Irving Stone - Der Seele dunkle Pfade

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 5.145 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Inhalt:


    Im lebensfrohen Wien des späten 19. Jahrhunderts erforschte Dr. Sigmund Freud die „Nachtseiten des Menschen“. Schon als junger Arzt traf er in den Kliniken auf Patienten, die die Schulmedizin nicht heilen konnte. Wie seine Kollegen musste er sich darauf beschränken, sichtbare Symptome zu behandeln. In der Stille seiner Praxis aber ging er den Einzelschicksalen seiner Patienten nach, suchte nach außergewöhnlichen Ereignissen in ihrem Leben, fragte nach Zu- und Abneigungen und nach Träumen. Immer wieder stellte er Selbstanalysen an und verglich sein Verhalten mit dem seiner Kranken. So drang er langsam in das Labyrinth der menschlichen Seele ein. Eine neue Wissenschaft vom Menschen war geboren: die Psychoanalyse. Dass er scheinbar schamlose Fragen nach den S.e.x.uellen Erlebnissen seiner Patienten stellte, führte in einer Zeit, in der S.e.x.ualität ein Tabu war, zum Skandal.



    Meine Meinung:


    Noch nie habe ich so lange an einem Roman gelesen – fast eineinhalb Jahre habe ich für den Schmöker von Irving Stone gebraucht, immer wieder unterbrochen von mehrwöchigen Lesepausen oder anderen Büchern. „Der Seele dunkle Pfade“ hat mich unheimlich beschäftigt, ich wollte ganz in der Handlung versinken und musste dem Gelesenen doch immer wieder Zeit geben, um sich in meinem Gehirn festzusetzen.
    Das Buch kommt mit einer Unmenge von Informationen daher – und lässt dabei das Wien der Jahrhundertwende farbenprächtig wiederauferstehen. Wenn der Ausdruck „dichte Atmosphäre“ jemals angebracht ist, dann hier. In einem gemütlichen, unaufgeregten Erzählstil und schöner, schlichter Sprache wird dem Leser alles serviert, was ihn über Sigmund Freud interessieren könnte – sowohl über den Arzt als auch über den Privatmenschen, über seine Lebensumstände und seine charakterlichen Besonderheiten, über die Glanzmomente und die schwarzen Augenblicke in seinem Leben.
    Die Handlung beginnt 1882 mit der Verlobung des jungen Sigmund und endet mit der Flucht des mittlerweile über 80jährigen vor den Nazis im Jahre 1938. In den dazwischen liegenden fünf Jahrzehnten (beziehungsweise 1230 Seiten) hat der Leser Gelegenheit, nicht nur die Geburt einer revolutionären Idee mitzuverfolgen, sondern auch als stiller Beobachter am ereignisreichen Leben dieses Mannes teilzuhaben - und man schlägt die letzte Seite zu mit dem Gefühl, nicht nur das Lebenswerk sondern auch den Menschen Sigmund Freud tatsächlich kennengelernt zu haben.


    5ratten


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    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Ich habe zwar "Der Seele dunkle Pfade" nicht gelesen, dafür aber "Michelangelo" vom selben Autor.
    Und die Erfahrungen, die ich mit diesem Buch gemacht habe, decken sich vollkommen mit dem, was Du oben beschrieben hast. Auch mich hat "Michelangelo" sehr beschäftigt, sowohl in dem Sinne, dass ich viel über das Buch nachgedacht und extrem viel beim Lesen gelernt habe als auch, dass ich lange gebraucht habe, es zu lesen.
    Wenn "Freud" nun tatsächlich eine ähnlich intensive Erfahrung bietet, dann freue ich mich schon lebhaft auf dieses Erlebnis!
    Danke für die schöne Rezension!

    Lese grade: "A long way down" (engl.) von Nick Hornby
    <br />Zuletzt gelesen:
    <br />&quot;Ritus&quot; von Markus Heitz
    <br />&quot;Extremely Loud and Incredibly Close&quot; (engl.) von J.S. Foer

  • "Michelangelo" liegt ebenfalls schon länger auf meinem SUB - und dank deiner Antwort weiß ich erstens, dass ich mich ziemlich auf die Lektüre freuen kann, und zweitens, dass ich mir den Zeitpunkt halbwegs vernünftig aussuchen sollte. :breitgrins:


    Ciao, Bluebell

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  • Bluebell: Danke für die schöne Rezi.
    Am liebsten würde ich gleich losgehen und mir das Buch kaufen, aber bei über 1000 Seiten muss ich mir das gut überlegen wann ich es lesen soll. Im Moment habe ich mal keine Zeit dazu, aber der richtige Zeitpunkt wird schon noch kommen.


    Katrin

  • Es lohnt sich auf alle Fälle, Jaqui, aber für zwischendurch ist es wirklich nichts! :smile:


    Jetzt muss ich aber nachträglich doch noch einen etwas kritischen Kommentar anbringen.
    Und zwar werden in "Der Seele dunkle Pfade" ja auch die Menschen charakterisiert, die Sigmund Freud beruflich wie privat am nächsten standen. Eine ganz wichtige Rolle spielt hier seine jüngste Tochter Anna. Vor diesem Buch wusste ich so gut wie nichts über sie, außer dass sie als einziges seiner Kinder sowas ähnliches wie in seine Fußstapfen getreten ist.


    Je mehr ich während der Lektüre über Anna Freuds Leben erfahren habe, desto stärker kam mir der Verdacht, dass sie lesbisch war. Nun hat mir Google diese Vermutung bestätigt - und da finde ich es ehrlich gesagt doch etwas befremdlich, mit welcher Hartnäckigkeit der ansonsten minutiös recherchierende Irving Stone Annas Liebesleben ignoriert. Während er bei anderen Singles zu erklären versucht, warum sie nicht geheiratet haben, geht er ausgerechnet bei Sigmunds Lieblingstochter überhaupt nicht darauf ein, und dass sie im Laufe ihres Lebens sogar mit Frauen zusammengelebt hat, bezeichnet er ganz selbstverständlich als "Freundschaften".


    Ich kann mir das einfach nicht erklären. Dass ein so exakt recherchierender Freud-Biograph nichts über Annas Liebesleben gewusst haben soll, ist für mich ausgeschlossen - wenn sogar ich als Laie mich innerhalb weniger Minuten schlau machen konnte! Dass er es für seinen Roman irrelevant fand, schließe ich ebenfalls aus - da ist er auf die Ehe(losigkeit) von wesentlich unwichtigeren Personen detaillierter eingegangen. Dass er prüde ist, kann ich mir eigentlich auch nicht vorstellen - dann schreibt man keinen 1000-Seiten-Wälzer ausgerechnet über Sigmund Freud. Aber irgendeinen Grund muss es doch geben ... !? Vielleicht ist es doch so, dass Irving Stone nur im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen, also Freuds Fallstudien, an das Thema herangehen konnte - aber sobald er diesen Boden verlassen hätte müssen, wurde es ihm zu brisant.


    Also, so überrascht ich davon war, wie treffend ein amerikanischer Autor die Wiener Mentalität wiedergeben kann - aber DAS scheint mir dann doch wieder sowas von typisch Ami-Land ... :rollen:
    Oder bin ich zu streng? :elch:

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  • Gelesen habe ich diese Ausgabe:


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    Die dicke des Buches kann einen sicher erschrecken, aber ich habe nicht mal einen Monat gebraucht um es (parallel zu 2 anderen Büchern) durchzulesen.


    Ich hätte nie gedacht das mich das Buch so fesselt, begeistert und in seinen Bann ziehen würde. Und nun da ich es beendet habe, stehe ich da und frage mich was kommt als nächstes? Irving Stone hat hier ein sehr interessantes Buch geschrieben, das an keiner Stelle langweilig oder zäh ist. Seine Beschreibungen von all den vielen Personen und Ortschaften sind liebevoll und detailreich, jedoch nie überladen.
    Ein absoluter :tipp:


    Doch eins nach dem anderen. Man bekommt einen guten Überblick über Sigmund Freuds Karriere (die nicht immer einfach war), seine Fälle und natürlich sein Privatleben.


    Die vielen verschiedenen Fälle sind alle sehr interessant und detailliert, jedoch nie unnötig in die Länge gezogen. Die meisten Fälle werden innerhalb weniger Seiten dargestellt und erklärt (inklusive Lösung). Das ist auch gut so, denn wenn man die einzelnen Fälle ausführlicher dargestellt hätte, wäre das Buch sicher irgendwann zäh und langweilig geworden. Bei vielen der Fälle sitzt man gespannt da, bei manchen schüttelt man nur mit dem Kopf und bei wieder anderen kann man auch lachen.


    Gerade durch die Darstellung von Sigmund Freuds Privatleben wird der Meister (wie er später von seinen Anhängern genannt wird) sehr lebendig und sympathisch. Auch seine Frau Martha wächst einem im laufe der Geschichte ans Herz. Eine starke und witzige Frau!


    Aber das Buch bietet auch die schweren Zeiten in Freuds Leben. Die vielen Probleme die er in seiner Ärztlichen Laufbahn hatte, allein schon wegen dem anhaltenden Antisemitismus an Kliniken und Universitäten. Der 1. Weltkrieg und die Angst um seine eingezogenen Söhne. Gerade die letzten ca. 50 Seiten sind sehr bitter und Stellenweise einfach nur traurig. Da viele seiner langjährigen Kollegen und Freunde sterben, den Tod seiner eigenen Tochter oder den unerträglichen Tod seines Enkelkindes. Da muss man definitiv schlucken. Dazu kommt noch der Krebs und die Flucht vor den Nazis. Ganz nach dem Motto: Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.


    Aber genug der schlechten Stimmung. Das Buch ist absolut lesenswert und definitiv auch für Nicht-Studierte :zwinker: und Nicht-Freudianer absolut interessant und macht Lust auf mehr Freud! Und ich werde mir dank dieses Buches auch mal eines von Freuds geschriebenen Büchern zulegen müssen. Der Mann ist mir einfach sehr ans Herz gewachsen. :smile:


    Von mir gibt es ganz klar
    5ratten


    Lesen!

  • Für Sigmund Freud steht schon bald fest, dass er nicht nur als Arzt arbeiten sein, sondern auch als Wissenschaftler tätig sein möchte. Sein Weg führt auf ein Gebiet, das noch gänzlich unerforscht ist: die Psychoanalyse. Eine Neurose, die Freud bei sich selbst feststellt, erlaubt ihm, die Krankheit auch aus Patientensicht zu verstehen und gewisse Rückschlüsse zu ziehen, die ihn in seinen Überlegungen voranbringen. Seine Berufsgenossen bringen ihm nur wenig Verständnis entgegen. Er erfährt sogar offene Ablehnung und Verachtung, weil seine Entdeckungen so irrwitzig erscheinen, dass sie niemand glauben kann. Es ist ein langer, harter Weg, doch er schafft es, immer mehr Kollegen von seiner Methode zu überzeugen und sich schließlich einen Namen zu machen.



    Über 1200 Seiten geben viel Raum für detaillierte Schilderungen. Zu Beginn des Buches gefiel mir das noch, z. B. bei der Beschreibung von Wien. Anhand der vielen Schilderungen von Gebäuden, Straßen und Plätzen ließe sich problemlos ein Stadtplan anlegen, und die malerischen Darstellungen erwecken das Gefühl, dass man die Stadt unbedingt selbst einmal besuchen sollte. Diese Ausführlichkeit bleibt durchgehend erhalten. Stone beschreibt akribisch den Werdegang des Mediziners, gibt Gespräche ausführlich wieder und benutzt dabei auch Zitate. Eine Affinität des Lesers zu medizinischen Themen ist vorteilhaft, denn Stone präsentiert zu jeder Gelegenheit Krankheitsfälle zur Veranschaulichung der Handlung. Das wird mit der Zeit langweilig, weil man Freuds Ansatz schon bald verstanden hat und es nicht ständig neuer Beispiele bedarf, um die Theorie zu untermauern. Als er später neue Behandlungsmethoden entwickelt, wiederholen sich die vielen Fallbeispiele.


    Während das erste Drittel, in dem der junge Freud aktiv wird, eine Familie gründet und auch von seinen Freunden erzählt wird, noch abwechslungsreich war, zieht es sich ab der Mitte ziemlich in die Länge. Erst auf den letzten etwa 200 Seiten wird die Erzählung straffer und kurzweiliger. Psychologie interessiert mich durchaus, aber wenn ich es in dieser Ausführlichkeit wollte, könnte ich gleich ein Sachbuch über Freud lesen. Eine ausgewogenere Mischung zwischen Mensch und Beruf, wie Stone sie bei Michelangelo geschafft hat, wäre mir lieber gewesen.


    Das Buch ist gut geschrieben, aber einfach zu lang. Vor allem die vielen Krankengeschichten waren überflüssig. Es wäre ausreichend gewesen, nur die zu beschreiben, die von Freud in seinen Veröffentlichungen als Fallbeispiele erwähnt wurde. Auch die zahlreichen Sitzungen, Kongresse und Gespräche mit Kollegen, die sicherlich wichtig und auch interessant waren, hätten nicht Wort für Wort und minutiös wiedergegeben werden müssen. Irgendwann hat man das Gefühl, alles schon einmal gehört zu haben.


    3ratten