Joan Aiken - Fanny und Scylla

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  • Originaltitel: The weeping ash (1980)


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    Inhalt:


    Der Roman beginnt im Jahre 1775, als der Gärtner Goble in Petworth eine Gefängnisstrafe wegen Schulden absitzen muss. Während seiner Haft erscheint ihm der Geist Ned Wilshires und verändert sein Leben durch die Forderung nach Rache für den 1773 erlittenen Hungertod.


    Goble begegnen wir erst Jahre später wieder, nachdem er im Anschluss an seine Marinezeit von Thomas Paget als Gärtner eingestellt wird. Dies ist eine Ironie des Schicksals, denn Thomas Paget ist Befehlshaber der Presspatrouille*, die Goble zum Militärdienst zwang.


    Mittelpunkt des Romans sind zwei Zweige der Familie Paget.


    Einserseits gibt es die in Petworth lebende Familie rund um den neu verheirateten Thomas. Er ist doppelt so alt wie seine zweite Frau Fanny (16 Jahre), bereits verwitwet und mit 3 Töchtern "geschlagen". Die Atmosphäre im Haus ist bedrückend und grausig - ebenso wie Thomas: ein Mann mit großen Komplexen und noch größerem Machtwillen, immer auf seinen eigenen Vorteil bedacht und ohne Interesse an seinen Mitmenschen. Seine Dienerschaf und Töchter hassen ihn und auch Fanny verachtet und fürchtet ihn schon bald.


    In Indien spielt der andere Teil des Romans, der sich auf die Zwillinge Scylla und Carloman (genannt: Cal) konzentriert. Sie leben in Ziatur bei einer Pflegemutter, nachdem der englische Vater seine "ungeliebte Brut" verlassen hat und ihre Mutter verstorben ist. An ihrem 17. Geburtstag begegnet Sylla dem Abenteurer Rob Cameron. Nur kurze Zeit später stellt sich diese Bekanntschaft als segensreich heraus, als sie wegen einer Palastrevolte fliehen müssen.


    Ihr Ziel ist die Hermitage in Petworth, wo sie auf Einladung ihrer Cousine Juliana Zuflucht suchen wollen. Die Nachricht, dass dort Thomas mit seiner Familie wohnt, hat sie nicht mehr erreicht.


    * Presspatrouillen suchen Männer zwischen 15 - 55 Jahren und zwingen sie in den Militärdienst.


    Meine Meinung:


    Ich mag Joan Aiken. Bereits letztes Jahr habe ich zwei historische Romane von ihr gelesen und "Fanny und Scylla" bleibt definitiv nicht der letzte. Es handelt sih hierbei nicht um eine ihrer Jane-Austen-Fortsetzungen, ist aber im gleichen Stil verfasst. Allerdings ist Aiken bei der Beschreibung von Gräueln und Demütigungen sehr viel expliziter als die Autorinnen der damaligen Zeit.


    Thomas Paget ist der schlimmste Bösewicht, über den ich seit langem gelesen habe. Ein echter Aufreger! Neben ihm geht die zierliche, junge Fanny ziemlich unter und doch ist sie eine würdevolle und sympathische Figur. Sie muss dem Leser leid tun. Doch auch in ihrem Leben gibt es Lichtblicke, für die sie aber häufig über Gebühr büßen muss.
    Als Gegenpol tritt die lebenslustige Scylla auf, die nicht unter einer solchen psychischen Belastung leben muss und sich nichts gefallen lässt. In gewisser Weise behütet sie ihren Bruder und ist von Kindheit an recht selbständig.


    Die Kapitel wechseln immer zwischen den Schicksalen der Frauen ab, so dass es sehr spannend bleibt und der Kontakt zu den einzelnen Strängen nie übermäßig lang verloren geht. Jedes Kapitel endet mit einem Paukenschlag, so dass es nicht einfach ist, den Roman einfach zur Seite zu legen. Die Neugier siegt.


    Für mich ein wirklich toller historischer Roman mit hohem Unterhaltungswert!


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Ich mag die historischen Romane von Joan Aiken auch sehr und Fanny und Scylla zählt zu meinen Lieblingsbüchern von ihr :smile:

    viele Grüße<br />Tirah

  • Es ist schon ewig her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich habe immer noch so ein wohliges Schmökergefühl, wenn ich daran zurückdenke.


    Fanny tat mir so furchtbar leid, und Scylla und Cal fand ich unheimlich sympathisch...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Joan Aiken
    Fanny und Scylla
    oder die zweite Frau


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    Inhalt:


    Dieses Buch erzählt zwei Geschichten - die Lebensgeschichten zweier junger Frauen, Fanny und Scylla.


