Leo Tolstoi - Krieg und Frieden (Buch 2 - Teil 3)

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 4.100 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Dietrich.

  • Allmählich machen sich bei mir Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Könnte sich Tolstoi nicht etwas kürzer fassen? Oder vielleicht auf einige Parallelhandlungen verzichten? Das Buch fesselt mich leider nicht mehr so sehr wie am Anfang. Allmählich habe ich den Eindruck, dass ich einen umfassenden Eindruck der feinen russischen Gesellschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts bekommen habe, und dass wenig Neues kommt. Die Personen an sich fesseln mich ja weniger wie die Beschreibung der damaligen Verhältnisse.


    Aber immerhin wird am Rande von einer liberalen Staatsreform geredet, für die sich der engste Berater des Zaren, Speranski, einsetzt, und der auch Andrej in diese Arbeit verwickelt. Eigentlich müsste ich mich da etwas kundiger machen.


    Andrej jedenfalls stürzt sich Hals über Kopf in diese Arbeit, bis er nach einem Treffen mit Natascha das Interesse daran verliert. In Kap. 18 sieht er Speranski ernüchtert als Mensch, nicht mehr als Idealfigur. Diese Ernüchterung ließ mich auf seine Reaktion nach der Hochzeit mit Lise denken. Anfangs sah er wohl seine Frau auch in einem verklärten Licht, und war anschließend enttäuscht, als er feststellten musste, dass auch Lise nur eine gewöhnliche Frau ist. Hoffentlich geht ihm das mit Natascha nicht ähnlich.


    Natascha wird mir immer sympathischer. Sie zeigt weiterhin eine jugendliche Ehrlichkeit, die sich wohltuend von der heuchlerischen Gesellschaft abhebt. Die Frage ist nur, wie lange sie sich diese Eigenschaft bewahren kann.
    Sehr gut gefällt mir auch weiterhin das Verhältnis zwishcen ihr und ihrer Mutter, wo sich echte Zuneigung und Vertrautheit zeigt. Sie bilden einen angenehmen Kontrast zu Marja und ihrem Vater, der immer unerträglicher wird, und sie jetzt auch bewusst quält. Arme Frau!


    Kap. 19:
    Schon öfter wurden einzelne deutsche Ausdrücke verwendet, die ich mir leider nicht rausgeschrieben habe. Hier denkt Berg von Vera, sie
    ...inte kunde fatta hela betydelsen ein Mann zu sein.
    (sie könnte nicht wirklich verstehen, was es bedeute, ein Mann zu sein). Solche Germanismen faszinieren mich immer wieder.
    Ist in euren Ausgaben irgendwie gekennzeichnet, dass der Ausdruck im Original auf deutsch da steht?


    Kap. 26:
    Ogottogott, der alte Bolkonski denkt doch nicht wirklich darüber nach, Madam Bourienne zu heiraten, und sie seiner Tochter als Schwiegermutter vor die Nase zu setzen? :entsetzt: Das wäre ja grauenhaft für Marja. Sie muss da weg! Vielleicht nimmt Andrej sie ja nach seiner Eheschließung mitsamt seinem Sohn zu sich; ich hoffe das wirklich.


    Für Pierre geht es wie vermutet schlecht weiter. Er bekommt keine Unterstützung von den Freimaurern, weder persönlich in Form eines Vorbildes und Mentors, noch politisch. Seine umstürzlerischen Pläne stoßen auf erbitterten Widerstand und dementsprechend gibt er seine diesbezügliche Arbeit auf.
    Leider lässt er sich jetzt doch wieder zu einer Versöhnung mit seiner Frau überreden, aber schon bald bekommt er wieder ein schlechtes Gefühl - vermutlich nicht unbegründet. Pierre tut mir einerseits leid, andererseits hat er sich aber sein Elend auch selbst zuzuschreiben. er ist einfach ein zu schwacher Mensch.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Bis Kapitel 12


    Ich finde dieses Buch jetzt eigentlich eher interessant. Ich finde es furchtbar wie oberflächlich damals die obere Gesellschaftsschicht war. Man brüstet sich wie Berg damit, daß man sich nicht aus finanziellen Gründen verheiratet, aber wenn es darum geht, daß keine Mitgift gezahlt wird, dann spricht er auf einmal davon die Verlobung zu lösen. Es ist ja nicht so, daß dieses ganze Sippschaft am Existenzminium lebt. Genauso Boris. Er findet zwar Natascha nach wie vor attraktiv und anziehend, aber trotzdem kommt sie für ihn nicht in Frage, da er ja die besten Chancen hat, eine sehr reiche Frau aus guten Kreisen zu heiraten. Die haben doch alle genug Geld um unbesorgt zu leben. Sie haben sogar wesentlich mehr, als sie brauchen, denn sie leben immer noch im Luxus. Wenn das Geld schwindet, dann sollte man sich vielleicht einmal Gedanken machen um die größe und Anzahl der Feste. Was nutzt es dort zu protzen, wenn auf Grund dessen irgendwann nichts mehr hat um zwei Leute zum Abendessen einzuladen. :vogelzeigen: Ich finde die ganze Gesellschaft extrem falsch und oberflächlich. Eigentlich können sie einem Leid tun, weil sie nicht wissen, wie es ist einen Menschen zu heiraten, den man von ganzem Herzen liebt und den man so liebt, daß einem Mitgift egal ist, Hauptsache, man ist mit dem geliebten Menschen zusammen.
    Pierre findet den Weg nicht mehr zu sich selbst und ich habe mit meiner Befürchtung, was die Freimaurer angeht, gar nicht so daneben gelegen. Es ist ja schön und gut, wenn man versucht, ein moralisch und ethisch guter Mensch zu sein, aber wenn man aufhört man selbst zu sein und tag täglich sich hinter einer Maske versteckt, die nichts gemein hat mit dem Mensch, der man mal war, dann kann das nicht gut gehen.
    Man kann nicht Dinge tun, nur weil man denkt es ist gut und andere sind mit einem zufrieden, man muß auch hinter seinen Taten stehen und das tut Pierre nicht. Jetzt ist er wieder mit Elena zusammen. Das war nicht sein Wunsch und er hätte dieses Weib besser da gelassen wo sie war. Was soll das denn. Diese Ehe ist doch eine Farce. Diese permanente Doppelmoral geht mir ziemlich auf den Zeiger.
    Momentan ist Andrej so ziemlich der einzige, der einigermaßen sympathisch ist, aber wie man bei Tolstoi mittlerweile sieht kann sich das minütlich ändern. :breitgrins:
    Die Frauen tun mir leid. weil sie nur Mittel zum Zweck sind und ich bis noch nicht den Eindruck hatte, daß eine wirklich aus tiefstem Herzen geliebt wird. Vielleicht bin ich einfach zu romantisch, aber ich möchte in der Gesellschaft nicht gelebt haben.
    Ich werde jetzt noch diesen Teil zu Ende lesen und dann wieder mit "Middlesex" weitermachen. Ich glaube auch, daß ich für dieses Buch etwas länger brauche, denn ich kann es nicht in einem durchlesen. Ich brauche zwischendurch immer Mal wieder etwas nichtklassisches zum entspannen und wohlfühlen. :zwinker:


    Viele Grüße Tina

  • Hallo,


    Kapitel 20
    Diese Stelle fand ich witzig:
    "Berg schloß von seiner Frau auf alle anderen Frauen; er hielt alle Frauen für schwach und dumm. Wera schloß von ihrem Mann auf alle anderen Männer und vertrat die Ansicht,m daß die Männer nur sich für klug halten, dabei aber nichts verstehen und stolze Egoisten sind.
    Herrlich diese kommunikative Diskrepanz zwischen Männlein und Weiblein. Da sieht man's mal wieder. Eigentlich passen Mann und Frau gar nicht zusammen. :breitgrins:
    Für Andrej freue ich mich, daß er sichin Natascha verliebt hat und diese anscheinend die Liebe erwiedert. Wäre ja mal schön, wenn zwei wirklich aus Liebe heiraten.
    Pierre tut mir immer mehr leid.


    Bis dahin soweit alles gut, aber.... :grmpf:
    Bei Kapitel 22 hört mein zweites Buch auf. Es gibt auch keinen Teil 4 oder 5 sondern es geht mit dem dritten Buch weiter. Muß ich das jetzt verstehen? Nirgends steht in meiner Ausgabe etwas von gekürzt oder ähnlichem. Nach der Seitenzahl kann man ja auch nicht unbedingt gehen, denn es kommt immer darauf an, wie klein und dicht beschrieben die Seiten sind, inklusive Randabstand, kann das bei so einem dicken Buch bestimmt einige oder sogar viele Seiten ausmachen.
    Fehlt den bei noch jemandem ein oder mehrere Kapitel?
    Ich werde am Wochenende Mal bei meiner Mama ins Buch linsen, ob da mehr drin steht, und wenn ja, dann werde ich einfach dieses weiterlesen.
    Solange mache ich dan mal eine Pause, denn ich fände es blöde, wenn mir die Hälfte fehlt. Gerade jetzt, wo mich das Buch anfängt wirklich zu beigeistern.

  • Mir gefällt Krieg und Frieden nach wie vor sehr gut, da Tolstoi neben seiner Story auch viel über die damalige Gesellschaft und das Leben erzählt und ich mich auch für Geschichte interessiere. Ich finde, Tolstois Buch ist eigentlich kein richtiger Roman, sondern eher eine Aneinanderreihung von Erzählungen (um die Adelsfamilien Bolkonski, Rostow und Besuchow). Das Buch hat kein erkennbares Ziel - ganz anders als etwa "Otherland" oder "Der Graf von Monte Christo".


    Kapitel 1: Ja, da schau an. Andrei führt die Ideen Pierres auf seinen eigenen Gütern aus. Das hätte ich nicht erwartet, nachdem er Pierres Absichten doch recht abschätzig burteilt hat. Schöner Zug von ihm!
    Kapitel 4: Interessant, ich wusste gar nicht, das schon zu Napoleons Zeiten erste liberale Reformen in Russland geplant waren. Lesen bildet eben! :breitgrins:
    Kapitel 5: Diese Stelle hier finde ich ja köstlich:

    Zitat

    "Ich frage Sie, Graf, wer kann denn überhaupt noch Vorsitzender einer Behörde werden, wenn alle erst ein Examen machen müssen?" "Die, welche das Examen bestehen, denke ich"


    Also, dass man das überhaupt diskutieren kann. Obwohl; auch heute werden sicher wichtige Stellen in der Verwaltung nicht nach Eignung, sondern eher nach Parteibuch vergeben :rollen:
    Kapitel 7: In meinem Kommentar steht, dass mit Pierres "gefährlichen, aufklärerischen Absichten" gemeint ist, dass die anderen Freimaurer den Verdacht haben, Pierre sei Anhänger der Illuminaten. Nach Wikipedia zu urteilen kommen die Ziele der Illuminaten denen Pierres auch ziemlich nahe.


    Herrlich diese kommunikative Diskrepanz zwischen Männlein und Weiblein. Da sieht man's mal wieder. Eigentlich passen Mann und Frau gar nicht zusammen.


    Im Gegenteil, Berg und Vera passen sehr gut zusammen: Sie halten sich einander gegenseitig überlegen, fallen sich ständig ins Wort und sind beide mit ihrer perfekt inszenierten Abendgesellschaft zufrieden :zwinker:. Köstlich, diese beiden Kapitel!


    Zitat von "tina"

    Bei Kapitel 22 hört mein zweites Buch auf. Es gibt auch keinen Teil 4 oder 5 sondern es geht mit dem dritten Buch weiter. ... Nirgends steht in meiner Ausgabe etwas von gekürzt oder ähnlichem.


    Tja, da habe ich auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Klassiker kaufe ich inzwischen nicht mehr, ohne sie kurz angelesen und darin geblättert zu haben. Wie sandhofer mal schrieb, sollten die Verlage wenigstens die Anzahl der Wörter veröffentlichen, damit man solch drastischen Kürzungen sofort erkennen kann! Von Krieg und Frieden gibt es übrigens zwei verschiedene Ausgaben, eine von 1869 und eine von Tolstoi selbst gekürzte von 1873!


    Zitat von "Saltanah"

    Ist in euren Ausgaben irgendwie gekennzeichnet, dass der Ausdruck im Original auf deutsch da steht?


    Nein, bisher tauchten bei mir nur einzelne französische Sätze oder Wörter auf.


    In diesem Teil wird wieder deutlich, dass Pierre und Andrei Gemeinsamkeiten haben: Beide sind nahezu verzweifelt auf der Suche nach dem Sinn oder Ziel ihres Lebens. Während Pierre zwar Ideen hat bzw. bekommt, aber unfähig ist, diese auch umzusetzen, entdeckt Andrei immerzu neues, das ihn aber nach einiger Zeit nicht mehr fesseln kann: Erst seine Frau Lisa, dann das Militär und nun die Arbeit an liberalen Reformen. Mit Natascha wird es nach Marjas Meinung wohl auch nicht gut ausgehen :rollen:

    [size=9px]Paul ist 24 Jahre alt. Er ist doppelt so alt, wie Thomas war, als Paul so alt war, wie Thomas heute ist. Wie alt ist Thomas ?[/size]


  • Kapitel 5: Diese Stelle hier finde ich ja köstlich:


    Also, dass man das überhaupt diskutieren kann. Obwohl; auch heute werden sicher wichtige Stellen in der Verwaltung nicht nach Eignung, sondern eher nach Parteibuch vergeben :rollen:


    Das war ja nicht nur in der Verwaltung sondern auch bei der Armee so. Die einzige "Qualifikation", die junge Offiziere wie z. B. Nikolai (und später ein noch jüngeres Jüngelchen) aufweisen konnten, war wohl, dass sie aus "guter Familie" stammten, die ihnen eine offiziersmäßige Ausstattung (Uniform, Pferd, Geld zum verschleudern etc.) spendieren konnte. Wer das entsprechende Geld nicht hatte, wurde gemeiner Soldat; wobei ich jetzt nicht weiß, wie es mit den Söhnen reicher, nichtadliger Familien stand (oder ob es solche im damaligen Russland überhaupt gab).



    Nein, bisher tauchten bei mir nur einzelne französische Sätze oder Wörter auf.


    Ich habe eben noch mal in dem englischen Internettext nachgeguckt, und auch da steht der Ausdruck im 19. Kap. auf deutsch:
    Berg smiled with a sense of his superiority over a weak woman, and paused, reflecting that this dear wife of his was after all but a weak woman who could not understand all that constitutes a man's dignity, what it was ein Mann zu sein.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Zitat von "Saltanah"

    Das war ja nicht nur in der Verwaltung sondern auch bei der Armee so....


    Klar, auch beim Militär war das so. Die Befehlshaber sind ja alle irgendwelche Fürsten. Wenn die Adligen normale Soldaten wären, könnten sie ja im Krieg ganz schnell sterben - und dann wäre Russland womöglich ohne Adel und Regierung. Sowas geht natürlich nicht! Ich kann schon ganz gut in den damaligen Verhältnissen denken, nicht wahr? :zwinker:


    Eigentlich ist mein Kommentar zu dem Zitat gar nicht angebracht, denn schließlich waren die Adelsprivilegien damals ja etwas völlig normales - nur aus heutiger Sicht eben nicht. Und wer weiß, vielleicht habe unsere Nachfahren in 200 Jahren ein echte Demo-Kratie, in der (wichtige) Gesetze per Volksabstimmung und nicht vom Parlament beschlossen werden. Dann würden sie auf unsere heutige "Parlamentokratie" zurückblicken und sich erstaunt fragen, wieso wir so etwas Wichtiges wie die Gesetzgebung ganz den Politikern überlassen. :zwinker:

    [size=9px]Paul ist 24 Jahre alt. Er ist doppelt so alt, wie Thomas war, als Paul so alt war, wie Thomas heute ist. Wie alt ist Thomas ?[/size]