Marguerite Yourcenar - Der Fangschuss

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 3.522 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Baltikum, Ende des 1. Weltkriegs. Der junge Adelige Erich von Lhomond, Sohn eines französischstämmigen Deutschen und einer Baltin, hat beide Eltern verloren und lebt nun bei seinem Freund Konrad von Reval auf einem halb verfallenen baltischen Schloss, wo auch Militär einquartiert ist.


    Mit Konrads Schwester Sophie verbindet ihn eine merkwürdige Hassliebe. Statt sich einander zuzuwenden, verletzten sie sich gegenseitig mit bösen Worten und vermeintlichen und echten Nebenbuhlern.


    Eines Tages verschwindet Sophie, die schon immer ein wenig mit den "Roten" sympathisiert hat, spurlos - und Erich ahnt nicht, unter welchen Umständen sie sich wiedersehen werden.


    Eine düstere, spannungsgeladene Atmosphäre, Gefühle, die von einem Extrem ins andere umschlagen, vielleicht aufgrund der Umstände ...


    Die Handlungen der Personen konnte ich oft für mich so gar nicht nachvollziehen, aber vielleicht gerade deshalb war das Buch gleichzeitig abstoßend und in gewisser Weise faszinierend (und das Ende schockierend); mit nur 95 Seiten allerdings auch ziemlich kurz, weshalb manche Charakterentwicklung wohl so überraschend kam.


    Zitat von "Spoiler Ende"

    Das Ende fand ich ganz schön heftig. Erich ist derjenige, der Sophie standrechtlich erschießt, als sie im Versteck der Kommunisten gefunden wird. Und das wird so beiläufig erzählt, als logische Folge der Ereignisse dargestellt, als hätte es gar nicht anders kommen können :entsetzt:


    3ratten


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    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Hi Valentine,


    danke für deine Rezi.
    Ich hab das Buch mal im Krabbelkorb gekauft.Aber irgendwie hat es mich nie richtig angesprochen, weil ich aus dem Waschzettel nicht schlau daraus wurde, ob es nun ein Liebes- oder Widerstandsroman oder was auch immer sein soll.


    Bei so wenigen Seiten ist das dann natürlich auch schlecht zu klären.


    Den Schauplatz finde ich am faszinierendsten. Deshalb habe ich es damals auch mitgenommen.


    Würdest du denn die Lektüre grundsätzlich empfehlen?


    HG
    finsbury

  • Hm ... empfehlen ... ich finde, dass die Atmosphäre des Schauplatzes sehr gut rüberkommt, die ganzen zwischenmenschlichen Verwicklungen aber (aufgrund der Kürze) ein bisschen schnell abgewickelt werden. Ich hab es halt lieber etwas "ausgewalzter" ;)


    Aber schlecht ist es sicher nicht, und wenn Du es schon rumliegen hast, kannst Du es auch mal bei Gelegenheit lesen. Geht ja schnell :breitgrins:, und mich würde Deine Meinung interessieren.


    Im Leselust-Forum wurde das Buch übrigens in den höchsten Tönen gelobt.

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  • Danke, Valentine!


    Ich schau dann mal, wenn ich was Kurzes zwischenschieben möchte. Wie du neige ich auch eher zu den ausufernden Romanen. Aber nach so einem 1000-Seiten Wälzer kann ich mich ja mal bei Yourcenar erholen. Melde mich dann.


    HG


    finsbury

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

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    Erich von Lhomond, früherer Korpsführer, ist in Italien, um sich von seiner Verletzung aus dem Spanischen Bürgerkrieg zu erholen. Er erzählt dabei seine Erlebnisse in Kratovice, kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei schildert er die Ereignisse im Schloss von seinem Jugendfreund Konrad, in dem sich er und seine Weißgardisten einquartiert haben.


    Im Schloss entsteht eine Art Dreiecksbeziehung. Mit Konrad verbindet Erich eine tiefe und innige Beziehung, die über Freundschaft fast schon hinaus geht. Außerdem ist da noch Konrads Schwester Sophie, die sich ihrerseits in Erich unsterblich verliebt hat. Sie macht den Fehler und gesteht Erich von Lhomond ihre Liebe. Doch der fühlt sich dadurch abgestoßen, dennoch auch wieder auf eine Art angezogen.


