Michael Frayn - Das Spionagespiel

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 3.908 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Da bei Amroni und mir zufällig das obige Buch gleichzeitig an der Reihe war, haben wir uns zu einer kurzfristig anberaumten Mini-Leserunde entschlossen.
    Und damit der Rest des Forums auch was davon hat :zwinker: haben wir entschieden uns ganz brav in eigenem Leserundethread zu unseren Eindrücken zu äussern.



    Vorab mal den Klappentext:


    Mitten im Krieg spielen zwei Kinder Krieg - das einzige Grundstück, das in dem stillen Villenvorort von einer Bombe getroffen wurde, bietet Keith und Stephen ein ideales Versteck. Von hier aus versuchen sie, die trügerische Ordnung der bürgerlichen Welt zu entlarven: im harmlosen Nachbarn erkennen sie einen vielfachen Mörder, der Boden unter ihren Füssen, davon sind sie überzeugt, wimmelt von Geheimgängen, und finstere Gestalten gehen ein und aus in einem Haus, das auch bei Tag immer verdunkelt bleibt. Und dann stellt Keith fest, daß seine Mutter eine deutsche Spionin ist. Die beiden Jungen beschatten sie von nun an auf Schritt und Tritt, aber während Keith ganz in seinen kindlich-pubertären Phantasievorstellungen verstrickt bleibt, merkt der schüchterne Stephen, daß sie mit ihrem Detektivspiel Dinge in Gang gesetzt haben, die nach einer Weile ausser Kontrolle geraten und eine unheimliche Eigendynamik entwickeln. Keith' schöne, kultivierte, immer so beherrschte Mutter hat nämlich tatsächlich etwas zu verbergen, und Stephen, verängstigt, hilflos, isoliert, ahnt zwar, was es ein könnte, und tut doch mit schrecklicher Unausweichlichkeit immer wieder das Falsche.

  • Huhu illy :winken:


    da bin ich also.


    Ich habe jetzt die ersten drei Kapitel gelesen und hatte am Anfang bissel mit dem Stil zu kämpfen. Aber ich denke jetzt hab ichs. :zwinker:


    Bissel eigenartig "fühlt" sich für mich an, dass Stephen alles was Keith tut oder vorschlägt so völlig wertungsfrei übernimmt. Ist aber der höheren sozialen Stellung geschuldet, ich weiß :zwinker:


    Anderseits ist er halt ein typischer Junge. Durch die Gegend streifen und sich vorstellen, vor den anderen mit der Entdeckung anzugeben oder besser doch nicht und sich insgeheim erhaben fühlen....könnte meiner sein *gg* auch wenn er noch nicht so groß ist.

    Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie. <br />(Wilhelm Busch)

  • So, ich bin dann auch durch die ersten 3 Kapitel durch, Zeit für einen Zwischenbericht.


    Zunächst mal finde ich Stephens Familie viel normaler und sympathischer als Keith Eltern, die mir ziemlich kalt scheinen. Das zeigt sich ja wohl auch an den Eintragungen im Kalender. 3mal Sex in ca. einem halben Jahr ist nicht sonderlich viel :zwinker: (Ich deute die Eintragungen einfach mal so)
    Ich hatte gerade die Idee, daß Stephens Vater wirklich beim Geheimdienst o.ä. ist (einfach nur weil er häufig abwesend ist und es eine nette Idee fürs Buch wäre, keine besonderen Hinweise darauf)


    dass Stephen Keith so gehorcht finde ich nicht so unnormal, es ist, glaub ich, häufig so, daß von Freunden einer der ist, der immer die Initiative ergreift, während der andere (zumindest bis zu einem gewissen Punkt) eher "folgt". Das Keith der Anführer ist ist sicher auch in seinem höheren Selbstbewusstsein (weil reicher, bessere Schule etc.) begründet


    Jedenfalls gefällt mir das Buch sehr gut bislang, erinnert mich etwas an Abbitte von Ian McEwan
    LG
    illy

  • Ja, kalt kommen mir Keith´Eltern auch vor, vor allem der Vater. Und dass sie Stephen praktisch nie ansehen oder direkt ansprechen ist schon abgehoben. Snobs.


    Ja, die Ausrufezeichen könnten sich durchaus auf Sex beziehen, denn die Bedeutung der Kreuze ist ja schon ziemlich eindeutig (nur halt nicht für grüne Jungs *gg*)


    Stephen bringt die Idee ja selbst ein, weil ihm das Spiel anfängt langweilig zu werden, aber ziemlich schnell wird klar, wie "willkommen" seine Ideen sind.


    Bin jetzt am Ende von Kap. 4.


    Ich bin ja gespannt, wie die Mutter das bewerkstelligt hat, so schnell wieder an der eigentlichen Haustür aufzutauchen. Das ist ja schon fast bissel unheimlich. Und es gab nun auch schon die ersten Anzeichen, dass sie beunruhigt ist.


    Langsam wirds spannend.

    Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie. <br />(Wilhelm Busch)

  • So bis Ende Kapitel 5, Zeit für ein paar Zwischenbemerkungen:


    Stephens Familie ist also scheinbar jüdisch, nur er selber weiss es nicht, ich bin neugierig ob das noch Auswirkungen hat, oder nur zur weiteren mmh Verwirrung dient.


    Dass Keith' Mutter ins Versteck der beiden kraucht und Stephen so unter Druck setzt finde ich schon ein starkes Stück. Es stimmt was Stephen sagt, Eltern halten fremden Kindern normalerweise keine Moralpredigten, das ist eine reichlich verdächtige Sache.


    Die Frage ist jetzt nur, ob es ihr Liebhaber ist, oder der von Tante Dee, mit dem sie Nachrichten austauscht, und ob das eine Person ist, die schon aufgetaucht ist.


    Es bleibt jedenfalls spannend.


    Sag mal hast du eigentlich einen Anhaltspunkt wie alt Stephen und Keith sind? Ich tippe mal auf 10 Jahre, aber genaueres steht nirgends, oder hab ich das überlesen?

  • So, gerade Kapitel 7 beendet.


    Keith Vater ist als Vater soeben total bei mir unten durch, während seine Mutter mir fast schon leid tut, ich würde sie gerne mal durchschütteln, damit sie sich zusammenreisst und nicht so ein verschüchtertes Mäuschen ihrem Mann gegenüber ist.


    Da ich die "deutsche Spione-Theorie" ja nicht glaube, vermute ich mal dass sie einen Deserteur versteckt bzw. unterstützt und ihm neue Kleidung besorgt. Könnte es Peter (der Mann von Tante Dee) sein? das würde erklären, warum Dee mit dadrin verstrickt ist


    LG
    illy

  • Hi illy!


    Da ich mich heute mal wieder heftig ablenken musste, hab ich gerade das Buch ausgelesen.


    Nun könnte ich dir ja auf deine Vermutung antworten, werde mich aber hüten.


    Anfangs hat mich das Buch ja nicht so doll mitgerissen, aber am Ende hat es doch noch Schwung gekriegt.


    Nur so viel, Stephen tut mir so unendlich leid, ich denke auch, dass er nicht älter als zehn oder elf sein kann. Anders kommts dann mit den Erklärungen am Ende nicht hin.


    Dass er nicht bemerkt, dass er Jude ist, ist Absicht, sicher, um ihn zu schützen.
    Wenn ich mir vorstelle unter was für einem gewaltigen Druck er steht immer richtig entscheiden zu müssen und dann doch zu erkennen, dass er aus Angst oder Respekt (siehe Garagenszene) das Falsche tut.
    Ich möchte aber auch nicht in der Haut von Keith´s Mutter stecken.


    Dass sowohl Keith wie auch seine Mutter mächtig unter dem Pantoffel des Vaters stehen ist ja auch daran zu merken, dass Keith´ Eltern ja ganz offensichtlich Stephen für den Anführer halten, der die Idee zu diesem Spiel hatte. So hat es mich auch nicht wirklich erstaunt, dass er sich am Ende von Stephen abwendet. Aber auch er muss furchtbare Angst haben, denn ich denke, sonst hätte er Stephen nicht angegriffen.


    Soweit erstmal von mir. Ich halte mich mal noch bissel zurück, weil ich sonst vielleicht noch was verrate :rollen: Manchmal bin ich so ein Schussel.


    Bis bald

    Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie. <br />(Wilhelm Busch)

  • Auch durch!


    Ich finde es nicht so bemerkenswert, dass Keith Eltern Stephen für den Anstifter halten, man neigt doch leicht dazu das eigene Kind für brav und höchstens "verführt" zu halten. Leider sind Stephens Eltern ja nicht so, bei ihnen ist es wohl der Druck unter dem sie stehen, dass sie Angst haben ihr Sohn könnte Mist bauen, so dass sie dann doch eher dazu neigenihn zu beschuldigen.


    Die Sache mit der Verheimlichung des Judentums, finde ich mmh bedenklich/unglaubwürdig? Ich meine die Eltern waren ja nicht wirklich gläubig, aber welche Religion glaubte Stephen denn zu haben? Ich weiss ja nicht wie es in England war/ist, aber ich könnte mir vorstellen, das es in der Schule Religionsunterricht gab, oder zumindest diese typischen Statistischen Listen (Jetzt zeigen bitte alle anglikanischen Jungen einmal auf, jetzt die katholischen etc.)


    Die Szene wo Keith Stephen mit dem Messer bedroht finde ich reichlich heftig. Ich wundere mich nicht, dass Keith dann später auf ein internat ist, eine Trennung von seinen verkorksten Eltern war das Beste, was ihm passieren konnte


    Diese Andeutung mit Keith Mum und ihren Schals finde ich in dem Zusammenhang auch sehr erschreckend. :entsetzt:


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen, obwohl ich ein bischen mehr an Auflösung (wie war das jetzt mit Peter, wo kam er genau her, was sollte die Landkarte?) gut gefallen hätte


    Ich finde es ist ein bischen wie Abbitte von Ian McEwan, weil es ungefähr zur gleichen Zeit spielt und in beiden Büchern die Beobachtungen von Kindern, die das Verhalten der Erwachsenen missvertsehen, an einem Unglück (im weitesten Sinne) schuld sind.

  • Beide Elternpaare kennen entweder ihre Söhne nicht wirklich oder wollen manches eben nicht sehen. Nach meiner (persönlichen) Erfahrung können Eltern, die wirklich mit ihren Kindern leben sehr wohl einschätzen, wer eher anführt. Bei Keiths Vater sehe ich eindeutig Desinteresse als Ursache, bei seiner Mutter Angst, genau die selbe Angst vor Entdeckung ihres Geheimnisses, wie bei Stephens Eltern, wenn sich auch die Geheimnisse unterscheiden.


    Ich glaube schon, dass Stephen sich gar keiner Religion bewusst war und auch so erzogen wurde. Natürlich bin ich nicht sicher, ob es damals so üblich wie heute war konfessionslosen Leuten zu begegnen, er hat ja erwähnt, dass auch sein Vater nie wirklich religiös war.


    Ja, nach der Messerszene gab mir das Halstuch der Mutter auch sehr zu denken. Was mich noch interessiert hätte, wovon haben die Haywards eigentlich gelebt? Der Vater war doch ständig in Garten oder Garage zugange, oder hab ich da was überlesen, war der etwa schon im Ruhestand?


    Die Sache mit der Landkarte wurde erwähnt: Solche Halstücher mit Landkarten hatten alle Flieger, damit sie schneller in die Heimat zurückfinden konnten, sollten sie abgeschossen werden.
    Ich nehme an Peter hat einfach das Grauen und das "Held-sein-müssen" nicht mehr ausgehalten und ist desertiert. Da das nicht nur strafbar sondern auch schändlich war musste er sich verstecken.


    Abbitte steht auch schon ganz lange auf meiner Wunschliste :redface:

    Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie. <br />(Wilhelm Busch)

  • Also für mich sind eindeutig Konfessionslose schon eher eine seltene Sache, ich weiss natürlich nicht wie es 194x in England war, aber ich glaube da war es eher noch seltener , oder? ...
    Nicht in die Kirche gehen, klar, aber nicht irgendwie getauft sein? mmh, ich weiss nicht...


    Der Beruf der Haywards ist ne gute Frage...
    Also falls der Vater nicht im Ruhestand war könnte ich mir nur noch vorstellen, dass er in seiner Garage tatsächlich gearbeitet hat, vielleicht Modellbauer/Ingenieur oder so was in der Richtung?


    Diese Erklärung zum Landkarten-Halstuch hab ich schon mitbekommen *g*, aber welche Bedeutung sollte das Überbringen haben? Ich meine das war ja schliesslich kein Ring oder so, der eindeutig eine persönliche Botschaft gehabt hätte... für mich klang das eher so wie "gib ihr mal mein dreckiges Taschentuch" :zwinker:


    Abbitte ist wirklich klasse, musst du dir kaufen!

  • Ich denke Stephen sollte Keith´ Mutter das Halstuch bringen und die drei Worte als Zeichen dafür, dass er vorhatte sich in der Nacht umzubringen. Wann die Züge kamen wusste er, er war krank, seine Liebe konnte nicht mehr kommen....ausweglose Situation für ihn. Das Halstuch war sicher das persönlichste, was er gleich zur Hand hatte. Ich denke, das hätte die Frau auch richtig verstanden, hätte sie das Tuch erreicht.

    Dumme Gedanken hat jeder, nur der Weise verschweigt sie. <br />(Wilhelm Busch)

  • Das Buch habe ich vor ein paar Tagen geradezu verschlungen und bin jetzt durch die Suche auf die Leserunde gestoßen. Für mich hat sich am Schluss ein relativ klares Bild ergeben, die Puzzleteile sind alle an ihrem Platz gelandet.


    Mehr dazu in meiner Rezi.


    Über die Kreuze und Ausrufezeichen im Kalender musste ich im übrigen auch grinsen :breitgrins:


    Eins würde mich interessieren: in der englischen Ausgabe wird viel mit Worten gespielt, so denkt Stephen z.B., dass das Wort "germs" (Keime, Bazillen) von "Germans" kommt, dass man sich also von den dreckigen Deutschen eklige Krankheiten holen kann. Oder auch die Szene, wo Keith "Privet" (=Liguster :breitgrins: ) statt "Private" auf das Schild an dem Versteck schreibt. Wie wurde das in der deutschen Ausgabe wiedergegeben? Ich wollte kürzlich in der Buchhandlung gucken, aber die hatten nur ein verpacktes Exemplar, das ich mir nicht deshalb extra aufmachen lassen wollte.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen