Ilija Trojanow - Der Weltensammler

Es gibt 14 Antworten in diesem Thema, welches 5.115 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Breña.

  • Obwohl ich das Buch nicht zu Ende gelesen habe, verdient es doch einen eigenen Thread. Ich bin gespannt auf Eure Meinungen und ob es vielleicht jemanden so ähnlich wie mir ergangen ist!


    Inhalt von amazon.de


    Ein spannender Roman über den englischen Abenteurer Richard Burton (1821-1890). Anstatt in den Kolonien die englischen Lebensgewohnheiten fortzuführen, lernt er wie besessen die Sprachen des Landes, vertieft sich in fremde Religionen und reist zum Schrecken der Behörden anonym in den Kolonien herum. Trojanows farbiger Abenteuerroman über diesen Exzentriker zeigt, warum der Westen bis heute nichts von den Geheimnissen der anderen Welt begriffen hat.


    Meine Meinung


    Ich habe leider nur das erste Drittel - Britisch-Indien - geschafft. Ich habe für knapp 200 Seiten fast 1 Woche gebraucht. Das Buch ist sehr mühsam zu lesen, die Begeisterung, die rund um das Buch herrscht, kann ich nicht wirklich nachvollziehen.


    Vorweg - es ist ist ausgezeichnet, wunderbar, phantasievoll geschrieben, sprachlich und stilistisch hervorragend, und detailliert recherchiert. Trotzdem kann ich mich nicht so recht mit dem Buch anfreunden. Die unzähligen Ausdrücke in Originalsprache (Sanskrit, etc) nerven mich gewaltig. Natürlich erhält dadurch das Buch Authentizität, doch wenn man pro Seite oftmals bis zu 5 x im Glossar (am Ende des Buches) wegen der Bedeutung nachschauen muss, dann artet für mich das Lesevergnügen in Arbeit aus und der Lesefluss ist immens gestört.


    Die "direkte Rede" wird ohne Satzzeichen dargestellt (was mich allerdings auch bei Saramago oder Geiger nicht gestört hat), man muss allerdings auch jedesmal überlegen, wer mit wem redet.


    Vielleicht ist mir auch der Kulturkreis zu fremd, als dass ich mich für die Geschichte begeistern kann. Es werden wohl viele Gedanken angesprochen, die mir sehr zusagen. Z.B. geht es vorwiegend darum, wie einfach bzw. schwierig es ist, sich einem anderen Kulturkreis anzupassen. Genügen das Erlernen von Sprache, die Übernahme von Gedankengut und Kleidung um sich einer anderen Kultur einmischen zu können und dort nicht als "Fremder" erkannt zu werden? Oder spielen doch die geschichtliche Entwicklung, die familiären Wurzeln und Traditionen (die eben nicht erlernt werden können) eine viel größere Rolle.


    Ebenfalls sehr anschaulich beschrieben wird die Thematik rund um christliche Missionarisierung und Aufdrängen des europäischen Lebensstils.


    Ein Buch, dass ich als literarisch wertvoll bezeichnen würde, das mir persönlich aber aufgrund oben genannter Umstände einfach zu mühsam ist.
    Mich täte übrigens der Prozentanteil interessieren, wieviele von den gekauften Büchern (das Buch ist ja nun schon wochenlang in den Bestsellerlisten ganz oben) auch vollständig gelesen wurden! :zwinker:



    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • hallo,
    habe mir das Buch gekauft aber noch nicht gelesen..
    Trojanow hat aber ein anderes wunderschönes Buch geschrieben:die Welt ist gross und Rettung lauert überall.
    Es ist ein Roman voller Lebensfreude, Hoffnung, Humor und Menschlichkeit...
    :winken:

  • Hallo zusammen!


    Zuerst einmal hier der korrigierte Amazon-Link, das Buch hat nämlich einen korrekten Link verdient ...


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Burton war vielleicht einer der letzten grossen Abenteurer auf dieser Erde. Er tat, was Karl May nur in seiner Phantasie zu vollbringen vermochte, in der harten Realität. Bis heute rätseln die Gelehrten darüber, ob er z.B. seine Pilgerreise nach Mekka nun als Christ oder tatsächlich als Muslim durchführte, und falls letzteres, welcher muselmanischen Tradition er nun anhing.


    Trojanow hat die Anfänge Burtons, die den Engländer so berühmt und berüchtigt machen sollten, in einen Roman gesetzt. Auktoriale Passagen, in denen meist Burtons Sichtweise zum Vorschein kommt, wechseln ab mit Erzählungen / Erinnerungen seiner Diener und Begleiter. So vieles uns Burton nämlich in seinen eigenen Reiseberichten erzählt hat, so vieles hat er uns auch verschwiegen. Diese Lücken sind mit Wahrheitsgetreuem nicht zu füllen und Trojanow weicht deshalb ins Erzählerische aus. Ob Burtons indischer Diener einem Schreiber erzählt oder sein schwarzer Karawanenführer seinen Freunden, Kindeskindern und Nachbarn im Dorf - die pure Lust am Erzählen bricht durch und bringt die "Wahrheit" oft in Gefahr.


    Wo aber liegt die Wahrheit? Die Engländer schieben auf ihren Karten ganze Gebirge herum, um sich gegenseitig bezichtigen zu können, der andere habe unter keinen Umständen die Quellen des Nils finden können, da bei ihm (dem anderen) die Flüsse ja bergauf fliessen müssten.


    Burton, wie ihn Trojanow schildert, unterliegt der Mystik zuerst des Hinduismus, später des Islam, des Sufismus, des Derwischtums - findet aber die alten Gottheiten der Negerstämme im Innern Afrikas und ihre Vertreter nur lächerlich. Diesen Gottheiten wiederum unterliegt der schwarze Karawanenführer, der als freigelassener Sklave offiziell dem Islam angehört.


    Es ist die wechselseitige Faszination durchs Fremde, die hier dargestellt wird.


    Ein ständiger Wechsel der Erzählperspektive verstärkt den Eindruck des Kaleidoskopartigen, das diese Welten in diesem Buch vorstellen.


    Fazit: Eine sprachlich wie inhaltlich äusserst gelungene Darstellung - sowohl Burtons wie seiner Welten. Am schwächsten fand ich persönlich den Mittelteil, wo sich die Begleiter nur im Rahmen einer Untersuchung durch die obersten islamischen Autoritäten äussern durften und ihre Erzählfreude entsprechend gehemmt war, schade.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Der Weltensammler - Ilija Trojanow


    Kurzbeschreibung (amazon)

    Ein spannender Roman über den englischen Abenteurer Richard Burton (1821-1890). Anstatt in den Kolonien die englischen Lebensgewohnheiten fortzuführen, lernt er wie besessen die Sprachen des Landes, vertieft sich in fremde Religionen und reist zum Schrecken der Behörden anonym in den Kolonien herum. (...)





    Meine Meinung


    In seinem Vorwort schreibt Trojanow: « (…) sind die Romanfiguren sowie die Handlungen überwiegend ein Produkt der Phantasie des Autors und erheben keinen Anspruch, an den biographischen Realitäten gemessen zu werden. (…)


    Dieser Roman liest sich auch nicht als Biographie, sondern als packender, gut recherchierter und äußerst figurativ geschriebener Abenteuerroman.
    Bereichernd sind die sich abwechselnde Auslegungen verschiedener Erzähler.



    1.Britisch-Indien
    Trojanows sinnliche Sprache hat mich überwältigt, es gelang ihm, mich in eine mir völlig unbekannte Welt hinein zu ziehen und seine genaue Beschreibung der prägnanten Unterschiede der Lebensart, Religion, Tradition und ethischen Werten zwischen den englischen Besatzern und der einheimischen Bevölkerung ist gewiss auch das Ergebnis seiner persönlichen Erfahrungen während seines vierjährigen Aufenthaltes in diesem vielsprachigen Land.
    Trotzdem kommt er nicht umhin mit Klischees zu arbeiten, die Hauptcharakterisierung der Inder wird in zwei Gegensätzen dargestellt: sie sind unterwürfig oder stolz und geheimnisvoll.


