Nadine Gordimer - Ein Mann von der Straße

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    Inhalt:


    Julie, ca 30 Jahre alt, erfolgreiche Eventmanagerin, ist die verwöhnte Tochter eines weißen Finanzmanagers in Südafrika. Sie distanziert sich von ihrem Elternhaus und verbringt ihre Freizeit vermehrt mit den Benachteiligten der Gesellschaft (Schwarze, Arbeitslose, etc.).
    Infolge einer Autopanne lernt sie den hilfsbereiten Mechaniker Abdu kennen, der sich illegal in Südafrika aufhält. Sie verliebt sich in ihn und folgt ihm, als er ausgewiesen wird, in seine Heimat. Seine Heimat wird nicht näher genannt, es handelt sich um ein armes moslemisches Wüstenland.
    Dort erkennen die beiden allerdings, dass sie ganz verschiedene Vorstellungen von der Zukunft haben. Während Abdu alles daran setzt, seine moslemischen Wurzeln zu vergessen und von einer Zukunft im Westen träumt, merkt Julie, wie wohl sie sich eigentlich in diesem armen, einfachen Land fühlt und wie sehr sie das Leben in der Großfamilie genießt.


    Meine Meinung:


    Eigentlich bin ich mit ganz anderen Erwartungen an das Buch herangegangen. Nadine Gordimer verbinde ich mit Südafrika, mit politischem Engagement und kritischen Texten.
    Hier geht es schlicht um eine Liebesgeschichte um zwei Menschen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind, die auf der Suche sind, um ihre idealistischen Träume zu verwirklichen. Die Geschichte nimmt - v.a. nachdem die beiden in seinem moslemischen Heimatland ankommen - einen sehr unerwarteten Verlauf.


    Gesellschaftskritische Themen (Rassensituation in Südafrika, Religionsfanatismus, Alltag der Frauen in moslemischen Ländern) werden nur gestreift und (für mich zu) oberflächlich behandelt.


    Sehr positiv überrascht bin ich allerdings vom Stil der Nadine Gordimer. Diese Frau hat mit fast 80 Jahren einen Roman über junge Leute mit all ihren Träumen und Visionen geschrieben in einer solch authentischen Art (Vokabular, Gedankengänge, etc), dass ich eigentlich nur staunte.


    Fazit: Ein schönes Buch, eine wohltuende Abwechslung im Metier all dieser "Wahre-Schicksale" - Bücher, für mich aber doch ein bisschen zu märchenhaft, ein bisschen zu realitätsfern.


    Nadine Gordimer


    Geboren am 20.11.1923 in Springs, ehem. Transvaal, Südafrika als Tochter eines jüdsichen Juweliers und einer Engländerin.


    Bereits mit 9 Jahren beginnt sie zu schreiben, mit 14 erschien ihre erste Kurzgeschichte.
    Sie studierte in Johannesburg, verließ die Uni alleridings ohne Abschluss und reiste viel in Afrika, Europa und den USA.
    Sie setzt sich aktiv im Widerstand gegen die Apartheid ein. Ihr konsequentes Eintreten für das Recht auf freie Meinungsäußerung brachte ihr mehrfach Publikationsverbote in ihrem Heimatland ein.


    Die Rassentrennung, die gesellschaftliche Situation in Südafrika und soziales Unrecht sind Schwerpunkte in ihrem Schaffen.


    1974 bekam sie den Booker Prize, 1991 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur aus ausgezeichnet aufgrund "der offenen und ironischen Art, mit der sie soziales Unrecht beschreibt".


    Werke (u.a.):
    1953: Entzauberung (The Lying Days)
    1958: Femdling unter Fremden (A World of Strangers)
    1963: Anlass zu lieben (Occasion of Loving)
    1966: Die spätbürgerliche Welt (The Late Bourgeois World)
    1970: Der Ehrengast (A Guest of Honour)
    1974: Der Besitzer (The Conservationist)
    1979: Burgers Tochter (Burger's Daughter)
    1981: Julys Leute (July's People)
    1987: Ein Spiel der Natur (Sport of Nature)
    1990: Die Geschichte meines Sohnes (My Son's Story)
    1994: Niemand, der mit mir geht (None to Accompany Me)
    1998: Die Hauswaffe (The House Gun)
    2001: Ein Mann von der Straße (The Pickup)


    3ratten bis 4ratten

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Hallo,


    mein Beitrag für Südafrika innerhalb des Projektes Wir lesen uns rund um die Welt


    Nadine Gordimer: Ein Mann von der Straße


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    Julie, eine Frau aus wohlhabenen Hause und finanziell gut begütert, verliebt sich in einen armen Migranten, der illegal in Johannesburg lebt und für wenig Geld in einer Autowerkstatt arbeitet. Arm trifft auf reich, schwarze Hautfarbe trifft auf weiß. Julie lebt auf Distanz zu ihrer Familie. Ihr Vater und seine zweite Frau Danielle, die in der Welt des Geldes und des Kapitalismus aufgehen, lernen Julies Freund auf einer Gesellschaft kennen und verhalten sich ihm gegenüber ziemlich kühl. In dieser Gesellschaft wird er von Gordimer als „Jemand“ bezeichnet. Er lebt ja auch unter falschen Namen in Südafrika, ist also, wenn man es genau nimmt, wirklich ein anonymer „Jemand“, der in diesem Land keine Chancen hat. Natürlich spüren das Julies Eltern und es blinkt ein leiser Rassismus durch.


    Julies Freund, ein Schwarzer und Moslem. In diesem Roman begegnen sich verschiedene Welten. Als Abdu sie in ihr Heimatland mitnehmen will, da er aus Südafrika ausgewiesen wird, müssen sie vorher noch schnell heiraten, denn bei seinen Verwandten in einem Dorf in der Wüste, kann er natürlich nicht mit irgendeiner Frau ankommen, nur mit einer Ehefrau. Julie ist es ganz recht, aus der kapitalistischen Welt Südafrikas zu entfliehen und sich auf völlig neues einzulassen.


    Ich bin aber sehr verwundert, dass sich Julie in die islamische Gesellschaft eines Dorfes in einem fremden Land ohne Probleme integrieren kann und darin aufgeht. Meiner Ansicht nach ist das total realitätsfremd. Wenn Nadine Gordimer ein Märchen von der Integration zweier Kulturen schreiben wollte, ist ihr das deutlich misslungen, denn wie ein Märchen hört sich der Roman nicht an, dazu fehlt der Geschichte einfach eine solche Atmosphäre. Orhan Pamuk hat sich solch einem Thema in seinem Roman „Die weiße Festung“ angenommen, der wirklich ins märchenhafte gleitet. Gordimer schreibt leider völlig an meiner Erwartung und meinen Vorstellungen. vorbei. Nach diesen Unglaubwürdigkeiten kann meine Schlussfolgerung nur sein, Integration unterschiedlicher Kulturen ist nicht möglich. Wahrscheinlich hatte Gordimer aber etwas anderes im Sinn. Auch eine Liebesgeschichte ist der Roman nicht. Da habe ich schon wesentlich besseres gelesen. Das es zwischen den beiden flackert, konnte ich niemals spüren. Irgendwie schade. Habe mich schrecklich gelangweilt.


    2ratten
    (die zweite Ratte nur, weil der Roman sprachlich rasant beginnt).


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

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    Nadine Gordimers Roman "Ein Mann von der Straße" schildert die Geschichte der ungewöhnlichen Beziehung zwischen Julie, der Tochter einer privilegierten, südafrikanischen Familie, und Abdu/Ibrahim, den sie als Automechaniker kennenlernt und dem sie, als er das Land verlassen muss, weil er illegal dort lebt, in sein Heimatland folgt. Spannend ist dabei nicht nur, dass sich diese beiden sehr unterschiedlichen Menschen überhaupt ineinander verlieben, sondern wie sich ihre Beziehung im Laufe der Zeit entwickelt.


    Zunächst entsteht der Eindruck, dass zwar eine gegenseitige Anziehung gegeben ist, Julie für Abdu (unter diesem Namen lernt sie ihn kennen, obwohl er eigentlich Ibrahim heißt) aber auch eine gewisse Absicherung darstellt, da sie nicht nur finanziell gut aufgestellt ist (es wird immer wieder darauf hingewiesen, wie reich ihr Vater ist), sondern auch über gute Beziehungen verfügt. Die Tatsache, dass Abdu eine andere Hautfarbe hat als Julie spielt dabei eine untergeordnete Rolle, im Südafrika nach der Apartheid wird dies zwar registriert, trotzdem wird Abdu in Julies Freundeskreis aufgenommen. Als seine illegale Identität auffliegt und er das Land verlassen soll, helfen ihm allerdings auch Julies Beziehungen nicht weiter - der Anwalt rät sogar von einer Heirat ab, da diese den Eindruck einer Scheinehe erwecken würde.


    Dass Julie und Abdu trotzdem heiraten hängt damit zusammen, dass Julie die Entscheidung trifft, ihn in sein Heimatland zu begleiten - was bei Abdu gar nicht für Begeisterung sorgt, zumal sie hier recht eigenmächtig handelt. Letztendlich heiraten sie, weil er sie nur als Ehefrau zu seiner konservativen, islamisch geprägten Familie mitbringen kann. Und mit der Ankunft dort verändert sich die Beziehung der beiden drastisch: hier ist Ibrahim (dies ist Abdus richtiger Name) plötzlich der Mittelpunkt, um den alles kreist, da er als Sohn der Familie zurückkehrt, der im Ausland gelebt hat. Seine Ehefrau ist ein misstrauisch betrachtetes Anhängsel, da sie von anderer Herkunft, gebildet und nicht religiös ist, trotzdem ist Julie für Ibrahim auch eine Art Statussymbol, da es es geschafft hat, eine solche Frau für sich einzunehmen.


    Julie fängt nach kurzen Anfangsschwierigkeiten an, sich in das Leben der Familie einzufügen - sie unterrichtet mehrere Familienmitglieder in Englisch und lernt zugleich ihre Sprache, sie bittet ihre Mutter, ihr eine Ausgabe des Korans zu schicken, obwohl sie eigentlich atheistisch ist. Im Gegenzug dazu ist Ibrahim ständig damit beschäftigt, einen Ausweg zu finden - er will sein Heimatland unbedingt wieder verlassen, am liebsten Richtung Nordamerika oder Australien, während Julie in der Wüste immer mehr ankommt. Dadurch driften die beiden auseinander, insbesondere bei Ibrahim wird klar, dass Julie wohl nicht die große Liebe, sondern auch ein Stück weit Mittel zum Zweck war, und er steht ihr durchaus hilflos gegenüber.


    Das wird am deutlichsten, als sich sein großer Traum erfüllt und beide Visa für die USA erhalten (auch dank der Fürsprache von Julies dort lebender Mutter und ihres zweiten Ehemannes). Ibrahim möchte unbedingt dorthin gehen und sich aus eigener Kraft, aber durchaus unter Nutzung von Beziehungen, eine Existenz aufbauen, bei der Julie erst einmal am Rand steht. Sie soll zunächst zu ihrer Mutter ziehen und dort warten, bis ihr Mann die nötige Basis für das gemeinsame Leben geschaffen hat. Das möchte Julie aber keinesfalls, nicht nur, weil sie Bedenken hinsichtlich eines Lebens nahe bei ihrer Mutter hat. Sie ist in Ibrahims Familie und Land heimisch geworden und will diese Existenz nicht einen Aufbruch ins Ungewisse aufgeben. Und damit tritt eine weitere Wandlung in der Beziehung ein, denn eigentlich soll eine gute Ehefrau dem Mann folgen, was Julie nicht tut, sie entscheidet für sich, gleichzeitig gibt sie aber damit einem eher konservativen, religiös geprägten Leben den Vorzug, das auf den ersten Blick nicht zu ihr zu passen scheint. Dieses Paradox, dass gerade die eigenständige Entscheidung einer Frau sie in eine scheinbar rückständige Gemeinschaft integriert, bleibt am Ende des Romans stehen, es gibt lediglich den Hinweis (die Hoffnung?) durch die Aussage der Schwägerin, dass Ibrahim möglicherweise irgendwann zurückkommen wird.


    Mir hat der Roman sehr gut gefallen, ich finde ihn auch nicht so realitätsfern wie die VorrezensentInnen, für mich stand aber tatsächlich diese Beziehungsentwicklung im Vordergrund, und da kann man Julies Entscheidung am Ende durchaus emanzipatorisch interpretieren. Ich finde die Konstruktion des Romans diesbezüglich raffiniert und mag Nadine Gordimers Art zu erzählen.


    5ratten