Minette Walters - Der Nachbar

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  • Aufruhr in einem heruntergekommenen Viertel einer englischen Kleinstadt: Gerüchten zufolge ist in der Nachbarschaft ein Kinderschänder eingezogen, der gerade aus der Haft entlassen wurde.


    Die junge Mutter Melanie fürchtet um ihre beiden Kinder und ihr drittes, noch ungeborenes Kind, und organisiert zusammen mit ihrer Mutter einen Protestmarsch vor dem Haus des Verdächtigen.


    Währenddessen ist die Ärztin Sophie Morrison zu einem Notfall-Hausbesuch in Haus Nr. 23, eben jenem Haus, das schon bald von den Demonstranten belagert sein wird. Der Vater des Ex-Häftlings leidet an panikbedingtem Asthma. Sophie behandelt ihn, doch als sie das Haus verlassen will, ist es zu spät, die wütende Menge tobt bereits auf der Straße und ist, angestachelt von einigen bekifften und besoffenen Krawallmachern, nur allzu bereit, das Haus zu stürmen und den Pädophilen seiner vermeintlich gerechten Strafe zuzuführen.


    Parallel dazu sucht die Polizei verzweifelt nach der kleinen Amy, die seit ein paar Tagen verschwunden ist. Ein Großteil der Demonstranten ist überzeugt, dass der Strafentlassene in der Nachbarschaft das Mädchen bei sich versteckt hält.


    Die Geschichte zeigt die Pädophilenproblematik von der anderen Seite. Durch eine unvorsichtige Bemerkung einer reichlich unsympathischen Sozialarbeiterin entsteht das Gerücht vom Kinderschänder, und aus der geplanten friedlichen Demo entwickelt sich ein blutiger Krawall.


    Die gute Absicht der Autorin, die wohl mit dem Buch aufzeigen wollte, wie schnell man aufgrund der zahlreichen abscheulichen Verbrechen an Kindern heute zu falschen Verdächtigungen bereit ist, wird durch ihren Stil zumindest teils zunichte gemacht. Das übliche Rollenschema guter Sozialarbeiter - minderbemittelte Slumbewohner - böse Pädophile wird etwas zu offensichtlich gegen den Strich gebürstet, etwas feinere Charakterzeichnungen hätten dem Buch sicher gutgetan.


    Franziska Bronnen ist eine ganz brauchbare Sprecherin, hat aber einen für mich etwas störenden Dialekteinschlag. Sie versucht durch Betonung zu dramatisieren, was in meinen Augen häufig nicht gut gelingt, es wirkt oft eher aufgesetzt. Man hat das Gefühl, sie wolle mit aller Macht zeigen, dass sie weiß, wie "diese Leute" sprechen, aber gerade in den von Kraftausdrücken gespickten Dialogen der wildgewordenen Demonstranten kommt keine Authentizität rüber.


    Die Geschichte ist trotz allem recht spannend und hat mich den Mängeln zum Trotz bis zum Schluss bei der Stange gehalten, weil ich einfach wissen wollte, wie sich das Ganze auflöst (wobei mich in den letzten Kapitel die Zeitsprünge gestört haben - erst ein großes Stück in die Zukunft und dann wieder zurück zum Geschehen).


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo!


    Valentine, ich kann Deine Probleme mit der Sprecherin verstehen. Ich habe Der Nachbar zwar nicht gehört, aber auf englisch gelesen. Dort wurden die sozialen Unterschiede der einzelnen Leute schon durch ihre unterschiedliche Sprache deutlich. Ich kann mir vorstellen dass vieles davon in der Übersetzung verloren geht und wenn die Sprecherin dann noch versucht etwas krampfhaft darzustellen kann das übel ausgehen.


    Das Buch selbst hat mir gut gefallen. Meiner Meinung nach hat die Autorin das sensible Thema Kinderschänder gut behandelt. Die soziale Problematik in dem Wohnviertel hat sie dagegen teilweise oft überspitzt gezeichnet und den Wandel eines ehemaligen Kleinkriminellen zum Sozialarbeiter kommt mir unrealistisch vor. Ohnehin fand ich die Charaktere in dem Buch manchmal unglaubwürdig. Die Stiefgeschwister Amys waren sehr extrem, fast bis ons Lächerliche dargestellt. Auch der ehemalige Sträfling und sein Vater ensprechen zu sehr den Klisches. Ein Highlight dagegen war die Darstellung von Amys Mutter. Wie diese Frau immer wieder in ihre alte Rolle zurückfällt und sich in jeder ihrer Beziehungen gleich verhält, wie sie nur reagiert und nie von sich aus die Initiative ergreift... an ihr kann man sehen wie sehr man oft von seiner Kindheit geprägt wird.


    Das Verhalten der Polizei beim Aufstand fand ich erschreckend. Aber ich habe mich auch gefragt, ob es nicht wirklich so passieren kann. So hat Acid Row mich auch nach dem Lesen noch beschäftigt, aber die von Valentine beschriebenen Mängel werten das Buch auch wieder ein wenig ab. Meine Bewertung
    3ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.