    England, 1797: Die 16jährige Fanny wird mit dem 48jährigen, unsympathischen und gewalttätigen Thomas Paget verheiratet. Mit ihm und seinen drei mürrischen, unfreundlichen Töchtern aus erster Ehe (zwei davon sind älter als Fanny) beginnt Fanny ein unfrohes Leben in einem Haus, in dem es angeblich spukt und das Thomas von seiner Cousine Juliana überlassen wurde, die unerwartet einen reichen Onkel beerbt hat und diesen Reichtum mit ihren Verwandten teilen will.


    Juliana hat allerdings auch zwei in Indien lebende Kinder des besagten Onkels, die Zwillinge Scylla und Carloman (genannt Cal) Paget, eingeladen, in diesem Haus zu wohnen. Ihr Brief mit dieser Nachricht erreicht die beiden in der denkbar passendsten Situation: Nach der Ermordung des indischen Maharadschas, dem Scylla als Hauslehrerin seiner Kinder diente und mit dessen ältestem Sohn Cal viel Zeit verbrachte, müssen die Zwillinge mit ihrer Pflegemutter Miss Musson aus der Stadt Ziatur in Nordindien fliehen, da der Sohn und Nachfolger des Maharadschas ihnen nach dem Leben trachtet. Glücklicherweise nimmt sich der Überbringer des Briefes, der erfahrene und tatkräftige Colonel Cameron, der drei Flüchtlinge an. Sie machen sich auf eine abenteuerliche Reise nach England quer durch Asien zu Fuß, zu Pferd, zu Kamel und schließlich per Schiff...


    Meine Meinung:


    Die beiden Geschichten werden kapitelweise abwechselnd erzählt. Anfangs werden die Lebensumstände der beteiligten Personen in England und in Indien sehr ausführlich und detailgenau geschildert: die mausgraue Geschichte der sanften, wohlerzogenen und immer beherrschten Fanny in England, die von ihrem brutalen Ehemann mißbraucht, gequält und gedemütigt wird, sich aber einen Kern innerer Stärke bewahren kann, indem sie sich winzige Freiheiten und Auswege sucht und durch ihre stets gleichbleibende Freundlichkeit schließlich auch Freunde findet, - und die bunte abenteuerliche Geschichte der lebensfrohen Zwillinge Scylla und Cal, die ihre Reise durch Nordinidien, Afghanistan, Persien und die Türkei nach England antreten und ebenfalls mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben.


    Gewürzt wird das Ganze durch Gespenstererscheinungen und Prophezeiungen, die schon früh im Buch die Verknüpfung von Scyllas und Cals Schicksal mit dem Fannys andeuten.


    In der Mitte des Buches nehmen beide Geschichten Fahrt auf: Seltsames ereignet sich im Haus von Fanny und Thomas Paget, und die Reisenden geraten in Verwicklungen. Kleine Zufälle haben große Wirkungen, die Personen erleben das Walten des Schicksals, das zum Teil durch ihre eigenen Handlungen und zum anderen Teil durch eine Art "Vorsehung" bestimmt scheint. Dabei fallen ähnliche Motive im Charakter und Erleben der auf den ersten Blick charakterlich so unterschiedlichen Frauen Fanny und Scylla auf. Die beiden Erzählstränge, die zunächst nicht ganz parallel laufen, bewegen sich räumlich und zeitlich aufeinander zu, bis sie sich dann verknüpfen, als Scylla und Cal in England ankommen und Fannys Schicksal mitbestimmen, genauso wie ihres umgekehrt durch Thomas und Fanny bestimmt wird. Der Leser ahnt schon, daß das Aufeinanderprallen der Charaktere gravierende Folgen haben wird. Gegen Ende des Buches überstürzen sich die Ereignisse gewaltig, hier wird die Geschichte für meinen Geschmack viel zu hastig erzählt. Ereignisse und Befindlichkeiten der Personen und Reaktionen auf traumatisierende Geschehnisse werden nur viel zu kurz angerissen, anders als im Anfangs- und Mittelteil des Buches.


    Hat man die mühsamen ersten 100-150 Seiten hinter sich, wird das Buch zu einer überaus spannenden Lektüre, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte, so sehr hofft man mit Fanny und den Zwillingen, daß ihre Abenteuer ein gutes Ende nehmen mögen. Die Reise durch Asien fand ich äußerst interessant. Meine Kritikpunkte am Buch sind, neben dem schleppenden Beginn und dem überstürzten Ende: daß einige der zahlreichen Zufälle, die den Protagonisten immer wieder aus mißlichen Lagen helfen, allzu gewollt konstruiert wirken, und daß Fanny allzu engelhaft und ihr Ehemann Thomas ziemlich absolut widerwärtig gezeichnet ist. Auch die Wahrsagerei und die Spukgeschehnisse sagten mir nicht so zu. Trotz dieser kleinen Einschränkungen ist das Buch ein sehr schönes Lesevergnügen. Meine Bewertung:
    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()

  • Das Buch hatte ich zwar vor bestimmt 15 Jahren schon mal gelesen, wusste aber kaum noch etwas vom Inhalt. Auch beim zweiten Mal hatte ich große Freude daran:


    Fanny, die Jüngste von zahlreichen Pfarrerstöchtern, schließt Ende des 18. Jahrhunderts eine Vernunftehe mit dem viel älteren Thomas Paget, einem Unsympathen sondergleichen, der an der englischen Küste die Presspatrouille befehligt, die Männer zum Militärdienst zwingt, um der Schmugglerproblematik Herr zu werden. Aus Thomas' erster Ehe gibt es drei ziemlich unausstehliche Töchter, von denen zwei älter sind als die sechzehnjährige Braut, die schnell spürt, dass sie in der Hermitage, dem abgelegenen Landhaus einer Paget-Cousine, in das sie einstweilen eingezogen sind, nicht wirklich willkommen ist.


    Auch Thomas gibt sich seiner jungen Frau gegenüber kalt und herrisch und verbietet ihr alles, was ihr Leben etwas versüßen könnte, wie etwa das Verlassen des Grundstücks oder Kontakt zu den Nachbarn wie etwa dem fortschrittlich-freigeistigen Lord Egremont.


    Etwas Spannung bringt dann eines Tages ein Brief in Fannys karges Leben. Die Zwillinge Cal und Scylla, entfernte Verwandte von Thomas, die im fernen Indien leben, kündigen ihre Rückkehr nach England an.


    Die beiden sind mehr oder weniger am Hof eines Maharadschas groß geworden, doch nach dem Tod des Herrschers kommt es zu Erbstreitigkeiten und keiner kann seines Lebens sicher sein. Gemeinsam mit dem weit gereisten Colonel Cameron und der resoluten Miss Musson, die nach dem Tod ihres Bruders dessen Krankenhaus weitergeführt hat, machen sich Cal und Scylla auf eine gefahrvolle und langwierige Reise gen Westen.


    Ein herrlicher Schmöker, der Gesellschaftsroman und Abenteuergeschichte in einem ist. Die Hauptpersonen wachsen einem schnell ans Herz, sowohl die schüchterne, verängstigte Fanny, die ganz allmählich mit zaghaften kleinen Schrittchen aus dem Käfig ihrer grässlichen Ehe auszubrechen wagt, als auch die Zwillinge, der verträumte Dichter Cal und die praktisch veranlagte Scylla, die sich in Charakter und Aussehen so unähnlich sind und doch eine ganz besondere Verbindung zueinander haben. Auch die Nebenfiguren sind wunderbar gezeichnet, insbesondere die manchmal schrullige, aber gescheite und unerschrockene Miss Musson, der oft grummelige Cameron, der eine Bürde aus der Vergangenheit mit sich herumschleppt, Fannys nette, lebenslustige Nachbarn oder der sympathische junge Gärtner der Hermitage. Nur Thomas Paget ist durch und durch widerlich und vielleicht ein wenig überzeichnet, was dem Lesevergnügen insgesamt aber überhaupt keinen Abbruch tut.


    Die beiden Handlungsstränge in England und auf der Flucht aus Indien laufen lange Zeit nebeneinander her und verschlingen sich erst spät zu einem dramatischen Höhepunkt - irgendwann konnte ich das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Allerbeste Urlaubslektüre!


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Normalerweise hätte ich das Buch überhaupt nicht angefangen, weil es absolut nicht in mein Beuteschema fällt. Aber nachdem eine Freundin es so eindringlich empfohlen hat, habe ich es doch mal versucht.
    Und was bin ich froh drum! Ich hätte es wirklich nicht erwartet, aber es hat mich richtig gefesselt! Besonders Fannys Geschichte hat mich geradezu zum Weiterlesen gezwungen... Es kam sogar so weit, dass ich ab der Hälfte des Buches zunächst mal ihre Geschichte fertig gelesen habe, um dann danach die zweite Hälfte des Buches noch mal "richtig" zu lesen ;)
    Scyllas Geschichte war in Ordnung, aber hat mich auch nicht wirklich begeistert.
    Das Ende des Buches fand ich etwas hastig und knapp, aber Fanny macht das alles wieder wett!
    Ein klasse Buch und wie gut, dass mir das dank Empfehlung nicht entgangen ist!


    4ratten

    Even when reading is impossible, the presence of books acquired produces such an ecstasy that the buying of more books than one can read is nothing less than the soul reaching towards infinity... - We cherish books even if unread, their mere presence exudes comfort, their ready access reassurance.

  • Stimmt, zum Ende hin ging es ein wenig schnell, aber trotzdem ein tolles Buch. Ich hätte ja gerne noch etwas mehr über Andrew Talgarth, den Gärtner, und seine Geschichte erfahren.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen