Alan Hollinghurst - The Line of Beauty (Die Schönheitslinie)

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 3.690 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Mein SLW-Buch Nr. 3 in diesem Jahr und ein hartes Stück Arbeit...


    Im Mittelpunkt steht Nick Guest, zu Beginn des Buches (1983) 21 Jahre alt und gerade als Untermieter bei seinem Collegefreund Toby in einer noblen Londoner Gegend eingezogen. Tobys Vater ist der konservative Parlamentsabgeordnete Gerald Fedden, der in der Politik nach Höherem strebt und stets bemüht ist, sein Netzwerk in Politik und Society auszubauen. Sorgenkind der Familie ist Tobys Schwester Catherine, manisch-depressiv und anfällig für Selbstverletzung.


    Für Nick, der aus einem Provinzstädtchen in Gerald Feddens Wahlkreis stammt, eröffnet sich eine völlig neue Welt, die Welt der Oberschichtparties, der Beziehungen und natürlich der konservativen Partei - Feddens größter Traum ist es, einmal die Premierministerin, die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher, auf einer Party zu treffen.


    Und er verliebt sich zum ersten Mal richtig, in den dunkelhäutigen Leo, den er via Kontaktanzeige kennengelernt hat. Zuvor hat sich Nick nie wirklich getraut, seine Homosexualität auszuleben.


    Später entspinnt sich ein Verhältnis mit Antoine "Wani" Ouradi, dem Sohn eines steinreichen Supermarkttycoons, der ursprünglich aus dem Libanon stammt. Um den Schein zu wahren, ist Wani seit Jahren mit einer Frau verlobt, gibt sich aber im (vielleicht gar nicht so sehr) Verborgenen seinen wahren Leidenschaften hin: Sex mit Männern und Kokain.


    Als Porträt der Thatcher-Ära ist das Buch sicherlich gelungen, und mit Nick, dem Ästheten, der sich teils verblüfft staunend, teils begeistert und bereitwillig auf die High Society einlässt, konnte ich mich zumindest streckenweise identifizieren, aber irgendwie fehlte mir anscheinend viel Hintergrundwissen. Das Buch ist als Satire gedacht, sagt zumindest der Klappentext. Das hätte ich von selbst nicht erkannt - mir schien, dass der Autor vieles einfach voraussetzt, was ich über 20 Jahre später und als Nicht-Engländerin nicht wissen kann.


    Es wird viel gepoppt, gekokst, gesoffen und gefeiert und zwischendurch ein bisschen Politik betrieben. AIDS spielt eine Rolle, es geht um Sein und Schein und allgemein um den Zeitgeist. Am Ende laufen die Handlungsfäden in einem großen Knall zusammen, der Schluss war auch wieder gelungen - aber irgendwie war ich in dem Buch nie richtig drin. Zahlreiche Anspielungen habe ich nicht verstanden, manche Dialoge gaben für mich kaum vernünftigen Sinn, und ich musste mich teilweise wirklich zwingen, das Buch weiterzulesen.


    Ein bisschen entschädigt haben mich ein paar scharfsichtige Beobachtungen am Rande, die auch sehr schön formuliert waren, doch ich kann nicht sagen, dass ich die Lektüre genossen habe.


    2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo Valentine,


    eine wirklich sehr gelungene Rezension! Ich kann unter fast alles meinen Stempel setzen, bis auf die abschließende Einschätzung: Ich habe das Buch mit ziemlichem Genuss gelesen. Aber ich bin wahrscheinlich auch die entscheidenden paar Jährchen älter als Du, so dass ich die 80er noch in ihrer vollen Pracht miterlebt habe, das Aufkommen von AIDS und natürlich die Ära Thatcher. Es ist wahrscheinlich wirklich nicht ganz einfach, den Roman ohne eine wenigstens halbwegs vorhandene Kenntnis dieser Zeit vollkommen zu durchdringen (ich würde übrigens auch von mir nicht behaupten, dass mir das gelungen ist).


    Was ich als zentralen Strang der Handlung verstehen würde, der nicht so radikal zeitgebunden ist, ist die von Dir ebenfalls angesprochene Thematisierung von Klassenunterschieden, die Differenz zwischen der Welt des Geldes und der Macht, sowie der Welt des Mittelstandes, zwischen denen zwar durchaus eine gewisse Durchlässigkeit besteht (was wir hier lesen, bildet ja keine feudale, stratifizierte Gesellschaft mehr ab), die aber ihrerseits nur nach ganz bestimmten Regeln funktioniert. Diese Beobachtungen waren nach meinem Dafürhalten ganz unabhängig von dem historischen Hintergrund verständlich und wirklich brillant geschrieben.


    Die Figur des Wani Ouradi fand ich verstörend und faszinierend zugleich, sehr flach, auf eine fast unerträgliche Weise passiv, auf eine völlig desillusionierende Weise unglücklich. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich mir hier mehr Einsicht in sein Innenleben gewünscht hätte oder ob hinter dieser makellosen Oberfläche ohne kommunizierbares (?) Innenleben ein ästhetisches Konzept steht.


    Insgesamt jedenfalls ein wirklich tolles Buch!


    Herzlich: Bartlebooth.


  • eine wirklich sehr gelungene Rezension! Ich kann unter fast alles meinen Stempel setzen, bis auf die abschließende Einschätzung: Ich habe das Buch mit ziemlichem Genuss gelesen. Aber ich bin wahrscheinlich auch die entscheidenden paar Jährchen älter als Du, so dass ich die 80er noch in ihrer vollen Pracht miterlebt habe, das Aufkommen von AIDS und natürlich die Ära Thatcher. Es ist wahrscheinlich wirklich nicht ganz einfach, den Roman ohne eine wenigstens halbwegs vorhandene Kenntnis dieser Zeit vollkommen zu durchdringen (ich würde übrigens auch von mir nicht behaupten, dass mir das gelungen ist).


    Danke für das Kompliment ... und ich bin Jahrgang 79 und deshalb definitiv ein bisschen zu jung, um mich an die Hintergründe wirklich erinnern zu können.


    Zitat

    Was ich als zentralen Strang der Handlung verstehen würde, der nicht so radikal zeitgebunden ist, ist die von Dir ebenfalls angesprochene Thematisierung von Klassenunterschieden, die Differenz zwischen der Welt des Geldes und der Macht, sowie der Welt des Mittelstandes, zwischen denen zwar durchaus eine gewisse Durchlässigkeit besteht (was wir hier lesen, bildet ja keine feudale, stratifizierte Gesellschaft mehr ab), die aber ihrerseits nur nach ganz bestimmten Regeln funktioniert. Diese Beobachtungen waren nach meinem Dafürhalten ganz unabhängig von dem historischen Hintergrund verständlich und wirklich brillant geschrieben.


    Das waren auch die Passagen, die mich am meisten angesprochen haben (weil ich sie wenigstens kapiert habe ;) )


    Zitat

    Die Figur des Wani Ouradi fand ich verstörend und faszinierend zugleich, sehr flach, auf eine fast unerträgliche Weise passiv, auf eine völlig desillusionierende Weise unglücklich. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich mir hier mehr Einsicht in sein Innenleben gewünscht hätte oder ob hinter dieser makellosen Oberfläche ohne kommunizierbares (?) Innenleben ein ästhetisches Konzept steht.


    Gut ausgedrückt! Ich fand Wani nicht einmal unsympathisch, aber merkwürdig konturlos und sprunghaft.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich bin neulich in der Buchhandlung auf "Die Schönheitslinie" gestoßen und musste das Buch sofort haben, da die 80er Jahre genau meine Zeit waren und ich noch dazu absoluter Englandfan bin. Leider habe ich mich daher nicht informiert, ob ich nicht besser die englischsprachige Ausgabe hätte kaufen sollen (die Buchhandlung hatte nur die Übersetzung da). Nun überlege ich, ob ich mir nicht das englische bestellen und das deutsche verschenken soll. Habe aus Zeitmangel mittlerweile auch ein Problem mit sehr dicken Büchern, aber in der Übersetzung soll wohl sehr viel verloren gehen. Was meint Ihr?

    &quot;Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler&quot; (Philippe Dijan)<br /><br />[url=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/11612.0.html]Mein SUB[/url

  • Grundsätzlich bin ich ein Verfechter des Originale-Lesens und habe bei der "Leselust" ein, zwei Kracher aus der Übersetzung gelesen, die wirklich grausig waren und nicht gerade für dieselbe sprechen.


    Allerdings ist die Sprache im Original auch ganz schön anspruchsvoll. Ich bin mittlerweile im Englischlesen schon recht geübt, aber es gab Passagen, da kam ich echt nicht mehr mit. Das kann aber auch am Thema gelegen haben oder daran, dass es sich um Anspielungen handelte, die ich nicht erkennen konnte.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo Fandorina,


    ich lese englische Bücher eigentlich immer auf Englisch und französische auf Französisch. Mit Übersetzungen aus diesen Sprachen habe ich daher keine aktuellen Erfahrungen mehr, kann also zu einem Vergleich nichts sagen. Ich fand "The Line of Beauty" im englischen Original sicherlich nicht ganz anspruchslos, aber durchaus verständlich. Und sooo dick ist es ja nun auch nicht :-). Wenn Du Dich also einigermaßen sicher im Englischen fühlst, würde ich vom Original nicht vehement abraten. Das tue ich bisher eigentlich überhaupt nur bei Thomas Pynchon ;-).


    Herzlich: Bartlebooth.

  • Danke für die raschen Antworten! Bin im Lesen von englischen Originaltexten eigentlich recht geübt. Und nach der Lektüre von Nick Caves Roman "And the Ass Saw the Angel", in welchem viele Wörter gleich vom Autor selbst erfunden waren, kann mich eh nicht mehr viel erschüttern. Habe halt eben durch einige Meinungen bei Amazon und so den Eindruck gewonnen, dass ich mich mit der übersetzten Fassung um das halbe Lesevergnügen bringen könnte.
    @ Valentine: Hast Du mal ein Beispiel zu so einer missglückten Übersetzung? Steige bei der Leselust nicht so recht durch.

    &quot;Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler&quot; (Philippe Dijan)<br /><br />[url=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/11612.0.html]Mein SUB[/url

  • Valentine: Danke! Na, mal schauen, wie ich mich entscheide. Wie ich mich kenne, bleibt die Übersetzung nach all der Kritik an der selbigen wie Blei im Regal liegen und das wäre doch zu schade.

    &quot;Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler&quot; (Philippe Dijan)<br /><br />[url=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/11612.0.html]Mein SUB[/url

  • Meine Meinung
    Bei mir hat The line of beauty einen eher durchwachsenen eindruck hinterlassen. Den ersten Teil der Geschichte fand ich sehr gut. Ich konnte mir Nick mit seinen Ängsten und Sehnsüchten sehr gut vorstellen. Die feine Londoner Gesellschaft dagegen hat mich ein wenig gelangweilt, weil ich sie sehr oberflächlich fand. Trotzdem fand ich auch diesem Teil sehr gut erzählt. Später wurde die Geschichte weniger interessant. Es kam mir so vor, als ob sich Nick für immer weniger interessieren würde, je älter er wurde. Vielleicht lag das aber auch an Wani, der wirklich kaum andere Interessen außer Sex und Koks hatte. Streckenweise habe ich mich gelangweilt, aber der Schluß hat mich wieder mit dem Buch versöhnt.
    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich habe mir gerade meine alte Rezi noch mal durchgelesen und festgestellt, dass ich außer an dieses Quälgefühl kaum Erinnerungen an das Buch habe :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Mir wird es ein bisschen besser gehen: ich habe das Buch im Urlaub gelesen und werde die beiden immer miteinander verbinden :zwinker:

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.