Dies ist einer der Romane, von denen ich zwar irgendwie und ungefähr wußte, um was es geht, aber einen eigenen Eindruck wollte ich mir jetzt doch auch mal verschaffen.
Vorweg, weil das hier im Thread auch schon Thema war: Ich hätte sicher nichts dagegen, käme die Welt ohne Pädophilie aus. Trotzdem würde ich beim Umgang eines Rechtsstaates mit den Tätern schon gerne eine Unterscheidung gemacht sehen zwischen solchen, die sich bewußt und selbstbestimmt an Kindern vergreifen, und solchen, bei denen eine, ich nenne es der Einfachheit halber und mangels Fachwissen, psychische Erkrankung vorliegt, auch wenn dies für die Opfer keinen Unterschied macht. Soweit muß ein Rechtssystem m. E. schon gehen.
Humbert löst, soweit ich das hier im Thread gesehen habe, sehr unterschiedliche und auch widerstreitende Gefühle aus. Mein Eindruck war, daß dies maßgeblich durch die selbstironische Erzählhaltung bedingt ist, denn abgesehen von der Rechtfertigung des Verhältnisses zu Lolita stellt er sich selbst durchaus auch (nicht durchgehend, schon gar nicht, wenn es um sein Äußeres geht) als ziemlichen Narren dar. Würde er jammern, in Selbstmitleid versinken oder gegen die böse Umwelt wüten, die ihn mißversteht, – die Ablehnung seines Charakters wäre wohl einmütiger. So gesehen hat Nabokov hier den richtigen Ansatz gewählt, weil es eben nicht unbedingt die bequeme Abwehrhaltung erlaubt, sondern zur Auseinandersetzung mit Humberts Sicht auffordert.
Kurz zur Figur der Lolita: Sie ist keine reine "Opferfigur", ihre Darstellung als "Nymphe", als "Kindfrau" ist durchaus ambivalent betrachtbar und vielleicht (!) nicht allein als ein Produkt von Humber Humberts Fantasie.
Vielleicht nicht, das ist richtig. Es gibt zwischendurch immer wieder Passagen, die diese Ambivalenz aufscheinen lassen. Wenn ich insgesamt das Verhalten Lolitas nehme, dabei aber Humberts geschönten Anteil abziehe, dann würde ich aber doch vermuten, daß sie hier mehr die Erwachsene spielt, ohne sich über die Konsequenzen wirklich bewußt zu sein. Es wird zwar mehr oder weniger explizit behauptet, sie habe in einem der Sommercamps schon sexuelle Erfahrungen gemacht, aber selbst wenn einer der etwa gleichaltrigen Jungen dort zudringlich geworden ist, so steckt dahinter doch eine andere „Qualität“ als hinter Humberts Vorgehen mit Zwang, ständiger Überwachung und Freiheitsberaubung noch obendrein.
Insgesamt hatte der Roman für mich sprachlich und erzählerisch extrem gute Passagen, wenn die psychische Disposition von Humbert im Mittelpunkt stand. Bei den endlosen (so kamen sie mir jedenfalls vor) Beschreibungen der Fahrerei kreuz und quer durch die Staaten bspw. bin ich dagegen fast eingeschlafen, was den Eindruck insgesamt doch trübt. Es war zwar keine „schöne“ Lektüre, aber eine sehr aufschlußreiche, und eine Lücke, die ich dann doch froh bin, geschlossen zu haben.
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Schönen Gruß
Aldawen