Kawabata Yasunari, The Scarlet Gang of Asakusa

Es gibt 27 Antworten in diesem Thema, welches 8.261 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von parago.

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    Ich habe heute Abend schon etwas gelinst und eröffne daher bereits etwas vor Mitternacht die Leserunde zu


    Kawabata Yasunari, The Scarlet Gang of Asakusa/Die rote Bande von Asakusa


    Es lesen und diskutieren gemeinsam


    Manjula
    parago
    Saltanah

    und
    Bartlebooth


    Kommentare von Japankennern, Freunden der klassischen Moderne und allen anderen Interessierten sind natürlich stets gern gesehen.


    Zitat von "Klappentext der englischen Ausgabe"

    In the 1920s, Asakusa was to Tokyo what Montmartre had been to 1890s Paris and Times Square was to be to 1940s New York. Available in English for the first time, The Scarlet Gang of Asakusa, by Nobel Prize winner Yasunari Kawabata, captures the decadent allure of this entertainment district, where beggars and teenage prostitutes mixed with revue dancers and famous authors. Originally serialized in a Tokyo daily newspaper in 1929 and 1930, this vibrant novel uses unorthodox, kinetic literary techniques to reflect the raw energy of Asakusa, seen through the eyes of a wandering narrator and the cast of mostly female juvenile delinquents who show him their way of life. Markedly different from Kawabata's later work, The Scarlet Gang of Asakusa shows this important writer in a new light. The annotated edition of this little-known literary gem includes the original illustrations by Ota Saburo. The annotations illuminate Tokyo society and Japanese literature, bringing this fascinating piece of Japanese modernism at last to a wide audience.

  • Asakusa kureneidan erschien erstmals als Fortsetzungsroman in den Jahren 1929 und 1930 in verschiedenen japanischen Zeitungen und Zeitschriften. Der Fortsetzungsroman war um die Jahrhundertwende eine sehr populäre Form der Erstpublikation, in Amerika ist er es, glaube ich, noch heute.
    David Ritchie macht in seinem Vorwort zur englischen Ausgabe darauf aufmerksam, dass sich auch ein breiteres japanisches Publikum Anfang des Jahrhunderts auf experimentellere Texte gern eingelassen hat. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Japan sich ab 1868 nach 200 Jahren schärfsten Protektionismus begann westlichen Einflüssen zu öffnen.
    In diesem Jahr übernahm Kaiser Meiji die Regierung von den Shogunen der Tokugawa-Ära, der Regierungssitz wurde von der alten Kaiserstadt Kyoto nach Edo verlegt und Edo wurde in Tokyo umbenannt.
    Kawabata war zur Zeit der Entstehung von Asakusa kureneidan Mitglied der sog. Neusensualistischen Schule (Shinkankaku-ha), die sich dem Einfluss der klassischen Moderne öffnete, und zwar nicht den naturalistischen Strömungen vom Ende des 19., sondern den ästhetizistischen und anderen experimentelleren Strömungen von Anfang des 20. Jahrhunderts. Grundlegendes Ziel dieser Schule war der unmittelbare sprachliche Ausdruck der Empfindung (daher neusensualistisch).


    In den Vorworten zur englischen Ausgabe wird einem daher auch ein bisschen Angst vor der Schwierigkeit des Stils Kawabatas gemacht, die ich auf den ersten Blick nicht bestätigen kann: Sicher sind Sprache und Aufbau nicht konventionell und linear, doch ich hoffe, dass man sich in den weiteren kurzen und episodenhaften Kapiteln genauso wenig verliert wie im ersten, in dem der Ich-Erzähler bei einem Spaziergang auf dem Gelände des buddhistischen Senso-ji Tempels, dem Herzstück Asakusas, zum ersten Mal die titelgebende "Scarlet gang" erwähnt, die er als "not that criminal" und als weniger zudringlich als die Rikschafahrer beschreibt.

