Elsemarie Maletzke - George Eliot

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    George Eliot, eigentlich Mary Ann Evans, war eine Frau, die die englische Gesellschaft (und nicht nur die) des 19. Jahrhunderts gespalten hat. Während einerseits gekrönte Häupter um ihre Gunst buhlten, wurde sie von anderen als “moralischer Abschaum” diffamiert. Ihre Werken galten als edelste Kunst, gelten als solche bis heute, aber sie als Person wurde und wird mehr als zwiespältig betrachtet.


    1819 als Tochter eines streng evangelikalen Gutsverwalters geboren, unhübsch und sehr begabt, tendiert schon die junge Mary Ann zu Gedankenspielen außerhalb der festgefahrenen Wege. So “konvertiert” sie relativ jung zum Atheismus und sucht sich auch ihre Freunde abseits jeglicher gesellschaftlichen Konventionen. 1850, nach langen Jahren des Studiums, zieht sie nach dem Tod ihres Vaters allein nach London, schlägt sich zunächst als Redakteurin für ein literarisches Magazin durch, bevor sie endgültig mit allen Konventionen bricht und mit dem verheirateten Schauspieler und Dichter George Henry Lewes eine “wilde Ehe” eingeht. Ab sofort ist sie in der besseren Gesellschaft Londons eine Geächtete, und nur einige Künstlerfreunde halten zu ihr, während sie - unter dem Pseudonym George Eliot - ihre literarische Karriere startet.


    Lewes bleibt bis zu seinem Lebensende ihr Geliebter, Mentor, Agent, künstlerischer Berater und unverzichtbarer Lebensgefährte, ohne den sie sich in der Welt völlig verloren fühlt. Die beiden gehen fast jährlich auf ausgedehnte Reisen und Kuraufenthalte auf den Kontinent - Lewes vor allem um seine Gesundheit zu fördern und ausgedehnte naturhistorische Forschungen anzustellen, Eliot liebt hingegen die Einsamkeit und die Möglichkeit, gesellschaftlichem Trubel zu entgehen, obwohl sie mit zunehmendem literarischen Erfolg auch in Berlin, Weimar und Wien hofiert wird.


    Dieser literarische Erfolg - bereits ihr Erstling “Adam Bede”, mit dem sie auch ihr Pseudonym einführt, wird ein “Bestseller” - ist in erster Linie in der Wahl ihrer Sujets begründet. Sie beschreibt das Leben auf dem Lande, in denen oft genug die Umgebung ihrer Jugend wiederzuerkennen ist, nimmt aber auch Bezug auf sozialpolitische und philosophische Problemstellungen, mit denen sie mitnichten überall auf Zustimmung stößt. So wird sie später gern als Vorkämpferin für soziale Rechte und die Emanzipation der Frau dargestellt, während sie zu ihren Lebzeiten genau diese Bestrebungen ziemlich vehement abgelehnt hat, mit zunehmendem Alter sogar immer konservativer und reaktionärer wurde. So hat sie sich z.B. kategorisch geweigert, eine Initiative einer Bekannten für das Wahlrecht für Frauen zu unterstützen, statt dessen richtete sie einen Fonds für eine hauswirtschaftliche Mädchenschule ein.


    Nach dem Tod von George Henry Lewes im November 1878 war musste Eliot zunächst erst wieder lernen, allein im Leben zurechtzukommen, bevor sie nur anderthalb Jahre später ihren zwanzig Jahre jüngeren Vertrauten John Cross heiratete. Diese Ehe machte sie das erste Mal zu einer ehrbaren Frau, sogar ihr Bruder, der 20 Jahre lang jeglichen Kontakt zu ihr vermieden hatte, nahm sie wieder in den Schoß der Familie auf. Allerdings dauerte das “junge Glück” nicht lange; im Dezember 1880 starb Eliot in London an Nierenversagen.


    Elsemarie Maletzke lässt in ihrer Biographie nicht nur die Person George Eliot in all ihrer Zwiespältigkeit wieder auferstehen, sondern ordnet sie auch in den farbenprächtigen, zwischen Erzkonservativismus und Fortschrittlichkeit schwankenden Hintergrund der viktorianischen Epoche ein. Bei ihr ist die Dichterin keine Lichtgestalt, sondern eine zutiefst menschliche Figur mit vielen Vorzügen und Stärken, aber auch wesentlichen Schwächen, die sie zu einer zwar interessanten, aber nicht wirklich sympathischen Gestalt machen. Das Portrait ist umfassend, ohne dabei in unwesentliche Einzelheiten abzugleiten, auch ihre Zeitgenossen, Freunde und andere Personen mit Einfluss auf sie werden ausführlich charakterisiert. Gelegentlich blitzt allerdings die persönliche Meinung von Maletzke durch, wenn sie sich die ein oder anderen gehässigen Bemerkung über ihre Protagonistin nicht verkneifen kann.


    Da Eliots ihre Tagebücher offensichtlich schon mit Blick auf eine posthume Veröffentlichung geschrieben wurden und so wirklich persönliche, “geheime” Passagen fehlen und außerdem nach ihrem Tod zensiert wurden, sie auch in ihren Briefen fast immer sehr zurückhaltend war, kommen ausgiebig ihre Weggefährten und Zeitgenossen zu Wort - und in diesen Äußerungen kommt die ganze Ambivalenz der Eliot’schen Persönlichkeit zum Ausdruck. Insgesamt entsteht ein glaubwürdiges, umfassendes Bild einer faszinierenden Person, die - freiwillig und unfreiwillig - mit ihrem ganzen Leben und Schaffen für Kontroversen gesorgt hat, sich Freunde und Verehrer, aber auch Feinde und Neider geschaffen hat, aber niemals auf Gleichgültigkeit getroffen ist.


    Bewertung: 4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    EDIT: Amazonlink eingefügt. LG, Saltanah

    Viele Grüße aus dem Zwielicht<br />[size=9px]Rihla.info | blooks - Rezensionen und mehr<br />[b][url=http://www.librarythi

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo,


    ich habe von Elemarie Maletzke: Das Leben der Brontes gelesen: Das hat mir auch recht gut gefallen!


    HG
    finsbury

  • Hallo zusammen!


    Twilight: Vielen Dank für den ausführlichen Text. Ich habe das Buch vor ein paar Jahren mal gelesen und hatte durchaus den Eindruck, sehr gut und genau informiert worden zu sein.


    finsbury: Kannst Du Dein Urteil ausführlicher und in einem separaten Thread begründen? Bitte, ja? Ich persönlich suche ja unter "George Eliot" nichts zu den Brontës ... :zwinker:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)