Alberto Dines: Tod im Paradies

  • Hallo zusammen!


    Alberto Dines hat mit seiner Biografie Tod im Paradies wohl die zur Zeit aktuellste Biografie über Stefan Zweig geschrieben: 750 Seiten dicht gepackter Information. Seine Argumentation ist schlüssig, sein Stil liest sich flüssig. Zitate und Behauptungen sind belegt – sprich: eine fundierte Biografie, wie man sie sich wünscht.


    Der Schwerpunkt des Buches liegt dort, wo es auch schon der Titel vermuten lässt: bei Stefan Zweigs Jahren in Brasilien. Der Autor – selber Brasilianer und Jude – bringt Informationen über Brasilien zu Beginn der Vargas-Zeit, als das Land gerade in eine Diktatur geriet, den estado novo, der den Diktaturen von Mussolini in Italien, von Franco in Spanien, von Salazar in Portugal nachgestaltet war. Tendenziell antisemitisch also, und wäre das Kriegsglück auf Seite der Achsenmächte gestanden, hätte diese Tendenz wohl auch noch ganz andern Ausdruck gefunden.


    In dieses diktatorisch regierte Brasilien also kommt Stefan Zweig 1936 zum ersten Mal. Dines beschriebt, wie Zweig – als Jude von den Regierenden skeptisch beäugt – dennoch sich dem Regime annähert, bzw. dem von regimetreuen Pseudo-Autoren dominierten PEN-Club. Es hagelt Kritik von jüdischer Seite, aber auch und vor allem von den oppositionellen Intellektuellen. Zweigs „Brasilien. Land der Zukunft“ gilt als bezahlte Auftragsarbeit der Diktatur und bringt Zweig statt der erhofften Anerkennung und Liebe nur Ablehnung und Ärger ein.


    Der sensible Schriftsteller leidet unter dem Verlust der Heimat, Europas. Brasilien, wo er sich eine neuen Heimat erhofft hatte, weist ihn zurück. Dines gelingt es, aufzuweisen, dass der Selbstmord des Ehepaares Zweig keine Kurzschlussreaktion ist, sondern vom depressiven Zweig sorgfältig geplant und die Ausführung generalstabmässig abgewickelt wird.


    Zeitgenössische Fotografien bringen die Zeit Zweigs in Brasilien dem Leser ein wenig näher. Alles in allem: Ein interessanter Insider-Blick auf das Brasilien Ende der 30er, Anfang der 40er, blendend geschrieben, gut dokumentiert – ein Muss für jeden Zweig-Liebhaber.


    Mich, der ich es im Gegensatz zum Autor nicht bin, hat das Buch dennoch überzeugt und zumindest mit dem Menschen Zweig versöhnt.


    Einziger (kleiner) Wermutstropfen: die deutsche Übersetzerin (inkl. Lektorat) haben offenbar kein Gefühl mehr für den Genitiv. Sätze im Stile von „Sie ist ihm würdig“ oder „Sie bediente sich des Schriftstellers, diesem grossartigen Menschen, als Mittel zum Zweck“ dürften in einem solchen Werk einfach nicht vorkommen. Schade.


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    Dines' Buch ist exklusiv bei der Büchergilde erschienen, m.W. aber auch im normalen Buchhandel bestellbar.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)