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Liesel Meminger ist 9 Jahre alt, als sie zu Pflegeeltern kommt. Eigentlich soll sie gemeinsam mit ihrem sechsjährigen Bruder Werner dorthin gebracht werden, doch der stirbt auf der Fahrt - wir befinden uns im Jahr 1939 in Deutschland, Liesel ist auf dem Weg in die Nähe von München, ihre Mutter ist die Frau eines inhaftierten Kommunisten.
Die Welt, in die Liesel kommt, ist eine rauhe aber gut gesinnte. Natürlich gibt es auch in der finktiven Kleinstadt Molching Nazis verschiedenster Schattierungen, doch vor allem ist Liesel von Freunden umgeben: ihrem sanften Pflegevater Hans, der sie lesen und Zigaretten drehen lehrt und ihr auf dem Akkordeon vorspielt; ihrer poltrigen und grobschlächtigen Pflegemutter Rosa, nie um ein Schimpfwort verlegen, aber voller Liebe für ihre Mitmenschen; ihrem blonden Schulfreund Rudy Steiner, der sich im Jahre 1936 vor Bewunderung für Jesse Owens Leistungen bei den Olympischen Spielen in Berlin eines Nachts mit Kohle angemalt hat und auf dem Sportplatz von Molching Owens Triumph vor einer imaginären jubelnden Menge wiederholte. Rudy und Liesel sind wie Pech und Schwefel, beste Freunde und immer mehr auch schroffe und ungeschickte Verliebte.
Geschildert wird nun das Leben in Molching - von 1939 an bis in den Oktober 1943. Es wird erzählt von den immer schwierigeren Lebensbedingungen, von den Kunden, die kein Geld mehr haben, um sich von Rosa Hubermann die Wäsche machen zu lassen; von den immer knapperen Lebensmitteln, die die Kinder dazu bringen, Lebensmittel zu stehlen. Dann wird erzählt von den Juden, die durch Molching getrieben werden, auf ihrem Marsch nach Dachau; es wird von dem einen jüdischen Boxer Max Vandenburg erzählt, den Hans und Rosa Hubermann in ihrem Keller verstecken, der Haare wie Federn hat, und der eine ganz besondere Beziehung zu Liesel aufbaut. Und es wird erzählt von Liesels Liebe zu Büchern, angefangen von einem Handbuch für Totengräber, das sie am Grabe ihre kleinen bruders findet; von den Büchern, die sie von Hans Hubermann zu Weihnachten bekommt und die er mit seinen letzten Zigaretten ertauscht hat; von dem Buch, das sie im November 1939 aus einem rauchenden Haufen Asche zieht - und von der Bibliothek der Frau des Bürgermeisters, zu der Liesel auch ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt.
"Deserves a place on the shelf with «The Diary of Anne Frank»" schreibt USA Today über dieses Buch - wenn man mich fragt, ist das ein großes Missverständnis. Denn was "The Book Thief" so besonders macht, ist, dass er zwar in Nazideutschland spielt, dies als Thema auch behutsam und clever durchdekliniert, dass das eigentliche Zentrum des Buches aber ein weit übergreifenderes Thema ist, nämlich das der eigenen Welt, in der der persönliche Handlungsspielraum angesiedelt ist. Es geht um Freudnschaft, darum, was Menschen miteinander verbindet und wie sie sich miteinander verbinden.
Erzähler des Buches ist der Tod - ein sehr sachlicher, distanzierter Erzähler, der dem Buch seinen zu Anfang etwas gewöhnungsbedürftigen, spröden Ton verleiht; außerdem ein sehr präsenter Erzähler, der ständig der Geschichte vorgreift und sie kommentiert. Häufig sind die Kommentare auch typographisch vom Fließtext abgesetzt. Was dieser Kunstgriff für einen wohlüberlegten Sinn hat, zeigt sich erst am Ende des Buches.
Markus Zusak ist ein australischer Autor, der bisher vor allem Jugendliteratur geschrieben hat (sein letzter Roman "I am the Messenger" ist gerade für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert worden). "The Book Thief" ist meines Wissens der erste Roman, der in einer Jugend- und einer Erwachsenenausgabe erschienen ist. Eine gute Entscheidung, denn nur weil die Hauptfigur ein Kind ist, heißt das nicht, dass dieses Buch für Erwachsene nicht geeignet ist. Im Gegenteil, Erzählaufbau, sprachlicher Schliff, Erzählhaltung sind mit Sicherheit zu komplex für Leseanfänger und würden diese schnell langweilen.
Das Nazithema wird hier auf eine sehr originelle Weise als Hintergrund für ein Kammerspiel benutzt. Die Handlung ist zwar nicht wirklich dialoglastig, doch nichtsdestoweniger sehr szenisch. Die Figuren handeln vor dem Hintergrund des Terroregimes, sind Teil von ihm und doch auch wieder als gewöhnliche Menschen gezeichnet, die sehr unterschiedlich reagieren. Der Zusammenhang von Sprache und Macht wird auch thematisiert und hier wird das "Buchthema" dann auch am engsten mit der Nazigrundierung geführt. Dass kann man übrigens ganz wörtlich nehmen... aber ich will nicht vorgreifen :-).
Ein wirklich anrührendes Buch, das viele Leser/innen verdient.