"Ich hätte gern Goethes Pudelbuch!!"

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  • Hallo Leute,


    diesen Artikel habe ich heute gelesen, und ich habe so laut und schallend gelacht, dass ich ihn Euch nicht vorenthalten wollte!! :breitgrins:



    Goethes Pudelbuch


    Die längst überfällige Hymne an eine nervenstarke Buchhändlerin, die Halt in der Informationsflut gibt


    Von Elke Michel


    Manchmal gehe ich in eine Buchhandlung und sehe den Verkäufern beim Arbeiten zu. Das ist so, seit ich mit Heike befreundet bin. Heike ist Buchhändlerin; und wenn man sie abends trifft, schaut sie immer, als habe sie den Tag in der Horrorbuch-Abteilung verbracht. »Heute«, flüstert sie dann, »sagte ein Kunde, er wolle das ›Pudelbuch‹ von Goethe kaufen. Dann kam einer und verlangte ›Superwoman‹ – von einer Autorin, die wie Schokolade heißt. Gemeint waren Faust und Das Superweib von Hera Lind. Wahnsinnig sind die, allesamt!«


    Lange Zeit dachte ich, Heike sei einfach nur empfindlich. Was ist schon dabei, wenn ein Kunde sich mal im Buchtitel vertut – und »Die ungeschriebene Geschichte« von Michael Ende verlangt oder »Warum Männer lügen, wenn Frauen Schuhe kaufen«. Dann ging ich in eine Buchhandlung, versteckte mein Gesicht hinter dem Struwwelpeter und schlich mich an ein Kundenberatungsgespräch heran. Seither gebe ich Heike Recht: Buchhändler haben den psychisch härtesten Job der Welt. In ihrer Gegenwart reden sämtliche Leute Unfug. Ständig. Das ist ein Gesetz.


    So ein Kunden-Beratungsgespräch beginnt meist mit einem unschuldigen Einstiegssatz – etwa: »Ich suche ein Buch für einen 45-jährigen Mann.« Auf die Frage, welche Literatur dieser Mann bevorzuge, dreht der Kunde dann allmählich auf: »Na hören Sie mal, woher soll ich das wissen? Der liest doch gar nicht gerne!«


    Verkäufer: »Interessiert er sich vielleicht für Geschichte?«


    Kunde: »Sind Sie verrückt? Das ist viel zu deprimierend, da sind ja alle tot! Es sollte schon was Positives sein. Und intelligent. Aber mit wenig Text.« Händeringend sucht der Verkäufer nun einen Bildband – einen leichten, da der Kunde nicht schwer tragen möchte. Und wird, während er durch den Laden hetzt, von weiteren Leseratten attackiert: »Ich brauche den Frauenroman ›Gesuch: Lasst impotente Männer leben!‹« – »Gucken Sie mal, ich habe hier einen Ausschlag. Gibt es ein Buch dagegen?« – »Ich will einen Stadtplan mit Hamburg und München drauf!« – »Haben Sie von August Macke Im Westen nichts Neues?« – »Neulich sah ich ein niedliches Buch, ganz klein und gelb. Wo steht es?« – »Haben Sie von Sartre ›Zerschossene Gesellschaft‹?«


    »Die Hölle, das sind die anderen« – wohl jeder Buchhändler würde Sartre da zustimmen. Ich vermute, es ist der Anblick der Bücherregale, der uns Kunden durchknallen lässt: Wenn wir sehen, wie viel Bildung es auf dieser Welt doch gibt, kapituliert unser Hirn vor Panik lieber gleich und schaltet um auf crazy: »Ich will den Autor kaufen, der ein Käfer wurde!«


    Ehrfürchtig bewundere ich jedes Mal den Scharfsinn, mit dem die Verkäufer herausfinden, dass das Buch »The Butt« keine Fotos von Hintern beinhaltet – sondern in Wahrheit Der Butt heißt. Und frage mich, wie man in diesem Job zwischen Hops, Karl-Max und Schuppenhauer ein geordnetes Weltbild bewahren kann: Lesen sich Buchhändler jeden Abend quer durch die gesamte Lebensratgeberliteratur?


