Richard Yates - Easter Parade

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  • OT: Easter Parade
    Verlag DVA (Februar 2007)
    304 Seiten
    ISBN: 978-3421042613


    Eine „Easter Parade“ findet am Ostersonntag auf der 5th Avenue zwischen 49. und 57. Straße statt. Sie ist eine New Yorker Tradition, die bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zurückgeht, als die soziale Elite nach dem Kirchbesuch die 5th Avenue entlang schlenderte, um ihre neuen Hüte und Kleider bewundern zu lassen. (Glossar, S. 296).
    Esther Grimes, genannt Pooky, möchte so gerne zur „besseren Gesellschaft“ gehören. Ihr selber misslingt es, sie wechselt ständig den Job und den Wohnsitz, ihre Ehe scheitert, sie flüchtet sich in den Alkohol und setzt ihre Hoffnungen daran, dass es ihren Töchtern Sarah und Emily besser ergeht.
    Während die extrovertierte, hübsche Sarah früh in eine angesehene Familie einheiratet, sesshaft wird und 3 Söhne großzieht, macht die introvertierte, belesene Emily nach ihrem Studium Karriere als Journalistin und Werbetexterin, ist selbstständig, flexibel und unabhängig. Beide scheinen das Leben zu leben, das sie sich immer gewünscht haben, und das auch den Erwartungen ihrer Mutter entspricht.
    Doch wie bei der alljährlichen „Easter Parade“ trügt der Schein. Sarahs Ehe ist geprägt von permanenter Geldnot und Brutalität, doch diese Wahrheit sickert nur langsam nach außen durch. Emily hingegen genießt materiellen Wohlstand, stürzt sich von einer Beziehung in die nächste, gerät aber immer wieder an die „falschen“ Männer. Auch sie erkennt, dass ihre tiefsten Sehnsüchte nicht erfüllt werden können. Träume platzen wie Seifenblasen und es fällt allen dreien schwer, sich mit der Realität abzufinden bzw. sich selber einzugestehen, dass ihr Leben in Wirklichkeit ein Desaster ist und am Ende nur eine abgründige Einsamkeit geblieben ist.


    Dieses Werk des bereits 1992 verstorbenen Richard Yates erschien im Jahr 1976, wurde aber erst jetzt übersetzt. Ein Blick auf seine Biografie lässt die Vermutung zu, dass er viele persönliche Erfahrungen und Erlebnisse in diesem Buch verarbeitet hat. Yates beschreibt anhand des Schicksals dieser drei Frauen über eine Zeitspanne von 40 Jahren auf sehr nüchterne, düstere, aber eindringliche Weise das Leben des amerikanischen Mittelstandes mitsamt der Sehnsüchte, Träume und auch Verlogenheit. Er vermittelt beeindruckende und beklemmende Einblicke in das Amerika der 30er bis 70er Jahre und mir wurde bewusst, dass es auch heute nichts an Aktualität verloren hat.


    Eine absolute, uneingeschränkte Empfehlung nicht nur für Leser, die eine klare, nüchterne Sprache lieben, sich gerne mit den Themen des Lebens auseinandersetzen und nachdenkliche Bücher mögen.



    5ratten


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  • Ach wie schön, dass es hier schon jemanden gibt, der das Buch gelesen - und so schön rezensiert - hat :smile:


    Ich war nach 'Revolutionary Road' so hin und weg von dem Autor, dass ich auch anschliessend noch seine (doch ziemlich depri-mässigen) 'Collected Stories' gelesen habe - und irgendwie sind wieder -unerklärlicherweise :smile:- einige andere Bücher dazwischen gekommen - aber durch das Erscheinen dieses Buches bin ich wieder auf ihn aufmerksam geworden und habe mir erst gestern 'Easter Parade' bestellt (und 'Disturbing the peace' gleich dazu - ein Buch allein geht ja so gar nicht :zwinker:).


    Grüsse,
    Kenavo

  • @Kenavo: Ich wünsche Dir viel Vergnügen beim Lesen und bin schon gespannt auf Deine Eindrücke! :winken:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Richard Yates ist ein brillanter Erzähler. Ein Vollbluterzähler, der zu den großen Schriftstellern der zeitgenössischen amerikanischen Literatur gehört. Leider hat er diesen Platz erst nach seinem Tode einnehmen können. Man stelle sich nur einmal vor, ein Buch wie „Easter Parade“ wäre nicht noch einmal aufgelegt worden. Eine Katastrophe! Die Welt wäre deutlich ärmer gewesen. Wenigstens die literarische Welt.
    Yates will erzählen und er schafft es mühelos, dass die Leser ihm zuhören, sie hören ihm zu, da er wirklich was zu erzählen hat. Er schwafelt nicht, er schreibt keine Seiten mit irgendwelchem sinnleeren Zeug voll, er schafft vielmehr ein kompaktes Buch, eine wirklich erzählerische Meisterleitung. Yates erinnert manchmal an Hemingway, obwohl er diesem eine ganze Menge voraus hat. Er lebt nicht dessen Männlichkeitswahn. Yates mag die Menschen offenbar und er fühlt mit ihnen, indem er auch über die traurigen Seiten des Menschseins ohne falschen Pathos schreibt. Mitleid findet man bei ihm nicht – aber sehr viel Mitgefühl und Verständnis. Er verurteilt nicht, er schreibt nur auf, er wertet nicht, er beschreibt. Seine handelnden Figuren ist er ein verständnisvoller Vater, der ihr Scheitern aber nicht verhindern kann.
    Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bezeichnete Yates „als einen Klassiker der amerikanischen Moderne“, ein Urteil dem man sich guten Gewissens anschließen kann.
    „Easter Parade“ gehört ohne Frage zu den echten Highlights des Buchjahres 2007. Sehr lesenswert.

  • Mein Urlaubstag heute habe ich mit der Lektüre von diesem Roman zugebracht


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    (Leute, die sich gerne mal an ein englisches Original heranwagen möchten - dieses Buch kann ich empfehlen - einfach und gut zu lesen)


    Ich kann mich creative und Nichtraucher nur anschliessen - ein wunderbares Buch, das sich lohnt.


    Eine Rezensin dazu gibt es auch in der heutigen (21/03) Literaturbeilage der FAZ - leider nicht online :sauer:



    Liebe Grüsse,
    Kenavo

    Einmal editiert, zuletzt von Kenavo ()

  • NACHTRAG: In der heutigen (22/03) Literaturbeilage der ZEIT gibt es auch eine REZI - und die IST online :zwinker:


    Kenavo

  • Moin, Moin!


    Im letzten Literaturclub vom 15. Mai 2007 wurde das Buch vorgestellt. Da hörte ich auch zum ersten Mal den Ausdruck "Writer's Writer" für einen Schriftsteller, der durch Kollegen hochgehalten und, im glücklichsten Fall, auch zum kommerziellen Erfolg gebracht wird.


    Nachtrag: Daß Urs Widmer, der die beiden vorangegangenen Bücher im LC gemocht hatte, ausgerechnet dieses Buch, welches hinwiederum von den drei anderen Kritikerinnen bejubelt worden war, als banal empfand, spricht Bände - für Widmer, der ja, wenn man an sein Früh- und Mittelwerk denkt, äußerst merkwürdige Bücher geschrieben hat. Ich finde das sehr amüsant.

  • Nach "Zeiten des Aufruhrs" hatte ich an "Easter Parade" natürlich gewisse Erwartungen, so dass ich vor Beginn der Lektüre doch ein wenig ängstlich war, ob ich hinterher enttäuscht zurückbleiben würde. Das ist allerdings nicht geschehen. "Easter Parade" ist so gut wie erhofft.


    Tragisch ist das alles, aber auf keine laute, marktschreierische Art, sondern leise, beiläufig, als wollte Yates sagen, so ist das Leben eben, und niemand schenkt dem Beachtung. Um so mehr fühlte ich als Leserin mit der unglaublich leidensfähigen Sarah, der ihre Ehe über alles geht, und mit Emily, die letzlich an ihrer Suche nach dem Glück zerbricht - und auch mit Nebenfiguren wie dem Dichter Jack Flanders, der Jahre nach seiner Beziehung mit Emily noch einmal in Gestalt einer vernichtenden Rezension aufersteht.


    Leicht und flüssig zu lesen, liegt der Roman dennoch schwer im Magen und lässt einen nicht so schnell los. Eindeutig ein Fall für alle 5!


    5ratten

  • Rezi-Archivierung von 2008:


    1976 erschien "Easter Parade", Anfang 2007 erschien es in Deutschland bei DVA; nicht zuletzt durch das positive Feedback Elke Heidenreichs' in ihrer Literatursendung "Lesen!" erreichte dieses Buch Bestsellerstatus und wurde in sämtlichen großen Tageszeitungen (FAZ, DIE ZEIT, taz, NZZ, Süddeutsche Zeitung...) fast ausnahmslos positiv besprochen. Und daher bleibt immer die Frage, ob der "normale" Leser sich diesen Beifallsstürmen anschließen kann...


    ... in diesem Fall kann ich es. Auf höchst scharfe Weise zerstört Richard Yates die Illusion des American Dream, die Illusion, dass ein Leben aus Zufällen, aus eigener Kraft gesteuert und besonders reich gelebt werden kann. Er führt vor Augen, was passiert, wenn die "Anlagen" nicht stimmen - wenn Kindheit und Jugend als reine Posse zurückbleiben.


    Sarah und Emily Grimes, zwei Schwestern, die von ihrer alkoholkranken Mutter von Stadt zu Stadt, von Schule zu Schule geschleift werden. Man weiß nie genau, wonach die Mutter sucht. Ist es DER Job, DIE Karriere? Auf allen Wegen scheitert sie, bleibt stets die Suchende; sie erzieht ihre Kinder anti-autoritär, nicht als Mutter, nicht als Verantwortliche. Sie sollen sie Pookie nennen. Was wie ein Name für eine Indianerin klingt, ist nur wiederum ein Ausdruck für ihre Rollensuche. Sie will nicht Mutter sein, sie will auch nicht eine Rabenmutter sein; sie will nicht arbeitslos sein, aber auch nicht mit einem Job behaftet, der ihr weder Glück noch viel Geld bringt.
    Die Grimes-Schwestern entwickeln sich unterschiedlich. Sarah heiratet früh einen jungen Mann aus gutem Hause, der sich schnell als brutaler, schlagender Ehemann herausstellt. Und doch bleibt sie, nach der Aufzucht dreier gemeinsamer Kinder bei ihm, und findet sich gebrochen und depressiv als Alkoholikerin wieder.
    Emily dagegen führte zwei Ehen, beide zerbrachen; sie hatte ein Stipendium, war Journalistin, liebte mehrere Männer, hatte Affären und wird dennoch nicht glücklich. Ähnlich wie ihre Mutter ist sie auf der Suche, aber nicht nach dem Karriereglück, sondern der Liebe, die sie von ihrer Traurigkeit lösen kann.


    Was Richard Yates auf knapp 300 Seiten formuliert, lässt einem sehr nachdenklich zurück. Dieses Buch hat manchmal Längen, manchmal hat man das Gefühl, die Geschichte plätschert. Es werden zwei Leben beschrieben und es könnte langweilig wirken, weil nur wenig passiert, was nicht vorhersehbar ist.
    Aber das ist es gerade. Man spürt den nahenden Abgrund, man spürt, dass dies nicht gut gehen kann. Und es endet für alle Figuren nicht positiv, und obwohl dies ersichtlich ist, hofft man.


    Für mich ein nachdenklicher machender, sehr lang anhaltender Roman. Obwohl ich ihn schon vor zwei Stunden aus der Hand gelegt habe, hat er mich noch nicht losgelassen. Ein wirklich gutes, kritisches Buch mit einer anhaltend flüssigen, wunderbar zu lesenden Sprache.


    Mein Interesse für Richard Yates ist geweckt und ich danke Robert Ford für das Wiederentdecken dieses "Klassiker der Moderne" (FAZ).