Henning Mankell - Tea-Bag

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 4.926 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt


    Jesper Humlin hat es nicht leicht. Er ist ein gefeierter Lyriker, doch sein Verleger besteht darauf, dass er endlich einen Kriminalroman schreibt. Seine Freundin will ein Kind von ihm, der Kurs seiner Wertpapiere ist gefallen, und seine über achtzigjährige Mutter hat eine Agentur für Telefonsex eröffnet. Alle anderen scheinen erfolgreicher zu sein als er.
    Da bringt eine Lesung im Boxclub eines alten Freundes die Wende in seinem Leben. Dort lernt er Tea-Bag, ein schwarzes Flüchtlingsmädchen, und ihre Freundinnen kennen. Sie wollen Schriftstellerinnen werden und bei Jesper Humlin in die Lehre gehen. Und nach und nach erfährt er ihre Geschichten: von Tea-Bag, die aus dem Sudan kommt und immer von einem unsichtbaren Affen erzählt, von Tanja, der Russin, die massenhaft Handys klaut und mit dem Dietrich hantiert wie andere Frauen mit dem Lippenstift, und von Leyla, die einen jungen Schweden liebt und vor dem Zorn ihrer iranischen Sippe flieht.
    Als Jesper Humlin versucht, die Mädchen vor der Polizei in Sicherheit zu bringen, beschwört er ungeahnte Verwicklungen herauf, die zu einem tragikomischen Höhepunkt führen.



    Meine Meinung


    Eines gleich vorweg: das erste Kapitel, geschrieben aus der Sicht Tea-Bags, ist in meinen Augen das beste des ganzen Buches. Ich habe es mehrmals gelesen – vor allem wegen seiner Eindringlichkeit und seiner schönen Sprache.


    Danach wechselt die Perspektive, Jesper Humlin tritt auf den Plan: ein nicht gerade in sich ruhender schwedischer Schriftsteller, dessen Ego ihn zu so abstrusen Handlungen treibt, wie absichtlich zu spät am Flughafen aufzukreuzen, um namentlich aufgerufen zu werden. :vogelzeigen:
    Er scheint sich von allen bevormunden zu lassen und, wenn auch widerwillig, nach jeder Pfeife zu tanzen – egal, ob es sich dabei um seine Mutter, seine Freundin, seinen Verleger, seinen Börsenmakler oder einen alten Schulfreund handelt. Jeder dieser Menschen scheint seine eigenen Vorstellungen davon zu haben, was Jesper Humlin zu tun und zu lassen hat – und um es sich nicht zu verscherzen, gibt er entweder nach oder weicht Entscheidungen immer wieder und wieder aus.


    Nur dieses eine Mal nicht – aus Vermarktungsgründen bekommt er den Auftrag, doch endlich auch einmal einen Kriminalroman zu schreiben (die Selbstironie Mankells ist nicht zu überhören). Doch seit Jesper Humlin diesen geheimnisvollen Mädchen begegnet ist, hat er sich in den Kopf gesetzt, den Schweden ihr Land von einer anderen Seite aus näher zu bringen – aus Sicht der Illegalen und der Einwanderer, der Gesichtslosen, aus Sicht derer, die es eigentlich nicht gibt.


    Die Welt, in die er nun eintaucht, erscheint ihm wie ein Paralleluniversum zu dem Schweden, das er bisher kannte. Er gerät in die absurdesten Situationen und lernt Dinge kennen, die er sich früher nicht einmal träumen hätte lassen. Und: er selbst verändert sich, tritt (auch im Zuge der Story) immer mehr und mehr in den Hintergrund, nimmt sich selbst nicht mehr als Dreh- und Angelpunkt der Welt wahr, räumt den Mädchen und ihren Geschichten mehr Platz ein.
    Was genau diese Mädchen zu erzählen haben, was sie durchmachen mussten, wie sie gekämpft haben – und wie genau oder ungenau sie es mit der Wahrheit nehmen :clown: – das muss man selbst gelesen haben. Es erschien mir zwar unlogisch, wie eloquent sie ihre Geschichten darlegen, wenn sie selbst zu erzählen beginnen (immerhin wird am Anfang behauptet, dass sie sprachlich noch recht unsicher sind) – aber möglicherweise handelt es sich hier um ein ganz bewusst eingesetztes Stilmittel. Und was sie zu berichten wissen, entschädigt auf jeden Fall für das eine oder andere kleine Manko des Buches!


    Im Anhang wird klargestellt, was der Leser die ganze Zeit ahnt: diese Mädchen sind nicht erfunden. Die gibt es wirklich, denen ist der Autor (unter welchen Umständen auch immer) tatsächlich begegnet, sie haben ihn zu diesem Buch inspiriert.


    Ich lese gerne Bücher von oder über Migranten – ich will wissen, wie sie die Welt wahrnehmen, mit welchen Augen sie unsereins sehen – mit einem Wort, mich interessiert einfach, was sie zu sagen hätten, wenn ihnen jemand zuhören würde. Und „Tea-Bag“ war (nicht nur) in dieser Hinsicht eine echte Bereicherung!


    4ratten

    [color=darkblue]"Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Ui, das Buch will ich schon lange lesen - ist es doch von meinem Lieblingsschriftsteller !
    Deine Rezension gefällt mir sehr, danke dafür. :blume:


    Ganz bald will ich das Buch besorgen und reihe mich hier ein ! :winken:

  • Inzwischen endlich gelesen :smile:


    Tea-Bag von Henning Mankell

    Ein bewegendes und sehr interessantes Buch aus Mankells Feder, fesselnd und tragisch.


    Jesper Humlin, ein eher kleiner Schreiber von Gedichtbänden, soll einen Kriminalroman schreiben. So will es sein Verleger. Doch er will dass nicht und sucht verzweifelt einen Ausweg. Auch ist er privat sehr gestresst. Seine Mutter nervt, fast jede Nacht muss er bei ihr in der Küche verbringen und ihre Kreationen probieren, seine Freundin will ein Kind von ihm und überhaupt scheint alles so sinnlos. Bis er Tea-Bag trifft. Eine dunkelhäutige hübsche junge Frau. Eine Illegale in Schweden die beginnt, ihm ihre Geschichte zu erzählen. Wie sie fast ertrunken wäre bei der Flucht nach Spanien, was sie alles im Flüchtlingslager erlebte und auf ihrer heimlichen gefährlichen Reise nach Schweden.


    Und dabei bleibt es nicht. Jesper lernt nach und nach andere junge Frauen und Familien kennen. Alles Menschen die sich illegal in Schweden aufhalten. Die abgeschoben werden sollen obwohl sie in ihrer Heimat keine Zukunft hätten oder sogar in Lebensgefahr wären ! Jesper gerät immer tiefer in diese ganz andere Welt. Zuerst will er den Frauen nur beibringen wie sie selbst ihre Geschichten aufschreiben können, gibt ihnen Schreibunterricht. Doch dann kommt alles ganz anders ...


    Tolle Charaktere und ein brisantes Thema, verpackt in eine gelungene Geschichte um den etwas kautzigen Jesper Humlin der mich zeitweise ein klein wenig an meine Lieblingsfigur Wallander erinnerte.

    :tipp:

  • Von manchen Lesern weiß ich, daß sie insgesamt die Charaktere nicht nur negativ sondern geradezu bösartig fanden. Diese Einschätzung kann ich nicht teilen. So scheint mir die Wandlung, die Jesper Humlin durchmacht, durchaus bemerkenswert zu sein (ja, er ist anfänglich viel zu selbstbezogen und bemitleidet sich selbst, aber wie hier schon gesagt wurde, nimmt er sich zunehmend hinter die Flüchtlinge zurück) und vor allem sein Freund Pelle Törnblom ist schon früher in der Wahrnehmung weiter als er. Der Verleger ist nervig, aber auch ihm ist wohl eher Desinteresse als Bösartigkeit zu unterstellen. Allerdings frage ich mich, ob das nicht viel schlimmer ist und die Flüchtlinge in ihrer Würde viel mehr verletzt. Jedenfalls fand ich es ein beeindruckendes Buch, das dabei trotzdem gut lesbar bleibt und nicht einen pädagogischen Tonfall abgleitet.


    Schönen Gruß,
    Aldawen


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Lange hat es gedauert, bis ich diesem Buch eine zweite Chance gegeben habe, hatte ich es doch vor einigen Jahren gleich im ersten Kapitel abgebrochen.
    Doch diesmal war alles anderes. Gleich zu Beginn, als wir Tea Bag in einem spanischen Flüchtlingslager begegnen, nahm mich das Buch gefangen. Im weiteren Verlauf erfahren wir mehr und mehr über Tea Bags Geschichte, ebenso über die ihrer beiden Freundinnen Tanja und Leyla, die sich in Schweden kennengelernt haben.
    Doch nicht die zweifellos sehr eindringlich geschilderten Geschichten der Flüchtlingsmädchen, die sich teilweise illegal in Schweden aufhalten, haben das Buch für mich zu einer kleinen Perle gemacht, sondern diese ausdauernde Ironie und der tiefe Sarkasmus, mit dem Henning Mankell seinen Hauptprotagonisten Jesper Humlin und sein Leben schildert.


    Hier ein kleines Beispiel, in dem wir etwas über Jesper Humlins Mutter erfahren:


    „ Jesper, das jüngste von vier Geschwistern, hatte die anderen das Elternhaus verlassen sehen, so schnell es ihnen möglich war, und als er selbst 20 war, hatte er seiner Mutter mitgeteilt, er wolle jetzt ebenfalls allein wohnen. Als Jesper am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte er sich nicht rühren können. Die Mutter hatte ihn ans Bett gefesselt. Es hatte ihn einen ganzen Tag und seine gesamte Überredungskunst gekostet, bis er sie dazu brachte, die Fesseln zu lösen.“


    Besonders die Dialoge, die Jesper Humlin mit seinem Verleger wegen des Kriminalromans, den der Lyriker schreiben soll, führt, ließen mich grinsen. Aber auch die Aktien-Gespräche mit seinem Anlageberater, die Telefonate mit und die nächtlichen Besuche bei seiner Mutter trugen fast schon satirische Züge.
    Aber auch der Schreibunterricht für die drei Mädchen hat es in sich, denn Jesper Humlin sieht sich plötzlich nicht nur seinen drei Schülerinnen gegenüber, sondern weitern 50 Personen, die „nur zuhören wollen“, um die Ehre ihrer Töchter zu schützen.


    Doch alle Satire fällt, sobald die Mädchen von ihren Erlebnissen berichten. Ihnen widmet Henning Mankell den Raum den sie brauchen, um für die Welt um sie herum ein Gesicht zu bekommen und ihre Würde zu wahren.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Liebe Grüße

    SheRaven

    Einmal editiert, zuletzt von SheRaven ()

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Auszug aus dem Klappentext
    Jesper Humlin ist ein gefeierter Lyriker. Bei einer Lesung lernt er Tea-Bag und ihre Freundinnen kennen. Sie leben illegal in Schweden und wollen Schriftstellerinnen werden. Nach und nach erzählen sie ihm ihre Geschichten.



    Das Buch könnte auch "Jesper" heißen, denn von Tea-Bag ist nicht so oft die Rede wie von ihm. Als "gefeierten" Lyriker würde ich ihn nicht sehen, für mich ist er eher auf dem absteigenden Ast. Seine Gedichte verkaufen sich nicht so toll, aber der Idee seines Verlegers, er solle einen Kriminalroman schreiben, wie es die Skandinavier so erfolgreich tun, kann er nichts abgewinnen. Über viele Seiten hinweg habe ich Jesper nun begleitet und ihn bedauert, weil er von allen Seiten unter Druck gesetzt wird. Nicht nur von seinem Verleger, sondern auch von seiner Lebensgefährtin, die unbedingt ein Kind möchte, oder von seiner Mutter, die sich in hohem Alter einen äußerst ungewöhnliche Nebenverdienst zur Rente gesucht hat. Letztlich setzt sich Jesper auch selbst unter Druck und ist mein seinem Leben alles andere als zufrieden. Von Tea-Bag war bislang nur selten die Rede. Sie erzählt die Geschichte ihrer Jugend und Flucht und zeichnet sich eigentlich hauptsächlich dadurch aus, dass sie ständig verschwindet.


    Obwohl Jesper im Mittelpunkt steht, bleibt er fremd. Vielleicht ist das so beabsichtigt, denn im Text wird er durchgehend Jesper Humlin genannt, also immer auch mit dem Nachnamen, und das erweckt den Eindruck, dass Distanz gewahrt bleiben soll. Er ist auch meistens schlecht gelaunt und unglücklich und erscheint dadurch nicht besonders sympathisch. Das restliche Personal passt dazu, keiner von ihnen ist wirklich zufrieden. Zum Glück stört mich das nicht.


    Von der Situation der Flüchtlinge erfährt man leider nicht viel. In der Hinsicht wird es nur selten konkret. Nach annähernd 200 Seiten des Wartens, dass ich mit dem Buch warm werde, wird es nun doch langsam interessant, ich habe nämlich das Gefühl, dass Jesper ein Buch über Flüchtlinge schreiben möchte, was ihm aber noch nicht bewusst ist.

  • Leider wurde es in der zweiten Hälfte der Geschichte nicht wesentlich besser. Anhand der sich langsam vervollständigenden Erzählungen der drei jungen Frauen lernt man drei Flüchtlingsschicksale kennen, die stellvertretend für die vielen Einzelnen stehen, die aus anderen Ländern nach Europa kommen. Jesper erkennt langsam, dass er etwas für sie tun kann, und wenn es nur die Möglichkeit ist, ihnen eine Plattform zu bieten. In Verbindung mit seinem eigenen Ballast, den er herumschleppt, ist das zu viel für einen Menschen, daher schafft er es allmählich, sich aus dem Klammergriff seines persönlichen Umfeldes zu lösen und das zu tun, wonach ihm wirklich ist. Er lernt endlich, Nein zu sagen.


    So weit eine ganz schöne Entwicklung, trotzdem stellt mich das Buch nicht zufrieden. Das Thema ist spannend, jetzt noch mehr als zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches, aber die Umsetzung gefällt mir einfach nicht. Die Erlebnisse der Frauen sozusagen als Aufsatz statt als Handlung zu erfahren, ist mir zu wenig. Über lange Zeit waren sie zu wenig präsent, das besserte sich erst in der zweiten Hälfte. Entsprechend knapp waren sie in ihrer persönlichen Entfaltung.


    Auch stilistisch kam Mankell hier nicht an seine anderen Romane heran. Es war zu sperrig und unfertig. Da fehlte mehr als nur das gewisse Etwas.


    Mal sehen, ob ich noch eine ordentliche Rezi fabrizieren kann.

  • Anhand des Klappentextes hatte ich eine Geschichte mit Schwerpunkt auf dem Schicksal eines Flüchtlings erwartet, stattdessen steht lange Zeit ein Schriftsteller mit Schreibschwierigkeiten im Mittelpunkt. Das ist allerdings ganz amüsant zu lesen, weil Mankell dabei einige Klischees aufs Korn nimmt, die Schriftstellern im Allgemeinen und skandinavischen Schriftstellern im Besonderen gern aufoktroyiert werden.


    Das Flüchtlingsdrama steht zunächst im Hintergrund und entfaltet sich erst in der zweiten Hälfte des Buches. Doch auch dann bleibt es unbefriedigend, weil der Rahmen, in dem alles stattfindet, zu eng gesteckt ist, um die ganze Tragweite dieses Themas darzustellen. Auch die Art der Darstellung ist nicht optimal. Wesentliche Ereignisse einfach nacherzählt zu bekommen, nimmt Fahrt aus der Geschichte und vermittelt das Gefühl, etwas aus zweiter Hand zu erfahren, das ich lieber direkt miterlebt hätte. Ähnlich erging es mir mit den Protagonisten, die abgesehen von dem Schriftsteller Jesper zu blass bleiben. Gerade die Titelfigur Tea-Bag bleibt immer verschwommen. Wenn ich sie mir vorstelle, sehe ich sie nur tatenlos in ihren dicken Anorak gehüllt herumsitzen. Mehr blieb fast nicht hängen.


    Mankell hat sich für die Themen, die er aufgegriffen hat, zu wenig Zeit genommen. Das Flüchtlingsthema, einen Mutter-Sohn-Konflikt, eine Beziehungskiste und einen Autor ohne Perspektive in einem vergleichsweise dünnen Buch angemessen zu behandeln, ist ihm nicht gut gelungen. Das hat er in anderen Büchern deutlich besser umgesetzt.


    Die Charaktere sind teilweise skurril und stehen fast alle aus den unterschiedlichsten Gründen unter Spannung. Diese Stimmung zieht sich durch das ganze Buch und hinterlässt ein ungutes Gefühl, was nicht grundsätzlich schlecht ist, aber in Kombination mit einem Plot, der mir unvollständig erscheint, zu keiner besseren Bewertung führt.


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus: