Hildegard von Bingen

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  • Hildegard von Bingen (1098-1179) ist literarisch-geistesgeschichtlich gesehen vielleicht die Frau des europäischen Mittelalters. Von schwächlicher Konstitution rang sie sich und ihrem Körper Leistungen ab, die selbst im 21. Jahrhundert bei Männlein oder Weiblein erstaunlich wären.


    Da ihre Eltern (der Edelfreie Hildebert von Bermersheim und seine Frau Mechtilde) zwar von Adel, aber nicht sehr reich waren, Hildegard Kind Nr. 10 und wie gesagt krankheitsanfällig und schwächlich war, auch keine Chancen bestanden, das Kind später einmal verheiraten zu können, wurde das Mädchen, 8 Jahre alt, der etwa 16jährigen Jutta von Spanheim übergeben, die gerade daran war, eine Klause auf dem Disibodenberg zu beziehen. Eigentlich entstand hier ein kleiner Frauenkonvent. Nonne zu werden, war damals gar kein so übles Schicksal für eine junge Frau, ersparte es ihr doch eine Ehe, in der sie durch die Mühsal unzähliger Schwangerschaften und risikoreicher Geburten vorzeitig altern oder gar sterben würde. Auch Bildung war den Nonnen vorbehalten. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass Hildegard mit etwa 14 oder 16 Jahren beschloss, selber den Schleier zu nehmen.


    Schon immer litt diese Frau an Visionen. 1141 beginnt Hildegard mit der Niederschrift derselben. Volmar, ein Mönch der Abtei Disibodenberg, welcher das Frauenkonvent kirchlich unterstellt war, diente ihr dabei als Sekretär, glättete und verbesserte ihr krudes Latein. (Denn selbstverständlich war Latein für diese Nonne die einzig mögliche Schriftsprache!)


    Nach Juttas Tod wählten die Frauen Hildegard zu ihrer Nachfolgerin. Die Abhängigkeit des Konvents vom benachbarten Männerkloster wurde allerdings zusehends unbefriedigender für die Frauen, und 1150 bezog Hildegard mit etwa 20 Nonnen ein neugebautes Kloster auf dem Rupertsberg. Dies ging nicht ohne Widerstand der Männer ab, und Hildegard hatte so manchen harten Strauss auszufechten, war so manchen Anfeindungen der die Kirche als ihre ureigenste Domäne betrachtenden Männer ausgesetzt. Doch sie gab nie locker und setzte sich schlussendlich durch. Eine emanzipierte Frau, lange, bevor dieses Wort erfunden wurde ...


    Ein mittelalterliches Kloster, wie es Hildegard nun leitete, war so etwas wie eine kleine Stadt. Kirche, Werkräume, Vorratskammern, Ökonomie, Keltergebäude, Bäckerei, eine Grossküche, die Klosterapotheke, die Gärten, Wohnungen für die Bediensten und Gäste - um alles dies musste sich Hildegard kümmern.


    Dennoch fand sie Zeit zu reisen (immer beruflich bedingt - und dies zu einer Zeit, wo reisende Frauen gar nicht gern gesehen waren!), zu ausgedehnten Briefwechseln (u.a. mit Bernhard de Clairvaux), auch in die damaligen Querelen zwischen Papast und Kaiser wurde sie hineingezogen.


    Ihre Visionen sind von berührender, sinnlicher Schönheit. Ihr Menschenbild betont die Ganzheitlichkeit des Menschen - und die Sinne nehmen dabei eine zentrale Stelle ein. Ihre Heilkunde steht durchaus in der Tradition der klösterlichen Heilkunde ihrer Zeit - das heisst, dass v.a. mit Heilkräutern gearbeitet wird. Leider wird heute unter dem Label "Hildegard-Medizin" dieser Aspekt von Hildegards Heilkunde gerne beiseite geschoben zugunsten eines Glaubens an die Heilkraft von Steinen, die Hildegard so nie vertreten hat. Kommt hinzu, dass die Bücher über ihre Visionen wohl echt sind; die, die ihr Heilwissen überliefern aber mit ziemlicher Sicherheit Einschübe von dritter Seite enthalten. "Hildegard-Medizin" ist also ein schlichter Etikettenschwindel, gegen den sich Hildegard von Bingen wohl gewehrt hätte, hätte man den schon zu ihrer Zeit betrieben. Man vermittelt uns das Bild einer "weisen Frau", sprich einer Magierin, einer Hexe. Hildegard aber war eine äusserst nüchtern und rational denkene Person.


    Es lohnt sich, Hildegards Schriften im Original nachzulesen (bzw. wer kein Latein kann, in der deutschen Übersetzung, wie sie der renommierte Herder-Verlag herausgegeben hat):


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    Und als einführende Biografie würde ich die klar verständliche und auch theologische Finessen gut erklärende Monografie von Otto Betz: Hildegard von Bingen, im Kösel-Verlag empfehlen. (Betz war Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik an der Universität Hamburg.)


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    Fazit: Hildegard von Bingen - eine spannende Frau, deren Entdeckung im Original sich lohnt! :klatschen:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • sandhofer: Danke für diese profunden Informationen. :winken: Auf meinen Streifzügen gegen die Unwissenheit läuft mir HvB ja auch öfter über den Weg. Die Biographie würde mich interessieren (der Link bei Amazon schein irgendwie zu spinnen). Ich bin ja sowieso, auch auf meinem Fachgebiet, der Meinung, man sollte zum Original greifen und Sekundär- und Tertiärliteratur bzw. "Hörensagenliteratur" vermeiden (hatte da schlechte Erfahrung während meiner Promotion).

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • der Link bei Amazon schein irgendwie zu spinnen


    In der Tat. Aber die ISBN stimmt: 3-466-36445-0


    Otto Betz: Hildegard von Bingen. München: Kösel, 11996

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Irgendwo habe ich mal gelesen, ihre Visionen seien typische Symptome einer Migränepatientin. D.h. das, was sie beschreibt, stimme teilweise mit dem überein, was man während eines Migräneanfalls gemeinhin an Wahrnehmungsstörungen haben soll (kann ich nicht beurteilen, da ich keine Migräne habe und die Beschreibungen der Visionen nicht kenne).


    Was ist davon zu halten?

  • Hallo!


    Vielleicht funktioniert der Link nicht, weil das Buch bei Amazon nicht mehr (auch nicht gebraucht) erhältlich ist?
    Trotz bekannter ISBN-Nummer hatte ich nur bei Seiten mit gebrauchten Büchern Erfolg.


    sandhofer: Danke für diesen Beitrag. Besonders für die Biografie.


    Gruß
    yanni

  • @Kringel: wenn ich Migräne habe, kommt es zu Sehstörungen, und gelegentlich rede ich Unsinn, aber Halluzinationen hat mir die Migräne bisher noch nicht beschert :schulterzuck:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen