Marguerite Duras - Der Liebhaber

Es gibt 33 Antworten in diesem Thema, welches 11.939 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Hallo Jaqui,
    Die Szenen in dem Film zielen auf Großartigkeit. Die Schweißperlen tropfen Kameranah. Die Landschaft kommt zu Dir
    ins Wohnzimmer und die Sonne glänzt auf Dein Haupt, während in der Schwüle der Mann einen Schwamm nimmt und das Mädchen wäscht. Es ist der schönste Film aller Zeiten.


    Hat aber wenig mit dem Buch zu tun. Aber ich verwehre mich gegen "Sex im Vordergrund".
    Nein. Die Szene des Waschens ist Leidenschaft, Anbetung, Vergötterung.


    Alles Liebe cori

  • Aber ich verwehre mich gegen "Sex im Vordergrund".
    Nein. Die Szene des Waschens ist Leidenschaft, Anbetung, Vergötterung.


    Für mich hat das wenig mit Leidenschaft zu tun, immerhin weiß der Mann wie alt das Mädchen ist und gegen solche Szenen hege ich nun mal eine Abneigung. Abgesehen davon behandelt er sie im Film mehrmals als wäre sie eine Prostituierte- vergöttert hat er sie hier wohl wenig.


    Katrin

  • Er hat sie vergöttert! Er konnte aus seiner Haut nicht heraus!!!!
    Und! Sie war ja auch teilweise biestig. Und! Es fallen Altersgrenzen bei der Leidenschaft! Lolita ist ja auch kein Sexbuch!

  • Hallo zusammen,


    dann gieße ich auch mal ein wenig Öl ins Feuer, denn mir gefiel das Buch ebenfalls nicht.
    Im Wesentlichen verbinde ich mit dem Buch folgende Adjektive: distanziert, emotionslos, zerrissen. Warum?


    Die Protagonistin erinnert sich an wesentliche Geschehnisse ihres Lebens, die es durchaus wert sind erzählt zu werden. Doch sie gibt das Erlebte mit Kühle und Distanziertheit wieder, die für mich jede Möglichkeit zerstören eine Verbindung aufzubauen. Die klischeebeladene (und für mich nicht wirkliche) Liebesgeschichte nach dem Schema "älterer Liebhaber verzehrt sich sein Leben lang nach junger Geliebten" ist weder ansprechend noch ergreifend. Die emotional aufgeladenen Familienverhältnisse werden mit einer unglaublichen Oberflächlichkeit abgehandelt. Und von den Lebensumständen eines Europäers im Indochina der 30er Jahre erfährt man nur am Rande. Das ist für meinen Geschmack eindeutig zu viel verschenktes Potenzial.


    Hinzu kommt die Erzählweise, die es dem Leser nicht einfacher macht. Die Sprünge in der Erzählung, die den Eindruck des Erinnerns hinterlassen sollen, zerfassern die Geschichte lediglich und machen sie noch schwerer greifbar. Ich lese gerne Handlungen, die sich nicht kontinuierlich entfalten, und "sortiere" mir das Gelesene, doch hier war es mir zu viel. Auch beim Erinnern folgen Zeitsprünge schließlich einem inneren Zusammenhang. Letztlich haben wir es mit einem Stück Literatur zu tun, nicht mit den abendlichen Erinnerungen von Nachbars Großmutter, und dann erwarte ich eine gewisse Aufarbeitung.


    Abgesehen von den Sprüngen durch Zeit, Raum und Perspektive wechselt Duras zwischen erzählenden und reflektierenden Abschnitten. Ein schönes Beispiel für den Stil der letzteren findet sich auf S. 47:
    "Es hat lange gedauert. Sieben Jahre lang. Es hat angefangen, als wir zehn Jahre alt waren. Und dann sind wir zwölf gewesen. Und dann dreizehn. Und dann vierzehn, fünfzehn. Und dann sechzehn, siebzehn.
    Es hat diese ganze Zeit über gedauert, sieben Jahre. Und dann endlich ist die Hoffnung begraben worden. Aufgegeben. Aufgegeben auch die Maßnahmen gegen den Ozean. Im Schatten der Veranda betrachten wir die Bergkette von Siam, sehr dunkel im Sonnenlicht, fast schwarz. Die Mutter ist endlich ruhig, verschlossen. Wir sind heldenhafte Kinder, verzweifelte.
    "