    2.Teil: Arabien
    Dieses Kapitel gefiel mir am besten. Die Menschen um Burton haben mehr Persönlichkeit, die Schilderung der religiösen Zeremonien sind bildhaft und urteilslos, Burtons Beobachtungen detailliert und seine Überlegungen ausgereift.
    Seine Faszination für den islamischen Glauben wird vertieft ohne unrationell zu wirken.
    Trojanows Sinn für Humor, den ich in die Welt ist groß und Rettung lauert überall zu schätzen gelernt habe, ist stark ausgeprägt.


    3.Teil: Ostafrika
    Leid, Angst, Folter, Krankheit und Tod begegnet der Leser im ganzen Buch, doch all diese Aspekte spielen die Hauptrolle bei der Suche nach der Nilquelle.
    Würde man die Erlebnisse nicht auch aus der Perspektive von Burtons Begleiter Sidi Mubarak Bombay erfahren, wäre dieses Kapitel ein einziger schlammiger Sumpf voller Hoffnungslosigkeit, Misere und Niedertracht.


    Ich hätte dieses Buch gerne in einer Leserunde gelesen, so viele Details sind erwähnenswert, nicht nur Burtons Geschichte, sondern auch Trojanows Schreibkunst hat mich immer wieder angenehm überrascht.
    Der Roman ist gewiss in vielen Hinsichten eine euphemistische Schilderung der vielseitigen Persönlichkeit Richard Francis Burton, doch Trojanow kann ich es ohne Wimperzucken verzeihen.


    dora

  • Hallo dora!


    danke für Deine Meinung! Den Thead gibt's allerdings schon, allerdings mit falsch geschriebenem Vornamen: https://literaturschock.de/lit…m/index.php?thread/5989.0 :zwinker: :winken:


    Arabien mochte ich auch am besten - aber dann kannte ich seinen Reisebericht nach Mekka bereits ...


    Grüsse


    Sandhofer



    EDIT: Hallo, ich habe die Threads zusammengeführt und den Vornamen geändert. Liebe Grüße, Seychella

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()


  • Danke Sandhofer und Seychella, ich wollte gerade den Betrag hier reinkleben und da stand er schon... :spinnen::zwinker:

  • Hallo Sandhofer,


    Arabien mochte ich auch am besten - aber dann kannte ich seinen Reisebericht nach Mekka bereits ...


    Ich nehme an, es handelt sich um folgenden Reisebericht:


    Personal Narrative of a Pilgrimage to Al Madinah and Meccah (Volume 1 + 2)

    liebe Grüße
    dora, die Burton noch eine Zeit begleiten möchte :zwinker:

  • Ich nehme an, es handelt sich um folgenden Reisebericht:


    Personal Narrative of a Pilgrimage to Al Madinah and Meccah (Volume 1 + 2)


    Öhm ... jein. Meins heisst A Secret Pilgrimage to Mecca and Medina - was, wenn ich mich richtig erinnere, der Titel der zweiten Auflage gewesen ist. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo zusammen,


    soeben in der Zeit entdeckt: :smile:


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Ilija Trojanow - Nomade auf vier Kontinenten. Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton


    liebe Grüße
    dora

  • Dieses Buch zu kommentieren und zu bewerten ist alles andere als einfach. Um es gleich vorweg zu sagen: Es hat mir so gut gefallen, daß ich noch vor dem Ende ein eigenes Exemplar für mein Regal bestellt habe, da die Leihgabe in den nächsten Tagen weitergeht.


    Aus meiner Sicht empfiehlt es sich, die drei Abschnitte etwas getrennt zu betrachten, auch wenn es einen gemeinsamen roten Faden gibt, der sie durchzieht.


    Britisch-Indien: Indien ist ein Kulturkreis, mit dem ich mich recht schwer tue. Trojanow ist es aber durchaus gelungen, mir einen Eindruck zu vermitteln, warum es für viele Menschen eine starke Faszination ausstrahlt. Die Vielfältigkeit der Menschen – auch wenn dora mit der Klischeehaftigkeit der Darstellung nicht ganz unrecht hatte – scheint dabei eine große Rolle zu spielen. Trojanow kann damit besonders gut durch die Konstruktion seiner Erzählung spielen, indem der Leser immer abwechselnd ein Kapitel von einem Erzähler (der nahe an Burtons unterstellten Sichtweisen ist) und von Burtons Diener Naukaram im Gespräch mit einem Schreiber präsentiert bekommt. Damit gelingt es Trojanow sehr leicht, die verschiedenen Sichtweisen des Briten und des Inders auf die gleiche Sache deutlich zu machen, was für mich einen wesentlichen Reiz dieses Abschnitts ausgemacht hat. Daß Burton in Verkleidung und auch unerkannt von seinen Landsleuten unter der Bevölkerung unterwegs ist, erlaubt weiterhin die Konstruktion einer Situation (vielleicht hat sie auch so stattgefunden), in der Burton das häßliche Verhalten der Briten gegenüber den Kolonisierten am eigenen Leib erfahren darf, was ich gut gelöst fand.


