Victor Hugo - Die Elenden (1. Teil Fantine, 1. bis 4. Buch)

Es gibt 63 Antworten in diesem Thema, welches 27.053 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Hallo und guten Abend.


    Ich habe dieses Wochenende nicht so viel Zeit zum lesen gehabt, da ich arbeiten musste und viel zu tun war.
    Ich habe die Kapitel bis einschließlich "Von wem er sein Haus bewachen ließ" gelesen. :redface: Noch nicht so weit.
    Trotzdem fühle ich mich irgendwie verpflichtet etwas zu schreiben, da ich ja jetzt in der Leserunde eingetragen bin und das ganze Wochenende hier nichts geschrieben habe.
    Wie ihr auch bereits erwähnt habt, ist der Schreibstil ganz angenehm, obwohl es manchmal ein wenig "holpert", was ich der Übersetzung zuschreiben würde.
    Die Einführung des Herrn Myriel, führte vor seinem Zölibat ein bürgerliches Leben und entstammt einer alteingesessenen Parlamentarierfamilie und

    Zitat

    der ganze erste Teil seines Daseins war dem Weltleben und der Galanterie gewidmet

    . Durch die Revolution verlor seine Familie alles Habe und seine Frau starb in Italien in Folge der Umstände und der Flucht. Durch diesen Umbruch, so scheint es, ist wurde sein Geist freigelassen. Er hat erkannt, was im Leben wichtig ist und was nicht, und dass sich materieller Besitz in Luft auflösen kann, und dass jeder Besitzt, der über den gesunden Lebensunterhalt hinausgeht, nur Last bedeutet. Dies sieht man daran, dass er, obwohl er viel Geld von der Diozöse bekommt, nur einen geringen Teile für sich behält und den weitgrößten Teil an die Notleidenden verteilt.
    Für mich bemerkenswert, war auch Myriels Umgang mit dem Tod. Ein Thema, mit dem ich mich früher mal beschäftigt habe. "Herr Myriel ließ sich zu jeder Tages und Nachtzeit an das Lager der Kranken und Sterbenden rufen" (kap3) Die Art und Weise, mit der er einem unglücklichen zum Tode verurteilten Gaukler väterlich zur Seite steht ist einzigartig, liebevoll und göttlich. "Der Bischof ließ ihn Helligkeit schauen." Er hat "gewissermaßen die Wand um ihn durchstoßen, die uns vom Geheimnis der Dinge trennt und die wir das Leben nennen". Er hat ihm sozusagen die Augen geöffnet. Ein Sünder, der umkehr und Licht sieht, ist wertvoller als ein Mensch, der sein ganzes Leben nach Vorschrift lebt, ohne darüber nachzudenken. Er wacht die ganze Nacht bei dem Verurteilten und geleitet ihn bis auf die Guillotine.
    Victor Hugo beschreibt die Guillotine als Lebewesen. Indem er sie personifiziert, macht er deutlich, dass das irdische Gesetz, welches Menschen das Leben abspricht, ein geradezu höllischer Eingriff in das göttliche oder natürliche Gesetz des Lebens ist. Der Mensch ist es sozusagen selbst, der die Sünde schafft. Der den Teufel schafft. Dadurch, dass die Sünde gesetzlich legitimiert ist, macht das die Sünde nicht nichtig, sondern im Gegenteil, sie automatisiert sich in der Gesellschaft. Die Guillotine ist geradezu ein Sinnbild. Das Thema Todesstrafe ist auch heute noch ein aktuelles. Man schaue nur einmal in die USA, die sich, trotz Todesstrafe, für eine Demokratie halten. "Den der Mensch tötet, lässt Gott auferstehen."
    Er geleitet die Sterbenden hinüber und spendet den Zurückbleibenden liebevollen Trost."Gebt acht darauf, wie ihr euch den Toten zuwendet. Denkt nicht an das, was verwest. Schaut unverwandt hin, und ihr seht das lebendige Licht eures geliebten Toten in der Tiefe des Himmels."(Kap3)
    Ja, auch wie er sich den Trauernden zuwendet und sie die Unendlichkeit des Lebens lehrt, sie lehrt loszulassen,zeugt von tiefer erleuchteter Weitscht.
    Anhand des Beispiels mit dem zum Tod Verurteilten, kann man sehen, dass man sehr vorsichtig sein muss, wie man mit dem Thema Sünde umgeht.
    Myriel bezeichnet sich selbst als "ehemaligen Sünder".

