Richard Powers - Der Klang der Zeit

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  • Wuuuaaaah - Lohnsteuer, iihbähpfui! Du Armes! :knuddel:


    Ich habe in der Mittagspause zu Ende gelesen.


    Mein Fazit: ein sehr umfangreiches, informatives, aber auch emotionales, manchmal düsteres, aber insgesamt höchst lesenswertes Buch.



    Erschreckend, wie nahe das eigentlich alles noch ist - der Fall Rodney King liegt noch nicht einmal 15 Jahre zurück, und vor gerade mal 40-45 Jahren waren gemischte Ehen bei Strafe verboten :vogelzeigen:


    Sehr hilfreich fand ich die Zeittafel am Ende des Buches. Dadurch konnte ich vieles im nachhinein noch einordnen - viele Namen der Schwarzenbewegung waren mir trotz dauerdurchgekauter Englischunterricht-Thematik nicht geläufig (abgesehen von Martin Luther King, Malcolm X und Rosa Parks).

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich bin auch gerade mit dem Buch fertiggeworden.
    Mein endgültiges Urteil lautet: lesenswert aber zu lang. Ich fand, dass das Buch nach Trennung der Brüder viel an Intensität verlor. Im letzten Viertel gab es nur noch einzelne Szenen (Joe lernt von Jonah singen, das Konzert der Schulkinder), die mich noch mal begeisterten. Aber irgendwann mochte ich nichts mehr von Vogel, Fisch und Nest hören, und ich war auch nicht mahr gespannt auf die weitere Entwicklung. Schade eigentlich, nach einem so furiosen Anfang und Mittelteil.


    Besonders gefallen haben mir die Verknüpfung der amerikanischen Geschichte mit dem privaten Schicksal der Familie, Davids Zeitgedanken und vor allem natürlich die intensiven Beschreibungen von Musik und Musizieren.


    Eine Zeittafel mit den im Buch genannten Ereignissen habe ich mir während des Lesens auch mehrfach gewünscht.


    Zitat

    Valentine schreibt: "Die Abnabelung von Jonah". Das ist ihm zwar gelungen, aber nur um sich Ruth zu "unterwerfen", die ja mindestens so dominant wie Jonah ist. Und während des Bruchs zwischen den Brüdern ist es Teresa, von der er sein Leben bestimmen lässt. Was mir an Joe fehlt, ist ein eigenständiges Leben. Er tut, was man ihm sagt, und ist dadurch schon der ideale Bruder.


    Was war das eigentlich für eine Veranstaltung am Schluss, zu der Joe mit seinen Neffen geht? Das blieb mir völlig unklar.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Saltanah: die Schlussveranstaltung hätte ich ohne meine Zeittafel im Anhang auch nicht kapiert - das war der Million Man March, eine Schwarzen-Protestveranstaltung, die von einem radikal-fundamentalistischen schwarzen Prediger organisiert wurde und bei der nur Männer zugelassen waren. Davon hatte ich auch noch nie etwas gehört.


    Es stimmt schon, die erste Hälfte ist intensiver geschildert, und es hat auch seine Längen (mein Ersteindruck nach dem Fertiglesen kam vielleicht zu "positiv" rüber). Ich würde es insgesamt mit 4 amazon-Sternchen bewerten, für einen 5-Sterne-Knaller reicht es nicht ganz.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo, ihr beiden,


    dann habt ihr es also geschafft. Glückwunsch! :blume: Es ist schon ein Wälzer. Und du hast Recht, Saltanah, es hat schon seine Längen. Ich bin erst bei Joeys Zeit als Barpianist in Atlantic City, melde mich dann, wenn ich weitere hundert Seiten geschafft habe.


    Danke für dein Mitleid, Valentine, aber ich befürchte, ich komme noch nicht mal zu dieser elenden Steuererklärerei. Arbeit geht vor, sonst kann ich später nix mehr deklarieren.


    FF frohe finxten
    finsbury

  • Hallo, ihr beiden,


    ich hab's auch geschafft und doch, ich bin immer noch sehr angetan!


    Hier mein Abschlussstatement:


    Richard Powers: Der Klang der Zeit – The time of our singing


    Der umfangreiche Roman schildert die Probleme einer gemischtrassigen amerikanischen Familie im 20. Jahrhundert. Delia Daley, eine Afroamerikanerin, und David Strom, ein aus Deutschland geflüchteter jüdischer Physiker, gründen zu Beginn der 40er Jahre in New York eine Familie. Entgegen besseren Wissens meinen sie, im Schutze der Musik ihren drei Kindern eine von Rassismus freie Zukunft bieten zu können. Natürlich erweist sich dies als utopisch. Obwohl der älteste Sohn, Jonah, mit seiner Ausnahmestimme Weltkarriere macht, geling es doch keinem der Geschwister, ihm nicht und auch seinem Bruder Josef und seiner Schwester Ruth ihren Platz und ihr Selbstbewusstsein in der amerikanischen Gesellschaft zu finden. Immer wieder werden sie schmerzhaft mit den Grenzen des amerikanischen Traums konfrontiert, der auch heute noch in den meisten Fällen die richtige Hautfarbe voraussetzt.