  • Nach dem Glossar und dem Anfang des Nachwortes (bis gespoilert wurde) habe ich jetzt auch das erste Kapitel gelesen.
    "Sprache und Aufbau sind nicht konventionell" schrieb Bartlebooth, und das kann man wohl getrost sagen. Es hat mich verblüfft, wie Kawabata die Kurve vom Vogelverkäufer des ersten Absatzes zu den aufdringlichen Rikschafahrern kriegt, von der Wohnungssuche im 2. Teil ganz zu schweigen. Aber mir gefällt's, und wenn ich jetzt um vier Uhr morgens - die Penner schlafen längst :smile: - nicht zu müde wäre, um mich auf schwierigere Lektüre als Stephen King zu konzentrieren, würde ich gleich weiterlesen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Kann's kaum erwarten anzufangen - hole meins allerdings erste heute abend bei BORDERS ab; hat laenger gedauert zu organisieren als ich dachte. :entsetzt:


    Werde aber auf jeden Fall heute abend versuchen, aufzuholen! :klatschen:

  • Bin heute leider noch nicht so weit gekommen, wie ich geplant hatte, doch schon bei Kapitel 20 lässt sich für mich sagen: Ein wirklich schönes Buch. Das zu Anfang vom Erzähler angekündigte nicht lineare Erzählen (um die Leser/innen nicht zu langweilen: "I will only bore you, dear reader, if I continue to tell the story in a proper order" (Kap. 5)) macht Kawabata wahr. Allerdings scheint der Anfang tatsächlich der Anfang zu sein, wobei bisher die Wohnungssuche und also auch die Wohnung, vor der Akiko den Erzähler in Kapitel 5 ja warnt ("You want to live in that haunted house?"), erst einmal nicht mehr thematisiert werden. Allerdings erscheint mir die Erzählweise nicht so experimentell, dass ich fürchten würde, dass mir der Erzähler am Ende gar keine Geschichte erzählt. Ich will sagen: Ich habe nicht den Eindruck einer Willkür des Erzählten.


    Es bereitet mir ein paar Schwierigkeiten zu sagen, wie viele Mitglieder der "Scarlet Gang" wir bisher kennengelernt haben. Ich zähle bis Kap. 20 vier: Yumiko, Akiko, Toki und Umekichi. Habe ich jemanden vergessen?
    Das Verhältnis der Bandenmitglieder untereinander bleibt dabei interessanterweise sehr unterbelichtet. Die Lesenden werden mit Informationen bezüglich der einzelnen Mitglieder überhaupt eher kurz gehalten. Über Umekichi und sein Leben erfahren wir dabei bei seiner Einführung noch am meisten.


    Wichtig sind aber vor allem Akiko und Yumiko (die, wenn ich es recht verstanden habe, die beiden auf den Fahrrädern vom Anfang sind) und ihre Beziehung zum Ich-Erzähler, wobei diese Beziehung vor allem mit Hilfe der Wiedergabe von Dialogen geschildert wird.
    Wir haben also eine sehr heterogene Gemengelage aus Nähe und Distanz, aus markierter rückschauender doch fingierter zeitgleicher Erzählweise, bei der der Erzähler nach Belieben springt und bei einzelnen Details vorgreift, andere einfach verschweigt.
    Dennoch habe ich, wie gesagt, nicht den Eindruck der Planlosigkeit oder des "ziellosen Umherstreifens" des Erzählers.


    Kawabata blockiert durch dieses fragmentierte Erzählen bisher meinen hermeneutischen Zirkel. Ich habe zwar (noch) nicht wirklich den Überblick verloren, aber bis auf eine (etwas kompliziertere) Liebesgeschichte (an der ich bisher vier Personen irgendwie beteiligt sehr, von denen eine noch gar nicht selbst aufgetreten ist), habe ich auch noch keinen wirklich verbindenden Faden gefunden. Aber vielleicht wird der am Ende ja auch genügen.


    Ist der "Man in the Western-style suit" (Kap.9) der Erzähler? Ich habe den Eindruck, hier findet ein Wechsel der Erzählperspektive statt, würde also sagen: ja, sie sind identisch.

  • Hallo Ihr drei,


    melde mich als letzte zur Stelle. :zwinker:


    Habe auch mit dem Glossar (das ich sehr interessant finde) und dem Nachwort angefangen. Leider wird hier tatsächlich etwas gespoilert, ist aber auch sehr informativ. Es gleicht dem englischen Vorwort wohl insoweit, als hier wirklich Angst vor dem Text gemacht wird. Deshalb bin ich bis jetzt (bin beim 8. Kapitel) angenehm überrascht vom Stil. Als Fortsetzungsroman, wie er ja ursprünglich erschienen ist, stelle ich mir das Lesen aber etwas kompliziert dar (es sei denn, man hebt alle Ausgaben zum Nachblättern auf).


    Bis jetzt geht es mir wie Bartlebooth: einen Faden kann ich nicht erkennen oder aber: viele Fäden (das verfluchte Haus, die Zwillingsgeschichte, die Vorstellung der Roten Bande...). Die verschiedenen Erzählstränge stören mich aber nicht, sondern machen eher neugierig, wie es weitergeht.


    Interessant finde ich die Schilderung des Viertels Asakusa. Aus vielen Kleinigkeiten ergibt sich hier ein faszinierendes Bild.


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Habe heute Vorwort, Vorwort des Uebersetzers und Kapitel 1 - 5 gelesen.


    Ich muss sagen, selten fand ich ein Vorwort so nuetzlich und hilfreich wie das von Donald Richie und auch die einleitenden Worte Freedman's bez. Kawabata's Stil und den Schwierigkeiten, einen japanischen Text ins Englische zu uebersetzen haben mich davor bewahrt, mich bereits auf den ersten paar Seiten zu verlieren im zwar skurril-schoenen, aber doch verwirrenden literarischen Mosaik des Herrn Kawabata.


    Gefallen haben mir dort insbesondere die Vergleiche mit Joyce's Ulysses (der mir noch in bittersuesser Erinnerung ist und wohl fuer immer bleiben wird) oder der Poesie Rilke's.. Man ist gleich richtig eingestimmt auf das, was da kommen mag.


    Auch das Zitat Ryuoku's ('Ueno is for the eyes but Arakusa is for the mouth') barg fuer mich sozusagen einen Mini-Aha-Effekt, der Lust auf mehr machte.


    Die Figur des Erzaehlers oder besser der Erzaehler ist in der tat noch arg im Nebel, was mich aber bisher wenig stoert, wenn ich ehrlich bin. Ich hab mir vorgenommen, mich sozusagen mitreissen zu lassen; dem Erzaehler auf seiner Reise durch Tokyo zu folgen und einfach Augen und Ohren (und Mund und Nase) offenzuhalten und mich nicht durch nuechternes Analyusieren vom Weg und der Geschichte abbringen zu lassen.


    Achja.. Frage. Wurde im Vorwort nicht angedeutet, dass Kawabata zumindest in jungen Jahren bisexuelle Neigungen hatte? Bilde ich mir das ein oder schwingt in der zaertlichen Bewunderung die unser Erzaehler fuer den jungen, schmutzigen Radfahrer hegt etwa ein Stueckchen davon mit?

  • Zitat von "Manjula"

    parago: ja, das kam mir auch so vor. Ich muss mir das Nachwort nochmal durchlesen, an Andeutungen hier kann ich mich nicht erinnern.


    Liebe Grüße
    Manjula


    Hab's gefunden.. Im Vorwort auf Seite xxviii:


    '...the demise of the rest of the family, and unhappy love affairs, one with a fellow student, later one with a girl.'

  • Ich habe noch mal von vorne angefangen, und siehe da, auf einmal hängen die einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Szenen zusammen. Allerdings ist auch weiterhin einiges unklar, aber ich stimme Bartlebooth zu: es wird eine Geschichte erzählt.


    Zitat von "Bartlebooth"

    Es bereitet mir ein paar Schwierigkeiten zu sagen, wie viele Mitglieder der "Scarlet Gang" wir bisher kennengelernt haben. Ich zähle bis Kap. 20 vier: Yumiko, Akiko, Toki und Umekichi. Habe ich jemanden vergessen?