    Zitat

    der Mensch hat bei sich das Fleisch, das seine Last und zugleich seine Versuchung ist. Er schleppt es mit sich rum und gibt ihm nach.
    Er muss es überwachen, zügeln, in Schranken halten und darf ihm nur in der äußersten Not gehorchen. In diesem Gehorsam kann abermals Sünde sein, aber die so begangene Sünde ist erlässlich. Das ist ein Fall, doch ein Fall auf die Knie, der im Gebet vollendet werden kann.
    Ein Heiliger sein ist die Ausnahme, ein Gerechter sein ist die Regel. Irrt, fehlt, sündigt, aber seid Gerechte.
    So wenig wie möglich Sünde ist das Gesetz des Menschen. Überhaupt keine Sünde ist der Traum des Engels. Alles Irdische ist der Sünde unterworfen. Die Sünde ist eine Schwerkraft.


    Was meint ihr dazu? Würde mich interessieren. :engel::breitgrins: (lach, nee im ernst!)
    Auch die Art und Weise, wie Myriel den Menschen in ihrer Landessprache und ihren jeweiligen Dialekten anhand von Beispielen erklärt, wie sie ihr Leben verbessern können, ohne sich über sie zu stellen oder belehrend zu wirken ist sehr beeindruckend.


    Joa, so viel meine Gedanken bis jetzt.


    Bis bald.

  • Zitat

    Was meint ihr dazu? Würde mich interessieren.


    Was als Sünde bezeichnet wird, ist heute ja schon selbstverständlich. Die Anschaffung eines SUBs ist sicherlich für Myriel materielle Gier, sich morgens die Haare kämmen womöglich Eitelkeit - wo fängt also die Sünde an? Es ist sehr unwahrscheinlich, dem Reiz der Sünde zu widerstehen, wenn Frau im Kaufhof ein Paar neue Schuhe findet oder Mann wieder mal ein Bier zuviel trinkt ... Die Sünde ist eine Schwerkraft! :smile:


    In meinem Buch hat nun auch Valjean Einzug gehalten und scheint ein spannender Charakter. Nach 5 Jahren hätte er aus der Haft entlassen werden können, versaut sich die Entlassung jedoch durch Ausbrüche. Wird erst durch die Gefangenschaft zum Tier, zum Teufel, Reformierung und Züchtigung sind da wohl nach hinten losgegangen.
    Hugo hat eine schöne Sprache geschaffen, gefällt mir sehr gut. Er versucht, die Geschichte so zu erzählen, als hätte er alles von Hören-Sagen mitbekommen. Eine Vorstellung, wie es an dieser Tafel herging, könnten wir nicht besser vermitteln als durch Zitate aus einem Brief von Fräulein Baptistine ..." Allerdings bleibt er nicht konsequent darin, denn zwei Kapitel weiter steigt der Erzähler in den Kopf des Valjean, um nachzusehen was er denkt. Keineswegs tragisch, ist mir nur aufgefallen und wollte das hier noch schnell erwähnen.


    Gruß,
    dumbler

  • Hallo,


    ich bin jetzt drittes Buch, Je vier und vier


    Im ersten Kapitel 3. Buch -Das Jahr 1817- Hier haut der gute V. Hugo uns aber Namen und Geschehnisse um die Ohren.
    Er hat dabei wohl nicht an seine Leser 150 Jahre später gedacht. Obwohl in meinem Anhang einiges aber nicht alles erklärt ist. Allerdings steht bei mir auch das Hugo es hier mit der Jahreszahl nicht so genau nimmt, viele Ereignisse fanden gar nicht 1817 statt.


    - Die "Minerva" druckte Chateaubriant statt Chateaubriand, und dieses "t" bewirkte, daß sich die Büger über den großen Schriftsteller weidlich lustig machten.-


    Weiß einer warum? Was bedeutet Chateaubriand mit "t"?


    Fantine, meine Musical-Lieblingsfigur, ist auch endlich aufgetaucht und endlich wird ihre ganze Geschichte erzählt, wir lernen den Vater ihres zukünftigen Kindes kennen.......iehh.....ist der häßlich!


    Die Reaktion des Bischofs auf den Diebstahl seines Silbers war wundervoll "warum haben sie denn nicht auch noch die Leuchter mitgenommen, die habe ich ihnen doch auch geschenkt".
    Der Bischof hat sich damit von dem einzigen Luxus getrennt den er noch hatte, und er hat an dem Silber gehangen.


    Valjean musste erst noch den Jungen bestehlen ehe er erleuchtet wird...... :sauer:


    Grüße
    Flor

  • So, mit einer kleinen Verspätung habe ich nun heute auch mit den "Elenden" angefangen. :smile:


    Ich habe im Augenblick die ersten fünf Kapitel gelesen und es gefällt mir schon recht gut, wobei ich einerseits ein paar Schwierigkeiten damit habe, dass es über Seiten hinweg um nichts anderes als die Gutheit des Bischofs Bienvenu geht, ich diese aber wiederum viel zu interessant geschildert finde, als dass es mich wirklich stören könnte.


    Den Huldigungen von Hugos Sprache kann ich mich übrigens nur anschließen, die Geschichte liest sich wirklich sehr angenehm, was gerade bei solch älteren Werken ja nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist. Was mir dabei aber auch gefallen hat (und was mich im gleichen Maße überrascht hat), ist der leicht humorvolle bzw. ironische Stil an manchen Stellen, wenn es etwa heißt: "Wie man sieht, hatte er eine seltsame, eigene Art, die Dinge zu beurteilen. Ich vermute, er hatte das dem Evangelium entnommen." Oder : "In einer weiteren Abhandlung untersuchte er die theologischen Werke von Hugo, Bischof von Ptolémais und Urgroßonkel vom Verfasser dieses Buches [...]", genauso wie das Zitat, das Flor ganz zum Anfang der Diskussion angeführt hat.
    Besonders gefallen hat mir dabei aber die Auflistung der Verteilung seines Einkommens. Und den Abschnitt, in dem er meint, es mangele ihm an Geld, woraufhin er Spesen für Karosserie und Rundreisen verlangt, um das Geld in Wahrheit gleich wieder als Spenden zu verwenden, finde ich einfach nur absolut genial. :breitgrins:



    Penta


  • Liest jemand von Euch im französischen Original? Meine Ausgabe - Bibliothèque de la Pléjade - hat sehr erhellende Anmerkungen.


    Die Bücher sind ja nicht sehr preiswert. Wie ist deren Ausstattung denn? Normalerweise tun sich die Frankophonen meist schwer, ordentliche Bücher herzustellen.


    Gruß,
    dumbler

  • Hi!


    Die Bücher sind ja nicht sehr preiswert. Wie ist deren Ausstattung denn? Normalerweise tun sich die Frankophonen meist schwer, ordentliche Bücher herzustellen.


    Jein. Sie rechnen bei den etwas teureren Ausgaben damit, dass der echte Bibliophile seine Bücher selber im eigenen Geschmack binden lässt, von daher sind die Standard-Ausgaben der nrf z.B. nur broschiert. Die Bibliothèque de la Pléiade kommt aber schon (in Leder) gebunden, auf Bibeldruckpapier, mit Schutzumschlag und im Kartonschuber. Stell' dir ungefähr die teure Variante eines Manesse-Büchleins vor (wer da wem abgekupfert hat, kann ich nicht sagen ...).


    Meist beruhen diese Ausgaben dann auch auf den jeweils relevanten (kritischen) Ausgaben der Klassiker.


    Meins habe ich übrigens antiquarisch gekauft - da kosten diese Büchlein so zwischen € 15.00 und 30.00, durchaus erschwinglich für die Qualität, finde ich.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • So, hab jetzt das zweite Buch durch und bin noch begeisteter. Wie Myriel es schafft aus Valjean einen reuigen Sünder zu machen. Sehr beeindruckt hat mich, als Valjean verzweifelt nach Gervais sucht und dann dem Pfarrer begenet und ihm zweimal 5 Franken gibt. Krass im Gegensatz zu seinem Verhalten vorher, wo er meint wegen seines Soldes "bestohlen" worden zu sein und auch noch das Silber des Bischofs klauen will, um daraus Geld zu machen. Und dann gibt er so mir nichts dir nichts sein Geld für die Armen. Einfach nur beeindruckend.

    [b] "Jean Valjean, mein Bruder, Sie gehören nicht mehr dem Bösen, sondern dem Guten. Ich kaufe ihre Seele frei. Ich entreiße sie den finsteren Gedanken und dem Geist der Verderbnis und übergebe sie Go

  • :winken:
    Juhu, habe gerade mal die ersten 40 Seiten hinter mir, aber bis jetzt finde ich das Buch sehr schön. Hugo's Art zu schreiben gefällt mir.
    Wie er alles bis ins kleinste Detail beschreibt, man kommt sich vor als ob man selbst dabei wäre, während er z.B. 11 Gäste empfangen kann er aber dann stehen bleiben muß, da nur 11 Stühle im Haus sind. Ich stelle mir das immer gern bildlich vor uns so wie er schreibt, sehe ich denn Bischof vor mir am Kamin stehen


    Sehr schön :klatschen:
    Bin wirklich begeistert

    :biene:liest :lesen: und hört

    07/60

    2116 /25.525 Seiten


  • Hallo,


    Thomas kannst du mir noch mal genau nennen wo die Stelle ist an der Valjean dem Pfarrer zweimal 5 Franken gibt.
    Ich lese nämlich gerne noch mal Stellen nach die von anderen extra erwähnt werden.


    Ich bin mittlerweile schon im 5. Buch. Ich bin richtig gefesselt und das Buch lässt sich so flott lesen ich bin ganz begeistert :klatschen:. Obwohl ich ja eigentlich schon weiß was passieren wird finde ich es alles so spannend. Auch wie Hugo es schafft den Figuren ein Aussehen zu geben, ich habe hier nicht die Figuren des Filmes im Kopf sondern sie entstehen neu vor mir. Als letztes Javert.


    drittes Buch, Fröhlicher Abschluß der Freude
    Also das hat mich richtig schockiert, die Art wie die Mädchen sitzengelassen wurden, das ist wirklich unglaublich. Arme Fantine und sie hatte zu diesen Zeitpunkt ja auch schon das Kind. Was für ein Schwein ist Tholomyés denn :grmpf:


    Echt da macht er einen auf Affen trägt Gedichte vor und dann das Den Kolibri hat die Sonne angeniest. Umarme micht Fantine! Er irrte sich und umarmte Favourite. :sauer:


    Viertes Buch, vertrauen heisst manchmal sich ausliefern
    Dieses Kapitel hat mir sehr gut gefallen .


    Hugo vergleicht jetzt auch immer wieder die Menschen mit Tieren.


    Wer waren die Thénardiers? Diese Menschen gehörten zu jener Bastardklasse, die aus gemeinen Emporkömmlingen und gesunkenen intelligenten Leuten gemischt ist. Sie liegt zwischen dem sogenannten Mittelstand und der sogenannten unteren Klasse und vereint mehrere Mängel der zweiten mit fast allen Lastern der ersten


    Das ist ja immer wieder ein Spruch den man von Züchtern von Rassehunden über Mischlinge hört. Die Thénardiers als, auf gut Deutsch gesagt, Straßenköter.


    Fünf Jahre(das Alter Cosettes), wird man sagen, das ist ja unglaublich, und doch ist es wahr. Das soziale Leid beginnt in jedem Alter. wie wahr, wie wahr.


    Grüße
    Flor

  • Hugo macht sich aber auch sehr gut als Thrillerautor. Was hab ich mich erschrocken, als Valjean nachts aufsteht mit dem Vorsatz, den Bischof umzubringen.



    Also das hat mich richtig schockiert, die Art wie die Mädchen sitzengelassen wurden, das ist wirklich unglaublich. Arme Fantine und sie hatte zu diesen Zeitpunkt ja auch schon das Kind. Was für ein Schwein ist Tholomyés denn


    Nun, außer Fantine schien aber auch niemand richtig verliebt gewesen zu sein. Hach, wie die Mädchen sich über den kleinen Scherz der Jungs amüsiert haben :rollen:


    Gruß,
    dumbler


  • Nun, außer Fantine schien aber auch niemand richtig verliebt gewesen zu sein.


    Okay, das hat mich auch etwas irirtiert, waren eben "leichte Mädchen" die Anderen. Aber ich fand die Art und Weise schon etwas schockierend, wegen Fantine halt.


    "Mädels machen wir mal einen schönen Ausflug und dann gibt es eine Überraschung für euch. Klar, die gab es ja auch, aber was für eine :grmpf:

    Einmal editiert, zuletzt von Flor ()

  • Zweites Buch:
    Auftritt Jean Valjean. Gut gemacht, wie Hugo uns langsam an ihn heranführt. Ein Unbekannter betritt das Städtchen, ausgehungert nach einem langen Tag auf der Straße, wird erst im Gasthof willkommen geheißen (er hat ja Geld!), aber dann doch wieder rausgeschmissen. Das alles ohne dass wir wissen, um wen es sich handelt oder wieso dies geschieht. Es schüttelte mich, als sich diese Szene immer wieder wiederholte, als der Fremde unter immer ärmlicheren Bedingungen um Herberge bat, aber immer wieder abgewiesen wurde. Selbst ein Quartier in der Hundehütte wurde ihm verwehrt.
    Dann der Kontrast dazu im Hause des Bischofs. Der Fremde wartet schon gar nicht mehr darauf, dass die Kunde über ihn auch dieses Haus erreichen und er aufs Neue abgewiesen wird, sondern sagt gleich in aggressivem Ton "Ich bin ein entlassener Galeerensträfling" und hört die überraschende Antwort "Willkommen". Huch! Nicht gerade das, was er erwartete, für uns aber nicht überraschend. Trotzdem war es auch für mich ergreifend, wie es der Bischof fertig bringt, auch diesen Menschen als das was er ist, nämlich ein Mensch, zu behandeln. Allerdings fragte ich mich beim Abendessen, ob der Bischof nicht besser an die Worte des Vaterunser "und führe uns nicht in Versuchung" hätte denken sollen, als er seinen gesamten Reichtum vor Valjeans Augen präsentiert.
    Und entsprechend kommt es auch - zu meiner Überraschung (ich erwartete eigentlich einen vollkommen unschuldigen guten Menschen, Hollywood lässt grüßen :rollen:) und Freude: Valjean entspricht doch nicht dem erwarteten Klischee. Er ist kein Unschuldslamm, sondern tatsächlich "ein sehr gefährlicher Mann", voller Hass und Rachsucht, zu allem fähig. Nur liegt das nicht an angeborener Bosheit sondern an der Ungerechtigkeit der Gesellschaft, die durch ihre unmenschlichen Behandlung ein Monster erschaffen hat. "Drei Jahre für vier Stunden" :entsetzt: . Da passt es nur zu gut, dass Valjean auch seinen (einzigen) Wohltäter bestiehlt, der sich aber als wahrer Heiliger trotzdem nicht von ihm abwendet, sondern ihm gar noch mehr schenkt und so in die Menschlichkeit des Ex-Sträflings "investiert". Erst erscheint diese Investition verloren als er nicht einmal davor zurückschreckt, ein wehrloses Kind zu bestehlen - eine schöne Parallele dazu, was mit ihm selbst geschah. Er gibt einem Schwächeren zurück was ihm selbst von Stärkeren angetan wurde. Erst später wird ihm klar, was er gerade getan hat, er bereut es tief und versucht, Wiedergutmachung zu leisten, indem er dem Priester Geld für die Armen gibt ( Flor: Buch II, Mitte 13. Kap.) Bleibt abzuwarten, ob diese Wandlung von Saulus zu Paulus von Dauer sein wird.


    Man kann nicht behaupten, dass Hugo vorsichtig, in Andeutungen erzählt; nein, er ist trägt voll auf und spart nich an melodramatischen Szenen. Eigentlich mag ich so was nicht, aber bei Hugo stört mich die Überdeutlichkeit (bis jetzt?) nicht sondern ergreift mich sehr.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Erst später wird ihm klar, was er gerade getan hat, er bereut es tief und versucht, Wiedergutmachung zu leisten, indem er dem Priester Geld für die Armen gibt ( Flor: Buch II, Mitte 13. Kap.) Bleibt abzuwarten, ob diese Wandlung von Saulus zu Paulus von Dauer sein wird.


    @Danke Saltanah, die Stelle ist mir heute morgen auch wieder eingefallen, ich habe da gestern den Pfarrer mit den Bischof verwechselt. Und dachte schon ich hätte etwas überlesen.


    Du scheinst die Geschichte noch gar nicht zu kennen. Manchmal würde ich mir auch wünschen noch nicht zu wissen was passiert. Aber trotzdem fesselt mich die Geschichte sehr.


    Grüße
    Flor

  • Tja, ich bin immer noch bei unserem Bienvenu. Obwohl ich ab und an darüber nachdenke, dass man da doch hätte kürzen können (musste ich ja auch :zwinker:), erscheint es mir der Abschnitt andererseits wichtig, da ich die unterschiedlichsten Sichtweisen kennen lerne. Wenn ich mir das zusammen krame, was ich aus den Filmen kenne, hätte das eine gewisse Relevanz. Auf jeden Fall bin ich schon sehr gespannt auf Valjean und Cosette usw. Ich hatte ja mal das Vergnügen, in den Archiven von Paris die Unterlagen zu den Findelkindern anzusehen (Namenslisten, Kleinigkeiten, die die Eltern bei ihnen gelassen hatten, wie Münzen usw., Notizen zum Umgang mit den Kindern). Da ist Hugo sehr, sehr realistisch. Traurig, aber wahr.


    Liebe Grüße :winken:


    Solas

  • Hi!


    Ich habe mit ein paar Tagen Verspätung angefangen und habe bisher das erste Buch gelesen.


    Ich weiss noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Einerseits ist die Beschreibung von Bischof Myriel unterhaltsam, aber sie war für meinen Geschmack dann doch ein wenig zu ausführlich. Das kann aber auch daran liegen, dass ich mich noch nicht an Hugos Stil gewöhnt habe. Ich tue mich noch ein wenig schwer damit und finde die Sprache nicht immer leicht verständlich. Sobald Debatten geführt oder Details ausschweifend beschrieben werden, «läuft» es nicht mehr so beim Lesen. Das kann aber auch an mangelnder Sachkenntnis meinerseits liegen.


    Besonders schön fand ich den Abschnitt über Erfolg und Glück im Kapitel «Gnaden Bienvenus Einsamkeit».


    Zitat

    Wer triumphiert, wird verehrt. Kommt als Sonntagskind zur Welt, das ist alles. Habt Glück, und alles übrige fällt euch so zu.


    Das kann man auch heute noch beobachten. Egal ob Manager, die (auf Kosten anderer) von den Shareholdern mit dicken Boni überschüttet werden oder Popstars, deren einziges Verdienst darin besteht, mit einem hübschen Äusseren und einer mehr oder weniger guten Stimme ausgestattet zu sein.
    Generell ein schönes Kapitel über Erfolgreiche und Ehrgeizige :smile:


    Fazit: Bisher bin ich mässig begeistert, aber da ich erst angefangen habe, kann sich das noch ändern.


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Keine Angst, Alfa, das ändert sich sich sicher noch. Hugo scheint die einzelnen Protagonisten generell erst etwas zu beschreiben, bevor er die verschiedenen Stränge zu einer Handlung zusammenführt. Die nächsten Vorstellungen sind etwas weniger ausführlich.


    Ein schönes Zitat aus Buch 3, Kap. I zeigt übrigens, dass Hugo nicht immer nur sehr ausschweifend erzählt, sondern es auch versteht, etwas in einem Satz auf den Punkt zu bringen: Aus der Physiognomie der Jahre setzt sich das Antlitz des Jahrhunderte zusammen.


    Zitat von "Spoiler 4.Buch"

    Der "Einstieg" von Cosette in die Handlung zeigt sehr deutlich auf, was man unter dem Titel Die Elenden erwarten muss. Fantine ist gezwungen, ihr Kind zu völlig fremden Leuten zur Pflege zu geben und ahnt nicht, welchem Leid sie das Kind aussetzt. Der Vater in der Pflegefamilie erkennt natürlich sofort, dass Fantine gar nicht anders kann und presst ihr das letzte Geld ab. Zwar braucht er es seinerseits selbst dringend nötig, aber ich schätze, dass er auch ohne seine Verbindlichkeiten ein Halsabschneider wäre. Wie das wohl noch endet?


    LG
    Doris

  • Ich werde eine Weile mit dem Lesen aussetzen, denn im Moment kann ich mich darauf nicht so konzentrieren, wie es dem Buch angemessen wäre. Ich habe mir eine Magenschleimhautentzündung eingefangen, fühle mich ziemlich mies und möchte lieber, wenn im Moment überhaupt, etwas Leichtes, Unterhaltsames lesen.
    Ich denke, Ihr habt dafür Verständnis und wünsche Euch noch eine interessante Leserunde. Vielleicht stoße ich später ja doch noch mal dazu.

  • Drittes Buch:
    Aha, jetzt weiß ich auch, nach wem der gesamte erste Teil seinen Namen bekommen hat: Fantine. Armes, verliebtes Wesen! Ich wünschte ihr einen besseren Männergeschmack. Sie nimmt ernst, was für alle anderen beteiligten nur ein Spiel ist, glaubt an Tholomyès und dessen Liebe, wo allen anderen bewusst ist, dass es sich bei diesen "Liebeshändeln" nur um eine zeitbegrenzte Sache handelt, die es zu auszunutzen gilt. Auch hier trägt Hugo dick und ausführlich auf, bringt aber die wichtigste Information, die alles noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt, erst im letzten Satz des Buches:


    Dadurch bekommt die "Überraschung" (ich erwartete eigentlich, sie würden die Frauen mit der Wirtshausrechnung sitzen lassen) eine viel bittere, ernstere Seite. Die jungen Männer lassen nicht nur die Frauen zurück sondern mehr.


    Viertes Buch:
    Noch ein Opfer der Verhältnisse und der Bosheit anderer: Cosette.
    Aber wie wenig Platz Cosette auch einnahm, dachte Mutter Thénadier doch, dass sie diesen ihren eigenen Kindern wegnehmen würde, und dass die Kleine ihnen die Luft zum Atmen nahm. :entsetzt:
    (Dass Cosette ihnen ein (mehr oder weniger) regelmäßiges Einkommen beschert, das wird passenderweise verdrängt.)
    Hier haben wir ein Kind, dem die Daseinsberechtigung völlig abgesprochen wird, ein Kind, dessen Leben nahezu von Anfang an zerstört wird. Der Effekt:
    Die Ungerechtigkeit hatte sie boshaft und das Elend hässlich gemacht.



    Wie das wohl noch endet?


    Übel, fürchte ich, übel!


    Gute Besserung, Qantaqa!

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()