Emile Zola - Das Paradies der Damen

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    Es war einmal ein junger Ladenbesitzer, der es sich zum Ziel gemacht hatte, die Frauen zu unterwerfen. Er schmeichelte ihnen und nutzte sie aus, baute ihnen einen Tempel - ein riesiges Modewarengeschäft - und verachtete sie heimlich für ihre Kaufsucht.
    Doch dann kam eine, die alles veränderte.


    ~~~


    Ich lese dieses Buch im Moment wieder, sicher schon zum 15. Mal. Ende der 80er bekam meine Mutter einen Zola-Band geschenkt, der drei Romane enthielt. Am meisten fasziniert hat mich "Paradies der Damen". Ich habe es öfter als jedes andere Buch in meinem Leben gelesen, und das soll schon was heißen :zwinker: .
    Vor einem halben Jahr besorgte ich mir endlich eine deutschsprachige Ausgabe, die ich nun ... nein, nicht lese - genieße.


    Alles in diesem Buch gefällt mir: Die schöne Sprache, die Beschreibungen der Stadt Paris und der französischen Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts, die Entwicklungen des Handels, und natürlich die Liebesgeschichte zwischen Denise und Mouret.


    Hier im Forum gibt es einen Thread über "Wohlfühlbücher". Dies ist meines :herz: .


    ***
    Aeria

  • Nun habe ich die Zeit gefunden, eine "richtige" Rezension zu schreiben, die - hoffentlich - ein wenig informativer ist, als die bloße Lobeshymne oben.


    Handlung:


    Frankreich, irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts.
    Denise Baudu muss nach dem Tod ihrer Eltern für ihre jüngeren Brüder sorgen. Sie geht mit ihnen nach Paris, wo sie im Laden ihres Onkels, der Tuchhändler ist, eine Anstellung als Verkäuferin zu finden hofft. Doch die Geschäfte des Onkels gehen nicht gut, weil direkt gegenüber ein großes Kaufhaus "Paradies der Damen" entstanden ist.
    Durch eine (glückliche?) Fügung bekommt Denise Arbeit in diesem Kaufhaus, wo sie dem Inhaber, Octave Mouret, auffällt.


    Meine Meinung:


    Das ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher.
    Zola erzählt die Geschichte sehr intensiv, es fällt einem nicht schwer, sich in die Personen hineinzuversetzen, oder sich das Elend vorzustellen, in das Denise gerät, oder das Glück, das ihr widerfährt.
    Wenn man die Beschreibungen des Kaufhauses "Paradies der Damen" liest, dann ist man auch dort, mitten im Gedränge, man wird von dem Kaufrausch der Frauen mitgerissen, fühlt die Seide und die Spitzen in den Händen.
    Eigentlich bin ich kein Fan von langen Beschreibungen, oft blättere ich einfach weiter, bis wieder etwas passiert. Aber nicht bei diesem Buch.


    Im Roman geht es viel um die Entwicklungen des Handels, die Entstehung der großen Kaufhäuser, und die Auswirkungen auf die kleineren Geschäfte. Es ist auch interessant, in die Pariser Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts einzutauchen.


    Die Figuren, um die es hier geht, sind nicht immer sympathisch, aber sie wirken sehr lebendig, man erlebt mit ihnen all ihre Freuden und Nöte. Octave Mouret, der Frauenheld, der davon überzeugt ist, jede Frau verführen zu können, ob nun mit seinem Charme oder mit dem Angebot seines Modewarenkaufhauses; Frau Desforges, die hübsche eifersüchtige Witwe, die alles tut, um ihren Liebhaber Mouret zu halten; die Händler Bourras, Baudu und Robineau, deren Familien und Läden von dem riesigen "Paradies" buchstäblich zerquetscht werden; die Verkäuferinnen im "Paradies", deren Leben nicht immer ein Zuckerschlecken ist und und und... Sie alle wachsen einem beim Lesen ans Herz.


    Aber eigentlich lese ich dieses Buch immer wieder, weil es von einer Frau handelt, die gar nicht weiß, wie stark sie eigentlich ist. Ich empfinde ihre Sanftheit und ihre Scheu in keiner Szene als übertrieben. Sie ist ein sehr liebenswerter Charakter, und ich gönne ihr ihren Sieg.


    Sehr empfehlenswert.


    5ratten


    ***
    Aeria

  • Hallo Aeria,


    vielen Dank für Deine Rezension. Von Zola habe ich bisher leider noch nichts gelesen, aber im Klassikerforum taucht er immer wieder mal auf und ich habe mir es fest vorgenommen. Du hast mir jetzt auch so richtig Lust darauf gemacht!


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Zitat von "nimue"

    Du hast mir jetzt auch so richtig Lust darauf gemacht!


    Hi nimue!


    Berichte dann mal bei Gelegenheit, ja? (Weil: Ich persönlich kann mich mit Zola nun so gar nicht anfreunden ...)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich selber kenne, wie ich oben schon schrieb, drei seiner Werke. An die anderen beiden - "Ein Blatt Liebe" und "Therese Raquin" - kann ich mich so gut wie gar nicht mehr erinnern. Aber dieses hier ist einfach nur toll *schwärm*.


    Das Buch ist nicht gerade eine sehr leichte Lektüre, wer einen unterhaltsamen Roman erwartet, wird enttäuscht werden. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich beim Lesen der russischen Ausgabe auch solche Schwierigkeiten hatte; als ich den Roman jetzt erstmals auf Deutsch las, fiel es mir schwer, "reinzukommen". Zolas Schreibstil ist mit dem der heutigen Autoren nicht zu vergleichen, wie ich finde. Er geht sehr ins Detail, stellenweise kann einen das schon ein wenig ermüden.
    Dennoch: Wer durchhält wird mit einer wunderbaren Geschichte belohnt.


    ***
    Aeria

  • ein Hallo in die Runde!


    Eine Zeit lang während meiner Jugend war ich ganz verrückt nach Emile Zola. Ich habe verschlungen alles, was ich nur finden konnte – ca.8-10 Romane (auch auf Russisch). Vor allem mochte ich „Das Paradies der Damen“, „Die Freude am Leben“, „Therese Raquin“. Und es war noch ein Buch von Zola, das mich tief beeindruckt hat... Aber wie hieß es?... Über das Schicksal einer Frau namens Gervaise (?) aus dem Pariser Arbeitermilieu, über ihre Verarmung und seelische Degradierung. Das kam mir damals sehr spannend und gleichzeitig sehr erschreckend vor.


    Es gab auch weitere Bücher...( Rougon-Macquart Reihe?) Aber an die anderen kann ich mich nicht so gut erinnern. Ich würde Zolas Werke zu den realistischen Gesellschafts- oder Sozialromanen zuordnen.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben, über die Sterne"

  • Paris in den 1870ern:
    Die junge Denise kommt nach dem Tod ihrer Eltern zusammen mit ihren jüngeren Brüdern aus der Provinz nach Paris, um dort bei ihrem Onkel – einem Stoffhändler – Unterkunft und Arbeit zu finden. Dies kann er leider nicht bieten, da sein Geschäft nicht mehr so gut läuft wie bisher – die Ursache dafür ist auf der anderen Straßenseite zu sehen: "Das Paradies der Damen", ein neues großes Kaufhaus, nimmt ihm wie auch den anderen Einzelwarenhändlern langsam aber sicher die Kundinnen weg. So hasst er dieses Monster, von dem Denise aber vom ersten Anblick an fasziniert ist: dort möchte sie arbeiten! Eine derartig große Auswahl an Waren hat sie noch niemals auf einem Haufen gesehen, ein dermaßenes Gedränge der Kundschaft ist ihr bisher nirgends begegnet.
    Es gelingt ihr tatsächlich, dort eine Anstellung zu finden und so lernen wir allmählich die eigentliche Hauptfigur des Romans kennen, nämlich das "Paradies", das Kaufhaus selbst, das Zola in allen Einzelheiten vorstellt. Er schildert nicht nur die Verkaufshalle, sondern auch die Warenannahme und –auslieferung, die Küche, die Kantine und auch die Zimmerchen der alleinstehenden weiblichen Angestellten.
    Die Arbeitsbedingungen der Angestellten werden ebenso beschrieben wie der Effekt des unübersschaubaren Warenangebotes auf die Kundinnen, von denen einige genauer vorgestellt werden. Natürlich darf auch der Direktor, das Gehirn hinter dem Ganzen nicht fehlen: Mouret hat eine Vision – durch immer schnelleren Warenumsatz, durch immer weitere Vergrößerung des Kaufhauses, durch ständige Ausweitung des Angebots auf neue Warengruppen (ganz am Ende des Buches wird auch eine Bücherabteilung eröffnet), durch Schaffung von Anreizen für das Personal, mehr zu verkaufen, durch ausgeklügelte Reklamestrategien (ich hätte nie gedacht, dass Reklame schon in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine so große Rolle spielte), durch erbarmungslose Verdrängung der Konkurrenten, durch geschickte Nutzung von Lockangeboten und durch ständig neuen Ideen – einen möglichst großen Profit zu erzielen.


    Dies könnte langweilig sein, ist es aber überhaupt nicht. Die riesige Maschine "Warenhaus", für die die Menschen, seien es Angestellte oder Kundinnen, nur Zahnrädchen im Getriebe sind, schildert Zola mit einer Intensität, die mir immer wieder den Atem geraubt hat. Ausführliche, seitenlange Beschreibungen der Waren einer Sonder-Verkaufsausstellung, Schilderungen des unglaublichen Menschengedrängels (ein perfektes Timing: im Gedränge der Vorweihnachtszeit fand ich mich immer wieder an das Buch erinnert :smile: ), der furchtbaren Hektik, der die VerkäuferInnen von Morgen bis Abend ausgesetzt sind, des ungezügelten Kaufrausches, dem einige Kundinnen verfallen haben mich in einem Maße gefesselt, wie es sonst nur selten vorkommt.
    Dagegen fallen die Beschreibungen der Protagonisten ab; vor allem die (unvermeidbare) Liebesgeschichte war mir doch arg stereotyp geschildert.
    Nein, die Größe dieses Romans liegt für mich in der Darstellung des Kaufhauses selbst, in der minutiösen Schilderung aller Fazetten seines Funktionierens. Deutlich wird, wie genau Zola (sagt das Nachwort und ist aus den Zeilen herauszulesen) das Phänomen "moderner Handel" untersucht hat, wie eingehend er sich damit auseinander gesetzt hat, um es wahrheitsgemäß beschreiben zu können. So bietet der Roman auch eine gute Gelegenheit, sich ein Bild von den Lebens- und Arbeitsbedingungen jener Zeit zu machen – geschönt hat Zola, glaube ich, nicht. Spannend war für mich gleichzeitig zu sehen, eine wie große Faszination trotz der eindeutig auch vorhandenen Nachteile die Moderne, der Fortschritt auf die Zeitgenossen Zolas ausübte. So hat z. B. Denise in der ersten Zeit ihrer Anstellung im Kaufhaus nichts zu Lachen, aber trotzdem sehnt sie sich nicht zurück zu den Arbeitsbedingungen des herkömmlichen Handels – dies ist die Zukunft, und an der will sie teilhaben!


    5ratten

    Wir sind irre, also lesen wir!