Donna Leon Blutige Steine

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    Donna Leon – Blutige Steine


    Inhalt:


    Commissario Brunettis 14. Fall spielt- wie könnte es anders sein- in Venedig. Dieses Mal wird ein afrikanischer, illegaler Einwanderer auf offener Straße erschossen. Das Opfer war ein “vucumpra”, wie die Straßenverkäufer z. B. von gefälschten Markentaschen in Venedig genannt werden. An ihrem Status scheiden sich die Geister: auch in Brunettis Familie. Seine links eingestellte Frau ist entsetzt als die pubertierende Tochter den Mord mit einem “bloß ein vucumpra” beschreibt, und auch in der Questura gibt es Polizisten, die ganz unterschiedlicher Meinung über die Illegalen sind.
    Wie so oft bei Brunetti handelt es sich nicht um einen einfachen Mord aus Leidenschaft: Brunetti findet Diamanten in einem ärmlichen Zimmer. Um die ganze Sache weiterhin zu verkomplizieren wird ihm der Fall entzogen, und das Außen- wie das Innenministerium scheinen alles daran zu setzen, dass Brunetti aufhört, weiterzuermitteln.


    Meine Meinung:


    Ich lese nicht sehr oft Krimis und mein letzter Brunetti liegt schon einige Zeit zurück. Vielleicht war ich deswegen nicht auf Sätze vorbereitet, die meiner Meinung nach jeder gute Lektor hätte herausstreichen müssen: Sätze, in denen Frau Leon noch einmal beschreibt, was die direkte Rede gerade ausgesagt hat- als würde sie ihren eigenen Dialogen misstrauen, was die aber erst eigentlich gefährdet.
    Ein wenig ungeschickt kam an mancher Stelle auch die zwanghaft eingefügten moralischen Bedenken Brunettis oder seiner Umgebung, beispielsweise den Klimawandel betreffend. Diese sind an sich zwar ganz interessant, aber ab und zu unglaubwürdig eingebunden.


    Ab der Mitte gewinnt der Roman jedoch an Zugkraft. Die Auflösung ist zwar nicht vollkommen überraschend, aber gut gemacht und hinterlässt die Leserin (wie bei Brunetti eigentlich stets) mit einem leichten Ohnmachtsgefühl der Empörung. Wer also noch nicht genug hat von dem Lokalkolorit Venedigs und der schlemmenden Familie Brunettis, der wird auch an diesem Krimi seinen Spaß haben. Da meine anderen Leon- Leseerlebnisse jedoch etwas weiter zurückliegen, kann ich nicht beurteilen, wie stark dieser sich in der gesamten Reihe ausmacht.


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:
    lg,
    n.

    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • @ Nachttraum:
    Das Schlemmen fiel mir bei Leons Büchern weniger auf als vielmehr der Umstand, daß nicht nur der Herr Kommissar nach mitteleuropäischen Begriffen bedenklich zu latentem Alkoholismus neigt. (Ich habe mir vorgenommen, irgendwann einmal die Bände auf diesen Aspekt hin zu lesen, d.h. sozusagen Flaschen und Getränke zu zählen. Die Leutchen sind dauernd am Süffeln.)


    Die Ansicht, daß moralische Bedenken von Protagonist und Familie in Sachen Ausländerfeindlichkeit und Klimawandel willkürlich eingefügt und darob unglaubwürdig sind, kann ich nicht so ganz teilen. Leon steht vor einem Problem, das sie mit jedem/r Krimiautor(in) teilt, die ihre(n) Helden mit einem einigermaßen glaubhaften Familienleben ausstatten wollen.
    Sie braucht einerseits Themen, die in dem Buch bestimmend sind, muß diese irgendwie mit dem Familienaspekt verknüpfen, braucht aber andererseits auch Themen, die der Familie ein eigenständiges Leben einhauchen. Und das, ohne daß ein Bruch zu dem Familienleben der vorausgehenden Bücher entsteht, doch die Familie muß sich im Lauf der Jahre auch fortentwickeln. Kurzum, Leon jongliert mit vielen Bällen gleichzeitig.


    Wirklich gelungen ist das Kunststück, Beruf und Beziehungs- wie Familienleben unter einen Hut zu bringen, bisher wahrscheinlich nur Lee Martin mit ihrer Detektivin Deb Ralston. Die meisten Ermittler (m/w) sind Einzelgänger und/oder Singles, die wenigsten haben Familien mit Kindern. Zumindest nimmt das Beziehungs- und Familienleben in vielen Büchern keinen großen Raum ein.


    Darüberhinaus hat Leon noch den literarischen Anspruch, sich nicht auf eine Täter/Opfer/Detektivgeschichte zu konzentrieren, sondern Gesellschaftsromane mit sozialpolitisch kritischem Touch zu schreiben - ein Spiegel der italienischen Gesellschaft in unserer Zeit, allerdings in zunehmend ähnlich überspitzter Form wie es bei den Romanen von Sjöwall/Wahlöö für Schweden der Fall war.


    Deine Einschätzung der 3 Ratten teile ich, aber aus anderen Gründen. Für meinen Geschmack geriet das Buch zu sehr in Richtung Gesellschaftskritik und Lokalkolorit, gewürzt mit wirtschaftspolitischen Verschwörungstheorien - während die Beschreibung der eigentlichen Ermittlungstätigkeit immer mehr zerfaserte, blasser wurde und schließlich auf der Strecke blieb.

  • Hallo Tamlin!



    Das Schlemmen fiel mir bei Leons Büchern weniger auf als vielmehr der Umstand, daß nicht nur der Herr Kommissar nach mitteleuropäischen Begriffen bedenklich zu latentem Alkoholismus neigt. (Ich habe mir vorgenommen, irgendwann einmal die Bände auf diesen Aspekt hin zu lesen, d.h. sozusagen Flaschen und Getränke zu zählen. Die Leutchen sind dauernd am Süffeln.)


    Ja, der Alkoholismus ist mir durchaus auch aufgefallen. Würde also eine längere Liste werden ! :zwinker:


    Die Ansicht, daß moralische Bedenken von Protagonist und Familie in Sachen Ausländerfeindlichkeit und Klimawandel willkürlich eingefügt und darob unglaubwürdig sind, kann ich nicht so ganz teilen. Leon steht vor einem Problem, das sie mit jedem/r Krimiautor(in) teilt, die ihre(n) Helden mit einem einigermaßen glaubhaften Familienleben ausstatten wollen.
    Sie braucht einerseits Themen, die in dem Buch bestimmend sind, muß diese irgendwie mit dem Familienaspekt verknüpfen, braucht aber andererseits auch Themen, die der Familie ein eigenständiges Leben einhauchen. Und das, ohne daß ein Bruch zu dem Familienleben der vorausgehenden Bücher entsteht, doch die Familie muß sich im Lauf der Jahre auch fortentwickeln. Kurzum, Leon jongliert mit vielen Bällen gleichzeitig.


    Dass es überall gewollt wirkt, möchte ich gar nicht sagen, aber an der ein oder anderen Stelle durchaus. Du lieferst dafür die beste Begründung :zwinker:


    Wie schon erwähnt bin ich keine große Krimileserin, aber Leon gehört zu den wenigen: nicht nur aus Gewohnheit, sondern eben auch wegen der Ansprüche, die Du aufzählst- die Gesellschaft und das Familienleben um Brunetti herum betreffend.
    Lee Martin kenne ich leider nicht, aber vielleicht wäre das einen Versuch wert? Welchen Roman würdest Du für den Anfang empfehlen?
    lg,
    n.

  • Nachttraum: Lustig, deine Kritik zu lesen und zu merken, dass du in etwa dieselben Kritikpunkte hast wie ich. Ich bin jedenfalls froh, ging es jemand anderem ähnlich wie mir... Hier ist meine Meinung:


    Inhalt:
    An einem kalten Winterabend im Dezember wird in Venedig ein Strassenhändler vor den Augen einer Gruppe amerikanischer Touristen erschossen. Der Händler gehörte zu der Gruppe illegaler Einwanderer aus Afrika, die versucht, sich mit dem Verkauf gefälschter Taschen über Wasser zu halten.


    Die Killer, so steht schnell einmal fest, waren Profis. Das stellt den ermittelnden Commissario Brunetti vor die Frage, wer Profis anheuert, um einen armen Schwarzen zu töten. Doch Brunettis wird bei seinen Ermittlungen bald von seinem Vorgesetzten ausgebremst, was ihn nur noch mehr anstachelt, das Motiv für die Tat und die Männer hinter den Killern zu finden.


    Meine Meinung:
    Ich habe vor Jahren mal einen Krimi von Donna Leon gelesen (es muss einer der ersten gewesen sein, aber welcher genau könnte ich nicht mal sagen wenn man mir eine Pistole auf die Brust setzen würde) und fand ihn seltsam. Jetzt habe ich meinen zweiten Krimi von Donna Leon gelesen und finde den auch seltsam. Und ich habe den Verdacht, dass mich damals und heute dieselben Dinge gestört haben:


    1. Die Ermittler. Commissario Brunetti ist zwar mit seiner Einstellung zum Job ein leuchtendes Vorbild und einige seiner Kollegen sind tatsächlich fähig, gute Arbeit zu leisten. Aber der Rest der Polizeitruppe dient einfach nur dazu, die italienische Polizei als Karikatur (oder Klischee) darzustellen. Die Leute sind nicht motiviert, langsam, tun Dienst nach Vorschrift, vermeiden jede Anstrengung (inklusive Denken) und haben eigentlich keine Ahnung von ihrem Job. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es tatsächlich so schlimm um die italienische Polizei steht...


    2. Essen. Bei Brunettis gibts jeden Tag zwei warme Mahlzeiten (Vorspeise, Hauptgang, Dessert) und zwischendurch wird noch irgendwo in einem Café halt gemacht, um noch einen kleinen Happen zwischendurch zu essen. Wieso ich das weiss? Weils akribisch beschrieben ist. Es geht kaum eine Mahlzeit vorüber, die nicht ausführlich thematisiert wird. Trotzdem scheinen Brunettis nicht sehr dick zu sein. Wie machen die das? Von Sport habe ich nämlich nichts gelesen und wahnsinnig bewegungsfreudig kommen sie mir nicht vor. Der nicht unbeträchtliche Alkoholkonsum der beiden Erwachsenen lässt ebenfalls auf einen eher geniesserischen als gesunden Lebensstil hinzuweisen.


    3. Familie Brunetti. Zweimal am Tag versammelt sich die ganze Bande am Tisch um zu essen (siehe oben). Die Szenen kommen mir vor wie aus schlechten Maggi-Suppen-Spots: Da wird der Tochter über den Kopf gewuschelt, die Eltern hören liebevoll zu, wenn die Kinder etwas erzählen und Diskussionen werden auf einem ziemlich hohen, schon fast abstrakten Niveau geführt. Eine Bilderbuchfamilie, deren grösstes Problem es ist, dass die Teenager-Tochter eine abfällige Bemerkung über den ermordeten Schwarzen gemacht hat. (Als Brunetti in dem Fall abends noch mal ausrücken wollte, meinte seine Tochter, warum er denn gehe; der Tote sei doch bloss ein Strassenhändler gewesen.) Zwei Tage Ausnahemzustand und Drama im Hause Brunetti um eine mutmasslich rassistische Bemerkung der pubertierenden Tochter. Solche Probleme möchte ich auch mal haben; zumal die Tochter in dem Buch nicht mal gefragt wird, wie sie das meint und ob sie etwa Rassistin sei. 150 Seiten später kommt Brunetti dann endlich darauf, dass die Bemerkung vielleicht gar nichts mit der Herkunft des Opfers, sondern mit seinem sozialen Status als Strassenhändler zu tun hatte...
    Die Brunettis sind (sogar in den eigenen vier Wänden) politisch korrekter als eine ganze Busladung voll amerikanischer Moralistinnen. Unglaubwürdig, unmenschlich und schlicht und ergreifend sterbenslangweilig.


    Das venezianische Lokalkolorit finde ich ebenfalls grenzwertig, da ist Leon immer haarscharf am Kitsch, wenn sie Brunetti beispielsweise in ein Einheimischenlokal schickt, wo die ewiggleichen Alten am Tisch sitzen, Karten spielen und jeden Fremden anschweigen. Etwas sparsamer dosiert und vielleicht da und dort mal eine Überraschung im Verhalten von Stereotypen wäre schön gewesen.


    Die Auflösung des Falles habe ich leider nicht ganz verstanden, irgendwie ging es plötzlich zu schnell und zudem gab es zu wenig Fakten und zu viele Andeutungen, um jetzt wirklich sagen zu können, es seien alle Fragen geklärt. Schade, aber letztlich wars mir dann aufgrund der oben genannten Kritikpunkte irgendwie auch egal. Die eher enttäuschende Auflösung passt irgendwie ins Bild, das ich von diesem Krimi habe.


    Bei aller Kritik muss ich der Autorin allerdings zugute halten, dass sie lebendig erzählt und die Geschichte gemächlich, aber stetig vorankommen lässt. Das Buch hat trotz aller Dinge, die mich gestört haben, einen hohen Unterhaltungswert und der Stil ist schnörkellos und angenehm zu lesen. Und auch die Kritik am politischen System in Italien ist geschickt platziert und zumindest von den Dingen her, die man aus dem Ausland mitbekommt, wohl auch berechtigt.


    Fazit:
    Ich habe Donna Leon eine zweite Chance gegeben, weil ich dachte, dass ich heute vielleicht mehr mit ihren Büchern anfangen kann. Sieht nicht so aus, drum wirds ziemlich sicher keine dritte geben.


    6 von 10 Punkten


    :winken:


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.


  • Die Auflösung des Falles habe ich leider nicht ganz verstanden, irgendwie ging es plötzlich zu schnell und zudem gab es zu wenig Fakten und zu viele Andeutungen, um jetzt wirklich sagen zu können, es seien alle Fragen geklärt. Schade, aber letztlich wars mir dann aufgrund der oben genannten Kritikpunkte irgendwie auch egal. Die eher enttäuschende Auflösung passt irgendwie ins Bild, das ich von diesem Krimi habe.


    Ich weiß jetzt nicht ob ich schon 2 oder doch 3 Bücher von ihr gelesen habe, auf jeden Fall waren es keine neueren Fälle, aber mir ist es bei mindestens einem Buch so gegangen, dass ich die Auflösung nicht kapiert habe bzw. das ganze Ende nicht verstanden habe. Eben weil irgendwie auf einmal aus dem Nichts die Auflösung da war und der Fall war zu Ende. Ich dachte, das hätte an mir gelegen. :rollen:

    Das Leben besteht aus vielen kleinen Münzen, und wer sie aufzuheben versteht, hat ein Vermögen.<br />Jean Anouilh

  • Ich glaube, dies war mein siebter oder achter Fall, den ich mit Brunetti erlebe und erst dieses Mal hat mich einiges gestört.
    Dass Donna Leon sozialkritische Bücher schreibt, ist klar, aber dieses Buch fand ich zu überspitzt: es klingt, als würde jede Behörde in Italien machen, was sie wollen, alle sond ausländerfeindlich und niemand interessiert sich dafür, was andere tun.
    Zudem fand ich es erschreckend, wie Mutter und Tochter im Hause Brunetti miteinander umgehen und dass der Vater beide gewähren lässt und nur darauf verweist, dass er gerne in Frieden essen würde, obwohl er bemerkt hat, wie es den beiden geht.


    Darüber hinaus fand ich es dieses Mal auch zu störend, fast jede Mahlzeit mitzubekommen und die Diskussionen darüber, was Paola wann in welcher Menge kocht. Man dürfte meinen, dass Brunetti, wo er sich doch so sehr in die Auflösung des Falls gestürzt hat, andere Sorgen hat.
    Umso überraschender kam die Auflösung. Wenige Seiten vor Ende der Geschichte werden so viele Details aufgedeckt und alles kommt zusammen, sodass ich am Ende nur kopfschüttelnd dachte, dass das alles etwas übertrieben wurde und eine einfachere und weniger dramatische Lösung besser gewesen wäre.


    Trotz aller Kritik mag ich Brunetti sehr gerne und ich finde, dass er seine Arbeit mit der richtigen Mischung aus Herz und Verstand meistert.


    2ratten