    Aufgrund dieser Ablehnung stürzt sich die verzweifelt Verliebte in eine Unmenge rein körperlicher Beziehungen. Sie möchte dadurch Erich eifersüchtig machen, was ihr mit nur sehr mäßigem Erfolg gelingt. Erst als sie sich eines Tages aus dem Schloss aufmacht, Konrad bereits tot ist und sie Erich zum letzten Mal unter tragischen Umständen wiedersieht, regt sich Bewunderung in Erich. Doch Sophie hat sich mittlerweile dem feindlichen Lager angeschlossen, weshalb den Weißgardisten nichts anderes übrig bleibt, als sie zu erschießen. Als letzten Wunsch äußert Sophie


    Die Geschichte könnte so spannend sein, so tragisch und so wunderschön traurig. Doch in Wirklichkeit ist sie mehr als langweilig. Der Protagonist und Ich-Erzähler Erich ist ein selbstgefälliger, egoistischer und einfach nur kaltherziger Typ, der keine Minute lang sympathisch rüber kommt.


    Das Buch hat nur lächerliche 96 Seiten und doch habe ich ewig gebraucht, um es zu lesen. Ständig bin ich dabei eingeschlafen. Man hätte ein wunderbares Buch aus dem Stoff, der angeblich auf einer wahren Begebenheit beruht, machen können und sich die 96 langweiligen Seiten sparen können. Genauso wie das Nachwort, das kein Mensch braucht, weil es nur eine schlechte Geschichte schlecht rechtfertigt.


    1ratten

  • Hallo,


    ähnlich wie chil habe ich für diesen Kurzroman ewig gebraucht, weil er mich - besonders zu Anfang - ziemlich abgestoßen hat.


    Da der Inhalt schon beschrieben wurde, spare ich mir dazu weitere Ausführungen, möchte nur kurz etwas zur Autorin sagen:
    Marguerite Yourcenar hat in vielen ihrer Romane -wie auch in diesem - Erlebnisse von Mitgliedern der Familie ihrer Ziehmutter Jeanne de Vietinghoff - in Literatur umgewandelt, dabei eigene homoerotische Neigungen sublimiert und außerdem - laut dem Nachwort zu "Fangschuss" - an die Tradition tragischer Abläufe in französischen Erzählungen anknüpfen wollen.
    Sie selbst ist Abkömmling alter französisch-belgischer Adelsgeschlechter, was sie in diesem Text nicht verschleiert, da sie im Nachwort und natürlich auch in der Ausführung von Handlung und Motivation den überkommenen Ehr- und Tugendbegriff des Adels zum Bestandteil der Handlung macht, solches sittliche Verhalten allerdings auch zum Beispiel dem jüdischen Studenten Grigori Loew zugesteht.


    Meine Meinung:


    Mich hat der Roman zuerst abgestoßen, weil ich diese Erhabenheit, die den Frauengestalten in französischer Literatur, auch von Autorinnen, angedichtet wird, und die letzen Endes nur eine Erniedrigung ist, abstößt.
    Auch hier wird Sophie von Reval, die Schwester Konrads, von Erich auf ein Piedestal gestellt, obwohl er sie nicht lieben kann. Er überhöht damit ihre Fehler zu besonderen, fast heroischen Verhaltensweisen, macht dabei aber eine gleichberechtigte Handlungsweise ihrerseits gegenüber der von Männern zu einer Unmöglichkeit: eine typische Darstellungsweise, die ich oft in der französischen Literatur beobachte, und die diese für mich oft sehr künstlich macht.
    Dennoch gewinnt der Roman in der zweiten Hälfte sehr an Fahrt, denn der sentenziöse erste Teil verdeckt die Handlungsstruktur, die dem tragischen Ende entgegentreibt.
    Erich beobachtet und reagiert nur, so dass Sophie die eigentliche Handlungsträgerin ist. Dennoch sind es gerade seine Reaktionen, die Sophie und auch ihn in das Ende treiben bis hin zu dem Schluss, der, wie der Titel schon andeutet, sich von Anfang an ergibt, denn die Handlungsweise beider Beteiligten muss so enden. Auch am Ende, wenn auch Erich der Ausführende ist, bleibt Sophie durch ihren Wunsch die eigentlich Handelnde und Erich wie immer der Zuschauer und Nichthandelnde, der eben deshalb dann die Geschichte zum Abschluss bringen muss.


    Das liest sich jetzt für diejenigen, die den Roman nicht kennen, bestimmt sehr unverständlich, aber die anderen werden es verstehen.


    Fazit: Eingeschränkte Empfehlung



    finsbury