rüstung rein
    uns senkte sich bis auf den Grund -
    über Wasser nur der Mund.


    Na ja, vorher wird erzählt, das er sich nicht mehr halten konnte, er war einfach zu kraftlos, um sich der Rüstung zu entledigen. Er hatte Fieber (Hitze) und mußte dieses bändigen. Das ging nur im kalten Wasser.


    Hier einer meiner Beiträge aus dem LC
    Zitat:
    --------------------------------------------------------------------------------
    Ich handelt so wie alle Frauen!
    Ihr seid alle so geschaffen,
    so geartet und gesinnt:
    Das Böse scheint euch jeweils gut,
    Das Gute scheint euch jeweils bös.
    In dieser Haltung seid ihr stark!
    Ihr seid verdreht in jeder Weise:
    für euch sind Dumme alle klug,
    für euch sind Kluge alle dumm...
    --------------------------------------------------------------------------------


    Ab Vers 9866 spricht aus dem Truchess ein verletzter Mann. Ein Mann der von einer Frau abgewiesen wurde. So spricht auch noch heute ein von einer Frau verletzter/abgewiesener Mann. Da hat sich nicht viel geändert.
    Wie oft mag dem Truchess wohl schon Ablehnung wiederfahren sein?!


    Dann wendet Königin Isolde (eigentlich ja Gottfried) einen rhetorischen Kunstgriff an, indem sie den Truchess als damenhaft bezeichnet, da er ja in seinen Aussagen auch so widersprüchlich sei, wie das Wesen einer Frau, das er ja gerade so beschrieben hat.
    Eigentlich weist sie ihm hier nach, das dieses Wiedersprüchliche somit kein rein damenhaftes Verhalten sei, sondern geschlechtsunabhängig (ab Vers 9900ff).



    Zitat:
    --------------------------------------------------------------------------------
    Du bist hier nicht sehr gut beraten! (Vers 9920)
    --------------------------------------------------------------------------------


    Der Truchess bleibt jedoch bei seiner Behauptung den Drachen erlegt zu haben, auch als Königin Isolde vorbringt, sie kenne den rechtmäßigen Drachentöter.
    Der Truchess verlangt einen Kampf gegen diesen, den Isolde ihm verschaffen will.



    Gruß
    Nischa

    Habent sua fata libelli

  • Danke, Nischa, für die Ergänzungen/Korrekturen. Ich hatte meinen Beitrag vor dem Lesen des LC gepostet. Da hab ich wohl doch zu schnell gelesen :sauer:. Aber mein Urlaub ist nun vorbei, da kann mir das nicht mehr passieren. :smile:


    Zitat von "Kringel"


    Vielleicht ein Lapsus des Übersetzers?


    Nein, ich habe mal beim mittelhochdeutschen Original nachgeschaut, ist kein Übersetzungsfehler.


    Gruß Dietrich

    [size=9px]Paul ist 24 Jahre alt. Er ist doppelt so alt, wie Thomas war, als Paul so alt war, wie Thomas heute ist. Wie alt ist Thomas ?[/size]

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Dietrich"


    Nein, ich habe mal beim mittelhochdeutschen Original nachgeschaut, ist kein Übersetzungsfehler.


    Der Anruf der Musen - und auch des Gottes Apoll - kommt z.B. auch Dantes Divina Commedia vor. V.a. die lateinischen Klassiker (aber durch deren Vermittlung bzw. Übersetzung auch die alten Griechen) waren ja nicht unbekannt zu Gottfrieds Zeiten - das Klischee vom tumben und finsteren Mittelalter stimmt halt so einfach nicht ... :rollen:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat von "sandhofer"

    das Klischee vom tumben und finsteren Mittelalter stimmt halt so einfach nicht


    Sagte ich ja auch bereits. Auch die altgriechischen Philosophen waren durchaus bekannt.

  • Hallo zusammen, hallo Kringel!


    Zitat von "Kringel"


    Sagte ich ja auch bereits.


    Ich weiss ... Ich wollte ja nur klar machen, dass Du mit dieser Meinung nicht alleine da stehst ... :breitgrins:


    Zitat von "Kringel"

    Auch die altgriechischen Philosophen waren durchaus bekannt.


    Und da, bevor Thomas von Aquin Aristoteles wieder zur Geltung brachte, v.a. Platon, vermittelt durch Plotin. Also ein 'christianisierter' Plato ...


    Wie überhaupt die Antike natürlich v.a. unter heilgeschichtlichem Gesichtspunkt rezipiert wurde.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Das war übrigens ein Aspekt, der mir an der Verfilmung von "Der Name der Rose" ganz gut gefallen hat. Da wird ja auch auf die griechischen Philosophen Bezug genommen.

  • Dieter Kühn: Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg, Frankfurt (Fischer Taschenbuch Verlag) 2005.

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    Klappentext:


    Tristan und Isolde: eines der berühmtesten Liebespaare der Weltliteratur


    Dieter Kühn hat den grandiosen Roman des Gottfried von Straßburg vollständig in heutiges Deutsch übertragen. Zudem hat Kühn mit großer Erzählfreude eine außergewöhnliche Expedition in Gottfrieds Zeit und Stadt entworfen, die einen neuen Zugang zur Welt des Mittelalters und zur Literatur der Epoche eröffnet.



    Dieter Kühn (geb. 1953) ist durch seine Mittelalter-Trilogie Deutschland profiliertester Übersetzer mittelalterlicher Literatur geworden. Diese hat er durch den vorliegenden Band zu einem Mittelalter-Quartett ausgeweitet. Nach der üblichen Zählung hätte man erwartet, daß die Erweiterung einer Trilogie mit dem etwas sperrigen Begriff einer Tetralogie bezeichnet wird. Gerade der Wechsel zu der aus der Musik entlehnten Bezeichnung, läßt auf weitere Werke in dieser Reihe hoffen. Anders als eine Penta- oder Heptalogie, sind Quintette oder Sextette aus der Musik durchaus bekannt.


    Der Aufbau
    Die Bücher dieser Serie zeichnen sich dadurch aus, daß sie neben der Übersetzung mit einem Vorbuch aufwarten, das den Leser in den zeitlichen Horizont einführt und literaturhistorische Fragen erläutert. In anderen, vergleichbaren Werken wendet sich der Übersetzer zu diesem in einem Vorwort an seine Leser, das notwendigerweise akademisch wird und den Leser ... strapaziert oder gar langweilt.
    Anders als in einem Vorwort steht hier erheblich mehr Raum zur Verfügung. Wie Spielszenen in einem Dokumentarfilm werden Erzählfragmente eingestreut, die die methodischen Überlegungen dem Leser näherbringen. Hier wenden sich der der Literat und der Germanist gleichermaßen ans Publikum. Die Idee ist so gut, daß ich mich sehr freue, daß Kühn sich auch diesmal an das bewährte Muster hält.
    Kühns Sprache ist dabei recht rau und orientiert sich am gesprochenen Deutsch. Die Sätze sind nicht immer vollständig, der Duktus der Darlegung ist durch häufige Einschaltungen – wie wir das im täglichen Umgang ja auch zu tun pflegen ;) - aufgebrochen, was dem Lesefluß nicht immer zuträglich ist.
    Vielleicht aus der Furcht heraus, der Übersetzung innerhalb des Buches Konkurrenz zu machen, sind die erläuternden Erzählungen immer unvollständig, d.h. die Geschichten werden nicht zuende erzählt. Das hat mir am Anfang sehr große Schwierigkeiten gemacht. Meine Lesegewohnheiten verlangen immer nach einem Ende, wenn dieses fehlt, fühle ich mich um Wesentliches betrogen. Allerdings steckt darin Methode: Einerseits wird der theoretische Gedankengang durch das Erzählte aufgelockert und unterfüttert. Andererseits wird die Illusion durch die Diskussion der Methode immer wieder durchbrochen und der Leser dadurch in die inhaltliche Auseinandersetzung einbezogen. Dadurch, daß die Geschichten nicht abgeschlossen werden, wird dieser Effekt noch verstärkt. Hier zeigt sich Kühn als Autor der Postmoderne.


    Die Übersetzung
    Kühn hat sich mit seinen Übersetzungen einen Ruhm erschrieben, der Rezensenten zu Superlativen greifen läßt. Im Klappentext wird die FAZ mit einem Satz zitiert: „Dieter Kühn hat Gottfrieds >Tristan< kongenial übersetzt.“ D.h. Er hat es nicht nur geschafft, den Tristan für uns Heutige lesbar zu machen, sondern darüber hinaus auch noch die literarische Qualität des Vorbildes erreicht.


    Dem kann ich mich nicht anschließen, einfach weil ich das Original nicht gelesen habe, und deshalb über keinen Maßstab verfüge. Deswegen brauchte ich ja Kühns Werk. Aus dem Vorbuch kenne ich aber das Programm des Verfassers und kann nur sagen, daß er eine gut lesbare Version eines Textes aus Prosaversen abgeliefert hat, die an einzelnen Stellen zum Zwecke der Ironisierung oder Betonung in Reime verfällt, wie es auch die Vorlage tat. Darüber hinaus hat Kühn den Text für den heutigen Leser liebevoll gestrafft, wobei er die entfernten Stücke dem gründlichen Leser im Anhang anbietet. Das ist durchgehend gelungen.


    Die Adressaten


    Ich möchte dieses Buch nicht nur den von mittelalterlicher Literatur Faszinierten empfehlen, sondern eigentlich jedem, den diese Epoche interessiert. Neben dem literarischen Genuß erfährt man so viel von der Kultur und Mentälität dieser Zeit, daß sich die Lektüre auf jeden Fall lohnt.
    Der Wissenschaftler wird hier genauso auf seine Kosten kommen, wie der Fantasy-Fan und LRP-Spieler. Der eine findet reichhaltige und gründliche aufbereitete Verweise und vor allem eine verwertbare Übersetzung, der andere bekommt das Kopfkino einer fremden Welt angeboten.


    Zusammengefaßt: Lesen sie nicht diese Rezension. Lesen sie das Buch.

    ____<br /><br />Äh.. ja? :kaffee:

  • Wirklich ein tolles Buch!!!


    Ein Fest für Leseratten 5ratten !!!!!


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig.<br /><br />Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich lese zur Zeit diese Ausgabe und habe die 230 Seiten Anfang einfach mal überblättert. Dieser romanhafte Einstieg, den muss ich nicht haben. Einmal, weil ich finde das er eher überflüssig ist und ich glaube auch, weil mir ein bissl der Wissenschaftler durchgekommen ist ;) . Auch wenn diese Ausgabe sich eher an den interessierten Leser richtet, der eben keinen wissenschaftlichen Anspruch hat. Aber man muss das ganze Vorgeplänkel nicht zwingend lesen. Für mich war der Anhang informativer. Auch wenn ich merke, das ich mir wohl doch noch eine Ausgabe mit dem Originaltext und einer Übertragung anschaffen werde. Das interessiert mich eben auch sprachwissenschaftlich. (Germanistik als Beifach lässt grüßen *g*)


    Desweiteren liest sich die Übertragung bisher recht angenehm und ich komme gut voran. Den Stoff als solchen finde ich zwar insgesamt etwas weniger spannend als zum Beispiel das Nibelungenlied, aber das ist eher meine ganz private Präferenz. Da ich mich allgemein für solche alten Texte interessiere, kam ich um Tristan und Isolde von Gottfried von Straßburg nur schwer herum. Meine Ausgabe steht schon ein gutes Weilchen auf dem SUB (irgendwann 2008 oder so wurde sie angeschafft weil mein Geschichtslehrer (zufällig auch Deutschlehrer und Mittelalterfan) seine Ausgabe aus der Mittagspause mibrachte^^ - Zweitauseneins ist ein böser böser Laden *g*). Da ich aber so irgendwie keinen direkten Vergleich habe und mich schon auch interessiert wie andere den Text übertragen haben, werd ich zumindest mal in der Unibibliothek nach anderen Ausgaben Auschauhalten.

  • So langsam kristalisiert sich heraus das ich einfach die für mich falsche Ausgabe gewählt habe. Es kommt hier, denke ich, stark darauf an, was genau man als Leser möchte.
    Wenn ich einfach mal Tristan und Isolde in einer Form lesen möchte, die dem mittelalterlichen Stoff übertragen hat, mich aber das mittelhochdeutsche nicht interessiert, bin ich hier gut aufgehoben. Vor allem, wenn es mir primär auch darum, geht eine gut verständliche Übertragung vorliegen zu haben. Mir ist das zu wenig. Für mich wäre wohl eine Zwei "sprachige" Ausgabe besser geeignet, da ich gerne den Vergleich zum Original hätte. So kann ich auch einfach nur schwer einschätzen, wie gut oder schlecht die Übertragung ins Neuhochdeutsche ist. Vom Gefühl her finde ich sie irgendwie starr und etwas lieblos. Da wurde eben mehr darauf geachtet das man es verständlich lesen kann, ich habe aber den Eindruck das dabei auch ein großes Stück verloren geht, aber eben das kann ich hier nicht wirklich beurteilen, weil eben der Vergleich fehlt.


    Dieter Kühn möchte aber eben auch den Leser ansprechen der sich vielleicht sonst eher wenig mit Mittelalterlichen Texten beschäftigt und das ist ja auch in Ordnung so. Er lässt daher Passagen die Abschweifen zum Teil weg und verlagert sie in den Anhang. Das erleichtert natürlich das Lesen durchaus und sorgt dafür das man sich ganz auf die Haupthandlung konzentrieren kann. Auch seine Kommentare die Passagen erstmal zusammenfasst sind da sicher ein weiteres Mittel. Mich haben sie jedoch immer wieder aus dem Fluss gerissen und ein Teil der Authentizität bleibt vom Gefühl her auch hier auf der Strecke.


    Ich würde aber nicht sagen das dies eine Übertragung ist die ich nicht empfehlen würde. Ich kann aber nur empfehlen sich vor einem Kauf selbst zu überlegen welches Interesse man an dem Text hat und Vergleiche an zu stellen, damit man die für sich richtige Ausgabe findet!


    Allerdings interessiert mich jetzt das Original umso mehr. Insofern hat Kühn ja auch bei mir etwas erreicht. :breitgrins:

  • Noch ein paar Worte zur Geschichte selbst und das soll es dann auch gewesen sein:


    Inhaltlich hat mich Tristan und Isolde nicht so richtig angesprochen. Ich finde die Geschichte nicht schlecht, gerade die Vorstellung das Liebe, solch eine Liebe wie zwischen den beiden nur durch Zauber hervorgerufen werden kann bleibt mir aber dennoch fremd. Da bin ich doch zu sehr im hier und jetzt verankert. Auch wenn es für mich durchaus interessant ist diesen Blickwinkel ein zu nehmen, rein geschmacklich konnte es mich nicht überzeugen. Dennoch steckt durchaus Interessantes im Text. Und wer glaubt das Mittelalter sei dunkel und düster gewesen... nun wenn man sich diesen Text so anschaut bekommt man einen kleinen Eindruck davon, warum das in der Forschung schon lange revidiert ist. ;)


    Wie geht Tristan am Ende damit um das er Isolde nicht mehr sehen darf? Nun von Straßbourg gibt darauf keine Antwort mehr. Kühn hat hier das Ende von Ulrich von Türheim und einige Kommentare zur französischen Form der Geschichte eingefügt. Das sorgt dafür das man beim Lesen am Ende das befriedigende Gefühl hat, eine abgeschlossene Handlung gelesen zu haben. Auch hier kann man sich fragen ob man das auch anders hätte lösen können. Aber der Unterhaltungswert ist dadurch eventuell verstärkt.


    Schade fand ich das Kühn die Passagen die auch aus historischer Sicht interessant wären zum Teil herausgenommen und in den Anhang verfrachtet hat. Ich finde er geht hier viel zu sehr davon aus, dass er seinen Leser damit langweilen würde. Ich glaube aber das man einen Text die "Tristan und Isolde" schon auch aus Interesse an dem Kontext und dem was dahinter zu erkennen ist, liest. Auch dann wenn ansonsten kein wissenschaftliches Interesse vorhanden ist. Aber gut, das ist natürlich auch die jeweilige Entscheidung des Übertragers.


    Meine Rattenvergabe bezieht sich nun aber hauptsächlich auf den Inhalt, da ich ohne wirklichen Vergleich mit dem Originaltext und anderen Übertragungen, zu Kühns Arbeit als solche nichts sagen kann:


    3ratten