Alice Sebold - Glück gehabt (Lucky)

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 4.450 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Zara.

  • (Ich stelle es mal hier rein, da es sich ja nicht um ein fiktionales Werk handelt.)


    Mit 17 wird Alice am Tag vor den Semesterferien auf dem Heimweg zu ihrem Studentenwohnheim von einem Unbekannten im Park vergewaltigt und misshandelt. Als sie blutüberströmt und verstört ins Wohnheim zurückkehrt, rufen ihre Freundinnen die Polizei.


    Nach ihrer Aussage und einer ärztlichen Untersuchung fährt sie mit ihren Eltern nach Hause. In der kleinen Gemeinde, aus der sie kommt, weiß jeder über jeden Bescheid, Alice wird angestarrt und ist Objekt des Dorfklatschs, aber keiner weiß so recht, wie man mit ihr umgehen soll. Eine schwere Zeit für Alice und ihre Familie.


    Ein halbes Jahr später begegnet sie auf der Straße dem Täter und meldet sich bei der Polizei, um Anzeige zu erstatten. Es kommt zur Gegenüberstellung, um den Mann zu identifizieren, später zur Gerichtsverhandlung.


    Mit Entschlossenheit und Willenskraft versucht Alice, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen und sich nicht von den schrecklichen Erinnerungen beherrschen zu lassen.


    Ein schweres Thema, das Alice Sebold hier anpackt (die mit ihrem Roman "In meinem Himmel" bekannt geworden ist, der auch teilweise auf ihren Erfahrungen beruht). Sie spricht sehr offen über das, was vorgefallen ist, schildert ihre Gefühle, die Hilflosigkeit der Menschen in ihrem Umfeld, die teilweise unverständlichen Reaktionen (besonders geschockt hat mich die Psychologin, die nur meinte, jetzt könne sie vielleicht endlich ungehemmt mit dem Thema Sex umgehen ) und der belastende Prozess, der beinahe wie ein Gerichtsthriller geschildert wird. Und trotz des deprimierenden Themas ist es auch ein Buch, das Mut machen kann, sich grässlichen Erfahrungen und den Erinnerungen daran zu stellen und nicht aus Scham zu schweigen.


    4ratten


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    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Mich hat das Buch auch beeindruckt, es ist schonungslos geschrieben. Und es macht deutlich, daß mit der Verurteilung des Täters eben noch lange nicht alles vorbei ist.

    viele Grüße<br />Tirah

  • Mich hat auch geschockt, dass Alice im Verlauf der juristischen Vorgänge erfahren hat, dass die meisten Vergewaltigungsopfer gar nicht Anklage erheben oder den Prozess nicht bis zum Ende durchziehen :ohnmacht:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine
    Das finde ich eigentlich überhaupt nicht überraschend. Zum einen ist es durchaus bekannt und zum zweiten durchaus verständlich. Welche Frau setzt sich schon gerne detaillierten Fragen über die Vergewaltigung oder ihr Sexualleben aus?

  • Klar, angesichts der Befragung vor Gericht kann ich es verstehen - aber dass es wirklich so selten ist, dass es zur Anzeige oder gar Verurteilung kommt, wusste ich nicht.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Es ist ja nicht nur die Verhandlung, sondern wie Alice Sebold es auch beschreibt, die Reaktionen der Umwelt: Freunde, Nachbarn, Kommilitonen, Kollegen... Kein Wunder, daß so manche Frau es lieber verschweigt.

    viele Grüße<br />Tirah


  • Kein Wunder, daß so manche Frau es lieber verschweigt.


    Dazu kommt noch, daß die meisten Vergewaltigungen innerhalb der Familie und des Bekanntenkreises passieren (auch wenn das in diesem Buch wahrscheinlich nicht angesprochen wird). Ich ziehe vor jeder Frau, die rechtliche Schritte einleitet, den Hut.

  • Stimmt, wenn es im direkten Umfeld passiert, sind die Hemmungen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, sicher ungleich größer.


    Alice wurde ja von einem Fremden vergewaltigt, da fällt es vielleicht "leichter".

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





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    ~ Alice Sebold - Glück gehabt


    Am 08. Mai 1981 wurde die US-amerikanische Journalistin Alice Sebold in einem Tunnel vergewaltigt: im Tunnel eines Amphitheaters ausgerechnet, in dem normalerweise die Schauspieler auf ihren Auftritt warteten. Hier war zuvor ein Mädchen auf brutale Weise ermordet worden. Im Vergleich zu diesem Mädchen, sagte ihr ein Polizeibeamter damals, habe sie doch "Glück gehabt". Mit den Begriffen des griechischen Dramas würde man eine solche Situation wohl "tragikomisch" nennen. Aber dies hier war die grausame Wirklichkeit.



    Meine Meinung:


    Gleich am Anfang schildert Alice Sebold ihre Vergewaltigung. Das Buch startet also mit einem richtigen Knall. Ich musste oft Schlucken, weil ich mich sehr gut in sie hinein versetzen konnte.


    Danach schildert sie, wie ihr Umfeld mit dieser Situation umgeht. Und natürlich wie sich die Reaktion ihrer Mitmenschen auf sie auswirkt. Gerade die Reaktion der Familie sind sehr einschneidend für sie und waren für mich auch erschreckend. Eigentlich wünsche ich jedem, dem so etwas passiert Rückhalt! Aber teilweise hatte ich den Eindruck, als ob sie diesen von ihrer Familie nicht bekam. Schrecklich!


    In der Verhandlung muss Alice wieder alles von vorn durchleben. Es wird nochmal explizit auf die Einzelheiten eingegangen. Es ist hart wie mit ihr im Kreuzverhör umgegangen wird, aber sie hat diese Situation super gemeistert.


    Das Buch hat bei mir einen noch lange anhaltenden Eindruck hinterlassen. Ganz besonders, wie es eigentlich zu diesem Titel kam, nämlich dass sie ja im Gegensatz zu dem ermordeten Mädchen "Glück gehabt" hätte. Ich bin ehrlich tief berührt, geschockt und total durcheinander nach diesem Buch.


    Von mir gibt es 4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Pessimisten stehen im Regen, Optimisten duschen unter den Wolken.

    Einmal editiert, zuletzt von Zara ()