Franz Werfel - Die vierzig Tage des Musa Dagh

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  • Hallo!


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    "Wie komme ich hierher" fragt sich Gabriel Bagradian am Anfang des Buches. Er, der Enkel des großen Wohltäters und Kirchenstifters des Armeniertales, Awetis Bagradian, der nach Frankreich ausgewandert ist und eine Französin geheiratet hat, findet sich in seinem Geburtsdorf wieder. Mit seiner Frau und seinem Sohn ist er gekommen, um den toten Bruder zu begraben. In dieser Situation wird die Familie Bagradian von den Eregnissen überholt: der erste Weltkrieg bricht aus und Enver Pascha, ein türkischer General, späterer Kriegsminister und Anführer der Jungtürken, nützt die Gelegenheit aus, um brutalst gegen die armenische Minderheit vorzugehen. Ein armenisches Dorf nach dem anderen wird deportiert, unzählige sterben oder werden ermordet. Als sich das Verschickungskommando auch der syrischen Küste nähert, entwickelt Gabriel Bagradian einen kühnen Plan: die sieben Dörfer der Ebene, in etwa 5000 Menschen, sollen sich auf den Musa Dagh zurückziehen und von dort Wiederstand gegen die Türken leisten. So geschieht es auch und ein 40-tätiger Kampf gegen eine übermächtige Armee und gegen innere Konflikte, Hunger und Verzweiflung beginnt.


    Dieser Roman beruht auf geschichtlichen Fakten: 1915 haben sich tatsächlich 5000 Menschen auf den Berg zurückgezogen und erfolgreich gegen die Türken gewehrt. 1930 bereiste Werfel diese Gegend und "[...] war durch die Begegnung mit Waisenkindern aus dieser Zeit derart erschüttert, daß er sofort versuchte, überlebende Erwachsene ausfindig zu machen, sie über die Ereignisse und Kämpfe zu befragen und begann, sich Notizen darüber sowie über die Landschaft zu machen." (Klappentext) Ende November 1933 erschien das Buch; zwei Monate später wurde es in Deutschland verboten. Sogar eine Verfilmung war geplant, die aber nach den Protesten seitens Deutschlands nicht zustande kam.


    Es ist ein bedrückendes und aufrührendes Buch. Werfel mahnte sich selbst, nicht gegen die Türken zu polemisieren, was ihm auch gut gelingt. Die Charaktere sind durchaus glaubwürdig; einige wirken aber ein wenig steif und gefangen in ihren Eigenschaften. Einen schalen Nachgeschmack hinterlassen die Ausführungen über den Nationalismus und die damit einhergehende Sicht von angeborener Blutsverwandschaft, die über Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit entscheidet; und in diesem Falle auch über Leben oder Tod. Da ist es mir vor allem im Kap. 5 "Zwischenspiel der Götter" einige Male kalt über den Rücken gelaufen.


    Sehr empfehlenswert!


    4ratten


    LG
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Sehr schön. Interessiert mich nun näher.


    Vielen Dank für die schöne Rezi,
    Thomas

  • Hallo Nikki,


    dieses Buch steht auf meiner Liste zum SUB-Wettbewerb. Darum habe ich deine Rezension dazu natürlich besonders interessiert gelesen. Ich bin gespannt, wie der Roman auf mich wirken wird.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo Mombour!


    Ja, das habe ich gesehen und bin ganz gespannt auf Deine Meinung! Mich wird das Buch sicher lange Zeit nicht loslassen.


    LG
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Hallo nikki,


    nun bin ich dran :breitgrins:


    Franz Werfel: Die vierzig Tage des Musa Dagh


    Ein großes Panorama vor dem Hintergrund der Vertreibung und Ausrottung des armenischen Volkes während des ersten Weltkrieges. Unter der militärischen Führung Gabriel Bagradians wehren sich etwa 5000 Armenier aus sieben Dörfern gegen die Vernichtung durch türkische Truppen. Hier geht es nicht um irgendeine Schlacht im ersten Weltkrieg. Es geht um Hass, Fremdenfeindlichkeit, um den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Der Roman geht aber noch tiefer, er spricht unser innerstes Wesen an. Wieviel Toleranz bringen wir denn auf für etwas, das uns total fremd ist, auf? Diese innere Selbstschau, dieses selbstkritische Hinterfragen, das ist die Doppelbödigkeit des Romans und das macht den Roman so wertvoll. Ich werde diese These begründen.


    Die Begegnung des deutschen Theologen Johannes Lepsius mit dem osmanischen Kriegsminister Enver Pascha, gehört für mich zu den tiefschürfendsten, mitreißendsten politischen Dialogen, die mir spontan einfallen (der andere großartige Dialog, der mir sonst noch einfällt, ist das Gespräch zwischen Flavius Josephus und Titus in „Der jüdische Krieg“ von Lion Feuchtwanger). Die Begegnung in Stambul zeigt, das Politik ein schmutziges Geschäft sein kann. Das Sterben Unschuldiger interessiert den Herrscher nicht, denn er glaubt an seiner politischen Entscheidungen, Es prallen Gegensätze aufeinander. Die wohlgesinnten Argumente des Theologen, der die Armenier vertritt, haben gegenüber Enver Pascha keine Chance, der durch und durch vom nationalistischen Geist geprägt ist:


    „Unter den Armeniern gibt es gewiß eine beängstigende Menge von Intelligenz. Sind Sie wirklich ein Freund dieser Intelligenz, Herr Lepsius? Ich nicht! Wir Türken besitzen von dergleichen Intelligenz wenig. Dafür aber sind wir die alte heroischen Rasse, die zur Errichtung und Beherrschung des großen Reiches berufen ist: Über Hindernisse werden wir deshalb hinwegsteigen.“


    Franz Werfel spricht bewusst vom jugendlichen Mars, wenn er von Enver spricht. Über die homerischen Helden heißt es, sie seien „nur eine Spiegelung des Kampfes, den über ihren Häuptern die rufenden Götter führen, um das menschliche Los zu entscheiden.“

    Blicken wir nun zu unser christlichen Kultur, deren Vertreter Lepsius ist. Der Theologe, so klug und weise er auch ist, hat auch Vorurteile gegenüber den Fremden, so denkt er abfällig:


    „Dieser verspielte und verzogene Knabe dort ist der unbeschränkte Herr über eine Weltmacht.“

    Lepsius, der im Roman noch einen zweiten Auftritt bekommt, wohnt dort einen Tanz von Derwischen bei, und hier wird mit aller Deutlichkeit klar, wie tief die Schlucht zwischen islamischer und christlicher Kultur noch ist. Heute, wo wir dauernd mit islamischer Kultur konfrontiert sind, sind diese Passagen natürlich hochaktuell. Johannes Lepsius, von dem man heute noch antiquarisch ein zweibändiges Werk über Jesus Christus ordern kann, steht der sog. „Zikr= Ekstase“ sehr skeptisch gegenüber:


    „Diese Liebesfeier dort unten kommt ja nicht aus dem Geiste, sondern aus wilden Verrenkungen des Körpers. Er versteht sie nicht.“

    Und auf dem Musa Dagh? Selbst hier, unter den Armeniern, die sich mutig für ihr Leben einsetzen kommt es zu Konflikten, die sich auf Femdlichkeit gründen. Die Kapitel um Johannes Lepsius, sind mit „Zwischenspiel der Götter“ überschrieben. Der Musa Dagh steht für die Erde, für das Spiegelbild der Götter. Die einfache Botschaft, das wir alle Brüder und Schwestern sind , dass können wir Menschen nicht umsetzen (Sind die Götter auf dem Olymp dafür schuldig?).


    Es geht doch auch hier darum, was ist das Gute, was das Böse. Franz Werfel erhöht den Roman ins Religiöse, aus 53 Tagen macht er 40 Tage, aus sechs Dörfern macht er sieben und es ist ja ein Vergleich zwischen Moses und Bagradian angedeutet. Der Retter eines Volkes.


    Nun versteht ihr doch, dass ich fünf Ratten geben muss.


    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo mombour!


    Schön, dass Dir das Buch auch so gut gefallen hat.


    Allerdings ist mir dieses Religiöse (40 Tage, 7 Dörfer, Bagradian=Moses) gar nicht so ins Auge gesprungen wie Dir (abgesehen von den Kapiteln mit Lepsius). Und ich fand, dass Werfel gerade dieser Unterteilung in Gut und Böse ziemlich aus dem Weg gegangen ist. Er selber wollte nicht urteilen und polemisieren. Nicht immer ist ihm dies auch gelungen, da die Thematik sehr emotiongeladen und grausam ist. Ein paar Mal mußte ich schlucken bei der oft zu starken Verwendung einer hermetisch abgeschlossenen, statischen und schicksalhaften Sichtweise von Kultur und Nation, was eben einen kleinen schalen Nachgeschmack bei mir hinterlassen hat. Aber das ist etwas, worauf ich sowieso meist negativ reagiere.


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Hallo nikki,


    Moses führte die Hebräer vierzig Tage durch die Wüste.
    Sieben: Gott (drei) und Welt (vier) vereint (Christliche Zahlensymbolik)


    Bagradian und Moses wuchsen beide in der Fremde auf. Leider kann ich z.Zt. die Textstelle nicht finden, in der gesagt wird, das Bagradian im Auftrage Gottes handelt (oder so ähnlich). Wenn ich die Stelle wiederfinde, wird das natürlich zitiert.


    Und wenn wir im AT über den Tod Mose lesen und mit dem Romanende vergleichen, fallen uns doch Parallelen auf, gell?


    Mir ist aufgefallen, das Werfel sehr oft über Religion schreibt (nicht nur im Zusammenhang mit Lespsius).


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo mombour!


    Das Problem ist, dass ich mich mit dem AT nicht wirklich auskenne. Ich hatte in der Schule kein Religionsunterricht und privat habe ich mich noch nicht wirklich damit auseinandergesetzt. Die Geschichte mit der 40-tätigen Wüstendurchwanderung kenne ich schon, aber ich habe keine Ahnung von der christlichen Zahlensymbolik. Daher sind die Parallelen für mich wahrscheinlich nicht so auffallend gewesen. Aber dank Dir bin ich jetzt darauf auch aufmerksam geworden. Danke!


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Hi!


    Durch diesen Thread auf das Buch aufmerksam geworden, habe ich es auch gelesen und teile die Eindrücke von nikki und mombour. Meine Rezension:


    Inhalt:
    1915, der Erste Weltkrieg tobt in Europa. Auch das osmanische Reich ist Kriegspartei, die Regierung fürchtet sich ebenso vor inneren wie vor äusseren Feinden. Deshalb beschliessen die herrschenden Türken, die von ihnen ungeliebten christlichen Armenier zu Volksfeinden zu erklären und sie zu deportieren. Hunderttausende werden unter strenger Bewachung in die mesopotamische Wüste geführt, wo sie Hunger, Durst und einem elenden Tod überlassen werden. Ihr Hab und Gut müssen die wohlhabenden Armenier zurücklassen.
    Obwohl die Deportationen so ruhig und geheim wie möglich durchgeführt werden, bekommen die Armenier Wind von der Sache und sieben Dörfer, die auf dem Gebiet des heutigen Syrien liegen, beschliessen, sich zur Wehr zu setzen. Unter der Leitung des kriegserfahrenen Gabriel Bagradian und des Priesters Ter Haigasun machen sich fast 5000 Männer, Frauen und Kinder daran, sich auf ihrem Hausberg, dem Musa Dagh, zu verschanzen. Sie schaffen ihr ganzes Vieh auf den Berg, bauen Verteidungsanlagen, organisieren sich Schusswaffen und bauen eine Laubhüttenstadt.
    Als die Türken merken, dass sich diese Armenier der Deportation auf diese Weise entziehen wollen, greifen sie den Berg an – und erleben eine böse Überraschung. Aber auch das Volk auf dem Berg macht eine schwere Zeit durch: Von den Türken belagert und vom Hunger bedroht weiss es, dass diese Geschichte nur mit dem Tod enden kann. Die Bevölkerung schwankt hin und her zwischen Hoffnung auf Rettung und der Gewissheit, dass diese Rettung doch nicht kommen wird.


    Meine Meinung:
    Zuerst ein Wort zu der von mir gelesenen Ausgabe: Eine Karte wäre wirklich nicht schlecht gewesen, zumal Franz Werfel viele Ortsnamen nennt, die in einem herkömmlichen Atlas nicht verzeichnet sind. Ich kann also nur raten, wo denn der Musa Dagh genau liegt. Und auch eine kleine Karte dieses Berges selbst wäre hilfreich gewesen, da die Verteidungsanlagen der Armenier minutiös beschrieben werden und es schwierig ist, sich das alles «aus dem Kopf» vorzustellen.


    Jetzt aber zum Buch: Es umfasst fast 1000 Seiten und ich habe rund 200 Seiten gebraucht, um mich an die genaue und manchmal behäbige Erzählweise Franz Werfels zu gewöhnen. Es ist eines der Bücher, für die man Zeit und Ruhe braucht, um sie geniessen zu können. «Die vierzig Tage des Musa Dagh» ist themenbedingt eher schwere Kost und manchmal recht depremierend. Werfel verzichtet zwar weitgehend auf detaillierte Beschreibungen armenischen Elends, versteht es aber, die Not und Verzweiflung dieses Volkes so zu schildern, dass man sich fragt, wieso sich eine solche Katastrophe ereignen konnte. Dabei klagt Werfel die Türken nicht generell an, sondern beschreibt lediglich, was geschehen ist. Er beschreibt den Militärbefehlshaber Enver Pascha zwar als gnadenlosen Kriegsgott, der über den Genozid mit einem Schulterzucken hinweggeht, zeigt aber auch türkische Offziere und Bauern, die den Armeniern – so weit es geht – helfen.


    Der Hauptteil des Buches spielt aber auf dem Musa Dagh, wo sich sieben Dorfgemeinschaften zu einer zusammenraufen müssen – und das in der Ausnahmesituation des Krieges und der Belagerung. Die Gemeinschaft ist straff durchorganisiert, mit Soldaten, Polizisten, einem Aufsichtsrat und einem «Präsidenten», der zugleich Richter ist. Es entsteht eine Art sozialistischer Statt im Mini-Format, in dem allen alles gehört, da ja etwa keine neuen Nahrungsmittel beschafft werden können und das Ziel ist, so viele Menschen wie möglich so lange wie möglich gesund und am Leben zu halten. Während der vierzig Tage, die das Volk auf dem Musa Dagh ausharrt, erlebt man als Leser alles, was ein einem Land vorfallen kann, im Schnelldurchlauf: Staatsgründung, Krieg, Aufstand, innere Unruhen, Versöhnung, das Zerbrechen der Gemeinschaft in ihre Einzelteile, Chaos und die Auflösung des «Staates». Es wird anschaulich gezeigt, wie labil eine (Art) Demokratie in Krisenzeiten sein kann und dass manchmal aus relativ nichtigen Gründen, wie beispielsweise verletztem Stolz, das Chaos ausbricht.


    Eine weitere Stärke des Buches ist es, dass Werfel dem Leser immer wieder in die Seele der handelnden Personen blicken lässt. Einerseits zeigt das schön, wie unterschiedlich Menschen auf Katastrophen reagieren und andrerseits macht es Handlungen nachvollziehbar und lässt die Charaktere sehr realitätsnah wirken. Ich kam ausserdem mit der Flut an armenischen Namen besser zurecht, als ich jedem Namen eine Funktion und/oder bestimmte Eigenschaften zuordnen konnte.


    Richtige Schwächen hat das Buch meiner Meinung nicht. Anderen mag es vielleicht zu lang sein, zu viele Beschreibungen enthalten oder auch einfach zu «gemächlich» erzählt sein. Ich brauchte, wie erwähnt, auch meine Zeit, bis ich damit zurecht kam, bin aber jetzt froh, dass ich dieses wunderbare Buch mit seiner schrecklichen Geschichte doch gelesen habe. Es ist gleichzeitig eine Geschichtslektion und eine Studie darüber, was passiert, wenn sich ein Volk in höchster Not zusammenraufen und neu organisieren muss.


    Zum Schluss noch ein Wort zur historischen Genauigkeit: So weit es im Klappentext und auf verschiedenen Websites im Netz steht, hat sich Franz Werfel um sehr grosse Authentizität bemüht und die Belagerung des Musa Dagh hat sich im Wesentlichen so abgespielt, wie im Buch beschrieben. Der armenische «Feldherr» Gabriel Bagrandian ist allerdings eine fiktive Figur, ebenso der Priester Ter Haigasun. An ihrer Stelle standen jedoch tapfere Männer, die für sich und ihr Volk gekämpft haben und die man nicht vergessen sollte. Deshalb sollte auch dieses Buch nicht vergessen werden und hoffentlich noch viele interessierte Leser finden.

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Gefühlt habe ich bestimmt drei Monate an diesem Roman gelesen, wofür neben der Aufmachung der mir vorliegenden recht alten Ausgabe mit eng und winzig bedruckten Seiten auch der, wie Alfa_Romea es nannte, gemächliche Erzählstil und natürlich der beklemmende Inhalt verantwortlich waren. Vor allem letzterer Eindruck wird durch das Wissen, daß Werfel sich hier an historischen Ereignissen (die für ihn auf Grund des zeitlichen Abstandes noch nicht so historisch waren) orientiert hat, noch verstärkt.


    Besonders faszinierend fand ich zu beobachten, wie sich die Gemeinschaft auf dem Berg entwickelt und wie unterschiedliche Charaktere damit fertig werden – oder eben auch nicht, wie z. B. Gabriels Frau Juliette. Die Egoismen und Irrationalitäten, die sich aus eingefahrenen Gewohnheiten ergeben, der Versuch, Dinge und Verhaltensweisen des täglichen Lebens zu retten, die unter diesen äußeren Bedrohungen keinen Nutzen mehr haben und die ohnehin vorhandenen Probleme noch von innen heraus verstärken, das alles hat Werfel wirklich sehr gut in Details eingefangen.


    Gut gefallen hat mir auch, daß er die Risse durch die türkische Seite im Hinblick auf die Armenier deutlich macht. Auch wenn eine Regierung so etwas zur „Volksmeinung“ erklärt und sogar eine weite Akzeptanz und Unterstützung dafür gewinnt, so gibt es eben immer auch moralisch integere Menschen, die einen solchen Unfug nicht mitmachen, wie hier der alte Agha und etliche Bauern, und sich sogar aktiv dagegen wenden – mit welchem Ergebnis steht dabei auf einem anderen Blatt.


    Unangenehm berührt war ich von den Ausführungen zu „Rasse“ (oder Volksgruppe) und Nationalismus, die ich mir zwar aus dem zeitlichen Kontext erklären kann, die aber trotzdem einen schalen Geschmack bei mir zurücklassen. Aber Werfel kannte zu diesem Zeitpunkt natürlich auch die furchtbarsten Auswüchse dieser Ideologien noch nicht. In abgeschwächterer Form gilt mein Unbehagen im übrigen auch für die religiösen Anspielungen, was aber eher mit meiner persönlichen Haltung zu Religion und Kirche zu tun hat.


    Anschließen kann ich mich Alfa_Romea auch beim Wunsch nach einer Karte, die hätte ich auch ausgesprochen hilfreich gefunden. Und zu guter Letzt noch ein Wort zu mombours Aussage:



    Es geht um Hass, Fremdenfeindlichkeit, um den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.


    Nein, es war nicht der erste Genozid des 20. Jahrhunderts, den müssen wir Deutschen uns anheften lassen. Es hat lange gedauert und die Bundesregierung akzeptiert es wegen dann zu leistender Entschädigungszahlungen bis heute nicht, aber zumindest die wissenschaftliche Forschung ist sich einig, daß der Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches gegen die Herero und Name in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) in den Jahren 1904-07 als Genozid zu werten ist. Angesichts dessen, daß geschätzt rund 80 % der Herero und 50 % der Nama dem Krieg und seinen Folgen zum Opfer fielen, scheidet jeder andere Begriff für mein Empfinden auch aus.




    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen