Minka Pradelski - Und da kam Frau Kugelmann

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  • [size=18px]Und da kam Frau Kugelmann - Minka Pradelski[/size]
    Rezension


    Kurzbeschreibung
    Überraschend erhält Zippi die Nachricht, daß ihre kürzlich verstorbene Tante Halina ihr ein altes Fischbesteck vererbt hat. Sie reist nach Tel Aviv, um ihr Erbe selbst in Empfang zu nehmen. Kaum angekommen, da klopft es an der Tür ihres Hotelzimmers: Eine freundliche, ältere, vor allem sehr dicke Dame bittet darum, eingelassen zu werden. Bella Kugelmann, so stellt sie sich vor. Zippis ungeduldiger Versuch, sie abzuwimmeln, schlägt fehl. Aber dann beginnt Frau Kugelmann zu erzählen: von ihrer Jugend im polnischen Bendzin, von Eltern und Verwandten, Schulfreunden, dem schönen Adam und der stolzen Polin, von Fettauge, von Gonna und Kotek, dem Kätzchen, vom noblen jüdischen Fürstenberg-Gymnasium, von dem trickreichen Mantelverkäufer Teitelbaum, den starken Bachmanns. Es herrscht ein pulsierendes, sorgloses, scheinbar völlig unbeschwertes und fröhliches Leben in dieser Kleinstadt, so kurz bevor die Deutschen Polen überfielen und das Grauen begann. Frau Kugelmann erzählt wunderbare Geschichten von einer längst vergangenen Zeit, denen sich die junge Deutsche nicht entziehen kann. Und als Frau Kugelmann plötzlich ein altes Fischbesteck erwähnt, begreift Zippi, daß es sich hier um ihre eigene Familiengeschichte handelt.


    Minka Pradelski, selbst Kind Überlebender, hat einen anrührenden, aber auch humorvollen Roman über eine fast vergessene Zeit und über das Schweigen zwischen den Generationen geschrieben: der Generation, die den Holocaust überlebt hat, und der ihrer Kinder, denen man nichts erzählt, auch nicht von der friedlichen Zeit »davor«, um sie mit Gedanken an Tod und Krieg nicht zu belasten.


    Über die Autorin
    Minka Pradelski, selbst Kind Überlebender, arbeitete am Projekt »Nachwirkungen massiver Traumatisierungen bei jüdischen Überlebenden der NS-Zeit« und war viele Jahre ehrenamtlich für die Steven-Spielberg-Shoa-Foundation und für diverse Sozialkommissionen der jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main tätig, wo sie heute lebt. Veröffentlichungen u.a.: »Ghetto Theresienstadt. Fürsorge zwischen Leben und Tod« und »Eine durchaus glaubwürdige Familie. So einfach war das. Jüdische Kindheit und Jugend in Deutschland seit 1945.« "Und da kam Frau Kugelmann" ist der erste Roman der Soziologin und Dokumentarfilmerin.

    Klappentext

    "Als ich Frau Kugelmann das erste Mal sah, dachte ich, sie könnte gar nicht anders als Frau Kegel oder Frau Kugelmann heißen. Alles an ihr war rund, kugelrund, Augen und Ohren, Kopf, Hüfte, Beine, Bauch. Gerade so, als hätte man Kugeln aneinandergesetzt, kleine und große für Kopf und Körper und ein paar langgezogene für Arme und Beine. Einzig die Falten in Frau Kugelmanns Gesicht rebellieren gegen die rundliche Ordnung. Sie gehen eigene Wege und graben tiefe Furchen, wo immer sie wollen. Ja, und ihre Schuhe haben auch eine andere Form, es sind große ovale Schalen mit Riemchen, orthopädische Sandalen, die aus irgendeiner deutschen Schuhfabrik stammen, weil ältere Damen in Israel auf orthopädische Schuhe aus Deutschland schwören."


    Meine Meinung
    Ein wunderschöner Roman, mal sanft, mal heiter, gelegentlich grotesk! Geschichten von jüdischen Kindern, deren Eltern, Verwandte, Nachbarn und Freunde in Polen vor der großen Vernichtung. Absolut empfehlenswert.


    Leseprobe:
    Ich öffnete Halinas Koffer, nehme den alten braunen Besteckkasten heraus, breite das Besteck auf meinem Bett aus. Vielleicht gibt die Gravur mir einen Hinweis. Die Perlmuttgriffe sind stark verschmutzt, die Silberfassung ist schwarz angelaufen. Ich wasche das Besteck vorsichtig unter fließendem warmen Wasser, trockne es ab, erfreue mich an dem irisierenden Schimmer der Perlmuttgriffe, entdecke plötzlich zierlich eingravierte Fische an der silbernen Manschette. Was für ein wunderschönes altes Fischbesteck! Wo aber sind die restlichen vier Fischgabeln geblieben? Wo sind die drei fehlenden Fischmesser? Ist das der Fingerzweig? Gehören sie der Familie meines zukünftigen Mannes? Soll ich eine Anzeige aufgeben, ein Treffen all derjenigen organisieren, die ein unvollkommenes Fischbesteck besitzen? Oder kommen vielmehr nur Männer in Frage, die Goldfisch, Wildfisch, Krummfisch, Stockfisch oder Fischmich heißen? Soll es der Name eines biblischen Fisches sein, den meine Urahnen aßen, oder ein Fisch, der die Arche Noah begleitete?
    Ich werde die erste ausgefallene Wimper, die ich unter meinem Lid entdecke, zu Rate ziehen. Ich lege sie vorsichtig auf die Fingerkuppe meines Zeigefingers, so halb über die Fingerspitze ragend, dennoch gut anhaftend, zum Abflug bereit. Während ich kräftig puste, beginne ich alle Fischnamen, die mir einfallen, aufzuzählen. Fliegt die Wimper bei einem einzigen Namen davon, werde ich mich sofort auf die Suche nach dem Namensträger begeben. Wahrscheinlich verliere ich zu meinem Unglück keine einzige Wimper. Ich sehe mich schon tagelang vor dem Spiegel stehen, ziehend und zerrend, aber keine Wimper erbarmt sich und löst sich vom Lidrand ab, im Gegenteil, sie sind wie festgepappt. Mehr noch, die Wimpern verlieren ihren seidigen Glanz, verdicken sich, verhärten sich, wachsen unaufhaltsam zu gräulichen stählernen Stäben heran, die langsam meine Wangen und das Kinn bedecken, Stahlwimpern, hinter denen mein Gesicht wie unter einem heruntergelassenem Visier verschwindet. Wer soll sich da noch in mich verlieben?
    Nein, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Wenn mir ein Mann mit einem Fischnamen vorbestimmt ist, werde ich ihn finden. Ich muss mich konzentrieren, jeder Spur, jeder Frage, die mir in den Sinn kommt, nachgehen. Wer legte Wert auf so schönes Fischbesteck? Hat Halina das Besteck noch aus Polen mitgebracht, aus Kalisz? War Kalisz dafür bekannt, dass die Einwohner ihren Karpfen mit besonders schönen Bestecken aßen? Wollte Halina, dass ich nach Kalisz blicke? Wie sah die kleine Stadt überhaupt aus? Mir ist nichts über sie bekannt, außer dass sie sich ebenso wie Bendzin in der Nähe der deutschen Grenze befindet.


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    Die Ich-Erzählerin Zippy Silberberg, in Deutschland aufgewachsene Tochter polnischer Juden, reist nach Tel Aviv, um ein von ihrer Tante geerbtes Fischbesteck abzuholen. Im Hotel wird sie von einer Frau Kugelmann angesprochen, die ihr unbedingt von ihrer Kindheit in der polnischen Kleinstadt Bendzin erzählen will. Anfangs unwillig, später jedoch immer faszinierter von dem Leben Leben der polnischen Juden vor dem Krieg, lauscht Zippy den Geschichten, fordert gar von Frau Kugelmann immer neue Anekdoten. Als diese schließlich von einem Fischbesteck erzählt, wird Zippy klar, dass sie auch von der Kindheit und Jugend ihrer Eltern hört, von dem diese ihr nie etwas erzählt hatten.


    Eigentlich eine vielversprechende Grundidee, die mir leider in weiten Teilen nicht besonders zugesagt hat.
    Teils ist dies eine Frage des Stils. So wird z. b. Frau Kugelmann vorgestellt:
    Als ich Frau Kugelmann das erste Mal sah, dachte ich, sie könne gar nicht anders als Frau Kegel oder Frau Kugelmann heißen. Alles an ihr war rund, kugelrund, Augen und Ohren, Kopf, Hüfte, Beine, Bauch. Gerade so, als hätte man Kugeln aufeinander gesetzt, kleine und große für Kopf und Körper und ein paar langgezogene für Arme und Beine.
    Es mag sein, dass sich andere an dieser Art Stil erfreuen können, mir jedenfalls ist es zu gewollt.


    Weiterhin habe ich Probleme mit der Erzählweise Frau Kugelmanns. Das überwiegend von Juden bevölkerte Bendzin wird für mich nie wirklich lebendig, zu sehr auf die Pointe hin sind die Anekdoten, die sie erzählt, ausgerichtet. Das mag in der Logik der Geschichte stimmig sein, denn Frau Kugelmann sucht sich seit Jahren immer neue "Opfer", denen sie von ihrer Kindheit erzählen kann. So scheinen mir die Geschichten allmählich den Charakter unverfälschter Erinnerungen verloren zu haben und zu "Erinnerungen an Erinnerungen" geworden zu sein, die in immer bessere Form gebracht worden sind, aber während dieses Prozesses an Unvermitteltheit verloren haben. Nur konnte mir so das Bendziner Leben nicht wirklich nahe kommen.


    Auch Zippys Lebensgeschichte, interessiert mich eigentlich, sie kommt aber viel zu kurz. Nur ansatzweise wird deutlich, was es für das eigene Leben bedeutet, Kind überlebender Juden zu sein. Hierüber hätte gerne mehr erfahren.


    Erst gegen Ende des Buches, nämlich mit dem Einmarsch der Deutschen in Polen, wird das Leben in Bendzin für mich "wirklich", nimmt mich das Buch gefangen, aber da ist es zu spät, um es zu einem guten Buch werden zu lassen. Außerdem wollte es ja wohl gerade die Zeit vor den Nazis wieder zum Leben erwecken, was ihm aber zumindest in meinen Augen nicht gelingt. Es hat sich eine gute Aufgabe gestellt, weist gute Ansätze auf, kann diesen aber nicht ganz gerecht werden. Ergreifend ist eher das, was ich als Ziel hinter dem Buch zu erkennen glaube, weniger aber das Buch selbst.
    Mit viel gutem Willen vergebe ich für das gelungene Ende die dritte Ratte. Zur Verdeutlichung: 3 Ratten sind für mich ein durchschnittliches Buch, weder ge- noch misslungen, entsprechend der Bewertung "o" in dem "Was habt ihr im xy gelesen"-Thread.
    3ratten


    P. S.: Das Taschenbuch erscheint im Juli 2007.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Minka Pradelski - Und da kam Frau Kugelmann


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    Meinung:

    Zippy Silberberg, Tochter überlebender polnischer Juden, wächst mit ihren Eltern in Deutschland auf. Zu ihren Eltern hat sich eigentlich kein Verhältnis, da diese nicht mit ihr sprechen. Sie weiß nichts über ihre Vergangenheit und so kommt es, dass sie zufällig beim Abholen ihres Erbes von einer Tante in Tel Aviv auf Frau Kugelmann trifft und mehr erfährt über das Leben der Juden in Polen vor der Eroberung durch die Nazis.


    Die Geschichten von Frau Kugelmann haben mir recht gut gefallen. Im Gegensatz zu Saltanah konnte ich mir die Figuren und die Stadt Bendzin sehr gut vorstellen. Leider waren die Geschichten nur anekdotenhaft und es hat mir der Zusammenhang, das große Ganze gefehlt, was den Erinnerungen noch mehr Tiefe gegeben hätte.


    Frau Kugelmann finde ich insgesamt sehr gut dargestellt. Angefangen von ihrem Äußeren, bis hin zu ihrem unüberwindlichen Drang ihre Erinnerungen weiterzugeben, ihr ganzes Verhalten während den Erzählungen, davor und danach wird sehr gut erzählt.


    Zippy Silberberg empfinde ich als eine sehr seltsame Person. Ihr ganzes Leben ist mir zu konstruiert. Das Schweigen der Eltern hätte nicht so vollständig sein müssen, es hätte genügt, wenn die Eltern nur über die Vergangenheit geschwiegen hätten. Welche Eltern reden denn bitte NIE mit ihren Kindern?!? Das wirkt mir zu aufgesetzt. Dann Zippys seltsame Sucht nach Gefrorenen... :rollen: und ihre Suche nach einem Mann... :rollen: Ihre Geschichte hätte man viel besser darstellen müssen. Sie bleibt für mich blass und unsympathisch, da man so wenig über sie erfährt.


    Das Thema des Buches finde ich sehr interessant, doch hätte man meines Erachtens mehr daraus machen können.


    Alles in allem fand ich das Buch schon schön, auch wenn es einige Schönheitsfehler aufweist - daher gibts von mir:


    4ratten

  • Hier nun meine Meinung zu diesem Buch:


    Wieder mal bin ich auf eine Empfehlung von Frau Heidenreich hereingefallen. Das Thema hörte sich sehr interessant an und hat auch durchaus Potenzial. Die Umsetzung allerdings fand ich nicht sehr gelungen. 75 % des Buches haben mich gelangweilt, die meisten Geschichten der Frau Kugelmann fand ich nicht fesselnd, eher langweilig und nichtssagend.


    Die Hauptprotagonistin Zippi Silberberg allerdings war die Krönung: Auf mich wirkte sie unsympathisch, mehr als dämlich mit total unlogischen Reaktionen. Sie glaubt, mit dem geerbten Fischbesteck einen Mann finden zu können (wie blöd ist das denn?) und ist so süchtig nach Tiefkühlkost, dass sie im Hotel den hiesigen Gefrierschrank geplündert und vom Personal zwischen dem gefrorenen Gemüse gefunden wurde. Sollte das etwa lustig sein? Sorry, aber damit konnte ich überhaupt nichts anfangen.


    Von mir gibt es keine Empfehlung, höchstens zwei gutgemeinte Ratten für das Thema und für 25 % der Geschichten, die einigermaßen nett waren.


    2ratten


    LG Murkxsi

    Mein Lebensmotto: Leben und leben lassen!