Yann Martel, The Facts behind the Helsinki Roccamatios

  • Yann Martel kennen inzwischen alle von "Life of Pi" und unmittelbar im Anschluss an diesen Erfolg (Booker Prize 2004) erschien diese Sammlung von 4 frühen Ezählungen Martels.


    In der Titelerzählung geht es um einen Studienfreund des Ich-Erzählers, der in den 80ern in einem unheimlichen Tempo an AIDS erkrankt und in nicht ganz einem Jahr stirbt. Der Ich-Erzähler begleitet seinen Freund und entwickelt das Bedürfnis, die letzten Monate zu einer ganz besonderen Zeit zu machen. So kommt es, dass sich die beiden im Wechsel ein Familienepos erzählen, in dem sich jedes Kapitel auf ein historisches Ereignis des 20. Jahrhunderts bezieht, beginnend im Jahr 1901. Der Leser bekommt nicht die Geschichte selbst präsentiert (sie trägt eben den Titel "The Helsinki Roccamatios", was eine finnische Familie italienischer Abstammung ist), sondern eben die historischen Fakten dahinter. Und anhand der Auswahl dieser Fakten wird der Verfall des AIDS-kranken Paul berichtet.


    Die zweite Erzählung "The Time I heard the Private Donald J. Rankin String Concerto with One Discordant Violin, by the American Composer John Morton" berichtet von einem durch Zufall besuchten Konzert, das in einem heruntergekommenen Theater stattfindet. Hier spielt ein Orchester von Vietnamkriegs-Veteranen erst Bach und Tchaikovskij, schließlich aber die Eigenkomposition eines Mitglieds des Orchesters. Der Erzähler ist davon so berührt, dass er dem Komponisten nach dem Konzert folgt und so seine Lebensgeschichte erfährt.


    Die dritte Erzählung "Manners of Dying" besteht aus Varianten immer desselben Briefes, den ein Gefängniswärter an die Mutter immer desselben Hingerichteten schreibt.


    Die vierte Erzählung "The Vita Aeterna Mirror Company" dreht sich um einen phantastischen Apparat, den der Erzähler im Keller seiner Großmutter findet und mit dessen Hilfe man aus erzählten Erinnerungen Spiegel herstellen kann.


    Jede einzelne Erzählung verströmt ihren Reiz. Wenn auch die Eingangserzählung noch deutlich mehr Verflechtung zwischen den "Facts" und dem Siechtum des Sterbenden vertragen hätte, wenn auch die anderen Geschichten kaum einmal überraschende Wendungen nehmen, so konnte ich nicht umhin, Martels erzählerisches Talent zu bewundern, das vor allem in einem Gespür dafür besteht, wann etwas zu dick aufgetragen ist. An keiner Stelle wird er sentimental oder weinerlich, wenn auch der Stoff jeder einzelnen Erzählung dazu einladen würde. Und so erreichen die leisen und unspektakulär daherkommenden Texte um sehr bekannte Themen genau das, was sie wollen: Man bleibt aufmerksam und wird nachdenklich, obwohl eigentlich nicht viel Neues präsentiert wird. Martel ist einer, den ich unbedingt im Auge behalten werde.


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