Viola Alvarez - Wer gab dir, Liebe, die Gewalt

Es gibt 30 Antworten in diesem Thema, welches 9.025 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Ich habe mir das Buch letztes Jahr aus der Bib ausgeliehen, hab es aber angelesen wieder zurück gebracht. Irgendwie habe ich einfach keinen rechten Zugang zu dem Buch gefunden. :sauer: Aber wenn ich die Rezis hier so lese... Vielleicht sollte ich dem Buch irgendwann noch einmal eine Chance geben. :gruebel:

  • Hallo!


    @Dani: ich finde, das Buch hat eine zweite Chance durchaus verdient. Es hat selten ein Buch gegeben das mir noch so lange nach dem Lesen durch den Kopf gegeistert ist.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Bei Alvarez muss man sich ein bisschen einlesen, der Stil ist schon speziell und eigen, aber gerade das gefällt mir an ihren Büchern so ;)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Wobei ich persönlich sagen muss das mir das andere Buch das ich bisher von ihre kenne nicht so gut gefallen hat. Das Herz des Königs hat meinen Geschmack weit weniger getroffen als es Wer gab Dir, Liebe die Gewalt geschafft hat.

  • Viola Alvarez – Wer gab dir, Liebe, die Gewalt


    Schon die Geburt des jungen Walther, dessen Vater den kargen Vogelweidhof bewirtschaftet, ist von seltsamen Ereignissen umgeben. So begegnet Vater Herrmann während der Niederkunft seiner Frau einem merkwürdigen Mönch, der ihm prophezeit, dass er seinen Jungen nicht auf dem Bauernhof halten können wird. Der Sohn, so spricht er, werde „mit Sand in den Schuhen geboren“.


    Walther erweist sich denn auch als seltsames Kind, das lieber „Gott zusieht“, anstatt zu spielen, das menschliche Berührungen verabscheut und den Dingen neue Namen gibt. Er ist sehr wortkarg und sein Vater Herrmann vermag es nicht, eine richtige Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen, auch wenn seine Liebe zu dem seltsamen Jungen groß ist. Walthers Mutter Gunis verabscheut ihren Ehemann, ist unzufrieden mit ihrem Leben und gibt Herrmann die Schuld dafür. Anstatt sich um ihren Sohn zu kümmern, geht sie lieber der Schönheitspflege nach oder bemitleidet sich selbst.


    Als Herrmann schließlich früh an „etwas ganz Kleinem“ verstirbt, erklärt sich Gunis – mehr aus Pflichtbewusstsein denn aus Liebe – bereit, ihren Sohn mit auf die Burg des Herzogs Friedehalm vom Grödnertal zu nehmen. Dort wittert sie die Chance auf ein besseres Leben und wird zur inoffiziellen Ehefrau des Herzogs. Doch Walther ist dort alles andere als glücklich, zerwirft sich mit dem Herzog und seinem Sohn und landet schließlich sogar im Kerker. In diesen Tagen verändert sich etwas in ihm, er wird verbittert, nimmt kein Blatt mehr vor den Mund, prügelt sich häufig, sucht Streit und vergnügt sich zügellos mit der Damenwelt.


    An einem Tag, als er wieder einmal grundlos Streit sucht, eine Schlägerei, um sich zu spüren, begegnet er in einem Wirtshaus der gutmütigen, strenggläubigen Anna, die er unwillkürlich vor einem aufdringlichen Kerl schützt und in die er sich schließlich unsterblich verliebt. Und obwohl sich die Wege der beiden nach nur einem intensiven Gespräch wieder trennen, ohne auch nur einen Kuss ausgetauscht zu haben, hält diese Liebe in beider Seelen ein Leben lang. Walther zieht Kraft daraus, sich in Gedanken mit seiner Anna zu unterhalten, die ihm so fern und doch so nah ist. Zu einem gemeinsamen Leben mit ihr sähe er sich jedoch nicht imstande.


    Walthers Leben führt ihn vom Hof des Herzogs Friedrich von Österreich an zahlreiche weitere Höfe, er bringt es mit seinen Gedichten zu Ruhm und Ansehen – und doch lebt er meist von der Hand in den Mund, ist auf die Gunst hoher Herren angewiesen und bleibt immer ein vom Leben benachteiligter Fahrender. Trotz dieses unsteten Lebens wird ihm von mehreren Seiten wirkliche, innige Freundschaft zuteil, die Walther aufgrund seiner Verschlossenheit nur schwerlich erwidern kann.


    Viola Alvarez schildert eindrucksvoll die fiktive Lebensgeschichte des bis heute bekannten mittelalterlichen Dichters Walther von der Vogelweide. Mangels historischer Zeugnisse über dessen Leben stützt sie sich vor allem auf seine Gedichte und die darin transportierten Gefühle. Als Stilmittel tauchen in dem Buch immer wieder Gedichte aus dem Werk des bis heute bekannten Dichters auf, gewöhnlich in mittelhochdeutscher Sprache und der hochdeutschen Übersetzung.
    Gemäß Vorwort existiert von Vogelweide lediglich ein einziges nichtliterarisches Zeugnis: eine Rechnung über einen Mantel. Und sogar dieses Zeugnis taucht in dem Roman auf.



    Ganz besonders beeindruckt und berührt hat mich die eindringliche und psychologisch ausgefeilte Schilderung der Gefühls- und Gedankenwelt dieses so bekannten Dichters – ein Psychogramm, beruhend auf seinen Gedichten. Zuweilen poetisch anmutend schildert sie die Melancholie und Schwermut des Künstlers, aber auch sein zuweilen ungestümes, oft sogar aggressives Verhalten. Auch weiß er um sein Talent und lässt sich häufig zu Arroganz und Übermut hinreißen, was ihn mir nicht eben sympathisch machte. Aber dennoch hat mich sein Portrait unglaublich fasziniert und ich konnte es teilweise gar nicht glauben, wie gut ich mich mit manchen seiner Gefühle, seiner Gedanken und Ausbrüche identifizieren konnte. Manchmal hatte ich den Eindruck, die Autorin gebe 1:1 meine eigene Gedankenwelt wieder.


    Trotz seiner ausgeprägten dunklen Seite hat auch Walther einen guten Kern, und so fieberte ich immer mit, ärgerte mich über ungerechte Behandlung des Dichteres und den Standesdünkel der hohen Damen und Herren und hoffte mit ihm, dass er schließlich doch noch eine kleine Scheibe Glück abbekommt.


    Sprachlich ist das Buch sehr ansprechend, zuweilen poetisch, immer ausgefeilt und atmosphärisch. Insbesondere die Schilderung des Lebens am Hof sowie der höfischen Gesellschaft, die sich als nur allzu menschlich herausstellt, ist zuweilen auch sehr humorvoll. Dies lockerte die Geschichte auf und brachte mich nicht selten auch zum Schmunzeln. Beispielsweise wird König Philipp der Schöne als gutmütige, aber schwache Persönlichkeit mit schwäbischem Dialekt dargestellt, dessen wichtigste Ratgeberin seine Ehefrau ist, ohne die er auch ungern Entscheidungen trifft. Die oft spöttische und doch liebenswerte Schilderung der hohen Adligen hat mir sehr gut gefallen.


    Fazit: „Wer gab dir, Liebe, die Gewalt“ ist ein gelungenes fiktives Portrait über den wichtigsten Literaten des Mittelalters, dessen Werke uns bis heute berühren. Ein außergewöhnlicher historischer Roman, der zu meinen Lesehighlights des Jahres 2011 gehört.


    5ratten

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

  • Nachdem ich bereits ein Buch von Viola Alvarez gelesen hatte und damit überhaupt nicht gut klar kam, ging ich mit sehr gemischten Gefühlen an diese Lektüre. Insbesondere mit dem Sprachstil hatte ich vormals große Probleme und konnte mich nicht damit anfreunden.


    Daher war es für mich eine positive Überraschung, dass sich der große Mittelalterroman um den Dichter Walther von der Vogelweide sehr viel besser lesen ließ und mir am Ende auch stilstisch gut gefiel. Ich bin froh, dass ich der Autorin noch eine zweite Chance gegeben habe, denn es hat sich gelohnt.


    Walther von der Vogelweide ist eine bekannte Persönlichkeit aus dem Mittelalter; seinen Namen hat wohl jeder schon einmal gehört. Nichts desto trotz ist sehr wenig bekannt über diesen prominenten Dichter und Künstler, seine Existenz beweist sich fast ausschließlich durch seine literarischen Erzeugnisse. Darüber hinaus fand er nur ganz selten Erwähnung in den Chroniken der damaligen Zeit.


    Diese Ausgangssituation eröffnete der Autorin eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie Walthers Leben denn hätte verlaufen können. Viola Alvarez nutzte diese Freiheit, um einen doch sehr außergewöhnlichen Mittelalterroman zu schreiben. Sie legte die Person des Walther von der Vogelweide vorrangig aus psychologischen Gesichtspunkten an und schilderte sehr intensiv sein Innenleben. Es bietet sich geradezu an, dies mit den sehr gefühlvollen, aber auch aussagekräftigen Liedtexten Walthers zu verknüpfen, was Viola Alvarez hervorragend gelungen ist.


    Darüber hinaus zeichnet sie nicht nur ein intensives Portrait dieses Menschen, sondern auch der damaligen Zeit, der Machtspiele der Oberen und der Ausgeliefertheit des niederen Volkes. Durch Walthers fiktiv dargestelltes wechselvolles Leben bietet die Autorin einen abwechslungsreichen Blick in die verschiedenen Lebensentwürfe; ob auf einem Tiroler Einödhof, beim fahrenden Volk, an Fürsten- und Königshöfen oder im Kloster. Walther selbst bleibt dabei immer ein Betrachter und Grübler; verwickelt in eine traurige und unerfüllte Liebe, schaut er den Menschen ins Herz und formt ihre Gefühle und Gedanken zu Liedern, die ihm zur Unsterblichkeit verhelfen, obwohl er selbst zeitlebens nicht glücklich war.


    Eine Geschichte, die zu Herzen geht - mir hat sie trotz einiger Längen sehr gut gefallen und ich werde nun doch noch zu einem weiteren Buch von Viola Alvarez greifen, das ich schon lange auf meinem SUB habe und das vom Aussortieren bedroht war.


    4ratten

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

    Einmal editiert, zuletzt von Miramis ()

  • Mir gefiel das Bild nicht besonders, das Viola Alvarez von Walther entworfen hat. Mit ihrer Darstellung schaffte sie es über lange Zeit nicht, mich zu berühren. Trotz allem, was dem Dichter schon in seiner Kindheit geschah, konnte ich mich nicht für ihn erwärmen. Manchmal erscheint er recht melancholisch, aber es ist eher eine negative Grundeinstellung, die in ihm lebt. Es passt nicht zusammen, dass er sich in bestimmter Hinsicht exzessiv auslebt und dann in einer persönlichen Herzensangelegenheit so zurückhaltend agiert und auf die Liebe seines Lebens verzichtet. Meine Güte.


    Das erstreckt sich auch auf sein ganzes Leben. Von Freunden war kaum die Rede; Walther war zeitlebens der große Einsame. Das war zu stark aufgetragen. Es sei denn, die Autorin wollte ihm die Züge eines Autisten geben. Dann frage ich mich allerdings, wie er quasi aus dem Stehgreif so zu Herzen gehende Liebesgedichte erschafft. Wirklich ergriffen war ich erst am Ende, als



    Natürlich kann man nun sagen, er hätte sein Leben lang nach seinem wahren Ich oder nach einem Sinn gesucht, aber ganz ehrlich: Ich glaube, die Leute hatten damals andere Probleme als ihr wahres Ich, wenn ihnen dessen Existenz überhaupt schon bewusst war. Und gerade als Dichter stand Walther ja im Rampenlicht (das es auch noch nicht gab) und hätte sicherlich Freunde und eine Heimat finden können, wenn er sie gesucht hätte. Schließlich hatte er ja den väterlichen Hof.


    Ähnlich wie Walther fand ich auch die meisten anderen Figuren ziemlich überzeichnet.


    Stilistisch wäre eine einheitliche Linie besser gewesen. Größtenteils ist der Text so verfasst, dass er der Zeit der Handlung entspricht, dann wieder sind Passagen banal und modern formuliert. Besonders die Sprache der Charaktere ist oft zu trivial, und das trifft nicht nur auf die untere Gesellschaftsschicht zu. Erfrischend authentisch erscheint dagegen der Fürst, der in seinem landesüblichen Dialekt zu Wort kommt, denn von einer gemeinsamen Hoch(deutschen)sprache dürfte man damals noch weit entfernt gewesen sein.


    Wenn nicht mehr als ein paar mündliche Überlieferungen von einer historischen Figur existieren, hat man natürlich freie Hand, um ihr ein Leben zurechtzuschneidern. Was dem Walther da aufgedrückt wurde, gefiel mir nicht, weder inhaltlich noch stilistisch.

  • Ich habe bisher darauf verzichtet den Roman, der mir vor zehn Jahren so gut gefallen hat, wieder zu lesen. Ich habe einfach die Befürchtung das er mir nun, da ich viel mehr über Geschichte des Mittelalters, Geschichtskonstruktion usw. gelesen und gelernt habe, nicht mehr gefallen würde. Zu Mal sich mein Lesegeschmack auch sehr stark verändert hat. Ich behalte es lieber in guter Erinnerung und verderbe sie mir nicht ;)

  • Ich behalte es lieber in guter Erinnerung und verderbe sie mir nicht ;)


    Das habe ich mir auch gedacht. Ich habe das Buch auch gut bewertet, aber weil ich mittlerweile kaum noch historischen Romane lese, befürchte ich dass der reRead nicht mehr so gut ausfallen wird.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • @ Holden und Kirsten
    Aus dem selben Grund vermeide ich es, Belletristisches (Klassiker ausgenommen) nach Jahren nochmals zu lesen. Bei anderen Genres ist das weniger gefährlich.


    So, wie Viola Alvarez hier allerdings den Walther als Charakter angelegt hat, davon mußte ich mich jetzt annähnernd zwei Wochen erholen. Hätte ich vorher auch nur ansatzweise geahnt, was für ein Mensch mir hier begegnen würde – ich hätte es wohlweislich nie gelesen.


    Das spricht mir aus dem Herzen. Ich bin froh, dass ich mit meiner Meinung nicht ganz alleine dastehe.