    Über diese äußerst wichtige Problematik hinweg ist das Buch aber auch ein Künstlerroman voller mitreißender Musikbeschreibungen und ein Spiegel der US-amerikanischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Durch den Physiker David Strom wird auch das Problem der Zeit, die sich nicht vorwärts bewegt, sondern stets als Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nebeneinander existiert, mit der geschichtspessimistischen Aussage verschränkt. Außerdem spricht der Autor ein allgemeingültiges menschliches Problem an: das Gefühl der Unbehaustheit und Heimatlosigkeit, das uns wohl alle schon einmal überfallen hat. Letztlich ist jeder Mensch sein eigenes Universum, das wird einem beim Lesen immer wieder in Erinnerung gerufen.


    Die Lektüre fand ich nicht einfach: Tiefgehendes Verständnis setzt Kenntnisse der Relativitätstheorie, der Musikgeschichte und –theorie voraus.
    Häufig verursachte die eindringliche Darstellung des alltäglichen Rassismus Wut und Traurigkeit.
    Das Buch hat sicher auch seine Längen, dennoch sind in der Gesamtkomposition auch diese Passagen von Wichtigkeit.
    Insgesamt halte ich diesen Roman für ein Kernwerk der modernen amerikanischen Prosa, das in seiner Vielschichtigkeit hoffentlich noch vielen Menschen aufwühlende und erkenntnisreiche Lesestunden beschert.


    Ich wünsche euch alles Gute


    Bis zur nächsten Leserunde


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    eine schöne Zusammenfassung hast du da geliefert. Dem kann ich nur zustimmen. Das Buch ist absolut lesenswert, und ich kann es guten Gewissens weiterempfehlen.
    Hoffentlich hast du in Bälde wieder einen Leserundenvorschlag mit einem ähnlich guten Buch.


    Grüße,
    Saltanah

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo ihr Lieben,


    ich wollte mich mal kurz für diese schöne Leserunde bedanken, obwohl ich gar nicht mitgemacht habe! Aber ich lese ja immer mit und finde es immer sehr interessant!


    Jedenfalls ist dieses Buch auf meine Wunschliste gewandert! :winken:


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Tja, bei der Relativitätstheorie bin ich ein paarmal "ausgestiegen" :redface: ... aber in der Musik kam ich größtenteils ganz gut mich, wobei ich die ganz alte Musik auch kaum kenne.


    Aber "Bist du bei mir" von Bach werde ich zukünftig mit Sicherheit ganz anders empfinden...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo, ihr Lieben,


    dann können wir hiermit die Leserunde ad acta legen. Hoffen wir, dass noch viele das Buch mit Gewinn lesen.


    Bis zum nächsten Mal


    finsbury

  • Hallole!


    Dank Valentine bin ich auf diese Leserunde gestossen :bussi: und jetzt, da ich das Buch gelesen habe, habe ich mir auch die Postings dazu durchgelesen. Schade, dass ich bei der Leserunde nicht dabei war!


    Mein Fazit: das Buch ist unglaublich kompakt. Neben der Rassenprobleme beschreibt Powers sehr schön das seltsame Verhältnis der beiden Brüder. Auf den ersten Blick ist es sehr innig, aber je weiter ich im Buch gekommen bin, desto mehr ist mir aufgefallen, dass es sich von der Zweckgemeinschaft am Anfang, als sich die beiden vor den Jungen aus der Nachbarschaft versteken mußten, zu einem Abhängigkeitsverhältnis entwickelt hat. Der begabtere Jonah hat seinen kleinen Bruder nicht nur als Klavierbegleitung, sondern auch als Ruhepol in seinem hektischen Leben gebraucht. Auf der anderen Seite hat Joey seinen großen Bruder als Lebenszweck gebraucht. Ich glaube, ohne ihn hätte er nicht gewußt, was er mit seinem Leben anfangen soll, weil er seit seiner Kindheit mehr oder weniger das gemacht hat, was Jonah wollte. Die beiden haben in ihrer kleinen Welt gelebt und die teilweise tragischen Ergeignisse in der richtigen Welt aussen vor gelassen.


    Die Art und Weise, wie Powers mit der Zeit umspringt, hat mir sehr gut gefallen. Gegenwart und Vergangenheit waren bunt gemischt und auch wenn er ab und zu mit kleinen Bemerkungen schon vorgegriffen hat, hat mich das nicht gestört, sondern nur neugierig gemacht, wie es in einigen Jahren zu dem Ereignis kommt, das er erwähnt hat. Wie er am Schluß Vergangenheit und Gegenwart wieder zusammenfügt fand ich wunderbar!


    Was mich sehr fasziniert hat war die Geschichte aus Joeys Sichtweise. Jedem Ereignis konnte er einen Auftritt zuordnen und ich war mir nie sicher, was ihm wichtiger war.


    Ein wunderschönes Buch, das ich nach ein paar Anfangschwierigkeiten sehr genossen habe. Von mir bekommt es 4ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Zitat von "Kirsten"

    Ein wunderschönes Buch, das ich nach ein paar Anfangschwierigkeiten sehr genossen habe. Von mir bekommt es 4ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten


    Hallo Kirsten,


    prima, dass du noch etwas mit der Leserunde anfangen konntest.
    Mit deiner Wertung bin ich auch einverstanden, wobei die fehlende Ratte bei mir für einige vermeidbare Längen steht. Insgesamt wird dieser Roman aber bei meiner Jahresendabrechnung eine hohen Rang erhalten.


    HG
    finsbury

  • Ich habe heute "Der Klang der Zeit" beendet und wollte meinen Eindruck beschreiben. Da gibt es soviel was mir gefallen hat. Alleine wie die Musik beschrieben wird. Ich bin keine Musikerin und verstehe nicht viel davon, aber noch nie zuvor habe ich so eindrucksvolle Beschreibungen darüber gelesen.


    Im negativen Sinne wurde mir so richtig bewusst was Rassendiskreminierung eigentlich bedeutet. Welche Auswirkungen es auf die Familie, auf den Einzelnen hat. Immer wieder wird wie beiläufig davon erzählt. Wenn sich Delia nicht neben ihren Mann vorne ins Auto sitzen darf, wenn sie mit ihren Kindern aus dem Fahrstuhl tritt und angespuckt wird (fand ich, warum auch immer besonders krass) usw. . Das hat mich wütend gemacht. Und leider wird es wohl nie ein Ende dafür geben. Dafür ist es scheinbar in einigen Köpfen zu tief verankert. Man kann nur hoffen, dass es sich irgendwann in einer nahen Zukunft ändern wird.


    Wunderschön fand ich die Geschichte von Delia und David beschrieben. Einfach nur den anderen zu lieben, so wie er ist. ( Mir hat der Antrittsbesuch von David bei den Eltern von Delia gut gefallen. Fand ich teilweise recht witzig.)


    Interessant fand ich die Beziehung von Joseph und Jonah dargestellt. Joseph war von Anfang an ein Kind, das gerne geholfen und unterstützt hat, und ganz besonders seinen Bruder.

    Zitat

    Ich denke er war für Jonah sehr wichtig. Er hatte in ihm (Joseph) einen ruhenden Gegenpol gefunden.
    Den Bruch der Brüder fand ich ziemlich abrupt, ohne Vorwarnung. Hätte ich fast überlesen.


    Ihre Schwester Ruth hat einen anderen Lebensweg gefunden, als ihre Brüder. Leider wurde ihre Geschichte im Buch erst spät erzählt.


    Zitat

    Hin und wieder hätte ich mir aber schon gewünscht, dass Joseph mal anfängt sein eigenes Leben zu leben. Immerhin hätte er ja die Chance dazu gehabt, als sein Bruder nach Europa gegangen ist. Aber nein. Kaum tritt Ruth in sein Leben und schon hilft er ihr. Vielleicht hat er aber als Musiklehrer seine Erfüllung gefunden.


    Mich haben viele Szenen in diesem Buch beschäftigt und nachdenklich gemacht. Allein schon deshalb gefällt es mir besonders. Längen hatte es für mich keine gehabt. Ein wunderschönes Buch! Schade, dass ich bei der Leserunde nicht dabei war. Wäre bestimmt super interessant gewesen, dass Buch direkt mit euch zu diskutieren.


    Liebe Grüße
    wolves

  • Hallo Wolves!


    Ich war leider auch nicht bei der Leserunde dabei :sauer: Aber alleine das Durchlesen der Postings im Nachhinein hat mir (nicht nur bei dieser Runde) viel für das Verständnis des Buches gebracht.


    groetjes
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.