Alessandro Baricco - Ohne Blut

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  • Auf einem Bauernhof inmitten verlassener Landschaft wird Manuel Roca von einer Handvoll Männer bedroht. Überbleibsel eines vergangenen Krieges, einst Soldaten, die heute einen Vergeltungsschlag an Roca ausüben wollen, weil er als Arzt seine Patienten während des Krieges grausam verenden ließ. Manche vergiftete er nach und nach durch Medikamente, andere ließ er mit aufgeschlitzten Bäuchen sterben. Unter seinen Patienten befand sich auch der Bruder des Bandenanführers.
    „Ohne Blut“ kommt diese Erzählung keinesfalls aus, denn das Bauernhaus wird von Ricas und seines Sohnes Blut durchtränkt. Einzig seine Tochter Nina kann dem Massaker entkommen, nicht zuletzt durch die Gnade des jüngsten Mitglieds Tito. Wegen ihrer vollendeten Schönheit ließ er sie entwischen – Eine Entscheidung mit weit reichenden Konsequenzen.


    Etliche Jahrzehnte später trifft sie ihn wieder. Er, ein verbitterter Losverkäufer in einer kleinen Bude an der Florencia-Galerie. Sie lädt ihn auf eine Tasse Kaffee ein und im Lokal schließlich trachtet jeder für sich nach Aufklärung der Ereignisse während und nach begangener Tat. Die Sicht der Beiden wird offen auf den Tisch gelegt, Erinnerungen werden ausgegraben, Titos Antrieb seiner Handlung wird enthüllt, ein Zwiegespräch über Sinn und Unsinn des Krieges wird geführt.


    „Sie mordeten aus Rache, kein Grund sich zu schämen, es ist das einzigste Heilmittel gegen den Schmerz, das einzige, das man gefunden hat, um nicht verrückt zu werden, mit dieser Droge wappnen sie uns für den Kampf, doch ihr seid nicht davon losgekommen, sie hat euer ganzes Leben zerstört, es mit Gespenster angefüllt, ihr habt euer ganzes Leben zerstört, um vier Jahre Krieg zu überstehen und jetzt wisst ihr nicht einmal mehr was das Leben überhaupt ist.“


    Bariccos Stil aus schlichten Worten und kurzen Sätzen steigern die Intensität der Grausamkeit. Ein eindringliches, stilles Büchlein über Rachegelüste davor und der verlorenen Unschuld danach. Ein Buch über die Nachwehen des Krieges und der Bereitschaft des Menschen, sie zu führen.


    „Wann ein Krieg zu Ende ist, entscheidet der Sieger.“


    Alessandro Baricco, geboren 1958 in Turin, studierte Philosophie und unterrichtet Schreiben an der von ihm gegründeten Scuola Holden. Neben Romanen schreibt er auch Theaterstücke und Essays.


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  • Hallo Dumbler!


    Vielen Dank für die sehr schöne Rezension. Wie bereits geschrieben, habe ich "Seide" von ihm gelesen und dort haben mich auch die Schlichtheit und die gleichzeitige Dichte der Sprache überzeugt. Also, du hast mich wirklich motiviert, bald das Buch zu lesen. Momentan stecke ich aber in "Schuld und Sühne" von Dostojewski, und das wird noch gute zwei Wochen dauern. Aber sobald ich es gelesen habe, werde ich hier auch meine Meinung posten.


    Lg nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Und wieder ein Buch mehr auf meiner Wunschliste :smile:
    Danke auch für die Rezension, ich lese Baricco gerne und das klingt sehr interessant und schön!

  • Mal eine Rezensions-Archivierung meinerseits, 2006/2007 habe ich dieses Buch gelesen und auch rezensiert.


    Nachdem mich Caias Rezension (--> Link) so angesprochen hat, habe ich dieses Büchlein von gerade einmal hundert Seiten in der Bibliothek bestellt. Ich habe zwei Stunden zum Auslesen gebraucht und bin bis vor einigen Minuten noch in Überlegungen bezüglich dieses Buches getroffen. Es lässt mich nicht los, diese Geschichte um Schuld und Sühne. Diese Geschichte mit der Frage nach dem "historischen" und dem "wirklichen" Ende eines Krieges.


    Nina (... Mich würde das italienische Original interessieren, ob der im ersten Teil jungen, im zweiten Teil älteren Frau wirklich ein Name gegeben wurde. "Nina" ist ja auch das italienische Wort für "Mädchen, Mädel"....) versteckt sich in einem Erdloch, über ihr verdorbenes Obst, Arbeitsgeräte, Möbel. Versteckt wurde sie, versteckt vor denjenigen, die ihren Vater töten und ihren kleinen Bruder. Sie tun es, weil er große Verbrechen begangen hat, die für diese Menschen nicht genug gesühnt wurden. Im Gegenteil, der Krieg ist "vorbei", die Menschen versuchen zu vergessen, aber diese vom Krieg unmittelbar Betroffenen haben noch kein Ende des Krieges "gesehen". Sie rächen sich; Tito, ein junger Bursche von vielleicht 20 Jahren schützt, ohne zu wissen warum, das Leben der kleinen Nina.
    Jahre später wird sie ihn wieder treffen und mit den Fragen konfrontieren, die sie schon seit ihrer Kindheit nicht mehr loslassen: Warum nahm man ihrem Vater das Recht auf ein Gerichtsverfahren? Warum tötete man ihren Bruder? Warum hat er sie verschont? Warum haben sie überhaupt getötet?


    Dieses Buch erzielt seine Wirkung, in dem es dem Leser an all den Taten teilhaben lässt. Man ist stiller Zuschauer mehrerer Morde. Man schaut zu, wie Ninas Vater stirbt, wie der Junge stirbt und doch ist da noch der Lichtblick - Nina überlebt. Ob ihr Leben damit eine bessere Wende genommen hat, muss der Einzelne entscheiden.


    Dieses Büchlein glänzt durch eine schöne, dennoch sehr einfache Sprache. Keine Verschachtlungen, wenig Stuckatur, wenig Zierendes. Die bloße Geschichte wird einem präsentiert, und obwohl nur wenig zu den Charakteren gesagt wird, so scheint es, weiß man doch mehr über sie, als einem wirklich lieb ist.
    Fazit: Wieder einmal eine Rosine. Ein kurzes, schönes, nachdenklich - machendes Werk.