Michel Foucault, L'usage des plaisirs (Histoire de la S.e.x.ualité II)

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  • Die (philosophische) Diskursanalyse ist eine Praxis, die die Bedingungen aufzuzeigen versucht, unter denen sich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt das Denken vollzieht. Der 1984 verstorbene Philosoph Michel Foucault ist, wenn man so will, der "Erfinder" ihrer theoretischen Grundlage.


    Der S.e.x.ualität hat Foucault drei Bände gewidmet, die Fragen nachgehen sollen, wie sich die Einschätzung von S.e.x.ualität durch die diskursiven Grundlagen im Lauf der Geschichte verändert hat.


    Im ersten Band von Histoire de la S.e.x.ualité/ dt. S.e.x.ualität und Wahrheit (La volonté de savoir/ dt. Der Wille zum Wissen, 1972) vertritt er die Ansicht, dass die christliche S.e.x.ualmoral auch entgegen ihrer eigenen manifesten Behauptung nicht einfach unterdrückend auf Körperlichkeit und S.e.x.ualität eingewirkt, dass sie diesen Bereich also nicht einfach durch Verbote tabuisiert hat, sondern dass - viel subtiler - eine Kanalisierung des Sprechens über das Selbst, die eigene Begierde und den Körper stattgefunden hat.


    Gegenstand dieser Rezension ist aber der zweite Band (L'usage des plaisirs/ dt. Der Gebrauch der Lüste, 1984); in ihm wendet sich Foucault der griechischen Antike zu und untersucht die Frage, ob sie - der landläufigen Meinung entsprechend - in S.e.x.uellen Fragen tatsächlich toleranter und weniger repressiv als das christliche Europa gewesen ist.


    Drei ausführlich behandelte Aspekte sollen diese Frage klären helfen: Das Verhältnis zu Körper, Ernährung und gesundem Lebenswandel (diététique), der Stellenwert der Ehe in der Antike (économie) und das griechische Institut der Knabenliebe (érotique).


    In einer sehr genauen Textananlyse griechischer Quellen kommt Foucault zur Überzeugung, dass S.e.x.ualität in der Antike zwar nicht als Übel betrachtet wurde, dass aber ein äußerst komplexes System des Umgangs mit ihr existierte. Dabei war es etwa in Bezug auf die Gesundheit wichtig, die individuelle Lebenssituation bei der Frage nach der angemessenen Häufigkeit S.e.x.ueller Betätigung zu berücksichtigen; bei der Betrachtung der antiken Ehe hält er fest, dass eheliche Treue weniger mit S.e.x.ualität zu tun hatte, als dieser Begriff heute impliziert, sondern vielmehr die Forderung beinhaltete, dass die Ehefrau auf lange Sicht ihren Platz in der familia als Herrin über die häusliche Sphäre garantiert bekam. Die eigentlich erotische Komponente war in der Beziehung der Männer untereinander angesiedelt, wobei auch hier eine Tendenz zur Selbstdisziplin unbedingt erforderlich war.


    Allgemein kann gesagt werden, dass die griechische S.e.x.ualität vom Mann her gedacht und ihre Praxis sehr stark darauf ausgerichtet war, stärker als die eigene Begierde zu sein - und zwar noch im Vollzug des S.e.x.uellen Aktes. Niemals sollte die S.e.x.ualität Gewalt über den freien Menschen - also den freien Mann - erlangen.


    Foucault verunsichert mit seinen Thesen die allzu einfache Sicht eines immer nur repressiven Umgangs mit S.e.x.ualität auf sehr bedenkenswerte Weise. Wenn auch die ausführlichen Textbeispiele nicht selten eine Straffung und Pointierung gut vertragen hätten, ist das Aufspüren antiker Handlungsmuster in den Quellen sehr spannend nachzuverfolgen und überzeugend gelungen. Focault vermag zu zeigen, dass eine Reduktion bei der Betrachtung von S.e.x.ualität auf eine einfache Opposition von Verboten und Toleranzen bezüglich bestimmter Objekte oder Praktiken bei weitem zu kurz greift und häufig den Blick auf das Wesentliche antiker S.e.x.ualmoral und ihrem Einfluss auf die Geschichte des abendländischen Denkens verstellt.


    Foucault ist meines Erachtens immer eine durchwachte Nacht wert!


    Da hier der Amazon-Link nach Frankreich nicht funktioniert, gibt's das Cover in groß. :)


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    Einmal editiert, zuletzt von Bartlebooth ()

  • Krasse Sache :) Auf Französisch gelesen??? :entsetzt:

    ♪♫♪<br /><br />Luci ♥<br /><br />&lt;a href=&quot;http://www.BuchSaiten.de&quot;&gt;Mein Bücherblog: BuchSaiten.de&lt;/a&gt;<br /><br />SLW 2010 - 4/10 noch 6 Bücher<br /><br />Das gute Gefühl, ein schönes Buch beendet zu haben ist irgendwie nicht vergleichbar ♥

  • Hallo!


    Danke für die ausführliche Rezension. Ich habe irgendwie nie mehr als den ersten Teil gelesen. Wohl deshalb, weil in meiner Buchhandlung nur der erste Teil (auf deutsch! - stw) herumstand und ich zu Les mots et les choses abgezweigt bin ...


    Die Griechen und ihr Trieb ... Gibt Foucault auch wieder eine Analyse des Zusammenhangs von 7-1ualität und Macht?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo sandhofer,


    der erste Teil ist auch der wichtigste (er war ja lange Zeit auch der einzige); in ihm wird die Theorie erklärt. Die beiden anderen sind (anscheinend, ich kann es bisher nur für diesen hier bestätigen, den dritten habe ich noch nicht gelesen) dann doch eher wieder Foucaultsche Materialstudien, in denen die Theorie angewandt wird.
    Das Thema Macht (oder um genauer zu sein: Bio-Macht) wird im Gebrauch der Lüste nicht angesprochen; man könnte sich schon fragen, ob Foucault mit den beiden hinteren Bänden "Sexualität und Wahrheit" ein bisschen hinter den eigenen Erkenntnisstand zurückgeht und eigentlich doch eine sozialwissenschaftliche Diskursanalyse macht. Andererseits wüsste ich auch nicht, wie man auf so einem schmalen Korpus, wie er ihm hier für die griechische Antike vorliegt, eine überzeugende Anaylse von Bio-Macht-Phänomenen durchführen wollte.


    Herzlich, B.