    Heike sagt, es gebe da leider keine Tricks. Nur Berufskrankheiten: Neulich, in einer Cocktailbar, studierte sie ewig die Getränkekarte. »Bloody Mary, Bloody Mary«, murmelte sie. Und dann: »Natürlich! Ich hab’s: Die meinen doch garantiert Rotkäppchen!«


    (c) DIE ZEIT 28.04.2005 Nr.18

  • Und weil es so schön ist hier noch ein weiterer Artikel, der ist allerdings schon etwas älter:


    *************


    Die Buchhandlung als Ort des Orakels und der Erkenntnis


    Tag für Tag stellen sich metaphysisch begabte BuchhändlerInnen der philosophischen Grundproblematik: Was ist das Seiende?
    Wenn das Wesentliche von Buchtiteln nicht hinreichend erkennbar und es Aufgabe der BuchhändlerInnen ist, in der jenseitigen Ideenwelt des Kunden dem wahren Titel auf die Spur zu kommen, müssen labyrinthische Aussagen wie: "Ich habe letzte Woche das Buch Reklam bestellt, irgendwas mit Bär", als Hinweis auf Goethes Götz erkannt werden.


    Bekanntlich verknüpft der Verstand nach ihm eigenen Normen, und die Entschlüsselung verlangt von BuchhändlerInnen immer wieder neue Transformationsprozesse. Der fröhliche Zuruf im Laden: "Meisterkarten?" muss übersetzt werden als: Guten Tag. Führen Sie Glückwunschkarten zur Meisterprüfung?"
    "Aufgelesene Bücher" sind als "Hörbücher" zu verstehen und nicht etwa beim letzten Flohmarkt liegen geblieben. Empirische Fertigkeiten sind auch gefragt, um von der etwas zwielichtigen Aussage einer Kundin: "Ich brauche für meine Tochter schlaffe Bücher!" mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Roman von Robert Schneider schließen zu können.


    Eine besondere Herausforderung ist es, wenn der Kundenwunsch rein auf Wille und Vorstellung beruht. Da sind dann Harry Potter 5 und 6 in Amerika bereits erschienen - und zwar schon vor Wochen! Oder es wird empört auf die Buchhandlung im Nachbarort hingewiesen, die führe das Buch "Unterm Fahrrad" von Hesse, man habe es schließlich dort gesehen!
    Ja, Erkenntnis ist bekanntermaßen auch vom Interesse abhängig, was sich offenbart, wenn die männliche Kundschaft den Bestseller von Pease ("Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können") grundsätzlich mit dem Satz "Da soll es so ein Buch geben, warum Frauen nicht Auto fahren können..." bestellt.
    Und so ist es auch zu erklären, dass die Weissagung, der gewünschte Titel erscheine erst im übernächsten Quartal, ganz zuversichtlich mit "Ja, ich hole es dann aber erst nächste Woche" beantwortet wird. Hier kann ein echter philosophischer Diskurs entstehen."


    :bang:


    (Quelle: Zeitschrift "Eselsohr", Ausgabe 8/2002)

  • Der Artikel ist echt gut! :totlach: Am besten fand ich diese Stelle:

    Zitat von "Capesider"

    Ich vermute, es ist der Anblick der Bücherregale, der uns Kunden durchknallen lässt: Wenn wir sehen, wie viel Bildung es auf dieser Welt doch gibt, kapituliert unser Hirn vor Panik lieber gleich und schaltet um auf crazy: »Ich will den Autor kaufen, der ein Käfer wurde!«


    Ich wusste gar nicht, dass es so anstrengend ist, in einem Buchladen zu arbeiten! :breitgrins:

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • *hihi*
    nimue, ich wollte den Thread auch gerade verschieben! :zunge:

  • Goethes Pudelbuch ist einfach phantastisch. (Und wahrscheinlich gar nicht mal sooo furchtbar übertrieben.)


    Saltanah
    (die glücklicherweise nicht Buchhändlerin ist)

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Gut ausgebildete und belesene Buchhändler sind in der Tat ein Segen, selbst für Leseratten, die nicht mit Klopfern wie "da war dieser Film mit dieser Priesterin und einem König und einem Schwert, ach ja, und die streiten sich irgendwie wegen einer Frau, und gibts da nicht ein Buch zu?" ankommen.


    Aber leider gibt es auch Aushilfskräfte in Buchhandlungen, die Goethe im Computer nicht finden, weil sie Göte eingegeben haben. :grmpf:

    Alamir

  • yes.gif


    Genau so. Und nicht anders.


