Robert James Waller - Die Brücken am Fluss

Es gibt 24 Antworten in diesem Thema, welches 10.384 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aeria.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Die Geschichte von Francesco und Robert habe ich schon gelesen und viel öfter gesehen. An der Menge, die ich im Tagebuch geschrieben habe, erkennt ihr, wie sehr mir die Geschichte gefallen hat.


    Wer also vorhat, dieses Buch noch zu lesen, lese diesen Beitrag besser nicht. Wer es schon kennt, kann sich hier noch einmal daran erinnern.


    1992 erschien dieser Roman, der 1995 mit der wunderbaren Meryl Streep und einem für mich total überraschenden Clint Eastwood verfilmt wurde.
    Und ob ihr es glaubt oder nicht: Seit Erscheinen des Buches erhielt der National Geographic bis 1995 (da erschien ein Artikel in der Los Angeles Times) jährlich über tausend Briefe aus aller Welt mit Anfragen zu dem Fotografen Kincaid und seiner Fotogeschichte über die überdachten Brücken in Madison County.


    Doch Robert Kincaid existierte nicht, was die Leute einfach nicht wahrhaben wollten.
    Und ich kann das verstehen - ist doch diese Geschichte einfach nur schön und traurig und man wünscht sich, dass es die beiden wirklich gegeben hat.


    Wenn man die ersten Seiten liest, merkt man auch gleich, warum so viele Menschen davon ausgehen konnten, dass sie wahr ist. Berichtet der Autor doch von Carolyn und Michael, die ihn darum baten, die Geschichte ihrer Mutter Francesca aufzuschreiben. Sie haben mit sich gekämpft. Aber:


    In einer Welt jedoch, in der persönliche Bindungen in all ihren Spielarten in die Brüche zu gehen scheinen und Liebe nur noch eine Annehmlichkeit ist, hatten die beiden das Gefühl, daß diese bemerkenswerte Geschichte erzählt werden sollte.

    Das war zu Beginn der 1990er-Jahre. Die eigentliche Geschichte von Francesca Johnson und Robert Kincaid beginnt aber 1965, am Morgen des 8. August. Da machte sich Robert mit einem Rucksack voller Fotoausrüstung und anderem Gepäck in seinem alten Chevrolet-Pickup auf den Weg Richtung Minnesota.


    Robert Kincaid war ziemlich allein. Die Eltern tot, entfernte Verwandte hatte er und sie ihn aus den Augen verloren. Freunde hatte er keine. Er wusste die Namen von seinem Lebensmittelhändler und dem Besitzer des Fotoladens, wo er alles für seine Ausrüstung kaufte. Und er kannte, weil beruflich notwendig, mehrere Redakteure von Zeitschriften.
    Er war mal verheiratet, das ist neun Jahre her. Nun ist er zweiundfünzig Jahre alt. Und er denkt schon ab und zu daran, dass es schön wäre, wieder eine Frau zu haben. Aber das wäre unfair, da er doch immer länger unterwegs sein würde.
    Er kennt eine Frau, mit der er ab und zu mal einen schönen Abend verlebt. Bei einer dieser Gelegenheiten hat sie ihm mal etwas gesagt, was ihm nicht mehr aus dem Kopf ging:


    Robert, in dir steckt ein Wesen, das herauszubringen ich nicht gut genug und das zu erreichen ich nicht stark genug bin. Ich habe manchmal das Gefühl, du bist schon sehr lange hier, mehr als nur ein Leben, und daß du an Orten gelebt hast, von denen wir anderen noch nicht mal träumen. Du jagst mir Angst ein, auch wenn du zärtlich zu mir bist. Würde ich mich bei dir nicht mit aller Kraft unter Kontrolle halten, ich habe das Gefühl, ich würde mich völlig verlieren und nie wieder zurückbekommen.

    Das Fotografieren lernte er bei der Armee, der er beitrat, als sein Vater starb. Als er entlassen wurde, fand er einen Job bei einem Modefotograf, obwohl er sich für Mode selbst überhaupt nicht interessierte. Als auch seine Mutter starb, erbte er das kleine Häuschen, das er verkaufte und sich seine erste eigene Fotoausrüstung dafür kaufte. Kleine Magazine nahmen seine Arbeiten an, bis sich National Geographic bei ihm meldete. Ab da ging es für ihn bergauf.

    1943 wurde er Kriegsfotograf, um gleich nach dem Krieg wieder für National Geographic zu arbeiten und in Washington seine Zelte aufzuschlagen.

    Mit zweiundfünfzig nun hatte er die meisten Orte, die er sehen wollte, gesehen.


    Jetzt ist er auf dem Weg nach Madison County mit seinen sieben überdachten Brücken, die es dort geben soll. Ein Mann an der Texaco-Tankstelle beschrieb ihm so ungefähr den Weg zu ihnen. Die ersten sechs fand er ziemlich schnell, doch auf dem Weg zur siebenten, der Roseman Bridge, verfuhr er sich und landete vor dem Haus von Francesca Johnson, von der er sich sofort angezogen fühlte. Aber sofort überfiel ihn auch wieder seine alte Unbeholfenheit.


    Kommen wir nun zu Francesca.


    Wir begegnen ihr acht Jahre nach Richards Tod. Sie hat heute ihren 67. Geburtstag. Die Kinder können mal wieder nicht kommen, was sie versteht. Michael als Leiter eines Krankenhauses und Carolyn als Lehrerin, da haben sie keine Zeit. Aber Francesca hat ja immer alles verstanden. Und im Prinzip war sie froh, dass es so ist. Denn an ihrem Geburtstag hat sie ihr eigenes Ritual. Vormittags kommen Freunde und man unterhält sich über alles mögliche. Und sie hält Rückschau. Nach dem Krieg sah sie in Italien keine Zukunft für sich. So ging sie mit Richard, dem Amerikaner, nach Iowa und gründete hier eine Familie. Sehnsucht zurück hatte sie nicht. Nur zweimal fuhr sie noch nach Neapel, jeweils als Mutter und Vater starben.
    Am Nachmittag genehmigte sie sich einen Brandy und besah sich die wenigen Erinnerungsstücke, die sie an Robert Kincaid hatte. Einen Brief, in dem er unter anderem schrieb:


    Mir ist jetzt klar, daß ich mich schon seit langem auf Dich zubewegt habe und Du Dich auf mich. Obwohl keiner sich des anderen bewußt gewesen ist, bevor wir einander kennengelernt haben, so summte doch unter unserer Unwissenheit fröhlich und munter eine Art blinde Gewißheit, die sicherstellte, daß wir zueinanderfanden. Wie zwei einsame Vögel über den großen Prärien ihren Weg mit Hilfe der Gestirne bestimmen, haben wir uns all die Jahre, ja unser ganzes Leben lang, aufeinander zubewegt...

    Als er das erste mal im August 1965 vor ihrer Tür aus dem Auto stieg, spürte sie sofort, dass "Robert Kincaid in gewisser Hinsicht ein Zauberer war, der in sich selbst an merkwürdigen, fast schon bedrohlichen Orten lebte".

    Francesca war äußerst beeindruckt von Robert. Ich sehe Meryl Streep quasi vor mir, wie sie ihn beobachtet, als er die ersten Probefotos der Brücke macht, zu der sie ihn geführt hat. Bei dieser Geschichte weiß ich gar nicht mehr, was ich zuerst kannte: das Buch oder den Film. Aber beim Lesen macht es mir überhaupt nichts aus, die beiden vor mir zu sehen. Zu schön haben sie dieses reife Liebespaar gespielt. Und obwohl er mich überrascht hat, habe ich Clint Eastwood die Rolle absolut abgenommen.


    Möglich war ihr Kennenlernen nur, weil Richard mit den Kindern im benachbarten Illinois bei einer Landwirtschaftsausstellung war.


    Francesca lud Robert auf einen Eistee ein und er erzählte ihr später, "ihr zuzusehen, wie sie die Stiefel auszog, war einer der sinnlichsten Augenblicke gewesen, an die er zurückdenken könne". Er hätte aber nicht sagen können, warum: "Die Analyse zerstört die Ganzheit. Manche Dinge, magische Dinge, sind einfach als Ganzes gedacht. Betrachtet man ihre Teile, dann verschwinden sie."


    Robert war der erste Mensch, dem gegenüber sie zugab, dass ihr Leben nicht das war, das sie sich erträumte. Und dann lud sie ihn zum Abendessen ein. Sie genoss, wie er ihr half und dass er die Tür nicht knallte. Er erzählte von seiner Arbeit und das Gespräch war für sie fast literarisch. Über Kunst wurde hier in der Gegend nicht geredet.
    Nach dem Abendessen war Francesca unsicher, doch Robert rettete die Situation und schlug einen Spaziergang vor. Auch nach dem Spaziergang mochte Francesca ihn noch nicht gehen lassen und bot Brandy und Kaffee an. Sie spürte genau, wie er sie beobachtete. Und als er den Brandy einschenkte, fragte sie sich, wie viele solcher Situationen er wohl schon erlebt hat.
    Als er sich verabschiedete, war sie erleichtert und gleichzeitig hin und her gerissen.


    Dieses Buch ist keine hohe Literatur, aber wenn es um die Gefühle der beiden geht, gibt es Sätze, die einfach nur nach Poesie klingen.


    Als Robert weg war, fuhr Francesca noch einmal zur Brücke und heftete an ihr einen Zettel an: "Falls Ihnen nach einem weiteren Abendessen ist, ,wenn weiße Nachtfalter wach werden', dann kommen Sie doch heute abend nach der Arbeit vorbei. Kommen Sie, wann Sie wollen", las Robert am nächsten Tag, nachdem er den Zettel gefunden hat. Er rief sie an und sagte zu und lud sie gleichzeitig ein, ihn zu begleiten, wenn er eine der anderen Brücken fotografierte. Trotz ihrer Bedenken - was wäre, wenn sie jemand mit ihm sieht - sagte sie zu. Als er den Gesprächen in einem Café lauschte, überlegte er, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, Francesca einzuladen. Doch als er sie noch einmal anrief, beruhigte sie ihn.

    Francesca fuhr noch einkaufen. Wein, von dem sie, ebenso wie der Verkäufer, keine Ahnung hatte, und Brandy. Und sie kauft sich seit Jahren mal wieder ein neues Sommerkleid. Dann bereitete sie das Essen vor.

    Am Abend, als die beiden wieder bei Francesca waren, bot sie ihm ihr Bad an. Als sie dann selbst in der Wanne lag, fand sie den Gedanken, dass kurz zuvor Robert hier drin war, sehr erotisch, wie sie mittlerweile fast alles an ihm erotisch fand.
    In dem Moment, als Francesca in ihrem neuen Kleid, dezent geschminkt, in die Küche kam, verliebte sich Robert in sie: "Mein Gott", sagte er leise. Alles, was er gefühlt hatte, alles, was er je gesucht hatte, was er sich je überlegt hatte, ein Leben voller Gefühle, voller Suchen, voller Gedanken, in diesem einen Augenblick kam alles zusammen.
    Und Francesca erging es mit Robert nicht anders. Bei einem Tanz in der Küche kamen sie sich immer näher - und das nicht nur körperlich. Thomas Wolfe hatte vom ,Geist der alten Begierde' gesprochen. Dieser Geist hatte sich in Francesca Johnson geregt. Und nicht nur in ihr.


    Francesca, die heute ihren 67. Geburtstag hat, saß mit ihrem Brandy vor dem Fenster und erinnerte sich. Nur an diesem einen Tag im Jahr wagte sie, das Ganze in allen Einzelheiten durchzuspielen. Sie konnte sich Robert nicht als Fünfundsiebzigjährigen vorstellen. So, wie er damals war, so war er hier in ihrer Küche und hatte die Arme um sie gelegt.


    Und schließlich entzog sie sich ihm, nahm ihn bei der Hand und führte ihn nach oben ins Schlafzimmer. Und was Francesca in dieser Nacht und immer, wenn sie mit Robert beieinander war, erlebte, hat sie noch nie in ihrem Leben gefühlt.


    Die kommenden Tage verbrachten sie jede Minute miteinander. Sie unterhielten und sie liebten sich. Robert war es schließlich, der fragte: Was sollen wir machen? Er bot an, mit Richard zu reden, doch Francesca weiß, dass er das nie begreifen könnte. Er bot ihr auch an, sie mitzunehmen. Doch auch das hält Francesca für keine gute Idee, so sehr sie es auch wollte. Einerseits würde sie ihm Fesseln anlegen. Andererseits könnte sie das Richard und den Kindern nicht antun. Es wäre eine Katastrophe für sie.


    So sehr ich dich auch will und mit dir zusammensein und ein Teil von dir sein möchte, ich kann mich nicht einfach von der Realität meiner Verantwortung losreißen. Wenn du mich, körperlich oder geistig zwingst, mit dir zu gehen, dann kann ich, wie schon gesagt, nichts dagegen tun. Dazu fehlt mir bei meinen Gefühlen für dich die Kraft. Und wenn ich zehnmal gesagt habe, dir nicht im Weg stehen zu wollen, ich würde schon aus reiner Selbstsucht mitgehen, nur weil ich dich will.
    Aber zwinge mich bitte nicht. Zwinge mich nicht dazu, hier alles aufzugeben, meine Verantwortung. Ich könnte das nicht, ohne ständig mit dem Gedanken daran zu leben. Wenn ich jetzt wegginge, dann würde mich dieser Gedanke in jemand anderen verwandeln als die Frau, in die du dich verliebt hast.


    Und Robert verstand sie: Ich habe nur eines zu sagen, nur dieses eine; ich werde es nie wieder sagen, zu niemandem, und ich bitte dich, es nie zu vergessen: In einem Universum voller Zweideutigkeit begegnet einem eine derartige Gewißheit nur einmal und dann nie wieder, egal wie viele Leben man lebt.


    Der Abschied am Freitagmorgen war quälend.

    5ratten 5ratten 5ratten

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Anne : es gab schon einen Thread zum Buch, so dass ich Dein Posting dort angehängt habe.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Robert James Waller - Die Brücken am Fluß“ zu „Robert James Waller - Die Brücken am Fluss“ geändert.
  • es gab schon einen Thread zum Buch, so dass ich Dein Posting dort angehängt habe.

    Mir war auch so, dass ich hier schon was zu geschrieben habe. Aber weder den Titel noch den Autoren habe ich per Suche gefunden. Und ich habe in der Suche extra noch "Forum" angeklickt.

    Besten Dank.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Im alten Threadtitel stand noch "Fluß" mit ß, vielleicht ist die Suche daran gescheitert?


    Aber manchmal ist die Suchfunktion auch etwas schräg drauf.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Als dieser Thread vor ein paar Tagen hochgespült wurde, habe ich draufgeklickt, obwohl "solche" Bücher gar nicht mein Ding sind. Ich habe den Film auf DVD im Regal, steht schon etliche Jahre herum, aber nie gesehen. Die Rezis haben mich dann neugierig genug gemacht, um mir das Hörbuch zu audiblen.

    Jetzt bin ich fertig und noch ganz im Bann des Buches. Das war wirklich schön <3

    Über Francescas Untreue habe ich mir nicht eine Minute lang Gedanken gemacht, das spielte für mich überhaupt keine Rolle. Ich verstehe, warum sie bei ihrer Familie geblieben ist, habe mir aber gewünscht, sie wäre mit Robert mitgegangen.


    ***

    Aeria