    Ich muss zugeben, zwischendrin findet man wundervolle Formulierungen (wenn die Protagonstin z.B. bekennt, dass sie ihre Mutter vergessen habe, diese sei "zu Schreibschrift geworden", wie Mombour zitierte). Aber diese Perlen gehen unter in der Wirrnis der Handlung und der allgemeinen Distanziertheit der Sprache. Schließlich hatte ich keine Lust mehr danach Ausschau zu halten.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

    Einmal editiert, zuletzt von Breña ()

  • Hallo Brena,


    bin wohl ich die Einzige, die ein Schwert für dieses Buch ergreift und um sich hackt! Wir sind Liebe als Schnulze gewöhnt. Streiten wir es doch bitte niemals ab! Heiße Romanzen gehen uns Nahe. Hier aber geht es nicht um das "alte Thema", wie Du meintest, sondern um die Verhältnisse, um das ANDERS sein, um die Mutter und Bruder, die Armut und die Sprache ist angepasst. Warst Du schon Mal in Asien? In der Hitze ein Gespräch führen. Wie hört sich das wohl an? Reden wir flüssig,s chnell? Nein.
    Lies: Die Schamlosen, herrlich. Hiroshima mon Amour - grandios oder Der Schmerz, ein äußerst wichtiges Buch und besonders im Schmerz wirst Du den Ton zu schätzen beginnen. Hier kann man nicht anders schreiben, sonst wäre es Fehl am Platz.


    Der Liebhaber ist ein Idiot. Wissen wir. Sie verguckt sich in seinen Reichtum. Alte Geschichte. In dem Film ist er schön, im Buch hässlich. Was sollen wir denken? Wir denken uns unseren eigenen Liebhaber, zusammen mit der wunderbaren Sprache, die zu dem Land passt, wie nichts anderes.

  • Hallo cori!


    a010.gif:zwinker:


    Vorneweg: den Film kenne ich nicht, es geht mir allein um das Buch.


    Ich mag langsam sich entfaltende Erzählungen, das war nie mein Kritikpunkt, vor allem weil ich Duras' Stil nicht als langsam empfinde. Für mich ist er hingegen zu distanziert, zu "dröge". Die Affäre stellt nur einen Aufhänger für die Familiengeschichte dar, und eben diese ist so voller Konflikte, die ich mir gerne näher betrachtet hätte, die Duras mir allerdings zu oberflächlich schildert. Ja, die Emotionen werden von den Familienmitgliedern meist unterdrückt, aber muss sich das rückblickend auch in einer emotionslosen Sprache niederschlagen? Es klingt, als schildere die Protagonistin die Erlebnisse einer anderen. Außerdem entsteht dieser Rückblick am Ende eines Lebens, in Paris. Duras und ihre Protagonistin sind zwar in Vietnam aufgewachsen, haben aber der Großteil des Lebens in Frankreich verbracht. Dieses sprunghafte Erzählen als Ausdruck der Erinnerung habe ich auch eher in europäischen Romanen beobachtet als in asiatischen. Für mich hat dieses Buch nichts asiatisches.
    Und nochmal zum Punkt der Liebesgeschichte: ich muss nicht von heiterer Verliebtheit lesen, ungewöhnliche Beziehungen mit Ecken und Kanten geben viel mehr her. Ich scheue auch nicht vor erotischen Schilderungen zurück (obwohl ich die Konstellation mit einer Jugendlichen und einem doppelt so alten Mann schon grenzwärtig finde). Aber nichts davon habe ich in diesem Buch gefunden, das Geschilderte hat mich einfach nicht angesprochen. Das ist ein subjektives Empfinden, das sich auch nicht wegdiskutieren lässt.


    Es mag sein, dass ich ein weiteres Buch von Duras lesen werde, wenn es mir in die Hände fällt. Für's erste stehen hier zahlreiche andere Autoren, denen ich lieber den Vortritt lasse.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Liebe Brena,


    Geht man nicht beim Erinnern aus sich heraus und schlüpft in ein anderes Ich? Ich finde die Sprache "traumhaft" gestaltet, krampfhaft Erinnernd, ins Stocken geratend. Aber genau das ist gut! Ich glaube,d ie Autorin hatte gar nicht vor, uns den Liebhaber ans Herz zu legen. Wir sollten ihn nicht Näher an uns heranlassen. Er ist eine Erinnerung. So wird es auch erzählt. Geschmäcker sind ja verschieden. Gott sei Dank!


    Alles Liebe Cori Quichote

  • Liebe Cori Quichote,



    Geschmäcker sind ja verschieden. Gott sei Dank!


    Dem stimme ich uneingeschränkt zu! :zwinker:

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ein wenig vorgewarnt wie ich war, habe ich mir heute extra Zeit genommen, um es in einem Schwung zu lesen, so lang ist es ja schließlich auch nicht, daß das nicht möglich wäre. Daß dies allerdings meine Wahrnehmung dieser Erzählung positiv beeinflußt, kann ich eher nicht sagen. Ich habe kein Problem mit den Zeitsprüngen, nicht einmal mit den Wiederholungen als dem Versuch, die Erinnerung „dingfest“ zu machen. Und auch wenn ich die sexuelle Beziehung einer 15jährigen mit einem annähernd doppelt so alten Mann nicht gerade goutiere, so kann ich auch darüber hinwegsehen, da es schließlich nur ein, und vielleicht nicht einmal der wichtigste, Aspekt hier ist.


    Allerdings war das binnen kürzester Zeit die zweite Erzählung, bei der ich gerne das gesamte Personal einem Psychiater überstellt hätte, da gehören sie nämlich m. E. hin. Ich weiß nicht, warum Selbstzerstörung und Lebensuntüchtigkeit ausgerechnet in Form von Büchern verarbeitet werden müssen, die dann auch noch hochgelobt werden. Es reicht mir eigentlich, daß ich solche Menschen im realen Leben nicht immer umgehen kann, aber warum soll ich über sie auch noch lesen? Bin ich Therapeut? Tatsächlich hätte das Ganze für meinen Geschmack sehr gewinnen können, wenn die familieninternen Konflikte tiefer reflektiert und in Beziehung zu den äußeren Bedingungen gesetzt worden wären, denn abgesehen von zweifelhaften Charakterdispositionen klingt sehr zaghaft einiges an, was sich nur aus der kolonialen Situation einerseits und der besonderen Stellung der Chinesen in vielen südost-asiatischen Ländern andererseits erklären läßt. Hier wurde einfach zu viel verschenkt, aber weil das zumindest unterschwellig durchscheint und mich einzelne Passagen auch sprachlich überzeugt haben:


    2ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Seufz. Da kann ich nur sagen...ich fands wirklich wunderbar und schön finde ich auch, wenn Diskussionen über ein Buch zum lesen führen.


    Alles Liebe cori

  • In der Tat ist dies ein Buch, das polarisiert. Man liebt es, oder man hasst es. Ich tendiere wohl wie viele hier zu letzterem.
    Der Schreibstil Duras' ist eigenwillig, gewöhnungsbedürftig. Die vielen Sprünge und Wechsel der Erzählperspektive haben mich weniger gestört, ich empfand es eher als passend für die Geschichte. Vielleicht mag es auch an der Übersetzung liegen, aber Duras schreibt in meinen Augen einfach fürchterlich. Die Wortwahl und Zusammenstellung von Adjektiven und Subjektiven fand ich stellenweise sehr unpassend und möchtegern-intellektuell (z. B. "geniales Schweigen"), die Erzählweise sehr unpersönlich, distanziert, emotionslos und oberflächlich. Die Rahmengeschichte - frühreifes weißes Mädchen schläft mit fast doppelt so altem Chinesen - kann uns heutzutage nicht mehr vom Hocker hauen, ist aber auch nicht Kern des Buchs. Vielmehr geht es um die kaputte Beziehung zwischen der Protagonistin und ihrer Mutter sowie ihren Brüdern. Aber genau hier bleibt Duras seltsam knapp und oberflächlich, streckenweise unlogisch. Sicher, dies lässt dem Leser viel Raum für Interpretationen und eigene Gedankengänge, mich persönlich aber hat das Buch und die Schreibweise zu sehr abgestoßen, als dass ich das Bedürfnis entwickelt hätte, mir nähere Gedanken zu machen. Aldawen hat es treffend formuliert: es wird zu viel verschenkt, ich hätte gern viel mehr über die Familie und die Gründe für ihre Unzulänglichkeiten untereinander erfahren. So bleibt am Ende nur ein fader Nachgeschmack.