    Schön war auch mal folgende Situation:
    Kunde: "Ich möchte ein Buch für jemanden der im Krankenhaus liegt."
    Ich: "Für was interessiert er oder sie sich denn?"
    Kunde (in entsetztem Ton): "Es ist meine Schwiegermutter!"
    Mehr war auch nicht aus ihm raus zu bekommen *g*


    Also, habt Geduld mit uns. Solltet ihr mal eine fertige und deshalb vielleicht nicht mehr ganz so flotte oder dauerlächelnde Buchändlerin (oder Buchhändler) treffen, war vorher bestimmt ein anstrengenderer Kunde da. Da kann einem manchmal wirklich das Lächeln im Gesicht gefrieren, oder die Kreativität ausgehen. Die den Kunden anscheinend niemals ausgeht, ich sollte mal die schönsten Kreationen sammeln. Diese Artikel treffen es auf jeden Fall sehr gut.


    Alamir: sollte Dir so eine Aushilfe nochmal begegnen, frag sie ob sie nicht eine phonetische Suche haben, dann findet sie auch Goethe *g*

  • Hehe, das Schockierende ist eigentlich, daß ich in einer Universitätsstadt lebe, und die Aushilfkräfte in der Weihnachtszeit sich aus Studenten rekrutieren. Haben die denn im Deutschunterricht nie was von Goethe gehört?

    Alamir

  • :totlach:


    Herrlich! Ich kenne da ein dünnes Büchlein mit gesammelten Kundenanfragen:


    Die geheimen Aufzeichnungen des Buchhändlers von Gérard Otremba


    Vor der Lektüre war ich immer der Meinung, meine Schwester (ebenfalls Buchhändlerin und derzeit in einer Leihbücherei tätig) übertreibe, wenn sie behaupte, der Kunde hätte nur gesagt: "Ich hätte gerne ein Buch."


    Rio

  • hihihhihhihi...


    Meine Tante arbeitet in einer Papeterie, sie hat dort auch Bücher. Da kommt ein Kunde und will ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau. Sie "Liest sie denn gerne? Vielleicht ein Buch?" Der Kunde: "Nein, sie hat schon eines."

  • Zitat von "Imoen"

    Sie "Liest sie denn gerne? Vielleicht ein Buch?" Der Kunde: "Nein, sie hat schon eines."


    *pruust* :totlach::totlach:


    Wie war das: "Der Trend geht zum Zweitbuch"?? :breitgrins:

  • Moin, Moin!


    Zitat von "Alamir"

    Demnächst braucht die Ärmste dann auch noch 'n Billy zum die Bücher drauftun.


    Oder man gewinnt beim <a href="http://www.bookscene.de/buchszene.php?sid=einzel&subid=gewinnspiel&magazin=Schiller">Schiller-Gewinnspiel</a> eine Paschen-Bibliothek im Wert von 5000.- Euronen.

  • Danke, die Bücher, die mich interessieren, habe ich ohnehin schon - Ich sammle Bücher seit ich lesen kann, und das ist jetzt mehr als 35 Jahre. :smile:


    Die ledergebundene (oder auch die leinengebundene) Schiller-Ausgabe wäre schon eher was - meine ist von meiner Urgroßmutter und hat emotionalen Wert, aber einige Bände beginnen auseinanderzufallen; Schiller war halt in meiner Familie schon immer beliebt. :zwinker:

    Alamir

  • "Hier soll es ein Buch geben warum Frauen nicht Auto fahren können"


    Herrlich :klatschen: Ja, die Buchhändler sind schon zu bewundern. Meine Buchhändlerin kennt mich ja schon und ich glaube sie versteht mich ^^


    Das war wirklich toll *lach*

    Wirklich reich ist,<br />wer mehr Träume in seiner Seele hat,<br />als die Realität zerstören kann.

  • Zitat von "Marypipe"

    ich wollte den Thread auch gerade verschieben! :zunge:


    In die Abteilung "Kabarett ohne Eintritt"? Gefällt mir riesig, der Artikel und was so noch an Meldungen hinterherkommt - das ist ja ein Knüller!
    Da sollte ich mir das geheime Buch von dem Autoren mit dem - ich glaube - spanischen Namen (*Buchhändlerin fragend anschau*) gleich mal anschaffen - mm es könnte auch ein französischer Name sein? :zwinker::totlach:

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Gerade bei Terry Pratchett gelesen (zwar über Büchereien, aber doch gut zum Thema passend):


    People flock in, nevertheless, in search of answers to those questions only librarians are considered to be able to answer, (...), and, on a regular basis: 'Do you have a book I remember reading once? It had a red cover and it turned out they were twins.'

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • @ Rio:


    Zu dem Büchlein >Die geheimen Aufzeichnungen des Buchhändlers< von Gérard Otremba gibt es übrigens eine Fortsetzung unter dem Titel >Ein weiterer Tag im Leben des Buchhändlers<...... :zwinker:
    Klappentext:
    "Ich hab vor circa einem Jahr in London ein Buch gesehen mit orange-blauem Einband. Ist das inzwischen übersetzt?"


    Insgesamt gesehen ist die Nachlese nicht ganz so witzig wie die erste Sammlung, aber immer noch zum Schieflachen. :breitgrins:




    @ Alle:


    Manche Buchtitel haben es in sich, vor allem die überlangen. Manche Autoren wirft man schon einmal durcheinander oder verwechselt Vor- und Nachnamen. Irgendwo hört man einen Namen oder einen Titel und irgendwer erzählt einem, daß dieses oder jenes Buch toll sein soll und man es unbedingt lesen müsse. Und wenn man schief hört oder der, von dem man den Tipp hat, den Titel auch schon verposematuckelt hat, dann verzerrt das zusätzlich die eigene Wiedergabe im Laden. Die Erinnerungsfähigkeit arbeitet zudem nur bei den wenigsten Menschen eidetisch.


    Ich habe erst letzte Woche eine Buchhändlerin vor Rätsel gestellt, als ich bei den Kinderbüchern >So wird man Löwe< nicht finden konnte und sie nach dem Buch >WIE wird man Löwe fragte?< fragte.
    Gut, es stand bei Humor und nicht in der Kinderbuchabteilung, aber das konnte ich ja nicht ahnen.
    Daß sie den gesuchten Titel allerdings im Computer auch nur unter dem Suchbegriff *Löwe* nicht finden konnte, lag aber nicht an mir, sondern daran, daß sie im Verzeichnis englischsprachiger Bücher danach suchte...... :breitgrins:


    Ich denke, es bleibt gar nicht aus, daß einem als Leser und Buchkäufer im Laufe der Jahre der eine oder andere Mißgriff bei Titeln und Autorennamen unterläuft, der dann Buchhändler zur Verzweiflung oder zum Schmunzeln bringt - je nachdem.


    Und da die Buchhändler unseres Vertrauens nur Menschen sind, bleibt es auch bei ihnen nicht aus, daß sie uns versierte Buchkäufer und erfahrene Leser durch ihre Worte gelegentlich amüsieren oder uns an ihrer Fachkenntnis zweifeln lassen - je nachdem.


    So bekam ich einmal in einem Buchladen mit, wie eine ältere Dame vor einem hüfthohen Stapel Liebesschnulzen stand (Barbara Cartland oder so), den Romantik-Schinken skeptisch in den Händen wog und die Verkäuferin fragte, ob sie ihr dieses Buch empfehlen könne?
    Worauf diese etwas hilflos meinte: "Ich weiß nicht, aber meine Chefin verkauft diese Bücher gerne....."


    Ich muß auch gestehen, daß es mich immer wieder reizt, auf die Frage eines Buchhändlers, ob er/sie mir das Buch einpacken solle, zu antworten: "Nein danke, ich lese es gleich..."
    Irgendwann werde ich dieser insgeheimen Versuchung wohl erliegen..... :zwinker:

  • Da es ja hier einige BuchhändlerInnen zu geben scheint und vor allem auch Menschen, die sich gerne und häufig in Buchläden tummeln...


    Irgendwie finde ich die Idee lustig, einfach mal alles was man so vom alltäglichen Wahnsinn :zwinker: zu hören bekommt hier zu "sammeln"!


    Beispiel von gestern:
    "Haben Sie das kleine gelbe Buch von Schiller? Soll Emil Galoppi heißen." :vogelzeigen::totlach:

    Liebe Grüße

    Tabea