Paul Anderson - Hungersbräute

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  • Das freut mich! :smile:


    Ich habe es eine Weile hinausgezögert das Buch anzufangen, weil ich immer dachte, dass ich bestimmt nicht genug Zeit finde/ mich nicht ausreichend auf das Buch konzentrieren kann/ zu viel um die Ohren habe/ etc. pp. Es Dir zum Grillen wieder mitbringen zu wollen gab schließlich den Ausschlag, und inzwischen schaufel ich mir Lesezeit frei, weil es so faszinierend ist.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ich verfolge Deine Statusmeldungen auch sehr gespannt. Das Buch reizt mich, aber im Moment hätte ich wohl auch nicht den Nerv dazu.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ah Endlich mal wieder jemand der sich ran traut^^ Ich finde deine Eindrücke auch sehr interessant, vor allem weil mir Hungersbräute damals selbst sehr sehr gefallen hat und es mir die Lektüre wieder in Erinnerung gerufen hat!

  • Schön, dass ich euch neugierig machen kann. :smile: Auch wenn Umfang und Anspruch zuerst etwas abschreckend wirken, lohnt es sich wirklich sehr, das Buch zu lesen. Und wenn man sich mal herangewagt hat, beibt man auch bei der Sache. Ich bin nun im fünften Buch, Horus, auf Seite 1177, eigentlich eine Seitenzahl, bei der ich inzwischen schon mehr als nur ein Mal damit gekämpft hätte, das Buch nicht aus den Augen zu verlieren. Nicht so bei Hungersbräute, und das, obwohl die letzten Seiten mich in doppelter Hinsicht vor eine Herausforderung gestellt haben. ;)


    Das vorherige Buch, Phönix, dreht sich um den beginnenden Inquisitionsprozess Juanas. Obwohl ich durch das Studium auch etwas Kirchengeschichte mitbekommen habe und religiöse Theorien mir nicht ganz fremd sind, wurde es mir hier fast zu viel. Die Intrigen, die gesponnen werden, und wer sich wann weshalb gegen einen anderen stellt, Bündnisse knüpft oder wie eine Schachfigur geopfert wird, habe ich nicht bis ins letzte Detail nachvollziehen können. Auch die theologischen Dispute waren zwar interessant, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt für mich nachvollziehbar. Anderson hat hier etwas von beeindruckender Komplexität geschaffen, was ich leider nicht in seiner Gänze würdigen, aber trotzdem mit Interesse lesen konnte.


    Hinzu kommt der wachsende psychische Druck auf Juana, den man als Leser hautnah miterlebt, und die Abneigung gegen die Praktiken der Kirche, die mir stellenweise den Magen zusammenzogen. An keiner Stelle kommt es zu physischer Gewalt, es werden keine offenen Drohungen ausgesprochen, und trotzdem zerbricht Juana nach und nach. Diese inneren Kämpfe mitzuverfolgen fordert den Leser auf andere Weise.


    Eine wichtige Rolle spielt hier wieder die Kindheit und Jugend Juanas. Erstaunlich ist vor allem, wie Anderson seine Bögen schlägt, wenn Juana Tatsachen bewusst werden, die der Leser sich schon am Anfang des Buches zusammengereimt hat. Juanas Schmerz wird durch neue Erkenntnisse gefördert und sie zur Selbstreflexion gezwungen, ihr fehlender Scharfblick auf Naheliegendes wird ihr als Schwäche vorgeworfen. Und genau diese Konstruktion schafft es, beim Leser Gedanken wie "war doch klar" oder "wie unspektakulär" auszuhebeln.


    Das Buch Horus hat bisher Juana nur als Nebenfigur beinhaltet, keines der Kapitel war aus ihrer Sicht formuliert. Statt dessen steht Beulah eindeutig im Mittelpunkt und somit auch Professor Gregory. Nach wie vor ist mir noch nicht ganz klar, weshalb Anderson diesem Erzählstrang so viel Platz einräumt. Wenig ausgeprägtes Interesse meinerseits hin oder her, dieser Part ist deswegen nicht schlecht. Vor allem Beulahs Passagen, die von ihrem zunehmend labileren Zustand geprägt sind, stechen nochmal heraus. Wie Anderson es schafft, seine Protagonisten durch ihre Gedanken und ihren Stil zu charakterisieren, ist beeindruckend.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Der Vollständigkeit halber noch etwas zum letzten Leseabschnitt:


    Hatte ich geschrieben, dass man nicht mit physischer Gewalt in Zusammenhang mit der Inquisition konfrontiert wird? Blödsinn. Vor allem auch, was die Opfer dieses Wahnsinns sich selbst antun ist erschreckend. Im vorletzten Buch kommt Sor Juana tatsächlich nicht mehr selbst zu Wort, nur noch mittelbar in einem Filmskript, das Beulah verfasst. Ich weiß noch nicht, ob die Grausamkeiten durch diese Form stärker oder schwächer werden.


