J. G. Ballard - The Drowned World (Paradiese der Sonne/Karneval der Alligatoren)

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    Die Erde ist durch eine Klimakatasrophe vollständig verändert. Eine Zunahme der Sonnenstürme, verursacht durch eine vorübergehende Instabilität des Sterns, hat die Temperatur abrupt ansteigen lassen, die Polkappen sind geschmolzen und die Kontinente sind überflutet worden. Zugleich ist die schützende Atmosphäre durchlässiger geworden, so dass sich Mutationen häufen und Fauna und Flora in rasendem Tempo eine Zeitreise in die Vergangenheit angetreten haben: die überfluteten Städte sind gesäumt von meterhohen Farnbäumen und bevölkert von immer größeren Reptilien. Schon trudeln Berichte über die ersten Sauriersichtungen ein.
    In dieser Welt forscht der Meeresbiologe Robert Kerans mit einem kleinen Team von Soldaten und Wissenschaftlern, um zu retten, was noch zu retten ist. Der Leser begegnet den Figuren allerdings bereits zu einem Zeitpunkt, da ein Aufgeben der Forschungsstation im ehemaligen London unvermeidbar scheint und unmittelbar bevorsteht. Doch nicht alle wollen gehen und die kaum noch bewohnbaren, mehr als tropischen Landstriche in Richtung Norden verlassen. Grund sind psychische Veränderungen, die anscheinend durch die neuen klimatischen Bedingungen hervorgerufen werden. Einige Menschen, unter ihnen bald auch Kerans, werden von unerklärlichen Alpträumen geplagt, die eine längst vergangene Welt mit einer riesigen heißen Sonne und bedrohlichen Reptilien zeigen. Sollte etwa das Stammhirn phylogenetisch verankerte Erinnerungen wieder an die Oberfläche bringen? Wie lange können die Träumenden diesen kollektiven Erinnerungen und dem mit ihnen einhergehenden inneren Drang nach Süden noch widerstehen?


    James Graham Ballards Roman ist beides: sehr aktuell und auf eine eigenartige Weise anachronistisch. Gerade weil uns das Szenario der schmelzenden Polkappen durch die Erderwärmung der letzten Jahrzehnte als Bedrohung unmittelbar vor Augen steht, erscheint es eben komisch, dass für die Klimaveränderung in diesem - erstmals 1963 veröffentlichten - Text ein kompliziertes astronomisches Phänomen zur Erklärung herangezogen wird.
    Ballard gehört der sogenannten "New Wave" der amerikanischen SF an, einer Gruppe von Autor/innen, die in den 60ern eine Abkehr von der florierenden trivialen SF propagierte und durch formale Experimente sowohl eine Nähe zur anspruchsvollen Literatur suchte als auch versuchte, dem Thema der Beschreibung der Zukunft besser gerecht zu werden - eine Aufgabe, die laut Ballard von einer chronologisch ordnenden auktorialen Erzählinstanz nur unzureichend erfüllt werden kann.


    Von formalen Experimenten ist The Drowned World allerdings noch ziemlich weit entfernt. Ballard erzählt chronologisch, wenn auch sehr langsam und mit Liebe zum Detail. Wer SF wegen der Action liest, ist hier an der ganz falschen Adresse.
    Inhaltlich ist das Ganze schon interessanter. Man merkt, dass Ballard ein belesener Mensch ist, der mit Zitaten aus antiker Literatur und klassischer Musik sowie mit anderen kulturgeschichtlichen Anspielungen glänzt und zugleich sprachlich auf einem anspruchsvollen Niveau schreibt. Zentral für seinen Zukunftsentwurf ist außerdem die Anlehnung an die jungianische Psychologie. Die wiederkehrenden Träume werden an einer Stelle ausdrücklich als "archetypes" bezeichnet, doch auch ohne diese Begrifflichkeit wäre klar geworden, dass es Ballard um die Thematisierung im Menschen grundsätzlich vorhandener geteilter psychischer Dispositionen geht.
    Ich fand C.G. Jungs dahingehende Überlegungen noch nie plausibel, so dass sich die Faszination für diese Anordnung bei mir in Grenzen hielt. Allerdings muss ich zugestehen, dass diese gewöhnungsbedürftige Psychologisierung den Roman nicht völlig vereinnahmt, wenn dieser sie auch als Grundierung die ganze Zeit völlig ungebrochen mitführt.


    Insgesamt wird The Drowned World wohl nicht mein letzter Ballard gewesen sein, wenn ich auch sagen muss, dass mich manche/r Autor/in beim "Erstkontakt" mehr überzeugen konnte.


    [size=6pt]EDIT: Deutsche Titel in den Betreff eingefügt. LG, Saltanah[/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()