    Wie ist es mit Yumikos kleiner Schwester? Sie ist bis Kap. 12 ja schon einige Male aufgetaucht. Ich meine auch, ihr Name wäre schon mal erwähnt worden, bin mir aber nicht sicher.


    Zitat von "Bartlebooth"

    Wichtig sind aber vor allem Akiko und Yumiko (die, wenn ich es recht verstanden habe, die beiden auf den Fahrrädern vom Anfang sind) und ihre Beziehung zum Ich-Erzähler, wobei diese Beziehung vor allem mit Hilfe der Wiedergabe von Dialogen geschildert wird.


    Fahrrad fuhren meiner Meinung nach Akiko und die kleine Schwester.


    Zitat von "Bartlebooth"

    Ist der "Man in the Western-style suit" (Kap.9) der Erzähler? Ich habe den Eindruck, hier findet ein Wechsel der Erzählperspektive statt, würde also sagen: ja, sie sind identisch.


    Da bin ich mir nicht sicher. Möglich ist es schon, aber zu Beginn von Kap. 13 befindet sich der Erzähler ja auf dem Restaurantturm und schaut auf das Boot auf dem sich Yumiko und der westlich gekleidete Mann (und Umekichi) befinden. Allerdings könnte man es auch so deuten, dass der Erzähler bei einem Besuch des Turmes feststellte, dass Fluss/Boot/Leute auf dem Boot von der Aussichtsplattform gut zu sehen gewesen wären. Eigentlich gefällt mir deine Gleichsetzung der Personen immer mehr.


    Ich werde heute abend noch ein Stück weiter lesen. Das Buch fesselt mich immer mehr, allerdings habe ich festgestellt, dass ich voll wach sein muss, um die Verbindungen zwischen den Figuren mitzukriegen. Es ist keine geeignete Nachtarbeitlektüre.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Zitat von "Saltanah"

    Wie ist es mit Yumikos kleiner Schwester?


    Uiui, ich muss nochmal schauen, aber ich dachte bisher, Yumiko habe eine große Schwester, die verrückt ist. Ihr Name ist Ochiyo und sie ist die vierte Figur, die in der Liebesgeschichte zwar eine Rolle spielt, bisher aber nicht aufgetreten ist.
    Ich merke schon auch, dass das mit dem mal eben morgens im Zug lesen, auch wenn ich es langsam mache, offenbar ein paar Risiken birgt... ;)


    EDIT Es gibt am Anfang tatsächlich auch noch ein etwa 12- oder 13 jähriges Mädchen, die mit Yumiko, "the piano player", nicht identisch ist, aber ist sie die auf dem Fahrrad? Und kommt sie ansonsten noch einmal vor? Und gehört sie auch zur Bande? Fragen über Fragen.
    Morgen mehr.

  • Stimmt, Yumiko hat auch eine große Schwester, die "schicke Verrückte", die zwar in Kap. 7 von Akiko als "Schwester" angeredet wird, was ich aber nicht wörtlich genommen hatte. Erst in Kap. 19 (das ich bei meinem vorigen Posting noch nicht gelesen hatte) wird sie eindeutig als Yumikos ältere Schwester identifiziert. Sie wurde "wegen eines Mannes" verrückt, wie Yumiko sagt. War das eventuell der Erzähler (der westlich gekleidete Herr), mit dem Yumiko ihre Schwester auf einem Dach hatte kosen sehen?
    Ihre kleine Schwester hat außerdem Gummibälle verkauft, und dem "westlich gekleideten Herrn" (ich neige immer mehr dazu, ihn als den Ich-Erzähler anzusehen) vor dem Karussell Yumikos Nachricht gegeben. Ob sie zur Bande gehört ist aber nicht sicher.
    Ähm, wen meinst du denn mit der dritten Person in der Liebesgeschichte?

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Mensch.. ihr seid alle schon so weit.. hm.. koenntet ihr vielleicht die Spoiler 'weiss anmalen', damit ich weiss, was ich lesen kann und was nich? Hatte heute bisher null Zeit zum Lesen, komme erst wieder morgen frueh dazu.. :redface:

  • parago: nein, nicht alle :redface: Bin gestern auch nicht zum Lesen gekommen und hänge deshalb noch im 10. Kapitel. Heute wird es zwar auch wieder spät, aber ich hoffe doch, etwas weiter zu kommen, damit ich endlich mitreden kann.


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Ich gebe zu, ich bin verwirrt. Habe soeben Kapitel 16 beendet und mich beschleicht immer mehr das Gefuehl, dass mit dem Leser Schabernack getrieben wird. Spinn' ich mir was zusammen, wenn ich glaube annehmen zu koennen, dass sich sowohl Jungs als auch Maedels teils ins andere Geschlecht 'verwandeln', wenn sie sozusagen 'geschaeftlich' unetrwegs sind?


    Fuer einen kurzen Moment hatte ich sogar die waghalsige Idee, dass Yumiko evtl. eine Art gespaltene Persoenlichkeit besitzt und teils selbst (quasi in der dritten Person) von sich erzaehlt..


    Hilft mir wer, Licht ins Dunkel zu bringen?! :schwitz:

  • Zitat von "parago"

    Ich gebe zu, ich bin verwirrt. Habe soeben Kapitel 16 beendet und mich beschleicht immer mehr das Gefuehl, dass mit dem Leser Schabernack getrieben wird. Spinn' ich mir was zusammen, wenn ich glaube annehmen zu koennen, dass sich sowohl Jungs als auch Maedels teils ins andere Geschlecht 'verwandeln', wenn sie sozusagen 'geschaeftlich' unetrwegs sind?


    Interessante Idee, Parago. Teilweise hatte ich auch den Eindruck solcher Andeutungen, war mir aber nicht sicher, ob ich es mir nicht doch einbilde. In Kap. 33 erhärtete sich dann mein Verdacht, bei den Worten

    Zitat von "Kap. 33"

    "Fräulein Yumiko als Mann". Und da es vor diesem Satz heißt "Akiko mag ich" lassen sich noch weiterreichende Schlussfolgerungen ziehen.


    Ich bin heute ein ganzes Stück weitergekommen, und habe in Kap. 28 erleichtert feststellen können, dass der Erzählstrang um Yumiko und den (welchen?) Mann auf dem Boot endlich zu Ende gegangen ist. Dazu habe ich übrigens eine ganz neue Idee.

    Zitat von "bis Kap. 28"

    Die "Bootgeschichte" nahm ja immer sonderbarere, bizarrere Züge an, entwickelte sich zu einer Mischung aus Gaunerkomödie und Thriller, und ich wusste am Ende gar nichts mehr mit ihr anzufangen. Vor allem über die Identität des Mannes war ich mir im Unklaren. Zeitweise glaubte ich ja, es sei der Ich-Erzähler, dann erschien es mir wieder unwahrscheinlicher.
    In Kap 28 scheint diese Frage bei den Worten "Als ich die Anschlagtafel las, wusste ich noch nicht einmal, dass Yumiko am selben Tag auf der Kurenaimaru fuhr" geklärt; die beiden sind nicht identisch.
    Allerdings frage ich mich mittlerweile, ob die beschriebenen Ereignisse überhaupt geschehen sind. Wie gesagt, wurde die Geschichte ja immer sonderbarer, und schien mir nicht recht, auch stilistisch, zu der Hauptgeschichte zu passen. Meine Theorie ist, dass diese Erzählung aus der Feder des Ich-Erzählers stammt, der - wie anfangs schon mal angedeutet, und in Kap. 29 etwas deutlicher gesagt - ein Schriftsteller ist, und der sich eine Geschichte zusammenreimt, die immer rätselhafter und "noirer" wird. Was meint ihr dazu?


    Ist eine Person namens Haruko schon mal aufgetaucht? Sie wird in Kap. 28 erwähnt, und der Erzähler scheint sie schon länger zu kennen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • parago, welche Spoiler denn? Ich finde es ehrlich gesagt besser, nicht jedes Zitat weiß zu unterlegen, sondern nur tatsächliche Spannungselemente. Und von denen haben wir ja nichts verraten (mal abgesehen davon, dass ich auch bis Kapitel 33 noch keine solchen sehe, da die Handlung noch viel zu unzusammenhängend ist).


    Saltanah, Haruko taucht in dem von dir genannten Kapitel tatsächlich zum ersten Mal auf und sie wird auch nicht weiter eingeführt.


    Das kleine Mädchen habe ich gefunden; aber wo wird gesagt, dass sie Yumikos Schwester ist? Ich nehme meine Behauptung zurück, dass Yumiko die andere radfahrende Person ist. Da scheint mir nach nochmaligem kursorischen Lesen der ersten Kapitel, Akiko als einziger klar identifizierbar zu sein. Und er wird seinerseits vom Erzähler für den Zwillingsbruder Yumikos gehalten - was weder bestätigt noch negiert wird.


    @all, ich denke bisher nicht, dass die Menschen mit den anderen Namen alle Yumiko sind, ich habe hier den Eindruck, dass der Erzähler die Ankündigung vom Anfang wahr macht und nicht linear erzählt. So kommt es dazu, dass Figuren als selbstverständlilch vorausgesetzt werden, die noch nicht eingeführt sind. Ich erwarte, dass sich dieses Mosaik dann aus der Rückschau wenigstens zum Teil zusammensetzen wird.


    Das mit den uneindeutigen Geschlechtern lese ich nicht als tatsächlichen Wechsel. Wir schreiben die wilden zwanziger und wir befinden uns in einem subversiven Stadtviertel. Zu der Bande gehören ja zudem auch Prostituierte, vielleicht eben beiderlei Geschlechts (obwohl wir bisher nur von einer Person ziemlich sicher erfahren haben, dass sie sich prostituiert); und das mit den uneindeutigen sexuellen Vorlieben spielt bei diesen Wechseln sicherlich auch eine Rolle.
    Schön finde ich, dass das alles eben eher offen gelassen wird, dass zwar gesagt wird, dieser oder jener kleidet sich wie eine Frau, diese oder jene frisiert sich wie ein Mann oä, dieser Umstand jedoch nicht so in den Vordergrund gerückt wird. Kawabata behandelt diese Unterschiede, die wahrscheinlich für die japanische Gesellschaft nicht weniger strukturierend sind als für unsere, in meinen Augen angenehm lapidar und uneindeutig. Das führt für uns, die wir einfach gewöhnt sind stets über das Geschlecht einer Person oder eben auch einer literarischen Figur meist zweifelsfrei aufgeklärt zu werden, zu einer Verunsicherung. Aber vielleicht sagt uns Kawabata damit auch: Hey, ist doch gar nicht so wichtig, schaut auf die Geschichte, schaut auf das, was sie sagen, wie sie sich verhalten, wie sie handeln.

  • Bis Kapitel 50.
    Oje, jetzt wird's richtig kompliziert.
    Was ist "wirklich" (in der Wirklichkeit des Romans) geschehen, was scheint nur geschehen zu sein, auf einmal wird auch noch ein Film erwähnt, mit dem Titel des Buches - Verwirrung pur.


    Die Wirklichkeit, die uns der Roman vortäuscht, und die in diesem Buch aufgrund des reportagehaften Erzählweise (damit meine ich z. B. die genauen Ortsangaben, die laut Nachwort ja der Realität von 1929 entsprachen) ja besonders real erscheint, wird von Kawabata durchbrochen, als er in Kap 39 plötzlich von "der kürzlich verfilmten Erzählung Die Rote Bande von Asakusa" spricht. Nach mehrfachem Lesen wurde mir schließlich klar, dass einige Szenen dieses (auf der Erzählung basierenden) Filmes in ebendieser Erzählung - nämlich dem Buch, das wir vor uns haben - erzählt werden.
    Äh, will heißen, falls ich das jetzt richtig verstanden habe. Sicher bin ich mir da noch lange nicht.
    Jedenfalls hat es Kawabata geschafft, mir weitere Überlegungen vom Typ "Wer ist denn eigentlich wer?" oder "Wer gehört eigentlich alles zur Bande?" schwer zu machen, weil jetzt in meinem Hinterkopf herumschwirrt:
    Eigentlich ist ja alles nur eine Illusion, der Phantasie des Autors entsprungen, eigentlich existiert keine der Personen, und sich über ihre Beziehungen und Lebensbedingungen Gedanken zu machen erscheint plötzlich - naja - ein bisschen sinnlos.


    Natürlich trifft obiges auf alle Romane zu, aber normalerweise hält sich der Autor innerhalb seiner entworfenen Illusion, und die Leserschaft dadurch auch. Kawabata hat diese Illusion, die in Übereinkunft mit dem Leser aufgebaut wird, erfolgreich punktiert. Und ich fühle mich dadurch verblüfft, ein wenig betrogen, und gleichzeitig exaltiert! Das Buch ist gut!


    Leider kann ich mich nicht besser ausdrücken, aber ich hoffe, ihr könnt wenigstens ansatzweise verstehen, was ich meine.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • "The man in the western suit" ist tatsächlich nicht der Ich-Erzähler, wie man in den 30er-Kapiteln lernt. Da nennt dann auch das noch einmal auftauchende kleine Mädchen Yumiko "big sister".
    Nach Kapitel 37 gab es ja wohl eine größere Pause im Schreiben, was man, wie ich finde, merkt, denn hier wird dann tatsächlich versucht, den Strang mit Yumiko und Akiko und dem "man in the Western suit",d er irgendwann Akagi genannt wird, irgendwie zu Ende zu führen. Wenn alle da sind, würde ich mich gern darüber unterhalten, wie ihr das versteht. Ich persönlich habe den Eindruck einer Brechstange.

    Zitat

    Ob Yumiko nun tatsächlich tot ist? Ich habe keine Ahnung. Akagi könnte tot sein, der ist ja schon ein paar Kapitel vorher im Abschnitt "The arsenic kiss" umgefallen. Aber war das alles nur Show oder nicht? Weiter ist unklar, ob Akiko tot ist, auch das wird ja nahe gelegt. Aber warum?


    Nach Kapitel 37 habe ich dann den Eindruck, dass es noch einmal etwas stringenter wird und als ob Kawabata versuchte, einige der Fäden vom Anfang wiederaufzunehmen (etwa in Kapitel 53 die Dialoge mit Yumiko und Akiko vom Anfang). Thema sind vor allem die Frauen von Asakusa, anrührend beschrieben, ohne kitschig zu sein in der Episode der kleinen Freundin von "left- handed Hiko" und ihrer Familie. Darüber würde ich dann gerne noch ein bisschen sprechen: Was haltet ihr von der Darstellung der Prostitution bei Kawabata? Ist das gelungen? Zu distanziert? Zu (un)kritisch? Passt die Darstellungsweise zum Thema? Die geschlechtliche Ambiguität wird hier und auch schon in den Kapiteln um die Mitte der 30er für mein Empfinden wieder etwas zurückgenommen. Männer treten plötzlich wieder als diejenigen auf, die Geld haben, Frauen kaufen und ausbeuten. Auch da könnte übrigens ein Grund für den Geschlechterwandel der ersten Hälfte des Buches liegen: Frau sein als Zeichen der (sexuellen) Ausbeutung (man beschte auch die vielen Namen, die mit O beginnen). Ich überlege noch, ob ich das differenzierter lesen könnte.


    In diesem Zusammenhang finde ich auch das Vogelmotiv interessant (zB auch K53), von dem wir ja aus dem Glossar lernen, dass es mit der Seele in Verbindung gebracht wird.


    EDIT Erscheinen die Buchstaben bei euch nach dem Zitat auch so groß? Ich habe das nicht veranlasst.

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Muss mal kurz was einwerfen.. faellt euch auch auf, wie massiv Kawabata die Farbe Rot verwendet, vor allem was kleine Details angeht, etwa an Kleidung, Strassenschildern und aehnlichem? Ich habe die Szenen vor dem inneren Auge aehnlich dem Film 'Sin City' falls ihr wisst was ich meine. Alle kleinen Details bzw. Accessoires sind rot.