    Das Ende mochte ich leider nicht so sehr. Anderson schafft es, eine sehr intensive Atmosphäre um Juana und ihren schon auf den ersten Seiten angekündigten Tod aufzubauen. Obwohl ich wusste, dass es so kommen wird, haben diese letzten Momente mich stark beeindruckt. Und dann macht er alles zunichte, weil er diese seltsame Geschichte um Beulah und den Professor ganz ans Ende setzt. Nach wie vor stört mich dieser Handlungsstrang, mir hätte eine sehr viel reduziertere Rahmenhandlung deutlich besser gefallen.


    Nun lasse ich das Ganze noch etwas sacken, bevor ich versuche, meine Eindrücke in eine Rezi zu packen ...

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Breña
    Im Grunde könnte man sich die ganze Rahmenhandlung sparen... eigentlich hätte der Roman auch ohne sie gewirkt. Ich kann mich erinnern das ich damals sogar fast ein wenig genervt war wenn sich die Handlung wieder in der Gegenwart bewegte.

  • Inzwischen hatten meine Eindrücke wohl genug Zeit, um sich zu setzen. ;) Der Abstand zwischen Lesen und Rezi schreiben macht mir noch mal deutlich, wie sehr mich das Buch beeindruckt hat, denn obwohl ich es im Mai gelesen habe, ist es mir präsenter als das eine oder andere soeben gelesene Buch. Trotzdem werde ich die Geschichte nicht wiedergeben, sondern verweise auf Twilights wunderbare Rezension und Zusammenfassung.


    Obwohl das Buch ein ziemlicher Brocken ist, was sowohl den Umfang als auch den Inhalt angeht, hatte ich keine Schwierigkeiten, dabei zu bleiben, und das will was heißen. Das Leben der Sor Juana bietet viel Stoff zum Erzählen und Anderson versteht es meisterhaft, ihre Biografie mit ihren Studien, aber auch der Landesgeschichte zu verknüpfen. In den einzelnen Büchern, die das Geschehen gliedern und jeweils einen bestimmten Zeitraum von Juanas Leben umfassen, gibt es zudem einen zu den Ereignissen passenden thematischen Schwerpunkt. Angelehnt an Juanas Forschungen und Werken geht es im ersten Buch, das sich mit Juanas Kindheit und Jugend befasst, zum Beispiel um den Mythos der Nymphe Echo. Gekonnt hat Anderson hier die Geschehnisse mit dem Werk der Dichterin und seinem eigenen verknüpft.


    Anfangs hat mich vor allem fasziniert, wie Juana die Welt um sich herum, die Mythologie ihres Landes und die Natur sowie die Werke anderer Gelehrter entdeckt. Diese Faszination wird Schritt für Schritt abgelöst von den Schrecken der Inquisition, die Juana durchlebt. Von den Eindrücken, die sie in der Stadt als Jugendliche sammelt, bis hin zu den Repressionen, die sie am eigenen Leib erlebt, spannt Anderson einen sich zwanghaft entwickelnden Bogen. Der wachsende psychische Druck, dem Juana ausgesetzt ist, wird so intensiv beschrieben, dass sich mir manches Mal der Magen zusammenzog angesichts der Praktiken, die angewendet werden.


    Die in der Gegenwart angesiedelte Rahmenhandlung hat mich angesichts der Intensität der Geschichte um Juana immer wieder unzufrieden werden lassen, weil ich mich aus der Geschichte herausgerissen fühlte. Und dabei schafft Anderson es auch hier, vor allem durch die Passagen um Beulah, die von ihrem zunehmend labilen Zustand geprägt sind, eine dichte, bedrückende Atmosphäre aufzubauen. Wie er es schafft, seine Protagonisten durch ihre Gedanken und ihren Stil zu charakterisieren, ist beeindruckend. Dennoch hätte ich mir hier eine deutliche Reduzierung gewünscht, besonders das Ende verliert an Eindringlichkeit, weil Beulah und nicht Sor Juana im Fokus steht.


    Dennoch bleibt erstaunlich, wie Anderson seine Bögen schlägt, verschiedene Stationen im Leben seiner Protagonistin in Beziehung zueinander setzt und auch die Gegenwart in dieses Geflecht verwebt. Dabei bedient er sich auch verschiedener Textarten wie Briefen und einem Filmskript und verwendet Originaltexte und – natürlich – Gedichte Juanas. Dabei gibt Anderson den verschiedenen Erzählern jeweils eigene Stimmen. Im Wesentlichen geht es hierbei um Juana selbst, den Professor und die Studentin Beulah, aber auch weitere Stimmen kommen zu Wort. Juana zeichnet sich durch eine ruhige Erzählweise aus, während Beulah hingegen sehr unruhig und getrieben wirkt.


    Trotz der zwischendurch aufgeworfenen komplexen Fragestellungen, die mich dazu veranlassen beim Lesen langsamer zu werden, lässt sich das Buch angenehm "wegschmökern". Es bleibt interessant und nachvollziehbar, auch wenn manche Passagen zu sehr ins Detail gehen, um von einem Leser ohne entsprechendes Wissen bis ins Kleinste nachvollzogen werden zu können. Die Sprache ist dabei nicht einfach, aber wunderschön zu lesen, teils sehr bildhaft und angemessen, um die Fülle von Details und Zusammenhängen zu präsentieren, die Anderson vor dem Leser ausbreitet. Die eigentliche Handlung hätte man vielleicht auf weniger Seiten unterbringen können, doch das nehme ich Anderson nicht übel. Was der Autor dem Leser vermittelt ist unglaublich.


    Schön ist auch, dass mit der Aufmachung des Buches die Arbeit des Autors gewürdigt wird. Den verschiedenen Erzählern sind kleine Symbole am Seitenrand zugeordnet, sobald ein neuer Absatz innerhalb eines Kapitels beginnt. Außerdem gibt es Worterklärungen und Hinweise am Seitenrand sowie ausführliche Endnoten.


    Anderson hat mit Hungersbräute ein Buch von beeindruckender Komplexität geschaffen, das ich leider nicht in seiner Gänze würdigen, aber trotzdem mit Interesse lesen konnte.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ich hätte ja gedacht, daß ich noch so fünf bis sechs Stunden darauf warten würde :breitgrins:



    Inzwischen hatten meine Eindrücke wohl genug Zeit, um sich zu setzen. ;) Der Abstand zwischen Lesen und Rezi schreiben macht mir noch mal deutlich, wie sehr mich das Buch beeindruckt hat, denn obwohl ich es im Mai gelesen habe, ist es mir präsenter als das eine oder andere soeben gelesene Buch.


    Das kann ich auch nur bestätigen, obwohl meine Lektüre ja noch länger zurückliegt. Aber auch meine Erinnerungen sind in diesem Fall noch deutlich farbiger und umfangreicher als an viele andere seitdem gelesene Bücher. Und ich glaube nicht, daß das nur daran liegt, daß wir zwischendurch immer wieder mal darüber gesprochen haben ...


  • Ich hätte ja gedacht, daß ich noch so fünf bis sechs Stunden darauf warten würde :breitgrins:


    Die verbringe ich doch mit dem Schreiben der restlichen Rezis. :breitgrins:



    Das kann ich auch nur bestätigen, obwohl meine Lektüre ja noch länger zurückliegt. Aber auch meine Erinnerungen sind in diesem Fall noch deutlich farbiger und umfangreicher als an viele andere seitdem gelesene Bücher. Und ich glaube nicht, daß das nur daran liegt, daß wir zwischendurch immer wieder mal darüber gesprochen haben ...


    Ich habe kurz überlegt, ob das damit zusammenhängt, dass ich hier im Thread während des Lesens schon umfangreich gepostet habe - aber ähnliches gilt auch für andere Bücher, die mir weit weniger präsent sind. Wie man's dreht, es liegt eindeutig am Buch.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Was macht ihr nur?! :breitgrins:
    Wieder ein Buch, was im neuen Jahr unbedingt gelesen werden will - ich brauche mehr Regale, mehr Platz :zwinker:

  • Meine Meinung

    Beim Lesen der Rezensionen habe ich bei jeder etwas gefunden, dem ich zustimmen kann. Dabei gehen die Meinungen hier doch schon auseinander.


    Ich bin sehr froh, dass ich auf meiner Zugfahrt die Zeit hatte, das Buch in relativ kurzer Zeit lesen zu können. Sonst hätte ich mich nur schwer in der Handlung halten können. Die Geschichte von Sor Juana ist absolut faszinierend. Intellektuell ist sie sicherlich ihrer Zeit voraus. Aber ich habe auch das Gefühl, dass sie von ihren Gefühlen her nie wirklich erwachsen geworden ist. Wenn sie eine Ungerechtigkeit wittert, reagiert sie auch als erwachsene Frau oft wie das junge Mädchen, das sie war. Manchmal sieht sie Dinge nicht, die für andere deutlich sichtbar sind. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie sich manches einfach nicht vorstellen kann oder will.


    Beulahs Geschichte fand ich manchmal sehr passend zu der von Sor Juana, manchmal hatten die beiden Geschichten für mich aber absolut nichts miteinander zu tun.


    Die beiden Frauen sind absolut gegensätzlich. Während ich Juana gerne zugehört habe, fand ich Beulahs Erzählung bzw. die ihres Geliebten oft eher nervig. Die Beziehung der beiden ist seltsam. Sie wirkt auf mich so, als ob Beide von Anfang an darauf aus waren, mit ihrer Beziehung Schaden anzurichten. Als der dann passiert, wirken sie eher verwundert darüber. Deshalb hatte ich oft das Gefühl, dass die beiden Geschichten besser nicht in ein und demselben Roman erzählt worden wären.


    So stehe ich mit meiner Meinung mittendrin. Hungersbräute hat mir weder besonders gut, noch besonders schlecht gefallen. An die Lektüre werde ich mich trotzdem wahrscheinlich noch längere Zeit erinnern.

    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.