    Arabien: Hier wird die Schilderung intensiver, vielleicht weil der Zeitraum kürzer oder auch weil die „Handlung“ eingeschränkter ist. Im Gegensatz zu dem englischen Offizier, der sich auch mit Vorgesetzten herumschlagen muß, ist er hier noch mehr als bei seinen indischen Streifzügen aus eigenem Antrieb unterwegs. Die Hadj ist zudem eine einigermaßen klar abgegrenzte Reise, mit vorbestimmten Ziel und Ritualen. Die Konzentration auf wenige Personen in seiner direkten Begleitung erlaubt einen genaueren Blick auf diese, wie auf den Zweck der Reise. Auch hier wird wieder im Wechsel erzählt, aber darin liegt auch die größte Schwäche dieses Abschnitts, denn die Befragungen von Burtons Begleitern durch Gouverneur, Sharif und Kadi haben bei weitem nicht den Tiefgang, den der indische Diener im Gespräch mit dem Schreiber erreicht.


    Ostafrika: Auf diesen Abschnitt habe ich mich aus persönlichen Gründen am meisten gefreut, deshalb mußte die Enttäuschung vielleicht auch hier einsetzen. Hier wird Burton trotz all der Neugier, zu der er erwiesenermaßen fähig ist, zu einem fast typischen Vertreter der Europäer in Afrika. Das Interesse, das er den indischen Riten entgegenbracht hat, kann er für die afrikanischen nicht aufbringen, die Sprache empfindet er auch eher als Zumutung (dabei ist Kiswahili wunderschön!), auch die ihn umgebenden Menschen bezieht er viel weniger ein. Denn: Vor allem will er die Nilquellen entdecken! Auch sein Karawanenbegleiter und Dolmetscher Sidi weiß auf Grund dieser veränderten Konstellation weniger über ihn zu berichten als Naukaram. Dies mag in Teilen auch dem Gesundheitszustand Burtons zuzuschreiben sein, aber trotzdem verströmt dieser Abschnitt einen ganz anderen Grundtenor, was vermutlich auch damit zu tun hat, daß Burton hier in der Bevölkerung nicht untertauchen kann. Als Araber würde er vielleicht noch durchgehen, aber nicht als Afrikaner, seine andernorts erprobten Mechanismen würden hier also auch gar nicht funktionieren.


    Gemeinsam ist allen drei Teilen die Auseinandersetzung mit dem Wesen und Wert von Kultur und der Möglichkeit ihrer Aneignung. Unter welchen Umständen und in welchem Maße sie gelingen kann, steht immer als Frage hinter den zahlreichen Wandlungen, die nicht nur Burton (überwiegend freiwillig), sondern auch die Menschen, denen er begegnet, (überwiegend unfreiwillig) in ihrem Leben mitmachen. Als weitere Gemeinsamkeit ist die wunderbare Sprache festzuhalten, die mir wieder einmal vor Augen geführt hat, welche Möglichkeiten Deutsch bietet, wenn es gekonnt angewendet wird.


    Wegen der von mir so empfundenen Schwächen im Ostafrika-Teil „nur“


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen


    P.S.: Jetzt hätte ich doch fast noch etwas vergessen. Eine andere Bookcrosserin, die dieses Buch vor mir gelesen hat, meinte, ihr käme das ganze Buch vor „wie eine entdeftigte, dafür sprachlich nachgewürzte Ausgabe der Wassermusik“ von T. C. Boyle. Dieser Vergleich ist sicher nicht ganz passend, aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen.

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Aldawens Rezi macht Lust auf mehr....


    hatte vor einer halben Woche mal die ersten 40-50 Seiten gelesen, der allererste Einstieg - allererste deshalb, weil ich so richtig in dem Buch noch nicht drin war - ging recht gut, nur aufgrund der Tatsache, dass ich zurzeit eher in Krimistimmung bin und ich hier mit Grippe liege hab ich noch nicht weitergelesen - das mit der Grippe auch insofern, als dass mich bei dem Buch ein technischer Aspekt stört, die wörtlichen Reden sind - wie zB im Spanischen - nur mit nem Bindestrich zu Beginn markiert, man verliert zwar trotzdem nicht den Überblick, aber komisch ist es zu Anfang schon, weiss auch nicht.....


    Zudem bin ich noch unsicher, ob ich in Sachen "Sonstiger Belletristik" erst den Weltensammler oder den Nachtzug nach Lissabon von Mercier lesen soll, mal schauen. :)




    LG

  • Die Erzählung über Burtons Erlebnisse in Indien zeigt bereits seine Ruhelosigkeit, stets treibt es ihn dazu, noch eine Sprache zu lernen, noch tiefer in die fremde Kultur einzutauchen und doch fühlt er sich überlegen und teilt so einige Vorurteile seines Volkes. Besonders deutlich wird das in einigen abschätzigen Bemerkungen über einen "Bastard" aus einer Beziehung eines britischen Offiziers und einer einheimischen Frau, von dem er schon aufgrund seiner irregulären Abstammung keinerlei Ehrgefühl erwartet. Geschildert wird all das aus dem Munde seines Dieners, der die Geschehnisse einem Schreiber mitteilt. Nur wenige Abschnitte berichten von den Dingen, die der Diener nicht wissen konnte und die Burtons ganz privates Leben betreffen. Es entsteht das Bild eines Getriebenen, der vermutlich niemals wahre Zufriedenheit erlangen wird, auch wenn er in allen Religionen danach sucht.


    Der arabische Teil wird wieder aus zwei Perspektiven geschildert. Zum einen natürlich Burton selber, zum anderen Zeugenaussagen von Reisebegleitern, die eine Aussage vor Regierungsvertretern machen, die zu entscheiden versuchen, ob Burtons Pilgerreise nur ein Vorwand für Spionage war und was er in diesem Fall erfahren hätte. Dieser Abschnitte gefiel mir nicht ganz so gut. Das mag zum Teil daran liegen, dass ich Burtons eigenen Bericht über die Pilgerreise bereits kenne und somit sachlich nichts neues zu erfahren war und die hier geschilderten Gefühle mich auch nicht überzeugen konnten. Zusätzlich sind dadurch, dass Burton sich vor allen seinen Mitreisenden verstellen musste, hier keine Erkenntnisse über Burtons Persönlichkeit zu erwarten. Auch ein Gefühl für die Mitreisenden selber kann man als Leser nicht entwickeln, weil leider nicht nur einer von ihnen berichtet, sondern mehrere, die sich noch dazu in einer Verhörsituation befinden, so dass sie nichts Privates preisgeben.


    Der Afrika-Teil dieses Buches wird von Burtons afrikanischem Führer auf der Suche zur Quelle des Nils geschildert. Dieser Teil gefiel mir wieder sehr gut, die in der unterschiedlichen Mentalität angelegten Konflikte zwischen den afrikanischen Völkern, den arabischen Machthabern vor Ort und den europäischen Entdeckern werden sehr schön deutlich. Besonders interessant waren dabei auch die unterschiedlichen Anschauungen Burtons und Spekes, wobei hier Burton längst nicht so offen erscheint, wie in den vorher beschriebenen Kulturkreisen. Dort hielt er sich zwar auch für überlegen, hat aber die andere Kultur trotzdem anerkennt. Den afrikanischen Völkern hat er längst nicht soviel Sympathie und vor allem Reaspekt entgegen gebracht, wie den Indern und Arabern.


    Insgesamt macht das Buch die Getriebenheit Burtons sehr schön deutlich, er war sicherlich ein faszinierender Mann, aber in keiner Weise umgänglich.


    4ratten


    PS Vom Glossar war ich enttäuscht, immer wenn ich etwas nachschlagen wollte, stand es nicht drin *seufz*

  • Der arabische Teil [...] Dieser Abschnitte gefiel mir nicht ganz so gut. Das mag zum Teil daran liegen, dass ich Burtons eigenen Bericht über die Pilgerreise bereits kenne und somit sachlich nichts neues zu erfahren war und die hier geschilderten Gefühle mich auch nicht überzeugen konnten.


    Das deckt sich mit meiner Leseerfahrung. Vielleicht hätten wir Burtons Original wirklich erst nachher lesen sollen?!?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Der Weltensammler beleuchtet das Leben des britischen Entdeckers Sir Francis Burton und folgt ihm auf drei Reisen durch Britisch-Indien, Arabien und Ostafrika. Schon zu Anfang wird der Leser in das bunte, laute und hektische Treiben Bombays geworfen, einer Stadt, die auf alle Sinne einprasselt. So, wie der junge Burton beginnt, sich zurecht zu finden, beginnt der Leser sich zu orientieren. Und weil er nicht nur von Ehrgeiz, sondern auch von Taten- und Entdeckerdrang getrieben wird, erlernt er verschiedene Sprachen und taucht in die indische Kultur ein. Dieses Eintauchen ist wörtlich zu nehmen, denn während seine Landsleute jeglichen Kontakt mit den Einheimischen so gering wie möglich halten und in ihrem Club britischen Freizeitaktivitäten frönen, nutzt Burton sein neu erworbenes Wissen, um sich unters Volk zu mischen. Dies geht soweit, dass er eine andere Identität annimmt und tagelang nicht nach Hause zurückkehrt.


    Zitat

    Es gab wenige Männer, auf die er sich verlassen konnte, Männer wie dieser Burton, der vertrauenswürdig von dem Leben der Einheimischen berichtete. Er unterhielt sich gerne mit ihm. Sein Blick auf die Dinge war so frisch, als sei die Schöpfung gerade erst vollzogen worden. Aber eine Schwäche hatte dieser junge Mann, eine fatale Schwäche. Er beließ es nicht dabei, die Fremde zu beobachten. Er wollte an ihr teilnehmen. Er war ihr verfallen, so sehr, dass er sie sogar bewahren wollte in ihrem zurückgebliebenen Zustand. Ihre Positionen standen sich diametral gegenüber. Der General war getrieben, die Fremde zu verändern, zu verbessern. Dieser Burton hingegen wollte die Fremde sich selbst überlassen, weil die Verbesserung der Fremde ihre Auslöschung bedeutet hätte.


    Damit nicht genug, Burton treibt es sogar so weit, als Nicht-Muslim an der Hadj teilzunehmen, der Pilgerreise nach Mekka. Nachdem er sich in Kairo einen Ruf als fähiger Arzt und angesehener Gelehrter erarbeitet hat, schließt er sich einer Karawane an, inwiefern er dies als Spion tat oder als konvertierter Gläubiger ist nach wie vor ungeklärt. Deutlich wird aber, dass er komplett in dieses andere Ich schlüpft und in keiner Situation aus seiner „Rolle“ heraustritt.


    Zitat

    Ich denke, dieser Mann steht außerhalb des Glaubens. Nicht nur unseres Glaubens. Das erlaubt ihm, hinzugehen, wohin sein Wille ihn treibt. Ohne Gewissensbisse. Er kann sich an dem Glauben anderer bedienen, er kann annehmen und verwerfen, auflesen und weglegen, wie es ihm beliebt, als wäre er auf einem Marktplatz. Als wären die Mauern, die uns umgeben, weggefallen, als stünden wir draußen auf einer endlosen Ebene und hätten Sicht in alle Richtungen. Und weil er an alles und an nichts glaubt, kann er sich, zumindest dem Äußeren nach, nicht aber in der Festigkeit, in jeden Edelstein verwandeln.


    Nachdem Burton in Indien und Arabien auf Hochachtung gestoßen ist und ohne Schwierigkeiten in der Gesellschaft eintauchen konnte, stellt sich dies in Afrika anders dar. Er bricht gemeinsam mit John Hanning Speke auf, um "den großen See" und die Quelle des Nils zu entdecken. Die beiden Männer könnten kaum unterschiedlicher sein, allein ihr Ehrgeiz verbindet sie. Neben den Herausforderungen, die ein fremdes Land mit sich bringt, stößt Burton diesmal auf eine weitere Schwierigkeit: Unverständnis der Bevölkerung. Anders als zuvor kann er diesmal seine Herkunft nicht verleugnen, alleine aufgrund der äußeren Erscheinung nicht, aber auch aufgrund der gegensätzlichen Geisteshaltung. Als Forscher und Entdecker folgt Burton dem Glauben, es sei die höchste Bestimmung des Menschen, dorthin zu gelangen, wo keiner seiner Vorfahren hingelangt ist. Dies trifft auf die einheimische Furcht davor, dort zu gehen, wo niemand zuvor gegangen ist. Und dennoch müssen die afrikanischen Bediensteten erleiden, was die beiden Anführer erleiden, denn sie sind "Gefangene einer Karawane, die dem Wahn zweier Wazungu ausgeliefert war, dem Wahn, durch die Hölle zu marschieren, um an ein Ziel zu gelangen, von dem keiner genau wusste, wo es war, wie es war, was es war".


    Jeder der drei Abschnitte hat einen ganz eigenen Charakter, der sich zum einen daraus ergibt, wie tief Burton in die Kultur eintauchen konnte, zum anderen aus der Kultur selbst. Die Stationen im Leben des Entdeckers werden nicht nur durch einen auktorialen Erzähler geschildert, sondern auch durch Schilderungen seiner Begleiter ergänzt. Das ist einmal sein indischer Diener Naukaram, der einem Schreiber von seiner Zeit mit dem Saheb erzählt, das sind aber auch seine Begleiter während der Hadj, die im Rahmen der Untersuchungen zum Spionageverdacht aussagen müssen. Und zu guter Letzt ist es der gealterte Führer der ostafrikanischen Expedition, der seinen Freunden von seinen Erlebnissen erzählt.


    Durch diese wechselnden Perspektiven erreicht Trojanow einen außergewöhnlichen Facettenreichtum, mit dem er die ganze Vielfalt der Kulturen, die Burton durchreist, einzufangen verstand. Durch die wechselnden Erzähler bekommt man einerseits den gefilterten, teils überheblichen, aber immer neugierigen Blick des Entdeckers geliefert, andererseits aber auch die Stimmen der Einheimischen zu hören, die ihre Welt fast nebensächlich darstellen, während sie den Burton beschreiben, den sie kennengelernt haben.


    Trojanow hat Burton dabei nicht glorifiziert, er hat ihn weiterhin einen Menschen seiner Zeit sein lassen. Denn trotz aller Neugier schafft er es nicht, die westliche Überheblichkeit abzustreifen, die sich besonders in Afrika bemerkbar macht, wo er am wenigsten in die Kultur eintauchen kann.


    Sprachlich konnte Trojanow mich über die gesamte Länge des Buches faszinieren. Er schildert die Fremde so eindringlich, dass man meint, die Gerüche oder Geräusche wahrzunehmen, ohne aber zu verklären. Er passt seine Schilderungen dabei dem jeweiligen Erzähler an, mal ist der Tonfall sachlicher, mal von bildhafter Poesie. Die fremdsprachigen Begriffe, die sich durch den gesamten Text ziehen, sollte man als exotische Bereicherung betrachten. Abgesehen davon, dass sie sich in der Regel aus dem Kontext erklären, stört das Nachschlagen im Glossar nicht nur den Lesefluss, sondern ist in vielen Fällen auch erfolglos.


    Zitat

    Die Sonne muss untergehen und der Mond schrumpfen, bis Kairo sich öffnet, wie eine Muschel, und seine Schönheit in Silhouetten offenbart. Sommerliche Sterne, auf die unsichtbare Bedürftigkeit gestreut, sprechen von einer besseren Schöpfung. Streifen von Indigo trennen die Stirnen der Häuser. Mit jedem seiner Schritte taucht er in Blei ein. Ist es das, was ihn immer wieder in die Fremde zieht - die vorübergehende Blindheit? In England, sanft, grün und manierlich, lag alles aufgeschlagen da. Wie kann ein Land so geheimnislos sein?


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges