Heinrich von Kleist – Das Käthchen von Heilbronn

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  • Heinrich von Kleist – Das Käthchen von Heilbronn


    Inhalt:


    Das Stück beginnt mit einem Femegericht, vor dem der Heilbronner Bürger Theobald Friedeborn den Grafen Wetter vom Strahl anklagt, er habe seine Tochter Käthchen verhext, Tatsächlich macht sie, als Zeugin geladen, den Eindruck, dem Grafen hörig zu sein. Dieser kann die Richter aber überzeugen, dass er unschuldig an ihrem Zustand ist. Dafür erhält er gleich nach der Verhandlung eine schlechte Nachricht: Kunigunde von Thurneck fordert von ihm erneut die Herrschaft Stauffen, die er widerrechtlich besitze. Auf seiner Rückreise gelingt es ihm, eine vom Rheingrafen vom Stein inszenierte Entführung zu vereiteln. Seine Überraschung ist groß, als er merkt, dass die von ihm Gerettete Kunigunde ist. Er bringt sie in Verbindung mit einem Traum in der Silvesternacht (hier erschien ihm seine künftige Gattin, eine Frau von kaiserlichem Geblüt) und verlobt sich mit ihr.


    Währenddessen plant der Rheingraf einen Angriff auf Burg Thurneck, der durch Käthchens Warnung aber nur zum Teil gelingt. Dafür hat Käthchen Gelegenheit, durch eine waghalsige Aktion erneut ihre Ergebenheit zu beweisen. Und endlich erfährt der Graf auch den Grund dafür. Dieser gibt ihm schwer zu denken, und als dann auch noch der Kaiser ins Spiel kommt und Kunigunde ihre wahre Natur zeigt, überschlagen sich die Ereignisse.


    Meine Meinung:


    Mit Dramen hatte ich bisher immer Probleme, da wirkt doch zum einen wohl die ungeliebte Schullektüre nach. Zum anderen finde ich es aber auch schwierig, die Hintergründe, Motive und Gefühle der handelnden Personen nur aus ihren Dialogen nachzuvollziehen (die Regieanweisungen sind hier auch eher sparsam). Hinzu kommt, dass vieles, was auf der Bühne witzig, rührend oder spannend ist, beim Lesen einfach nicht so rüberkommt. So lässt Kleist häufig Personen das wiederholen, war ihr Gegenüber eben gesagt hat – im Theater stört das wohl nicht, es ist vielleicht sogar ganz witzig, beim Lesen nervte es mich zuerst. Ich war auch zunächst nicht sicher, ob Stellen wie


    Zitat

    Käthchen: Wo?
    Graf vom Strahl: Da oder dort?
    Käthchen: Wann?
    Graf vom Strahl: Jüngst oder fürderhin.
    Käthchen: Hilf mir, mein hoher Herr.
    Graf vom Strahl: Ja, ich Dir helfen…


    Oder



    (genauso sieht das in meiner Ausgabe aus!)


    nun absichtlich oder unfreiwillig komisch sind.


    Im Lauf der Handlung merkt man aber die persiflierende Absicht immer deutlicher: So ist z.B. die Enttarnung Kunigundes – quasi ein Michael Jackson ihrer Zeit – sehr komisch. Käthchen, die ich anfangs für debil hielt, wird durch die Erklärung ihres Verhaltens zunehmend sympathischer, und als die Handlungsstränge, die anfangs ganz getrennt erscheinen, endlich zusammen geführt werden, macht das Lesen richtig Spaß.


    Einen großen Bezug zu Heilbronn, wie der Titel vermuten lässt, hat das Drama übrigens nicht. Kleist bleibt unbestimmt in Orts- wie in Zeitangaben. Lt. dem Nachwort lässt sich die Zeit der Handlung „bestenfalls nach Jahrhunderten“ vermuten. Das Stück zeichnet trotzdem ein hübsches Bild vom Mittelalter.


    Mein Fazit:


    Ich habe für mich eine regionale Bildungslücke geschlossen, mich beim Lesen zunehmend amüsiert und zum großen Teil meinen Aber vor Dramen abgelegt – insgesamt eine lohnende Lektüre.

  • Was Kleist angeht, bin ich leider schulgeschädigt (ihr wisst schon, das Schimmelreiter-Syndrom), aber vielleicht sollte ich mir das "Käthchen" doch mal antun. Die Beschreibung klingt so ganz anders als ich mir das Stück immer vorgestellt hatte.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Liebe Saltanah, bei Kleist solltest Du Dein "Schimmelreiter-Syndrom" doch bitte ganz über Bord werfen, der gehört nun wahrlich zum Besten, was das späte 18./ frühe 19. Jahrhundert so zu bieten hat.


    Manjula, schön dass Dir das Käthchen dann doch so gut gefallen hat. Ich halte es nicht für Kleists bestes Stück, aber immerhin für sein abgefahrenstes, immerhin tritt hier mit Kunigunde von Thurneck einer der ersten Cyborgs der Weltliteratur auf und das im späten 18. sehr hippe Thema "animalischer Magnetismus" kommt ja auch sehr ausführlich zum Tragen.


    Die stellen, die Du als "Wiederholungen" anführst, sind ja nicht recht eigentlich solche, sondern vielmehr ein sehr einfaches Mittel, um Verwirrung zum Ausdruck zu bringen.


    Das Schriftbild - ja nun :-), das ist halt noch ein Drama in gebundener Sprache, so dass die Zusammengehörigkeit eines Verses bei einer Stichomythie (schneller Wechsel von Repliken) auf diese Weise typographisch dargestellt wird :breitgrins:.
    Ach und: Natürlich kannst Du bei Kleist immer davon ausgehen, dass er ganz berechnend komisch ist, ich empfehle auch sehr die kongeniale Übersetzung und leichte Erweiterung des Molièreschen "Amphytrion" aus der Feder Kleists.
    Merkt man es? Ich bin ein großer Fan.


    Herzlich: Bartlebooth.

  • Hallo Ihr beiden,


    Saltanah, das Käthchen kann ich Dir wirklich empfehlen. Wie gesagt, war ich anfangs etwas irritiert, aber nachdem ich es als Parodie erkannt habe, habe ich es genossen.


    Bartlebooth, das Wort "abgefahren" trifft es wirklich :breitgrins: Nur kurz noch zu den "Wiederholungen" (da habe ich mich wohl mißverständlich ausgedrückt), damit meinte ich nicht die danach zitierten Textstellen, sondern Szenen, in denen eine Person genau das wiederholt, was ihr Gegenüber gerade gesagt hat. Auch das anfangs etwas irritierend, aber dann doch passend.


    Auf Amphytrion hast Du mir große Lust gemacht, ist schon auf die Wunschliste gewandert.


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Das Käthchen von Heilbronn" von Kleist - das Stück sehe ich sehr gerne im Theater.
    Allerdings gehört mein letzter Besuch nicht unbedingt zu den schönsten Erlebnissen!
    Zuerst begann das Stück nach 20 minütiger Wartezeit mit der Ankündigung, dass der Darsteller von Käthchens Vater im Stau feststecke und ca 45 Minuten zu spät sein würde. Sein Part wurde mangels Zweitbesetzung von einem der Darsteller "gelesen"! Es war eine sehr moderne Inszenierung, mit marginalem Bühnenbild und Alltagskleidung (sehr enttäuschend). Die Darsteller durchwanderten den Zuschauerraum während der Vorstellung (sehr witzig) und in einer Kampfszene standen mehrere Typen mit laufenden Motorsägen auf der Bühne und vermieften mit ihren Abgasen die ohnehin schon sehr schlechte Luft *würg*. Ein magersüchtig wirkender Engel (ohne Flügel aber in Alltagskleidung und barfuß) saß in zwei Akten mit Laptop
    an der Seite (????) und nach der Pause war der Zuschauerraum halbleer.
    Die Vorstellung war dermaßen schräg und grotesk, dass sie schon wieder irgendwie gut war!
    Ein wirklich denkwürdiger/merkwürdiger Abend im Theater....