Vladimir Nabokov - Lolita

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  • Dies ist einer der Romane, von denen ich zwar irgendwie und ungefähr wußte, um was es geht, aber einen eigenen Eindruck wollte ich mir jetzt doch auch mal verschaffen.


    Vorweg, weil das hier im Thread auch schon Thema war: Ich hätte sicher nichts dagegen, käme die Welt ohne Pädophilie aus. Trotzdem würde ich beim Umgang eines Rechtsstaates mit den Tätern schon gerne eine Unterscheidung gemacht sehen zwischen solchen, die sich bewußt und selbstbestimmt an Kindern vergreifen, und solchen, bei denen eine, ich nenne es der Einfachheit halber und mangels Fachwissen, psychische Erkrankung vorliegt, auch wenn dies für die Opfer keinen Unterschied macht. Soweit muß ein Rechtssystem m. E. schon gehen.


    Humbert löst, soweit ich das hier im Thread gesehen habe, sehr unterschiedliche und auch widerstreitende Gefühle aus. Mein Eindruck war, daß dies maßgeblich durch die selbstironische Erzählhaltung bedingt ist, denn abgesehen von der Rechtfertigung des Verhältnisses zu Lolita stellt er sich selbst durchaus auch (nicht durchgehend, schon gar nicht, wenn es um sein Äußeres geht) als ziemlichen Narren dar. Würde er jammern, in Selbstmitleid versinken oder gegen die böse Umwelt wüten, die ihn mißversteht, – die Ablehnung seines Charakters wäre wohl einmütiger. So gesehen hat Nabokov hier den richtigen Ansatz gewählt, weil es eben nicht unbedingt die bequeme Abwehrhaltung erlaubt, sondern zur Auseinandersetzung mit Humberts Sicht auffordert.



    Kurz zur Figur der Lolita: Sie ist keine reine "Opferfigur", ihre Darstellung als "Nymphe", als "Kindfrau" ist durchaus ambivalent betrachtbar und vielleicht (!) nicht allein als ein Produkt von Humber Humberts Fantasie.


    Vielleicht nicht, das ist richtig. Es gibt zwischendurch immer wieder Passagen, die diese Ambivalenz aufscheinen lassen. Wenn ich insgesamt das Verhalten Lolitas nehme, dabei aber Humberts geschönten Anteil abziehe, dann würde ich aber doch vermuten, daß sie hier mehr die Erwachsene spielt, ohne sich über die Konsequenzen wirklich bewußt zu sein. Es wird zwar mehr oder weniger explizit behauptet, sie habe in einem der Sommercamps schon sexuelle Erfahrungen gemacht, aber selbst wenn einer der etwa gleichaltrigen Jungen dort zudringlich geworden ist, so steckt dahinter doch eine andere „Qualität“ als hinter Humberts Vorgehen mit Zwang, ständiger Überwachung und Freiheitsberaubung noch obendrein.


    Insgesamt hatte der Roman für mich sprachlich und erzählerisch extrem gute Passagen, wenn die psychische Disposition von Humbert im Mittelpunkt stand. Bei den endlosen (so kamen sie mir jedenfalls vor) Beschreibungen der Fahrerei kreuz und quer durch die Staaten bspw. bin ich dagegen fast eingeschlafen, was den Eindruck insgesamt doch trübt. Es war zwar keine „schöne“ Lektüre, aber eine sehr aufschlußreiche, und eine Lücke, die ich dann doch froh bin, geschlossen zu haben.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Meine Meinung
    Lolita ist das Buch, bei dem ich die Hauptperson am liebsten erwürgt hätte. Humbert beschreibt seine perfekte Welt mit seiner perfekten Frau darin und sieht nicht, was er dem Kind antut. Oder vielleicht sieht er es und übersieht es großzügig. Von Anfang an ist mir bei seiner süßliche Art zu erzählen fast schlecht geworden. Und je weiter er erzählte, desto schlimmer wurde es. Denn Humbert ist nie zufrieden mit dem was er hat, sondern er will immer mehr und verliert mehr und mehr das Mitgefühl (falls er das überhaupt hatte). Je älter Lolita wird, desto weniger interessiert sie ihn. Trotzdem will sie ihn nicht gehen lassen.


    Das Bild von Lolita wird sehr stark durch das Erzählte geprägt. Man kann sehr wohl den Eindruck bekommen, dass sie Humbert Zuneigung erwidert hat. Dabei sollte man aber nie außer Acht lassen, wie alt sie ist. In meinen Augen ist sie ein Kind, das sich über die Konsequenzen ihres Handelns nicht bewusst sein konnte.


    Wie Aldawen auch fand ich die immer länger werdenden Autofahrten mehr als ermüdend. Und trotz des sehr schwierigen Themas bin ich froh, das Buch zu ende gelesen zu haben.
    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ist schon länger her, dass ich das Buch gelesen habe, aber es ist mir stark in Erinnerung geblieben. Besonders wie sehr man in HHs fehlgeleiteten Wahrnehmung gefangen ist. Man kann nicht wissen, was in Lolita vorgeht, weil er uns einfach nichts darüber wissen lässt. Bis auf subtile Andeutungen oder ganz bewusste Färberei. Selbst wenn ich sage, dass es für mich in Lolita nicht primär um Pädophilie geht, kann ich mir nicht sicher sein, ob mich nicht Humbert Humbert das denken lässt. Und das war für mich das Erschreckende und Geniale zugleich bei diesem Buch.



    Humbert beschreibt seine perfekte Welt mit seiner perfekten Frau darin und sieht nicht, was er dem Kind antut. Oder vielleicht sieht er es und übersieht es großzügig.


    Mir kam es auch so vor, als gäbe es Hinweise, dass er manchmal sogar Mühe hat sich selbst zu täuschen. Besonders da die Atmosphäre im Laufe der Flucht immer absurder wird.

    Zitat

    Das Bild von Lolita wird sehr stark durch das Erzählte geprägt. Man kann sehr wohl den Eindruck bekommen, dass sie Humbert Zuneigung erwidert hat.


    Dass ausgerechnet "Lolita" zum geflügelten Wort geworden ist, zeigt doch wie sehr der Erzähler die Leser einlullen konnte. Zumindest seh ich es so. Für mich war Lolita eines der Schlüsselbücher, die mich begreifen ließen wozu Literatur fähig ist.

    ~ es gibt andere Welten als diese ~<br /><br />SUB-Challenge<br />Start: 31.07.2014

    Einmal editiert, zuletzt von Blum ()

  • Dass ausgerechnet "Lolita" zum geflügelten Wort geworden ist, zeigt doch wie sehr der Erzähler die Leser einlullen konnte. Zumindest seh ich es so. Für mich war Lolita eines der Schlüsselbücher, die mich begreifen ließen wozu Literatur fähig ist.


    Da hast du recht. Ich habe auch an Dolores nie wirklich ale "Dolores" gedacht, sondern immer als "Lolita". Dass sie einen anderen Namen haben könnte, war mir vor der Lektüre nicht klar.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Was für ein dickes Buch dachte ich mir - über 700 Seiten. Zum Glück merkte ich noch vor Beginn, dass es nach dem Roman ein Nachwort zur russischen Ausgabe, ein Nachwort des Herausgebers, Anmerkungen zum Text (alleine diese über 100 Seiten lang), eine Chronik der Romanhandlung (wunderbar, um die Handlung am Ende schnell Revue passieren zu lassen), eine Zeittafel zur Entstehung des Romans und eine Zeittafel zum Leben Nabokovs gibt. Puh. :schwitz:
    Was die Anmerkungen angeht, bin ich wirklich froh, dass es diese gab. So viel Hintergrundwissen zu genannten Büchern, französischen Sätzen oder anderem füllten das Buch mit noch mehr Leben. Einzig dass im eigentlichen Text überhaupt kein Hinweis darauf war was denn nun im Anhang erklärt wurde, war etwas lästig.


    Was den Roman an sich angeht, bin ich etwas zwiegespalten. Einerseits fehlte mir die Sicht Lolitas auf das Ganze und ich musste mir immer wieder klarmachen, dass wir das alles durch den Filter Humberts erleben. Andererseits konnte man durch diese einseitige Sicht viel tiefer in seinen Geist eintauchen. Einerseits war das Buch streckenweise langatmig und schien oberflächlich. Andererseits wurde mir erst durch den Anhang und die vielen Erklärungen klar wie viel Mühe Nabokov sich gemacht hat und dass nichts ohne Hintergedanken niedergeschrieben wurde. Usw usf.


    Jemand mit pädophilen Neigungen per se zu verteufeln kann ich nicht. Niemand sucht sich so etwas aus. Etwas anderes ist es, diese Neigungen auszuleben. Dazu noch ein Kind gewissermaßen gefangen zu halten wie Humbert Humbert... Es ist für den Leser absolut nicht nachvollziehbar wie er in seiner Obsession zu solchen Mitteln greift und was für Gedanken er hat, die er teilweise mittels haarsträubender Strategien umsetzt. Daher war es unmöglich mich in überhaupt eine Person in diesem Buch hineinzuversetzen. Die Charaktere bleiben einem alle fern und oftmals tat ich mich etwas schwer bei den ellenlangen Beschreibungen ohne wörtliche Rede. Doch die Sprache ist umso schöner. Egal ob lange oder kurze Sätze, Nabokov reichert sie mit einer Fülle an Bildern an, dass man auch über die genannten Längen hinwegsieht und das Buch alleine deswegen gerne weiterliest, so seltsam das wegen des Inhalts auch klingen mag.


    3ratten

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing