Am Anfang steht die Trennung. Ella hat die Nase voll von ihrem Mann Amnon, der ihr mit seiner herrischen Art nur noch auf die Nerven geht, und verkündet, dass sie sich von ihm trennen will.
Als Amnon ausgezogen ist, gerät Ella plötzlich ins Zweifeln. War die Entscheidung richtig? Durfte sie dieses Trauma dem gemeinsamen Sohn, dem sechsjährigen Gili, zumuten? Soll sie nicht doch lieber zu Amnon zurückkehren?
Auf einer Schabbatfeier von Gilis Klasse hatte sie Oded zum ersten Mal gesehen, den Mann von Michal, den Vater von Gilis Freund Jotam. Er geht ihr nicht mehr aus dem Kopf, doch sie weiß ja, dass er verheiratet ist.
Eines Tages stellt sich heraus, dass auch Oded und Michal getrennte Wege gehen werden...
Zeruya Shalev ist wie kein/e andere/r mir bekannte Autor/in Meisterin darin, das Seelenleben ihrer Protagonisten förmlich bloßzulegen, zu sezieren, "Seelenarchäologie" zu betreiben, wie es creative so schön in der Leserunde genannt hat. Man ist am Geschehen, an den Gedanken und Gefühlen der Hauptfigur Ella so nahe dran, dass es schon beinahe wehtut, vor allem, wenn man die eine oder andere Parallele zum eigenen Leben entdeckt oder sich fragt, wie man an ihrer Stelle reagiert oder gehandelt hätte.
Der schmerzhafte Prozess der Trennung, der Umgang mit Gili, der nicht mehr der liebe, süße kleine Junge ist, sondern sich plötzlich zornig und bockig aufführt, die widerstreitenden Gefühle einer neuen Liebe und schließlich der dornige Weg zu einer neuen, "späten" Familie, zu diesem Phänomen der heutigen Zeit, der Patchworkfamilie - das alles erleben wir hautnah durch Ellas "Brille". Die Ich-Erzählung im Präsens, die langen, fast gehetzten Sätze ohne Anführungszeichen reißen den Leser in einen Strudel aus Emotionen, dem man sich kaum entziehen kann.
Beim Lesen schwankte ich ständig zwischen Bedauern, Verständnis, Wut und Genervtheit über Ella. Keine Figur ist durchweg sympathisch oder unsympathisch, schwarz oder weiß, wir erleben die Beteiligten schonungslos so, wie sie sind, in guten wie in schlechten Tagen.
Ein Jahreshighlight, nicht zuletzt aufgrund einer wunderbaren Leserunde, die mir vielleicht noch ein paar zusätzliche Facetten erschlossen hat.