    2ratten

  • Ich habe das Buch vor kurzem gelesen und es fällt mir relativ schwer dazu meine Meinung zu äußern. Aber im Großen und Ganzen kann ich mich meinen Vorrednern nur anschließen.


    Ich kannte vorher bereits den Film, den ich schon zweimal gesehen habe. Dieser hat mir geholfen das Buch so einigermaßen "zu verstehen" - ohne, wäre ich wohl noch verwirrter.
    Die Zeitsprünge fand ich furchtbar, weil ich mich dadurch einfach nicht in die Geschichte einfinden konnte. Vor allem weiß ich nicht was manche Rück- oder Vorblicke mit der eigentlichen Geschichte zu tun haben sollen...
    Den Schreibstil empfand ich allerdings nicht so schlimm, ja, fand ihn sogar recht ansprechend, doch dieser half trotzdem nicht darüber hinweg, dass ich die Protagonistin einfach nicht verstanden habe. Vor allem fand ich es etwas schräg, dass eine fünfzehnjährige, für die damalige Zeit, bereits ziemlich klare Vorstellungen und Phantasien über Sex hatte. Das kam mir doch etwas unwirklich vor. Noch dazu hat mich genervt, dass sie und der Chinese sich ziemlich oft weinend in den Armen lagen, sie aber niemals ein Gefühl ihm gegenüber beschreibt, ob sie ihn nun doch gern hatte oder nicht.
    Die Familienverhältnisse sind total zerrüttet, doch einen genauen Einblick oder eine Erklärung warum das so ist bekommt man ebenfalls nicht. Und auch der kleine Bruder geht in der Erzählung total unter - von ihm erfährt man am allerwenigsten.


    Einzig und allein der Chinese tut mir Leid. Der hatte sich anscheinend wirklich in das junge Ding verliebt und war sich sehr wohl bewusst, dass ihre Beziehung falsch ist, hat darunter gelitten und wurde von allen behandelt wie ein Aussätziger.


    Doch weil ich, dank des Films, doch schöne Bilder des alten Vietnams in meinem Kopf hatte vergebe ich 2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Den Film kenne ich nicht, und nachdem ich das Buch gelesen habe, will ich den auch gar nicht sehen.


    Warum dieses Buch von manchen so hoch gelobt wird, entzieht sich mir völlig :zwinker:


    Ich fand es nur wirr und langweilig.

  • Meine Meinung


    Der Titel ist m.E. völlig irreführend - nicht der Liebhaber steht im Zentrum sondern die Beziehung zwischen der Tochter und der Mutter: ein Kampf, der auch nach dem Tod der Mutter nicht wirklich zu Ende ist. Auf jeden Fall keine Liebesgeschichte.


    Das sehe ich auch so. Die Mutter, ihr Verhalten und die Beziehung zu ihr ist das, was die Erzählerin am meisten zu beschäftigen scheint. Von allem anderen berichtet sie nur mit Abstand, als ob es die Geschichte von jemand anderem ist. Meistens redet sie von sich als "sie" oder "die Kleine". Auch wenn sie über ihre Familie erzählt, gibt es keine Namen sondern nur Bezeichnungen. Das klingt sehr lieblos und nicht nach glücklichem Familienleben.


    Genauso habe ich bei der Zeit mit ihrem Liebhaber empfunden. Die Beiden reden über vieles, aber nicht über ihre Gefühle zueinander. Aber kann sie überhaupt echte Gefühle für jemand empfinden, wenn es die in ihrer Familie nicht gibt?


    Ich habe mir anfangs beim Lesen schwer getan, aber dann hat mich die Geschichte gepackt. "Gefallen" ist nicht der richtige Ausdruck, aberdas Buch hat mich auf jeden Fall fasziniert.
    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.